„Keine Sorge, wir bekommen dich wieder hin!“
Immer wieder sprach sie beruhigend auf das kleine Bündel in ihren Armen ein. Dieses schien nur bedingt auf sie zu achten; zappelte und strampelte lieber. Dann und wann ließ sie ihre Hand durch das Bündel gleiten, berührte den kleinen seidenen Kopf um zunächst zu erschrecken, dann ihn zu streicheln. All ihre Bemühungen schienen aber ohne Erfolg, ohne freudige Annahme. Und als sie die Gasse verließ, wollte sie nur noch verzweifeln.
Warum hatte ihr niemand erzählt, dass ausgerechnet heute, an diesem so schon schrecklichen Tag, auch noch ein Weihnachtsmarkt sei? Jetzt blieb ihr aber keine andere Wahl; der einzige Weg führte über diesen Platz, der von Baum, Menschen und Verkaufshütten verstopft war. Immer wieder anstoßend, immer wieder ausweichend, immer wieder fluchend kämpfte sie sich durch die Massen, erfuhr mehr Nähe als ihr lieb war und musste stets um den Halt ihres Bündels kämpfen, das nicht verloren gehen durfte; dafür liebte sie es zu sehr. Die Menschen aber, die hier immer wieder ihren Weg versperrten liebte sie nicht und mehr als einmal war sie kurz davor sie alle zu verfluchen, zu verwünschen, zu – verhexen. Doch würde sie sich nun zeigen, wäre alles verloren, alles umsonst gewesen. Und so wie es aussah, waren die meisten auch bereits verhext; gingen im Einkaufsdurcheinander des Marktes unter.
Es dauerte eine ganze Weile, sich dort hindurchzudrängen. Einmal stieß sie gegen einen verkleideten Weihnachtsmann, der ihr ein „Ho! Ho!“ hinterherschickte, ein andern Mal gegen einen Stand und warf dabei fast bemalte Glaskugeln herab. Mitten auf dem Platz aber, genau unter dem Baum, rempelte sie jemand so stark an, dass sie ihr Bündel fallen ließ. Die darin eingewickelte schwarze Katze fiel jedoch sanft und wartete bis sie wieder eingesammelt worden war; ängstlich miauend ob der drohenden Massen.
„Ach mein Liebling, sobald wir dich zurückverwandelt haben, kehren wir zurück in das Andere Land und diesen unruhigen Gesellen den Rücken!“
Ein zustimmendes Miauen antwortete ihr. Die Katze wieder einpackend, setzte sie ihren Weg fort.
Dabei bemerkte sie nicht, wie ihr in einigem Abstand eine zweite Katze folgte, die genauso aussah wie die in ihren Armen. Doch auch wenn sie bemerkt worden wäre, hätte diese sich nicht mit ihr verständigen, hätte ihr nicht von dem Irrtum erzählen können, der sie die falsche Katze mitnehmen ließ. Und während so die kleine Hexe – seine kleine Hexe – durch die Dunkelheit eilte und die fremde Katze streichelte, schlich sich ein Schmerz in sein Herz, den er nicht zu vertreiben vermochte.
„Gleich sind wir da; der Doktor wird dir sicher helfen können!“
Das Bündel in ihren Armen schien sie nicht zu verstehen.
Doch tatsächlich waren sie sogleich da, nur noch über den Platz, an Weihnachtssängern vorbei, die Treppen ins Haus hinein und an seiner Tür geklopft. – Doch oh weh, was war das?
‚Über die Feiertage geschlossen.‘
Verzweifelt hämmerte sie an die Tür; irgendjemand musste doch da sein. Doch niemand öffnete. Gut fünf Minuten fuhr sie heftig mit ihrer Tat fort, da schwang eine Tür ein Stockwerk höher auf und ein älterer Mann kam halb die Treppe herab.
„Es ist geschlossen – sehen sie das nicht?“
„Ich muss dringend den Doktor sehen – es ist ein Notfall – ein Zauberspruch wirkte verkehrt!“
Wenig später saßen sie zu Dritt in einer Kammer, die Teil einer größeren Wohnung war: Der Doktor, die kleine Hexe sowie die falsche Katze. Letztere versagte ihnen die Genugtuung ruhig sitzen zu bleiben, strollte lieber hierhin und dorthin, drauf und drüber.
Und von draußen, durch das Fenster, beobachtete die richtige Katze die versammelte Gesellschaft.
