Der Charakter bei Platon und Aristoteles.

Inhalt:

1. Die Autoren.

2. Platon: Seelenteile, Gerechtigkeit, Tugenden.

3. Aristoteles: Tugenden, Emotionen.

4. Vergleich der Autoren und Fazit.

5. Literatur

1. Die Autoren.

Platon (etwa 428 bis 348 v. Chr.) war Schüler von Sokrates und indem er in seinen Dialogen diesen als Sprecher nutzte wurde er zum Begründer der Philosophie und teilweise auch christlichen Religion. Während seines Lebens gründete er eine große Schule, die Akademie, in der etliche andere Philosophen ausgebildet worden sind.

Einer dieser Schüler war Aristoteles (384 bis 322 v. Chr.), der spätere Lehrer von Alexander dem Großen und Begründer der modernen Naturwissenschaften. In vielen Punkten war er mit seinem Lehrer nicht einer Meinung.

Hier wollen wir untersuchen, was beide Autoren zum Charakter sagen. Der eigentliche Begriff (‚Prägung‘) wurde erst von Aristoteles‘ Schüler Theophrast definiert, doch auch Platon und Aristoteles beschrieben schon die Prägung eines Menschen, vor allem durch ihre Definitionen der Seele und deren Teile (Verstand, Emotionen, Trieb). Beide stellten aber auch einige Charakter-Archetypen auf.

2. Platon: Seelenteile, Gerechtigkeit, Tugenden.

Platon beschrieb in seiner Politeia den seiner damaligen Meinung nach besten Staat. Dieser dient aber vor allem auch als Analogie um die Psyche des Menschen sowie die Tugenden zu untersuchen, denn ebenso wie der Staat besteht dessen Seele aus Einzelteilen die miteinander harmonisieren müssen. Vor allem interessierte ihn letztlich die Frage was Gerechtigkeit ist. Seine Ansichten über die vier Tugenden sowie die fünf Charaktere konkretisierte er in den Büchern 4 und 8.

Jeder Bürger des Staates tut das, was er am Besten kann. Für seine spezifische Aufgabe benötigt er eine der drei Kardinaltugenden. Diese sind die Besonnenheit (bzw. Mäßigung1), Tapferkeit (bzw. Mut) sowie die Weisheit. Vor seiner Geburt bekam jeder Mensch eine Fähigkeit zugeteilt, aufgrund derer sie in eine von drei Kasten gelangen können. Dies sind: die Herrscher, die Wächter und der Rest.

Die Philosophen besitzen Intelligenz, die durch Erziehung und Ausbildung gefördert wird. Sie stellen den rationalen Seelenteil, die Vernunft, dar, deren Tugend die Weisheit ist, die durch Erkenntnis entsteht. Philosophen sind die Herrscher des Staates bzw. die Vernunft herrscht in der Seele. Die Vernunft ist in der Lage das Gute für jeden einzelnen Seelenteil wie für das Ganze festzustellen. Vernunft ist nichts Angeborenes sondern entsteht erst durch Erziehung, so Platon.

Die Wächter und Krieger haben starke Emotionen (auch Geist genannt), die durch Ausbildung und Mäßigung die Tugend der Tapferkeit bzw. des Mutes hervorbringen. Sie sind der emotionale Seelenteil, der die Meinung der Vernunft vertritt, vor allem gegenüber den Begierden.

Bauern und Handwerker haben große Begierden, welche sie charakterisieren. Sie sind die Triebe. Hier ist die Tugend die Mäßigung. Mäßigung (oder Besonnenheit) wird definiert als Kontrollierung der Begierden. Die Mäßigung muss aber stets in allen Teilen vorkommen, niemand ist davon befreit.

Geist und Mäßigung sind allen Menschen angeboren. Durch Mäßigung und Ausbildung zur Tapferkeit kann man in den Kasten auch aufsteigen. Der Mensch gilt als glücklich bzw. der Staat als gerecht, wenn seine drei Teile sich im Gleichgewicht befinden und harmonisieren und jeder Teil seine spezielle Aufgabe vollführt und sich in keine andere einmischt. Gerechtigkeit ist damit die allem anderen übergeordnete Tugend und damit auch die edelste.

