Willkommen Daheim!

Juli 4, 2009

Gegen Morgen kamen sie an ihrem neuen Haus an. – Ein ganzes Haus für sie allein! – ganz allein! – hier am Rande der Stadt. Sie konnten ihr Glück kaum fassen. Ein so günstiges Haus in so einer schönen Lage, trotz der Verwilderung. Alle anderen, die dieses Angebot ausgeschlagen hatten, mussten Narren sein. Nun aber gehörte es ihnen und nie wieder würden sie es hergeben. Sie besaßen nicht viel – ein Karren reichte für das Gepäck – und sie hatten fast ihr gesamtes Geld für das Haus ausgegeben, doch es sollte sich lohnen – und sie wollten Gemüse im großen Garten anbauen, um es zu verkaufen. Zunächst aber kam der Einzug – glücklicherweise waren wenigstens Möbel bereits vorhanden. Kaum, dass sie alles hineingebracht und den Fahrer des Karrens verabschiedet hatten, zog Joam aus, sich das Anwesen noch einmal anzusehen, derweil Aci das Gleiche mit dem Haus tat.
Der Garten war alt und verwildert, doch groß genug, dass man sich verlaufen könnte. Hier wollten sie also etwas anbauen? Es würde sicher Ewigkeiten dauern, sich durch das Unkraut zu hacken. Manchmal fragte sich Joam, warum er sich von Aci hatte überreden lassen. Liebte er sie etwa doch noch so sehr? Oder waren es ihre weiblichen Überzeugungskräfte? – Und all diese Vögel und Echsen, die überall herumschwirrten – man müsste sie vertreiben, alles säubern. Nach einer Weile, die er den Garten erkundend verbrachte, geschah etwas – seltsames. Aus den Augenwinkeln heraus glaubte er eine Bewegung – ein Huschen zu sehen, zu spüren. Ein Vogel? – Nein, es wirkte zu groß. Ob es hier noch andere Tier gab? Größere, gefährlichere? Ihm schauderte bei dem Gedanken – stets hatte er eine tiefe Abneigung gegen große Tiere gehabt. Sie alle waren zu… gefährlich. – Da! – Wieder eine Bewegung, diesmal auf der anderen Seite. Was war das bloß? Angst und Neugier rangen in ihm. Als letztere die Oberhand gewann, wagte er sich tiefer in den Garten. Wie weit dieser wohl reichen würde? Doch stellte er dies schnell fest, als er an eine Mauer gelangte. Alles hier war so zugewuchert, dass man sie aus der Ferne nicht erkennen konnte – ebensowenig das Loch, in welches Joam plötzlich fiel. Nur noch kurz nahm er eine Bewegung im Garten wahr.
Drinnen erkundete Aci das Haus. Natürlich hatte man es ihnen bereits einmal gezeigt, so wusste sie wenigstens grob, wo was lag. Alles an diesem Haus zog sie in ihren Bann. Es war zwar für sie gesäubert worden, doch merkte man ihm weiter sein Alter an. Und Aci liebte das. Es war ihr Gefühl des Zuhauseseins gewesen, dass sie überzeugte dieses Haus zu wollen – auch wenn sie dazu erst Joam überreden musste. Doch jetzt waren sie da und würden es auch bleiben, da war sie sich sicher. Um sich noch einmal das Schlafzimmer anzusehen, folgte sie der Treppe in den ersten Stock. Oben wollte sie den Weg gen links gehen, doch – hatte sich da rechts nicht etwas bewegt? Sofort sah sie in diese Richtung, in der sie aus den Augenwinkeln eine Bewegung gesehen zu haben glaubte – aber dort war nichts. Bloß der Gang und die Türen zu zwei Zimmern sowie dem Dachboden. Trotzdem kam es ihr verdächtig vor. Nacheinander ging sie zu beiden Zimmern, sich dabei unbewusst leise verhaltend. Der erste Raum war dunkel und leer. Auch der zweite, das Badezimmer, war schwarz – aber dort stand jemand! Erschrocken erstarrte Aci. Eine schwarze Gestalt – ein düsterer Schatten – bewegte sich über eine Anrichte und vollführte Bewegungen, als würde sie sich schminken. Gerade als Aci kam, hörte sie damit auf, drehte sich um und wanderte zu dem großen Wasserbecken. Als die Gestalt den Bereich des aus dem Flur einfallenden Lichtes durchschritt, erkannte Aci, dass es ein schwarzer wabbernder Nebel in Menschengestalt war – und dort im Wasserbecken sah sie noch eines, klein wie ein Kind. Endlich gewann die Angst gegenüber dem Schrecken. Panisch schloss Aci die Tür und eilte hinab in den Eingangsraum des Hauses. Wo war bloß ihr Mann?