Die Kammer war spärlich eingerichtet; außer Tisch und Stühlen noch ein kleiner Ofen; doch selbst dieser Raum barg am Fenster etwas Weihnachtsschmuck. Der Doktor hielt sich jedoch nicht mit Weihnachtsansprachen auf, sondern kam schnell erneut zu der Frage, warum die anderen gekommen waren. Und nun musste die Hexe alles offenbaren. Tatsächlich ließ der Doktor sich davon überzeugen und erkannte den Ernst der Lage. Seine beiden Besucher in sein geheimes Labor führend erklärte er ihnen, was nun zu tun sei. An sich müsste sie ja bloß den Spruch, den sie verwendet hatte, umgekehrt erneut aufsagen, doch reichte das noch nicht völlig – zusätzlich müsste die Katze einen Mistelzweig verspeisen und der Doktor eine seltsame Maschine anwenden, deren Gebrauch er aber nicht genau erklärte. Rein zufällig – denn was zu besitzen wäre zu Weihnachten schon abwegiger? – hatte er sogar einen Zweig auf Vorrat – der Versuch konnte also sogleich starten.
Die Katze zum Fressen zu bringen erwies sich aber als äußerst schwierig. Sie versuchten es mit Vernunft, doch die Katze schien nicht zu verstehen – schon immer war er ein Sturkopf gewesen, so die Hexe –; sie versuchten es mit Gewalt, doch die Katze wehrte sich mit aller Kraft und Krallen; und sie versuchten es mit List. Und endlich, eingewickelt in ein Stück Fleisch, war das Tier bereit den Köder zu schlucken. Ohne zu zögern sperrte der Doktor es sogleich in den Käfig seiner Maschine und warf diese an, derweil die Hexe begann den Spruch rückwärts aufzusagen. – Nichts geschah. Die Katze zeterte und fauchte, da seltsame Funken über ihr Fell glitten, doch blieb sie ganz die Alte.
Und draußen beobachtete die zweite Katze alles durchs Fenster. Nun endlich schien die Zeit gekommen sich zu offenbaren und diesen Thronräuber zu verjagen. Eilig sprang er von seinem Posten, verscheuchte die Gedanken wie die kleine Hexe – seine kleine Hexe – dieses fremde Wesen streichelte, erkletterte eilig die Treppen und kratzte Einlass fordernd an der Tür des Doktors. Als dieser endlich kam zu sehen wer da war, doch verwundert in seiner Augenhöhe niemanden bemerkte, schritt die Katze mit stolzgeschwellter Brust an ihm vorbei und hinein in das Labor. Dort erwartete ihn eine verwirrt dreinblickende Hexe, die ihn zu seinem Ärger immer noch nicht erkannte. Doch immerhin hatte sie bereits den Hochstapler aus seinem Käfig entlassen – hielt ihn streichelnd im Arm! – und ihm damit den Weg geebnet.
Schnell schluckte er ein Stück widerlicher Mistel hinunter und sprang selber in den Käfig, sich dort wie eine Maus fühlend. Als einziger schien immerhin der Doktor, welcher nun ins Zimmer getraten kam, die Lage zu verstehen. Eiligst schloss er das Gerät, warf es an und befahl der Hexe ihren Spruch zu sagen. Kaum hatte sie dies getan, wurde der Katze im Inneren der Maschine plötzlich sehr beengt zumute, denn endlich war sie wieder ein Mann. Als der Doktor ihn herausließ, fiel der erschrockenen Hexe die falsche Katze herab. Schnell wandelte sich Überraschung in Freude.
„Liebster! – endlich bist du wieder du selbst! – verzeih – ich werde nie wieder unbekannte Sprüche versuchen!“
Ihr Mann war ihr darüber aber kaum böse, immerhin zeigte sie doch Reue und er hatte etwas neues erleben können, doch ließ er sie schwören, nie wieder einen fremden Kater zu berühren; auch wenn die Hexe nicht ganz verstand, warum. Der Doktor schien glücklich damit, endlich wieder seine Ruhe bekommen zu können; forderte nur später ein kleines Geschenk aus dem Anderen Land, mit dem er schon immer gute Geschäfte gemacht hatte. Dorthin denn entschwanden die Hexe und ihr geliebter Mann auch bald, wollten sie doch endlich wieder heim – denn sie waren zum Weihnachtsessen geladen.