Stand Seelenteil Tugend Entstehen Bemerkung
Philosophen (Herrscher) Vernunft Weisheit & Besonnenheit durch Erziehung entsteht durch Erkenntnis
Wehrstand (Wächter) Emotionen Tapferkeit & Mut & Besonnenheit angeboren hält die Meinung der Weisheit
Nährstand (Bauern & Handwerker) Begierden & Triebe Mäßigung & Besonnenheit angeboren Tugend ist in allen Teilen

Und warum sollte dieses Ganze Gerechtigkeit sein? Laut Platon heißt vollkommen gut sein gerecht zu handeln entsprechend der Weisheit, der Tapferkeit und der Besonnenheit. Der Staat ist weise durch seine Regenten und tapfer durch seine Wächter. Tapferkeit ist hierbei ein Bewahren der Meinung, die durch Gesetz und Ausbildung geschaffen wurde. Besonnenheit ist eine Übereinstimmung von guten und schlechten Teilen in der Frage wer zu regieren hat und sitzt allen Ständen inne. Gerechtigkeit im Menschen wie im Staat ist es, wenn alle Teile übereinstimmen.

Die Philosophen dürften die einzigen ‚gerechten‘ Menschen sein. Zwar sagt Platon nicht, ob sie auch Tapferkeit besitzen, aber a) muss er sie haben, wenn er aus der niederen Kaste aufgestiegen ist und b) muss es überhaupt gerechte Menschen geben, sonst wäre das ganze aufgestellte System sinnlos.

Platon ging bei seiner Konzeption des Staates teils stark ins Detail und beschrieb vor allem auch die nötige Ausbildung explizit. Andere Aussagen sind z.B., dass schlechte Musik niedere Affekte verstärkt und den Charakter verdirbt und schlechte Dichtung (z.B. Homer) Lügen verbreitet, während gute Tonarten und Dichtung den Charakter festigen. Dies ist auch der Grund warum er sich für starke Zensur aussprach und (zusammen mit der Eugenik und Zuchtauswahl) man ihm später Totalitarismus vorwarf, v.a. Popper.

Welchen Grund aber gibt es überhaupt, dass Platon annahm, dass die Seele nicht geeint ist sondern aus 3 Teilen besteht? Seiner Meinung nach wären psychologische Konflikte nicht beschreibbar, wenn man nicht annimmt, dass die Seele mindestens zwei Teile hat. Eine Seele kann immerhin offensichtlich widerstrebende Haltungen etwas gegenüber einnehmen, also muss es auch verschiedene Teile geben. Mit dieser Annahme der dreigeteilten Seele kann Platon einige psychologische Konstitutionen beschreiben.

Zunächst einmal unterscheidet er drei Arten von Personen, deren dominantes Streben auf einem der drei Seelenteile beruht. Die von der Ratio Gesteuerten lieben Weisheit und Liebe, die von den Emotionen Gesteuerten dagegen Sieg und Ehre und die von den Begierden Gesteuerten Geld. Die dazugehörigen Charaktere sind der Philosoph, der Politiker und der Genießer.

Charakter Seelenteil Liebe
Philosoph Vernunft Weisheit & Liebe
Politiker Emotionen Sieg & Ehre
Genießer Begierden Geld

Jedoch sind dies nur die Grundcharaktere. Die Genießer teilen sich aber in drei weitere Typen auf. Die drei Arten von Begierden nennt er notwendig, nicht notwendig aber ‚regulierbar‘ sowie nicht notwendig und ‚unkontrollierbar‘. Dadurch kommt er zu insgesamt fünf Charakteren, die er mit fünf Staatsarten gleichsetzt. Der Aristokrat wird durch Vernunft gesteuert, der Timokrat durch Geist & Emotionen (Streitsucht), der Oligarch durch notwendige Begierden (Geldsucht), der Demokrat durch nicht notwendige regulierbare Begierden (Gelüste) und der Tyrann durch nicht notwendige unkontrollierbare (Angst).