Stöhnend richtete sich Joam auf. Wo befand er sich? Um sich herum sah er nur Unrat und Düsternis. Über sich erkannte er lockere Erde und Wurzeln – ein Loch, durch das kaum etwas von der schwachen Nachmittagssonne hereinschien. Das half ihm also auch nicht. Immerhin erkannte er, dass er auf einem Schutthaufen lag und nun voller Erde und Staub war. Wie herrlich für einen Einzug – er musste hier raus und ein Bad nehmen. Doch durch das Loch würde er nicht wieder kommen. Vorsichtig richtete er sich auf – und zuckte zusammen, als er den Schmerz in seinen Beinen spürte. Humpelnd gelangte er schließlich tiefer in den Raum, in dem er sich befand. Ein Kellergewölbe? Wie groß es wohl war – die Finsternis kam ihm unendlich vor. Verwundert bahnte er sich seinen Weg in die Richtung, in welcher er das Haus vermutete. Alles war pechschwarz – er erkannte kaum etwas. Das Wenige schien sich aber auch nicht zu lohnen. Nach einer Weile warf er einen Blick zurück um zu sehen, wie weit er gekommen war – und erblickte eine Gestalt an der Stelle stehend, an der er hinabgestürzt war. Schwarz wie es war erkannte er keine Züge, doch sie schien gerade auf ihn zuzukommen. Erschrocken wandte er sich wieder um – wer es auch war, begegnen wollte er niemandem. Panik kroch in seine Glieder und so schnell es ging humpelte er durch die Dunkelheit weiter. Dann und wann stolperte er über Geröll, hin und wieder drehte er sich um – die Gestalt folgte ihm. Er wollte nur noch raus aus diesem Gewölbe – doch gäbe es überhaupt einen Ausgang? Was, wenn dies seit Urzeiten verschüttete, unbekannte Gewölbe waren? Was würde geschehen, wenn er keinen Ausgang fände? – Und endlich, als er sich einem noch schwärzeren Bereich näherte, den er für eine Mauer hielt, sah er die Treppe, die hoch ins Haus führen musste, zurück in die Sicherheit – doch da hörte er schwere Fußtritte.
Bei ihrer Suche nach Joam geriet Aci bald in die Küche. Immer noch hauste der Schrecken in ihren Knochen und sie hatte die Befürchtung, dass ihr etwas folgen könnte. In die Küche geriet sie eher zufällig; andere Räume hatte sie schon abgesucht gehabt – doch stets nur, wenn die Tür bereits offen stand und sie hineinsehen konnte. Freiwillig rührte sie keine Tür mehr an, bevor nicht Joam da wäre. – Wo steckte der bloß? – Endlich kam ihr die Idee, sich einen Tee zur Beruhigung zu kochen. Mit diesem setzte sie sich an den kleinen Küchentisch – der große Tisch stand im Esszimmer am Kamin – und versuchte ruhiger zu werden; zu überlegen. Was sie da oben gesehen hatte – es musste Einbildung gewesen sein. Ja – Einbildung. Welch andere Erklärung gäbe es? Es konnte einfach nichts anderes sein. – Doch dann kam eine dieser schattenhaften Gestalten zu ihr in die Küche. Erneut erstarrte Aci. Kalter Schweiß trat ihr auf die Stirn. – Das Wesen beachtete sie nicht. Ruhig ging – schwebte? – es auf der anderen Seite des Raumes von der Eingangstür hinüber zur Kochstelle – und tat dort, als würde es kochen. – Oder kochte es womöglich wirklich? Vielleicht mussten auch diese Nebelwesen sich Nahrung zubereiten? – Ein Teil von Acis Bewusstsein wunderte sich, wie ein anderer Teil so ruhig solch abwegige Gedanken verfolgen konnte, während ihr Körper vor Angst wie gelähmt schien – und beschloss, dies zu ändern. Mit einem plötzlichen Ruck handelte das verborgene Tier in ihr… und sie rannte davon, hinaus in Richtung Eingang.

