GaaW XI: Thanoris Hirs

Januar 29, 2020

Thanoris Hirs

Sterben für die Freiheit.

Geschichten aus aller Welt, Teil XI

Mein Name ist Thanori; ich hinterlasse euch diese Geschichte. Ich bin nun hier allein. Bin ich gescheitert? Ich weiß es nicht, denn ich sterbe in Freiheit. Erzählt dereinst von mir, von uns, soweit ihr dies finden werdet. Doch zunächst einmal – wer sind wir und wie kamen wir hierher, an diesen Ort, von dem doch nie jemand etwas gehört hat?

Mein Name ist Thanori. Geboren wurde ich in Djandir, was in diesen Landen unbekannt sein wird. Meine Familie bestand aus Unterhaltern, so war ich meine Kindheit über stets von einem Ort zum nächsten unterwegs, meist per Schiff. Als ich etwa vierzehn war, überfielen uns die Schwarzseepiraten. War ich zuvor noch unruhige lebendige Freiheit gewohnt, so sollte ich diese nun für viele Jahre nicht mehr kosten können. Ach süßer Duft der Freiheit, nichts ist kostbarer. Wie schwarz diese Jahre doch heute scheinen. Bald verkaufte man mich an einen reichen Herrn im Reich Iotor, der sich über eine neue Dienerin nur freuen konnte. Ich war ein Tier für ihn; wie erniedrigend dies doch war. Zwar behandelte er mich gut, doch letztlich stets nur wie eine Dienerin, eine Arbeiterin, einen Gegenstand. Viele Aufgaben hatte ich zu bewältigen, die ich sonst nie aus freien Stücken getan hätte.

Sein Anwesen lag an den nördlichen Klippen des Landes und wann immer ich hinaus in den Garten treten konnte, verfolgte mein Blick sehnsüchtig das Meer, roch meine Nase die lockende Freiheit. Dem Drang mich ihr hinzugeben konnte ich nie nachkommen. So fand ich mich letztlich gar in Versuchung, hinab in das Meer zu springen, meinen leblosen Körper wenigstens frei im Meer treiben zu lassen. Die Mauern des Anwesens aber verhinderten auch das.

Mein Körper befand sich also in Gefangenschaft für lange Jahre, doch mein Geist wanderte noch frei umher, besegelte die Meere und kehrte heim nach Djandir jenseits der Fluten und auch an alle anderen Orte dieser Küsten. Letztlich aber sollte es noch etwas Gutes haben, dass ich in diesen Haushalt gekommen war: Ich lernte Algros kennen. Er war lange nach mir angekommen, als Leibwächter des Mannes, der über unsere Leiber entschied. Er kam aus südlichen Ländern, die als wilder und natürlicher gelten, deren Bewohnern man Rohheit und Dummheit nachsagt. An Algros jedoch war nichts dumm oder roh, doch seine wahrhaft wilde Natürlichkeit war es, die mich Kind der Freiheit von Beginn an in ihren Bann zog. Da unser Herr oft unterwegs war, sah ich Algros jedoch nur selten. Diese Momente aber genügten, dass wir uns alsbald näher kamen und er die Nächte, die er nicht vor der Tür unseres Besitzers ausharren musste, stattdessen in mein Lager schlich. Beziehungen unter seinen Dienern, seinen Leibeigenen, seinem Besitz, sah unser Beherrscher nicht gerne. Kaum hatte er von uns erfahren, drohte er uns zu trennen. Zu diesem Zeitpunkt aber hatten wir bereits geplant unsere Leben zukünftig gemeinsam zu verbringen und das sicherlich nicht in solch einer Gefangenschaft. Wir wollten eine Flucht versuchen. Zwei der anderen Diener, die uns besonders nahe standen, namentlich der nur als solcher bekannte Koch sowie einer der Torwächter, Chamon, verpflichteten sich uns zu helfen und zu begleiten. Chamon wollte uns das Tor öffnen und Algros kannte einen der Stallburschen, der ihm Reittiere versprach. Einmal aus dem Anwesen entkommen, wollten wir über Land ein Stück weit entfliehen um dann in einer anderen Stadt auf irgendeinem Schiff anzuheuern und frei zu sein. Doch alles kam anders.