Charakter Seelenteil Steuerung Eigenschaften Entstehen
Aristokrat Vernunft eeise, tapfer, besonnen, gerecht
Timokrat Geist & Emotionen Selbstsucht, Ehrgeiz, Milde, kriegerisch Sohn des Aristokraten wird vom Zorn der anderen gelockt.
Oligarch Begierden notwendig geizig, Zügelung eitler Begierden aus Furcht Timokrat wird arm und Sohn deshalb geizig.
Demokrat Begierden nicht notwendige regulierbare Jeder für sich, nachsichtig, gleich, schamlos, zügellos Armut vieler führt zu Zorn und Sturz der Herrscher
Tyrann Begierden nicht notwendige unkontrollierbare. Entledigt sich aller Feinde bis kein Tüchtiger mehr da (Angst). Demokrat stürzt Regierung, wählt sich ein Oberhaupt

Weiterhin ist aber nicht in jedem Menschen nur ein Seelenteil bzw. Charakter dominant, da einige zwischen mindestens Zweien stehen. Zu diesen sagt Platon aber nicht viel. Die Charaktere, die den ’schlechten‘ Typen, vor allem dem Tyrann, anhängen, nennt Platon von ihren eigenen Begierden versklavt, denn sie können am wenigsten nach freiem Willen handeln sondern müssen ihrem Trieb folgen. Sie sind voll von Bedauern, sind (geistig) arm und nie befriedigt und fürchten sich vor der Zukunft. Der Philosoph und Aristokrat2 dagegen ist der freieste Charakter, wenngleich er seine Freiheit nicht immer in gleichem Umfang genießen kann. Diese sind gleichzeitig die besten Richter, da sie am meisten Erfahrung haben und am gerechtesten sind.

3. Aristoteles: Tugenden, Emotionen.

Aristoteles äußerte sich mehrmals über den Charakter und seine Teile. Die Tugenden beschreibt er in der Nikomachischen Ethik, verschiedene Emotionen in der Rhetorik. Auch in der Poetik äußert er sich kurz zu Charakteren. In Buch 2 der Ethik beschreibt er die ethischen Tugenden, in Buch 6 die dianoetischen und in Buch 7 die Selbstbeherrschten, Unbeherrschten, Zügellosen und die Lust. In Buch 2 der Rhetorik ergänzt er diese Übersicht um die Leidenschaften, Lebensalter und Lebensumstände. Damit kann man wesentlich differenziertere und begründetere Charaktere aufstellen als es Platon vermochte.

Die Seele unterteilt sich für Aristoteles in drei große Teile: Am unteren Ende stehen die Leidenschaften (Begierde, Zorn, Hass, Liebe, Angst usw.), die mit Lust und Schmerz verbunden sind. Diese erklärt er in der Rhetorik. Über ihnen stehen Fähigkeiten, die es dem Menschen ermöglichen diese Leidenschaften auszuüben. Darüber wiederum stehen die Eigenschaften, die das Richtig und Falsch der Leidenschaften beurteilen. Zu diesen gehören auch die Tugenden.

Seiner Meinung nach entwickelt das Wesen eines Menschen (der Ēthos oder Charakter im modernen Sinne) sich durch kulturabhängige Gewohnheit (dem Ethos3). Das Ēthos besteht für ihn aus Charakter (emotionale Ebene) und Intelligenz (rationale Ebene). Aus diesem Grund kennt er auch zwei Gruppen von Tugenden: ethische4 (moralische) und dianoetische (die des Denkens). Moralische Tugenden gehören zum Charakter und werden durch Gewohnheit geformt.

Wesen Untergruppe Tugenden Entstehung
Ēthos Intelligenz Dianoetisch Belehrung
Charakter Ethisch Gewohnheit (Ethos)

Eine Tugend beschreibt Aristoteles als Mitte zwischen zwei Extremen. Vollkommene Tugend können nur männliche Erwachsene erreichen. Hat man in beiden Bereichen (ethisch und dianoetisch) eine vollkommene Tugend, so hat man den Zustand der Vortrefflichkeit erreicht, von dem aus man die Glückseligkeit erringen kann. Eine Tugend (und ebenso ein Laster) ist ein Habitus (ein ‚Gehaben‘, also wie man sich gibt). Es gibt also für jeden Bereich den Aristoteles noch definieren wird einen guten sowie zwei schlechte Habita.

Tugenden können nie entgegen der menschlichen Natur gewöhnt werden. Stattdessen werden aus angeborenen Fähigkeiten entsprechende Tätigkeiten durch Gewöhnung oder Belehrung entwickelt. Ziel dabei ist, dass ein Handelnder durch rechte Einsicht die Lagen in denen er sich befindet bewerten kann, um die richtige Handlung zu wählen. Die Tugenden sind nur solche, wenn der Handelnde sich durch eine eigene, freiwillige Entscheidung für sie wegen ihrer selbst entscheidet.