Kaum hatte er die Fußtritte vernommen, da warf sich Joam mit einem halben Sprung zwischen Treppe und einem Müllhaufen, wo er verborgen sein würde. Kaum war dies geschafft, da wagte er schon einen Blick hinaus – und sah Aci die Treppe herabkommen. Er wäre fast schon erleichtert aufgestanden, da bemerkte er, dass etwas nicht stimmte. Dies war nicht Aci – Aci war nicht durchsichtig. Doch wer – oder was – war es dann? Und was wollte es, was hatte es vor? Aus seinem Versteck heraus beobachtete er, dem Drang zu fliehen widerstehend. Die Aci-Gestalt blieb am Ende der Treppe stehen, ihr Gesicht – oh wie tot und ausdruckslos! – wandte sie dem Punkte zu, von dem Joam gekommen war. Von dort kam nun die andere Gestalt angeschlendert – angeschwebt? – die ihn verfolgt hatte. Bald geriet sie in den schwachen Schein, der die Treppe herab schien – und oh welch Schrecken! – die Gestalt trug seine Züge! Es konnte nicht sein – was ging hier vor? Erschrocken entfuhr ihm ein Laut der Angst – und die Wesen wandten sich ihm zu. In Furcht um sein Leben sprang er auf und lief davon, immer tiefer in die Dunkelheit hinein, seine Schmerzen nicht beachtend. Bald konnte er nicht mehr weiter – und fiel in tiefe – tiefe – Finsternis.
An der Haustür angelangt bemerkte Aci zu ihrer Verzweiflung, dass diese verschlossen war. So sehr sie auch rüttelte; die Tür rührte sich nicht. – Sie war eingesperrt. Kaum, dass dies in ihr Bewusstsein vordrang, da drehte sie sich auch schon um. Es gab noch eine Hintertür – doch die befand sich in der Küche, aus welcher jetzt das Wesen kam. Das Kerzenlicht des Raumes wurde durch die nebelhafte Form der Gestalt nur abgeschwächt. Aci schauderte es – und noch mehr, als sie sah, wie das Wesen eine Tasse vor sich hertrug. Nichts würde Aci noch in diesem Haus halten können – irgendeinen Weg hinaus musste es geben. Aber die Gestalt versperrte bereits den Weg zu den Räumen im Erdgeschoss – blieb nur noch die Treppe hoch in den ersten Stock. Obwohl der Schatten sich nur langsam und lautlos näherte, rannte sie überhastet die Treppe hoch, stolperte dabei und fiel sie mehrmals fast wieder herab. Oben angekommen wusste sie dann nicht, wohin. – Eines der Fenster nutzen um in den Garten zu springen? – Hinter sich sah sie den Schatten die Stufen hochschweben – und links kam ein zweiter aus der Richtung zum Schlafzimmer. Panisch wandte sie sich nach rechts, hin zum Badezimmer. Als sie dessen Tür öffnete, kam ihr ein weiterer Schatten entgegen. Erschrocken aufschreiend wich sie zurück. – Zum Dachboden? Das wäre eine Falle – doch was blieb? An der Tür zu diesem angekommen erwartete sie jedoch lediglich ein vierter Nebel. Unter Verzweiflung brach etwas in ihr zusammen. Weinend setzte sie sich an Ort und Stelle auf den Boden, lehnte sich an die Wand, alles erwartend. – Doch nach einer Weile fiel ihr auf, dass nichts weiter geschah. Die Gestalten waren allesamt an ihren Plätzen erstarrt. Eine stand links von ihr im Durchgang zum Dachboden, eine andere versperrte den Weg zur Treppe, eine weitere das Badezimmer. Doch keine bewegte sich. Und da sah Aci die offene Tür in das andere Zimmer auf diesem Flur. Vorsichtig erhob sie sich. Zu diesem Zimmer gehend beobachtete sie die Wesen, die sich weiterhin nicht rührten. War dies nun die wahre Falle? – Trotz ihrer Bedenken ging sie darauf ein – welch andere Wahl hatte sie schon?
Es erwartete sie ein dunkler Raum – dessen Kerzen sich bei ihrem Eintritt entfachten, was sie aber kaum noch überraschen konnte. Das Zimmer, welches sie sich scheinbar noch nie angesehen hatte, schien einst ein Kinderzimmer gewesen zu sein – selbst eine Krippe fand sich noch. Doch ihre Aufmerksamkeit erheischte die Tafel, die dort an eine Wand genagelt war: Eine frisch aussehende Schrift hatte jemand darauf geschrieben. Und während sie es las, wurde ihr vieles klar und an manches erinnerte sie sich wieder.
Nachdem Aci sie gelesen hatte, wandte sie sich um und dankte ihrer Familie, die sich jetzt um sie herum versammelt hatte, sowohl für die herzliche Begrüßung als auch für die Auffrischung ihrer Erinnerungen. Viele Jahre war es her, dass dies ihr Zimmer gewesen war, doch nun war sie wieder daheim. Weiterhin dankte sie für die Warnung, die ihre Eltern und Großeltern ihr gaben. Joam könnte ihr und ihrem ungeborenen Kind nicht mehr schaden; dafür hatten sie gesorgt. Aci war frei und wieder bei ihrer Familie – endlich war sie daheim.