An dem Abend, den wir uns erkoren hatten als Beginn unserer Freiheit, war unser Besitzer natürlich anwesend. Neben Algros hatte er zu dieser Zeit keinen anderen Leibwächter, so dass diesem die Aufgabe zufiel seine Tür zu bewachen. Kaum war unser Meister entschlummert, da kam Algros zu uns anderen, die wir bereits im Stall warteten. Zusammen mit dem Stallburschen hatten wir bereits alles vorbereitet. Doch kaum hatte Algros den Stall betreten, da folgten ihm unser Käufer sowie die gewöhnlichen Wachen des Hofs. Der Stallbursche aber verschwand schnell hinter ihnen. Wir waren also verraten worden. Sie forderten uns auf uns zu ergeben, unseren Plan aufzugeben, und man hätte uns bloß an andere verkauft, so versprach uns der uns Knechtende. Wir aber waren schon zu weit gegangen um nun aufzugeben. Auf meinen Ruf hin eilten wir uns die Tiere zu besteigen und preschten sodenn mitten durch unsere Feinde hindurch. Einige konnten sich schnell genug aus dem Weg retten, über andere galoppierten wir dagegen hinweg ohne uns um ihr Schicksal zu kümmern. Zumindest das Außentor des Hofes fanden wir zum Glück noch geöffnet vor.

Erst nach einer Weile kam uns der Gedanke, was wir da eigentlich getan hatten. Nun waren wir armen Seelen Verbrecher, Vogelfreie, Flüchtlinge. Sobald man die Nachricht erst einmal verbreitet hätte, würde man Jagd auf uns machen. Algros und ich boten den anderen an, dass wir uns trennen könnten, um sie nicht weiter in unangenehme Umstände hineinzuziehen. Unser Ziel war die wilde treibende Freiheit, wir konnten ihnen unsere Absichten nicht aufdrängen. Doch sie lehnten ab, sprachen, dass sie keine Familien mehr hätten, keine Ziele, außer uns weiter zu folgen, denn wir seien ihre Freunde. Die Freiheit der Entscheidung ließ sie bei uns bleiben. Es war eine merkwürdige Stimmung an unserem ersten Abend in Freiheit, versteckt in einem Wäldchen, voller Furcht aber auch Gerührtheit. Wir waren nun eine Familie. Wie aber sollte es mit dieser Familie weitergehen? Wir schlugen uns durch die Wildnis, hatten kaum Vorräte mit uns genommen. Wir wollten ein Schiff, das war klar, doch woher sollten wir eines nehmen? Da man uns so schnell entdeckt hatte schied die nächste Stadt aus. Wir schlichen stattdessen weiter durch das Unterholz, durch Marsche, durch Dickichte, immer den Atem unserer Verfolger im Nacken spürend, ohne jedoch jemals Anzeichen einer Verfolgung zu entdecken. Wie sollte man da gleichzeitig nach Schiffen Ausschau halten? Und so kam es, dass wir Vier immer weiter vom Norden, meiner warmen Heimat, abkamen und es uns stattdessen gen Osten zog, die Küste entlang. Immer wieder ergänzten wir die kläglichen Vorräte unserer Taschen durch Beeren, Wurzeln und Sträucher, doch wirklich glücklich machte das keinen von uns. Gehöfte umgingen wir, trauten wir ihnen doch zu, uns nur als neue Diener einzufangen. Auch hatten Algros und ich keine ruhige Gelegenheit mehr gehabt allein zu sein, was uns sehr belastete. Doch bald sollte das vorbei sein.

