Die sekundären Analphabeten

Januar 7, 2009

1985 schrieb Hans Magnus Enzensberger sein Essay ‚Lob des Analphabetentums‘.
Auch wenn ich wie so oft nicht mit allen seinen Ansichten oder Erkenntnissen übereinstimme (so hat es sich doch auch gezeigt, dass materielle weiterhin in der Gesellschaft wichtig ist), fand ich seinen Begriff des sekundären Analphabeten trotzdem sehr interessant, weshalb ich ihn hier definitorisch festhalten und kommentieren möchte.
Aber dazu sollte man zunächst den primären Analphabeten behandeln. Laut Enzensberger ist der Begriff Analphabetismus erst seit 1875 geläufig und erst seit dem 18. Jahrhundert gäbe es das Bestreben, Bildung und Schrift unter das Volk zu bringen. Enzensberger These hierbei ist, dass die industrielle Revolution qualifizierte Arbeitskräfte brauchte und deshalb die Bildung voran trieb. Die früheren Menschen ohne Schrift bewundert Enzensberger dagegen für ihr gutes Gedächtnis und ihre Kommunikativität und auch Platon war ja gegen das geschriebene Wort.
Nun braucht man jedoch seit dem 20. Jahrhundert keine Arbeiter mehr, sondern Konsumenten (und diese Prognose von ihm hat sich ja bestätigt). Die Konsumenten sind noch fähig, das nötigste zu lesen, doch ist eine allgemeine Verdummung bemerkbar: Das Buch wird durch die BILD ersetzt. Diese sekundären Analphabeten sind die Konsumenten, das, was der Kapitalismus in seiner zweiten Phase (nach der ersten, der Revolution) braucht.
Nun hat Enzensberger zwar damit eine gewisse Voraussicht bewiesen, doch eines konnte er nicht wissen: Durch Medien wie das Internet entsteht eine wahre Explosion von neuen Schriften. Doch kann man hier auch die Schnelligkeit der Moderne anführen: Viele dieser Schriften sind unausgereift, jeder kann hier alles präsentieren, das Gute verschwindet in der Flut des Schlechten. Ist diese Flut die Invasion der sekundären Analphabeten?

Referenzen:
Enzensberger, Hans Magnus: Lob des Analphabetentums. In: Nomaden im Regal. Frankfurt: Suhrkamp 2003, S. 38ff.

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Geht es uns wirklich immer besser?

Januar 5, 2009

Eine Antwort auf H. M. Enzensbergers Theorie der ständigen Verbesserung von 2001.

Ja, sicher, der Menschheit geht es wohl immer besser. Anästhesien, Selbstentfaltung, erhöhte Lebenserwartung, selbst bessere Bedingungen in Entwicklungsländern.

Schon und gut. Doch wird es ewig weitersteigen? Wie soviele Beispiele gezeigt haben, lässt es sich nicht ewig weiter steigern. Jedes große Imperium ist irgendwann zusammengebrochen um dann sein dunkles Zeitalter zu erleben. So war eins der Argumente von Enzensberger, dass unsere persönlichen Daten besser geschützt werden. Gerade das allein schlägt doch schon um ins Gegenteil: wir werden immer mehr überwacht und ausspioniert.

Immer wenn ein Höhepunkt erreicht wurde, konnte es nur noch abwärts gehen. Dies soll jetzt nicht so marxistisch klingen, wie es vielleicht anmutet. Vermutlich wird der Kapitalismus wirklich alles überleben. Doch muss die Zukunft deshalb für uns besser sein? In einem anderen Essay wies Enzensberger auf den neuen Luxus der freien Zeit hin und den Druck der Moderne, stets schnell und innovativ sein zu müssen. Genau das ist doch bereits keine Verbesserung mehr. Selbstverwirklichung mag da sein, doch bringt es auch Nachteile mit sich. Lasst es uns realistisch betrachten: es gibt und schlechtes. Und in einigen Bereichen war uns schon die Antike überlegen. Fortschritte bringen stets Pro und Contra mit sich.pressionen und Orientierungslosigkeit sind ein weiteres Zeichen der Zeit.

Nein, ich will nun keiner der von Enzensberger angegriffenen Pessimisten sein, doch auch kein strikter Optimist wie er. Lasst es uns realistisch betrachten: es gibt und schlechtes. Und in einigen Bereichen war uns schon die Antike überlegen. Fortschritte bringen stets Pro und Contra mit sich.

Referenzen:

Enzensberger, Hans Magnus: Über die unaufhaltsame Verbesserung der Welt. In: Nomaden im Regal. Frankfurt: Suhrkamp 2003, S. 154ff.