ENDE

Anmerkung des Herausgebers

Diese Geschichte wurde 3910 von dem zardischen Schriftsteller Zaroan Xasioarin für seinen Herren, den Andoan Orann Fenkayzar geschrieben. Fenkayzar war für seine Vorliebe für Grausamkeiten und Düsteres bekannt. Kurz nach seinem Gönner wurde später übrigens auch Xasioarin vom aufgebrachten Volk getötet.

Tonn Onasi, Jagâharis des Hauses des Buches von Raygadun
Raygadun, Aleca, 12.06.3995

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Der Bauer und der Zauberer

Juni 6, 2009

I.
Hoch im Norden, auf der anderen Seite des weiten blauen Meeres, liegt die Stadt Dumbaß. Diese ist die Hauptstadt eines zwar nur kleinen, doch dafür umso reicheren Landes gleichen Namens. Die Herren von Dumbaß sind seit langem bekannt für ihre seltsamen Verhaltensweisen, Einfälle und Späße. Ihre Gesetze, Bauten und Unternehmungen können die Einwohner des Landes kaum noch überraschen; für Ausländer dagegen muten sie teils umso sonderbarer an. Vor etwa einhundert Jahren nun hatte ein Herrscher sich einen neuen Palast erbauen lassen. Dieser Palast liegt am Rande der Stadt; seine Ausmaße sind gewaltig. Im Gegensatz zu den Palästen anderer Städte oder Reiche bietet dieser seinen Bewohnern auch einen unmittelbaren Zugang zum Land. Von der Mitte des höchsten Stockwerks des Gebäudes aus kommt man dorthin: über zahlreiche große Treppen mit breiten Stufen, die auch Reittieren genug Platz bieten, gelangt man zunächst sowohl immer tiefer in den Palast als auch zu dessen Rande hin. Nach zahlreichen hunderten schön geschmückten Stufen erreicht man dann die Außenwelt. Eine gewaltige Öffnung begrüßt den Reisenden, den Blick auf den Himmel offenbarend. Natürlich wäre dies eine zu große Einladung für Angreifer und Diebe, weshalb ein großes Tor den Eingang verschließt. Vor allem aber erheischt man nach diesem Tor einen Blick auf einen mit Bäumen und Blumen umgrenzten Weg, der sich um und über Hügel immer weiter gen Osten schlängelt. Auf dem Großteil seiner Länge ist diese Mischung aus Park und Straße ummauert. Die Mauern flankieren es für eine mehrstündige Reisezeit gen Osten, damit nicht Pack und Gesindel ständig an das Tor klopfen können. Zu Beginn sind diese Mauern zahlreiche gestapelte Männer hoch, doch stetig werden sie niedriger, bis sie schließlich ganz zu Ende sind. Zu diesem Zeitpunkt jedoch ist man auch schon auf dem offenen Land und fern von Stadt und Palast. Das Betreten und Bereisen des Weges ist übrigens niemandem verboten, doch die wenigsten wählen diese lange Strecke, wollen sie den Herrscher besuchen; die meisten nutzen lieber das Haupttor des Palastes, welches über einen Innenhof zum Thronsaal führt. Es entstanden jedoch andere Zwecke für die Straße: Kinder nutzen sie für Mutproben, Liebende schlendern an den Parkanlagen vorbei und zweimal im Jahr werden Rennen auf dem Weg abgehalten. Einmal jedoch, da wollte der Zauberer Gasstes diesen Weg für seine Zwecke schändlich missbrauchen.