Charaktertugenden (ethische Tugenden) sind Haltungen (Habita) die gelobt oder getadelt und durch Erziehung und Gewöhnung (Ethos) vermittelt werden. Sie beziehen sich auf (reine) Leidenschaften und Handlungen die aus Leidenschaften entstammen. Sie zähmen und steuern den triebhaften Seelenteil. Wirklich vorhanden sind sie aber erst, wenn sich jemand willentlich für eine tugendhafte Handlung wegen ihrer selbst willen entscheidet und dabei Freude empfindet. Gewöhnung findet statt, indem Übermaß und Mangel vermieden werden. Grundlage für die Tugenden sind Handlungen, Emotionen und Begierden. Die Mitte ist, angemessene Emotionen zu haben und angemessen zu handeln und besteht für jeden Einzelnen individuell. Insgesamt beschreibt Aristoteles 11 ethische Tugenden sowie zwei weitere, deren Mitten keine Tugenden sind5.

Oberbereich Bereich / Affekt Mangel Tugend Übermaß
Allgemeines Einsatz des eigenen Lebens Feigheit Tapferkeit Tollkühnheit
Umgang mit eigenen Affekten Zügellosigkeit Besonnenheit bzw. Mäßigung Gefühllosigkeit
Besitz Umgang mit dem eigenen Besitz Geiz Freigiebigkeit Verschwendung
Auftreten gegenüber anderen Engherzigkeit Hochherzigkeit Aufgeblasenheit
Ansehen Hochsinn/Ehre Niederer Sinn bzw. Kleinmütigkeit Hochsinn bzw. Großgesinntheit Aufgeblasenheit bzw. Eitelkeit
Ehre ehrgeizlos (keine Bezeichnung) ehrgeizig
Reaktion auf Unrecht Schwächlichkeit Sanftmut Jähzorn
Politisches Leben Redlichkeit in der Rede Ironie Wahrhaftigkeit Prahlerei
Annehmlichkeit im Umgang Steifheit Artigkeit Possenreißerei
Meinungsaustausch mit anderen Streitsucht Freundlichkeit Schmeichelei
Gerechtigkeit Gerechtigkeit Gerechtigkeit
Keine Tugend Auftreten unter Anderen Blödheit bzw. Schüchternheit Schamhaftigkeit bzw. Feinfühligkeit Unverschämt. bzw. Schamlos.
Haltung zu Besitz und Erfolg anderer Neid Entrüstung Schadenfreude

Die Charaktertugenden sind wichtig für das Leben des Politikers, das im Umgang mit anderen Menschen und unseren Emotionen besteht. Auch das beste Leben, das der Theoria, kann sich in diesem Bereich betätigen.

Die Gerechtigkeit differenziert Aristoteles später in der Nikomachischen Ethik weiter in zwei Unterarten. Die ausgleichende ist entschädigend und repariert Schäden, die austeilende reguliert Besitz und Schaden. Dies betrifft nun aber nicht den Charakter.

Verstandestugenden (dianoetische Tugenden) beziehen sich auf das Wissen von Unveränderlichem oder der Produktion, die Klugheit (phronesis) mit dem Handeln. Sie entstehen aus Belehrung. Klugheit ist am wichtigsten, da sie Entscheidungshilfen gibt um die Mitte zu wählen, unterstützt von der Erfahrung. Diese Tugenden stehen über den moralischen, da man nur mit ihnen die höchste Glückseligkeit erreichen kann, die Theoria. Weiterhin haben die dianoetischen Tugenden keine Mitte und keine Abweichungen, sondern sind schlicht Tugenden.

Theoretische dianoetische Tugenden sind Wissenschaft, Weisheit und Verstand (Geist). Wissenschaft ist lehrbar, beweisbar und bezieht sich auf fundamentale Prinzipien, welche die Klugheit dann anwenden kann. Die Weisheit (Sophia) muss auch Beweise haben und ist die vollkommenste Kunst sowie genaueste Wissenschaft und bringt die Glückseligkeit. Geist macht das Handeln hervorragend. Die theoretischen Tugenden beziehen sich auf unveränderliche Dinge.