II.
Östlich der Stadt Dumbaß, fern dessen herrschaftlichen Weges, lebte der Bauer Mazti. Dieser besaß nur einen kleinen Hof mit zwei Hühnern, einer Ziege sowie drei kleinen Feldern. Man könnte also feststellen: er war arm. Und doch – auf seinem Grundstück, so hatte man Gasstes erzählt, befand sich eine für dessen Zwecke dienliche Erzader, weshalb er es besitzen wollte. Gasstes kam aus dem Osten und Mazti hatte nie zuvor von ihm gehört, wenngleich er in seiner Heimat als schlimmer Hochstapler galt, der sich als Zauberer ausgab um Leute mit weniger Verstand ausnehmen zu können. Sein Ziel diesmal war also Mazti. An einem schönen sonnigen Tag erreichte Gasstes den Hof; Mazti molk gerade seine Ziege vor seinem Haus. Gasstes begrüßte ihn und stellte sich artig vor: Gasstes, der Zauberer – d e r Gasstes – als wäre er weltberühmt. Mazti – der einfältige, gutgläubige Bauer – zeigte sich davon äußerst beeindruckt, zumal Gasstes ihm zur Unterstreichung seiner Worte Kunststücke aus seinem Hut vorführte, doch wunderte sich immerhin auch, was ein solcher Mann nun ausgerechnet bei ihm suchte. Gasstes beschloss, nicht weiter drumherum zu reden und offenbarte Mazit: Er würde ihm seinen Hof abkaufen wollen und bot ihm dafür eine gewaltige – traumhafte – Summe, sollte er einwilligen. Doch Mazti musste ablehnen, hing er doch mehr an seinem Leben auf dem Hof denn am schnöden Gelde – und was sollte e r sich denn schon kaufen? Da kam Gasstes die Idee, es mit einer anderen List zu versuchen. Er sah, dass Mazti nur das Leben als Bauer und alles Dazugehörige interessierte, doch dass der Ertrag seiner Felder mehr als kärglich schien. In seinen Taschen fand er einige Samen einer Blume, die von seinem letzten Mahl übriggeblieben waren. Diese versuchte er dem armen Mazti als Zaubersamen zu erklären – Samen mehrerer Gemüsearten, die in jedem Boden gedeihen würden. An dem staunenden Blick seines Gegenübers sah er seinen Sieg nahen. Doch sogleich erläuterte der Bauer, dass er seinen Hof auch dafür nicht verkaufen würde – ohne dabei zu bemerken, dass sie ihm ohne Hof sowieso nichts brächten. Aber Gasstes erwiderte schnell: das wollte er auch gar nicht. Vielmehr sei es sein Anliegen, einem dermaßen harten Geschäftspartner – und weil er von Natur aus ein Spieler sei – die Gelegenheit zu geben, diese Samen im Wettstreit zu gewinnen. Dazu müsse er nur in einem Rennen gegen ihn gewinnen – einem Rennen vom beginn des ummauerten Weges bis hin zum Palast. Da Mazti ihn zweifelnd ansah ergänzte er noch, er würde ihm dabei eine Stunde Vorsprung gewähren. – Gegen einen Zauberer könnte er doch nie gewinnen, sprach da Mazti. – Dass er nicht durch Zauberei betrügen könne, würden Zuschauer überwachen, versprach Gasstes. Nachdem sie sich dann noch ein wenig besprachen, verabschiedeten sie sich – Mazti hatte eingewilligt. Eine Woche später würden sie sich an der Mauer treffen; bis dahin wollten sie es allen verkünden, um möglichst viele Zuschauer zu haben. Doch natürlich hatte Gasstes trotzdem vor zu betrügen.

III.
Eine Woche später trafen sich die beiden Wettstreitenden am Ende des ummauerten Weges. Mazti hatte sich herausgeputzt – Gasstes war ein Geck wie immer. Beide hatten zahlreich Volk aus aus Nord und Süd sowie der Stadt heraufbeschworen, die sich an diesem Tage nun an der gesamten Länge des Weges sammelten, um zu gaffen. Viele lachten Gasstes aus, als sie hörten, er würde dem Bauer Vorsprung gewähren; viel mehr noch hatten sie Mitleid mit Mazti, denn dieser hatte nun seinen Hof als Einsatz in seiner Gutgläubigkeit gesetzt und sie trauten Gasstes mehr den Betrug durch Zauberei denn Ehrlichkeit zu. Und selbst das Herrscherpaar hatte von dem Wettstreit gehört und kam auf einen Balkon des Palastes hinaus, wo sie verkündeten, den Zauberer hinrichten zu lassen, sollte er dennoch betrügen. Zunächst aber geschah alles wie abgesprochen. Der Zauberer gewährte dem Bauern den versprochenen Vorsprung. Während Mazti vorwärts preschte, setzte sich Gasstes für eine Stunde reglos auf ein Ende der Mauer, beobachtet von Dutzenden von Zuschauern, die auf jeden Trick gefasst waren. – Doch nichts geschah. Eine Stunde lang verharrte Gasstes ruhig wie ein Bildnis. Bald fragte man sich, ob er sich nicht tatsächlich gegen eines eingetauscht hätte, doch viele sahen ihn atmen. Sodann ging ein Raunen durch die Menge und alle fragten sich, was dieser Zauberer nun vorhatte. Aus der Richtung zum Palast hin kamen immer wieder Meldungen, dass Mazti gut vorankam: Er rannte, als ginge es um sein Leben. Doch allmählich schienen ihn die Kräfte zu verlassen: Er wurde immer langsamer. Dies hörte auch Gasstes und ein zufriedener Ausdruck schlich sich in sein Gesicht.
Nachdem die Stunde dann abgelaufen war, musste ihm niemand die Zeit ansagen; ganz von alleine fing er an zu laufen und fiel sofort in einen ruhigen Trab. Die Menge blickte ihm staunend hinterher und nach und nach setzten auch sie sich in Bewegung; ihm zu folgen oder heim zu gehen. Gut vier Stunden dauerte es, da kam vor Gasstes der sich langsam vorkämpfende Mazti in Sicht. Seine Kleidung war durchgeschwitzt, sein Lauf schleppend und lahm, der Atem weithin hörbar keuchend. Wenig später dann überholte der Zauberer den Bauern und winkte ihm sogar noch fröhlich zu, was dieser aber kaum bemerkte; sein Blick war verschleiert von Schweiß. Danach dauerte es nicht mehr lange, bis Gasstes den Palast vor Mazti erreichte und sich feiern ließ – oder besser gesagt: sich feiern lassen wollte, für seinen rechtmäßigen doch listigen Sieg. Denn aufgestachelt von einzelnen, buhte ihn bald die ganze Masse aus, hatte er doch den armen Bauern dank dessen Dummheit hereingelegt. Als dieser schließlich fast angekrochen kam und sich erschöpft in den Staub warf, verlangte Gasstes sogleich dessen Hof von ihm. Doch Mazti konnte nicht antworten; er war bewusstlos. Gasstes kramte stattdessen in seinen Taschen nach dem Schlüssel zum Hof – da unterbrach die Trompete eines herrschaftlichen Dieners das Getöse und brachte jedes Raunen zum Schweigen.
Was folgte, sei kurz erzählt: Das Herrscherpaar hatte zu dieser Zeit gerade Besuch aus dem Osten. Zusammen genossen sie das Schauspiel unterhalb des Palastes, doch kaum da Gasstes ihn erreicht hatte, sprang der Besuch aufgeregt von seinem Stuhle auf. Eilig erklärte er dem Herrscherpaar, dass er das Gesicht dieses Mannes bereits von Steckbriefen aus seiner Heimat kannte. Gasstes der Zauberer wurde daraufhin eilig von den Wachen des Palastes verhaftet, abgeführt und in den Kerker gesperrt, damit er den Besuch begleitend in dessen Heimat zu seiner Hinrichtung gebracht werden könne. Auf diese Art schaffte der Bauer Mazti es, seinen Hof behalten zu können – er hatte mehr Glück als Verstand besessen. Bis zu seinem Lebensende konnte er seine öden Felder bestellen. Gasstes jedoch wurde ohne Gewinn in den Osten überführt – doch verschwand unterwegs plötzlich; nur seine leeren Bein- und Handschellen blieben von ihm. In keinem der beiden Länder sollte man je wieder von ihm hören. Nun war man allerdings doch noch davon überzeugt, dass Gasstes ein wahrer Zauberer gewesen sei.