Praktische dianoetische Tugenden sind die Kunstfertigkeit sowie die Klugheit. Sie beziehen sich auf veränderliche Dinge. Die Klugheit (Phronesis) überlegt das Gute und das Richtige und macht daher Tugenden erst möglich. Die Kunstfertigkeit handelt mit Vernunft um etwas hervorzubringen.

Weiterhin gibt es noch Eigenschaften, die die Tugenden verbessern, aber keine Tugenden selber sind. Wohlberatenheit ist eine Art von Planung in Richtigkeit, die Verständigkeit beurteilt und die Gewandtheit hilft der Klugheit.

Bereich Tugenden Eigenschaften
theoretisch (unveränderliche Dinge) Wissenschaft lehrbar, beweisbar
Weisheit Vollkommenheit von Kunst und Wissenschaft.
Verstand (Geist) verbessert Handeln
praktisch (veränderliche Dinge) Kunstfertigkeit bringt mit Vernunft etwas hervor
Klugheit überlegt das Gute und Richtige (=die Tugenden)

Letztlich muss man noch festhalten, dass laut Aristoteles der Mensch ein soziales Wesen ist, das gleichgesinnte Freunde braucht um seine Tugenden zur vollen Entfaltung zu bringen und eine komplette soziale Umgebung um seine Macht gänzlich zu vollenden.

Interessanterweise beschreibt Aristoteles bereits in der Nikomachischen Ethik zwei Charakter-Archetypen – aber nur zwei.

Der Freigebige wird des sittlichen Schönen willens tugendhaft Handeln. Er gibt denen er soll und wann er soll und tut das gern. Er nimmt nicht, wo er nicht soll und bittet nicht leicht um etwas. Er vernachlässigt sein Vermögen nicht um geben zu können, aber wird nicht dem Erstbesten geben. Er überschreitet die Mitte gen Übermaß um mehr geben zu können. Wichtig ist hierbei nicht die absolute Größe des Gegebenen, sondern die relative. Freigebiger sind die, die ihr Vermögen erbten da sie selber keine Not kennen. Er neigt zur Verschwendung und wird daher nur schwer reich. – Wer hierbei zu sehr übertreibt, ist ein Verschwender.

Menschen vornehmer Abkunft, mit Einfluss und Besitz werden verehrt, weshalb sie zu Hochsinnigen werden. Ohne Tugend werden sie stolz und übermütig und erheben sich über andere, werden ihnen gegenüber verächtlich und tun was ihnen gefällt. Der tugendhafte Hochsinnige aber verachtet nur mit Fug und Recht. Er bringt sich nicht für Kleines in Gefahr sondern nur für das Größte. Er gibt lieber denn zu nehmen und erwidert Wohltaten durch noch größere und hört gern, wie man von seinen Wohltaten redet. Gegenüber anderen Hochstehenden ist er vornehm, gegenüber den Gewöhnlichen ist er freundlich. Er redet nie über andere und schätzt die Wahrheit hoch. In Abhängigkeit kann er nicht leben, bewundern kann er nicht. Für gewöhnlich geht er langsam, seine Stimme ist tief und ruhig.

Weiter unterscheidet Aristoteles ähnlich wie Platon neben dem psychologisch gesunden noch drei ungesunde Charaktere. Diese nicht-tugendhaften werden von inneren Zweifeln oder Konflikten geplagt, selbst wenn sie oberflächlich normal erscheinen. Sie alle sind krankhafte Zustände entweder von Natur aus oder durch falsche Gewöhnung.

Am schlimmsten sind die Lasterhaften (Zügellosen), die sich nicht selber lieben (können). Sie wissen nicht einmal um ihren Zustand und kennen auch keine Reue für ihre Taten. Zu ihnen gehören auch die Starrköpfe, die sozusagen ‚übertreiben‘ in ihrem Eigensinn und unwissend sind.

Die anderen beiden Typen dagegen wissen um ihren Zustand. Die Mäßigen (Beherrschten) haben Zweifel und widersprechende Überzeugungen, können sich aber selbst beherrschen und zu tugendhaften Handlungen zwingen, was sie aber natürlich nicht genießen können. Letztlich sind sie abgehärtet, standhaft und besonnen, da sie noch mit Vernunft handeln.

Die Unmäßigen (Unbeherrschten) dagegen wissen um ihren Zweifel und können nichts dagegen tun. Ursache für Zweifel und Zerrissenheit sind vor allem nicht-rationelle Begierden. Sie sind weichlich, tadelnswert, schwankend. Sie versagen, wo die meisten widerstehen. Aristoteles vergleicht sie mit ‚freiwilligen Betrunkenen‘.