ENDE


Anmerkung des Herausgebers

Diese Geschichte aus dem hohen Norden ist ein dort allseits beliebtes Märchen, wie es davon viele gibt. In anderen Ausführungen der Geschichte gewinnt Gasstes zum Beispiel durch einen Zwillingsbruder und raubt indessen Maztis Hof aus, in anderen wird er doch noch hingerichtet. Oft werden die Figuren auch gänzlich anders benannt. Doch Dumbaß und diese Straße gibt es wirklich.

Tonn Onasi, Jagâharis des Hauses des Buches von Raygadun
Raygadun, Aleca, 03.06.3995


Das Schlaflied

Januar 14, 2009

Viele werden wohl den einen oder anderen Tag in ihrem Leben als einen Tag bezeichnen, an dem sie lieber keinen Fuß vor die Haustüre hätten setzen, geschweige denn überhaupt ihr sich nach ihnen verzehrendes, lockendes und wärmendes Bett hätten verlassen sollen. In den meisten Ländern und Berufen kostete einen bereits ein einziger verpasster Arbeitstag jedoch schnell das notwendige Geld, sich das Mittagessen noch leisten zu können. Auch wenn Aleca nun zwar in solchen Fragen des Lebensunterhaltes als eher gut entwickeltes Land galt, sollte man es wohl trotzdem lieber nicht darauf anlegen.

Caefe Vongoron kam es so vor, als hätte die gesamte letzte Woche für ihn nur aus Tagen der Art des Bloß-nicht-aufstehen-wollens bestanden. Anders als für die meisten Leute jedoch bestand für ihn immerhin aber die Möglichkeit, tatsächlich so lange er wollte im Bett zu bleiben. Denn Caefe Vongoron wurde nicht für unmittelbar sichtbare Arbeit bezahlt, auch wenn niemand etwas dagegen hatte, wenn er welche ausübte, noch für eine bestimmte Zeitspanne, in der etwas erledigt sein musste. Man entlohnte ihn schlicht für die Ergebnisse, die er lieferte und die konnten gut – dies lies sein Ansehen bei seinen Vorgesetzten steigen – oder schlecht sein. In diesem Fall übrigens würde sein Ansehen entweder gleich bleiben oder entsprechend zur Schwere fallen.

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