Typ Zustand
Theoretiker besitzt ethische und dianoetische Tugenden
Politiker besitzt ethische Tugenden
Der Mäßige (Beherrschte) besitzt zügelbare Begierden
Der Unmäßige (Unbeherrschte) besitzt ungezügelte Begierden
Der Lasterhafte (Zügellose) besitzt Begierden und weiß nicht um seinen Zustand

In der Poetik beschreibt Aristoteles kurz, wie ein Charakter (in einer Geschichte) sein muss. Der Autor muss vier Merkmale beachten. Wichtig hiervon ist, dass er sagt eine Person habe Charakter, wenn ihre Worte und Handlungen eine Neigung (und Überzeugung) erkennen lassen. Tüchtig ist der Charakter, wenn die Neigungen tüchtig sind.

In der Rhetorik beschreibt er, dass ein Redner auch durch seinen Charakter überzeugen kann, wenn er für die Zuhörer glaubwürdig erscheint, indem er tugendhaft, klug und wohlwollend ist. Dann beschreibt er einige Leidenschaften (die für ihn Affekte und keine Emotionen sind!): Philia (Freundschaft bzw. nicht-erotische Liebe), Hass, Scham, Entrüstung, Neid, Zorn, Sanftmut, Furcht, Dankbarkeit, Mitleid und Eifer. Affekte an sich definiert er als die Dinge, durch welche sich Menschen hinsichtlich ihrer Urteile unterscheiden und die mit Lust oder Schmerz verbunden sind. Es lässt sich jeweils ein Gegenstandspaar finden; insgesamt sieben an der Zahl.

Zorn ist laut Aristoteles ein mit Schmerz verbundenes Streben nach einer vermeintlichen Vergeltung für eine Herabsetzung. Zorn ist auch verbunden mit Lust aufgrund der Hoffnung nach Vergeltung. Wer Zorn hat strebt nur nach Erreichbarem. An möglichen Herabsetzungen gibt es drei Arten: Verachtung, Boshaftigkeit, übermütige Misshandlung (verlachen, verhöhnen, verspotten). Für den Erleidenden ist es eine Schande. Dies ist eine Art von Schmerz, aus der der Zorn entspringt. Weiter sind die, die etwas haben wollen und es nicht bekommen gereizt und werden deshalb leicht zornig. Man zürnt eher, wenn man etwas völlig anderes erwartete, gegenüber Schlechtrednern, Freunden die einen plötzlich schlecht behandeln oder nicht merken, dass man etwas braucht, Leuten die einem nichts erwidern sowie wenn man vergessen wird. Besonders zornig kann man werden, wenn man vor einem von 5 Typen von Menschen herabgesetzt wird: denen gegenüber man Ehrgeiz hat, die man bewundert, von denen man bewundert werden will, vor denen man sich schämt oder die sich vor einem schämen. Sanftmut ist das Gegenteil von Zorn und eine Beruhigung. Man ist sanftmütig gegenüber denen, die einen unfreiwillig herabsetzen oder die Reue zeigen, die unterwürfig sind, eigenen Wohltätern, Leuten die sich entschuldigen, vor denen man Furcht oder Scham hat. Auch hat man Sanftmut, wenn man glaubt Unrecht zu tun. Sanftmut ist Lust.

Liebe ist für jemanden das zu wollen, was man für gut hält um jener Person willen. Ein Freund ist der, der die Liebe auch erwidert. Er freut sich über Gutes und leidet bei Schmerz mit. Man liebt die, die einem Wohltaten gaben und die einen lieben, weiterhin die Freigebigen, Gerechten, Besonnenen, das Angenehme, die Lobenden, die Tadellosen, Nicht-Nachtragenden, Versöhnlichen und die einem selbst Ähnlichen. Freundschaft ist Kameradschaft, vertrauter Umgang und Verwandtschaft. Das Gegenteil wäre Hass.

Furcht ist eine Art Schmerz vor nahen Dingen. Man hat Furcht wenn man abhängig ist, man Unrecht tut (Furcht vor Vergeltung), Konkurrenten, den Stärkeren, bei unverzeihlichen Fehlern. Das Gegenteil von Furcht ist Zuversicht (bzw. Mut). Diese hat man, wenn man viel Erfolg hat, wenn man nicht furchterregend erscheint oder große Mittel besitzt.

Scham ist eine Art Schmerz über Dinge, die einem schlechtes Ansehen bringen könnten. Man schämt sich also für Schändliches, was z.B. Feigheit, Ungerechtigkeit oder Zügellosigkeit ist. Auch Geiz, Schmeichelei, Verweichlichung, niedere Gesinnung und Angeberei gehören dazu. Man schämt sich wenn man nicht an allen sozialen Veranstaltungen teilnimmt, besonders stark vor bedeutenden Menschen, in der Öffentlichkeit und vor denen, die sich nicht schämen müssen. Man schämt sich vor Klatschmäulern, beim Sex und für eigene Werke, für die man sich schämen muss. Schamlosigkeit ist das Gegenteil.

Mitleid ist eine Art Schmerz aufgrund eines Übels bei jemanden, der es nicht verdient. Man selber kann um Mitleid zu empfinden selber weder im Unglück noch im Glück sein. Man hat vor allem Mitleid für die Tugendhaften, für die, die immer nur Unglück haben, für Bekannte und Verwandte sowie für einem selbst Ähnliche. Das Gegenteil von Mitleid ist Entrüstung, ein Schmerz über unverdientes Wohlergehen anderer. Mitleid und Entrüstung empfindet nur der, der einen guten Charakter hat. Man ist eher zur Entrüstung geneigt wenn man selber bereits große Mittel hat, man tugendhaft und ehrgeizig ist.

Eine schlechte Form von Entrüstung ist der Neid, der auch ein Schmerz und auf das Wohlergehen derer gerichtet ist, die einem selbst ähnlich sind. Man ist neidisch auf die, denen nichts fehlt, die geehrt werden, die ehrgeizig und selbstsicher sind. Man muss dabei stets meinen, dass man diese Dinge selber verdient hat aber nicht besitzt. Man ist neidisch gegenüber Unbekannten, Konkurrenten und einem selbst Ähnlichen. Das Gegenteil ist Gönnen, aber auch die Eifersucht. Eifersucht ist auch eine Art von Schmerz über vermeintliches Vorhandensein ehrenvoller und für sich selbst eigentlich erreichbarer Dinge bei anderen die einem ähnlich sind – weil man selbst dies nicht hat. Eifersucht ist tugendhaft, denn dadurch spornt man sich selber an dasselbe auch zu erreichen, also nicht Eifersucht im modernen Sinne, die auf Liebe zielt. Eifersüchtig sind die Jungen und Hochgesinnten und wer meint etwas verdient zu haben. Man ist eifersüchtig auf die, die es haben.

Weiter führt er hier auch noch einmal Ehrgeiz und die Ehrgeizlosigkeit an.

Negativ Positiv
Zorn (auf Einzelnen) Sanftmut (andere und sich selbst)
Hass (auf das Allgemeine) Liebe (Freundlichkeit)
Furcht Mut
Schamlosigkeit (nicht möglich tugendhaft zu sein) Scham (bei moralischen Fehltritten)
Entrüstung (bei unrechter Begünstigung) Mitleid (bei Unrecht anderer)
Neid (Missgunst) Gunst / Eifersucht (Rivalität)
Ehrgeizlosigkeit Ehrgeiz

Letztlich beschreibt er noch drei Charaktertypen mit den Kriterien Alter, Leidenschaften und Tugenden.

Die Jungen haben große Begierden und (Geschlechts-)Triebe, sind unbeständig, haben heftige Wünsche, sind ungestüm und jähzornig. Sie bekommen leicht Wut wegen ihrem Ehrgeiz, sind nicht geldgierig. Sie sind gutmütig, leichtgläubig, hoffnungsvoll, leicht zu täuschen, tapfer, leidenschaftlich, schamhaft, großgesinnt. Sie wählen eher das Schöne denn das Nützliche, lieben eher Freunde denn Verwandte. Sie lieben und hassen zu stark, neigen zu Übermut und sind humorvoll.

Die Alten behaupten nichts mit Sicherheit, ‚meinen‘ lieber statt zu ‚wissen‘, sind übelgesinnt und argwöhnisch. Sie lieben und hassen nicht heftig, sind kleingesinnt, knausrig, feige. Sie hängen am Leben und sind selbstliebend. Sie wählen eher das Nützliche denn das Schöne, sind eher schamlos, ohne Hoffnung. Sie erinnern sich gern, sind geschwätzig. Ihre Wut ist schwach, die Begierden auch. Sie sind besonnen, überlegen viel, haben Mitleid, sind weinerlich und nicht humorvoll.

Die Mitte hiervon ist die Blüte des Lebens, die man zwischen 30 und 35 erreicht; die Seele aber erst um 49.

Diesen drei Typen folgen noch weitere, nach Herkunft und Lebensumständen geordnet.

Die Edlen sind ehrgeizig, verachten leicht, sind tugendhaft. Die Reichen sind übermütig und stolz, schwelgerisch und prahlerisch, verweichlicht und ungebildet, eifersüchtig und herrschsüchtig. Die Mächtigen sind ehrgeizig und tapfer, ernst, würde- und maßvoll.

4. Vergleich der Autoren und Fazit.

Ein Vergleich zwischen Platon und Aristoteles dürfte knapp ausfallen. Aristoteles war Platons Schüler und ging daher von ähnlichen Grundgedanken aus, kam jedoch zu teils völlig anderen Ergebnissen. Zunächst einmal überwarf er sich völlig mit Platons vier Kardinaltugenden (die trotzdem Grundlage für die christlichen Tugenden wurden) und ersetzte sie mit zwei Gruppen von Tugenden; den ethischen (praktischen) und den dianoetischen (theoretischen). Bei Platon waren die Tugenden bloß erworben, bei Aristoteles war die Veranlagung immerhin angeboren und durch Gewöhnung bzw. Belehrung dann ausgebildet.

Platon war theoretischer und utopischer, ein Idealist. Er ging von abstrakten Ideen aus, deren Schatten wir in der Welt sehen. Seine Seele war unsterblich und dreigeteilt in drei der Kardinaltugenden, die zur vierten führen. Bei den Charakteren ging er außer von dem gesunden noch von vier krankhaften aus, die er mit ebenso krankhaften Staatsformen verglich.

Aristoteles war praktischer veranlagt. Er ging strikt empirisch vor und sah diese unsere Welt als einzige Wirkliche an, Die Unsterblichkeit der Seele bezweifelte er; gleichzeitig teilte er sie wesentlich komplizierter ein in vegetativ (Triebe) und bewusst, wobei letztere sich noch in Emotionen und die Vernunft unterteilen. Das klingt zwar nach Platon, doch gibt es weitere Unterteilungen.

Beiden gleich ist, dass sie zumindest ansatzweise von den gleichen Kardinaltugenden ausgehen (wenngleich es wie gesagt bei Aristoteles differenzierter ist). Weiter sind sie sich einig, dass der Mensch ein soziales Wesen ist und der Staat für die sittliche Vervollkommnung der Bürger sorgen muss. Beide unterteilen sie den Menschen in Leib und Seele und die Seele in drei Oberbereiche.

Die Gerechtigkeit sehen sie beide als höchste und oberste Tugend an, definieren sie aber vollkommen anders. Platon beschreibt sie als ‚dass jeder das Seine tut‘, aber sieht sie letztlich als abstrakte unerreichbare Idee an. Aristoteles dagegen definiert sie zunächst negativ über den Begriff Ungerechtigkeit (Gegen das Gesetzt verstoßen, unersättlich sein, Ungleichheit). Weiter sagt er, dass Gerechtigkeit in menschlichen Beziehungen entsteht und es eine ‚allgemeine‘ Gerechtigkeit gibt, jedoch auch noch zwei spezifische Unterarten, die ausgleichende und die austeilende.

Da wie gesagt Aristoteles in seinen Überlegungen und Definitionen weiter geht als Platon, wäre es zuviel hier nun alles zu wiederholen.

5. Literatur

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Fußnoten:

1Kommt immer darauf an wie man übersetzt.

2Wie es Platon einer war.

3Kurzes und langes E nicht verwechseln.

4Wieder ein langes E.

5In der Übersetzung kann man sie teilweise unterschiedlich bezeichnen.

1 Responses to Der Charakter bei Platon und Aristoteles.

  1. […] bei Platon und Aristoteles Hier geht es um folgendes Thema: Hier wollen wir untersuchen, was beide Autoren zum Charakter sagen. Der […]

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