Eines Tages plötzlich, kurz bevor sich unsere letzte Nahrung in Wohlgefallen aufgelöst hätte, entschied sich das Schicksal, uns die kürzlich gewonnene süße, doch stets gefährlich gewesene Freiheit auch wieder zu nehmen, wie um uns zu retten, als wären wir Kinder, dieser Macht nicht fähig. Mitten in der Nacht hatten uns Räuber überfallen und in ihr Lager verschleppt. Wie sich dort herausstellte waren es nicht bloß Räuber, sondern vielmehr Piraten. Ach welch Hohn das Schicksal uns doch da bereithielt! Erneut wurden wir Sklaven, wenngleich diesmal mit täglichem Blick auf das, wonach sich unsere Herzen sehnten: der Freiheit über dem Meer. Fast zwei Monde dauerte es, bis sich uns neue Möglichkeiten boten. Wir hatten allmählich das Vertrauen dieser rauen Gesellen gewonnen und galten ihnen beinahe als Gleiche. Ohne diese Voraussetzung hätten sie uns nicht mit an Bord ihrer Schiffe genommen, als die Armee des Landes ankam, ihr Lager niederzubrennen. Die Piraten mussten fliehen und uns nahmen sie gnädigerweise mit. Dies war unser Glück, wären wir doch sonst sicherlich getötet worden. Man segelte mit uns nach Osten, dann gen Süden, von dem es doch hieß, das dort Recht und Gesetz ihren Griff lockerer hielten als anderswo.

Diese Piraten verhielten sich besser als alle, die je meinten über meine Freiheit entscheiden zu können: Djandir, die Piraten und Händler der Schwarzsee sowie der Herr in Iotor. Sie hatten nichts dagegen, dass wir zusammenblieben, ließen uns die Freiheit unsere Gesellschaft zu wählen, sogar unsere Stimmen zu erheben. Sie verboten nicht, dass Algros und ich das Lager teilten und machten auch keine Anstalten, sich dort hineinzudrängen. Denn diese Leute waren nicht die herzlosen Schurken der Märchen. Viele Männer hatten ihre Frauen dabei, etliche gar ihre Kinder; und aus beiden Gruppen waren zahlreiche auch selbst tüchtige Seefahrer oder Krieger. Jeder achtete auf jeden, alle waren gleich, niemand herrschte über den anderen – lediglich alle zusammen als Ganzes herrschten über uns. Doch behandelte man uns anfangs eher wie Haustiere oder kleine Kinder, als könnten wir noch nicht für uns selber handeln, und nicht als Diener. Doch da man uns weiterhin frei sprechen ließ konnten wir zetern, uns beschweren, jammern, nörgeln, Wünsche äußern und gar betteln. Nach einer Weile schließlich schien man Vertrauen in uns gefasst zu haben. Immer häufiger sprachen sie mit uns wie mit vernunftbegabten Wesen, die wir ja auch waren. Endlich erkannte dies also jemand. Langsam wurden wir Teil des Ganzen. Immer häufiger hörten sie uns zu, fragten uns nach unserer Meinung. Bald waren wir keine Haustiere mehr sondern gehörten zu ihnen. Der Koch hatte schon längst eine passende Anstellung, Chamon war Ausguck geworden, Algros und ich gehörten natürlich zu den Kriegern und Seefahrern.

Schließlich war es soweit, dass wir den mittleren Süden erreichten, Gegenden, wo entfernte Verwandte der Iotorer noch lebten und Algros‘ Heimat nicht weit entfernt war. Die Piraten wollten sich dort ein neues Leben aufbauen, ihrer Art von Freiheit folgend, die sie für die einzig wahre hielten. Algros und ich aber hatten bereits wieder beschlossen diesen Reichen den Rücken zu kehren. Immer wieder hatten wir unterwegs von Händlern Gerüchte vernommen, dass es weit im Osten unbekannte, unentdeckte Länder geben sollte, in denen ihre Einwohner noch frei und ungezwungen durch Ebenen und Wälder zogen. Um diese Länder zu erreichen sollte man bloß den Inseln im tiefen Süden immer weiter gen Osten folgen. Keiner konnte uns Beweise liefern, dass es diese goldenen Länder der Freiheit wirklich gab, doch entbrannte in uns ein schmerzhaftes Feuer tiefster Sehnsucht. Wir mussten diese Länder finden oder bei dem Versuch sterben; kein anderer Sinn zeigte sich uns mehr. Dort hinzukommen bedurften wir eines Schiffes, und immer noch befanden wir uns auf solchen. Wir erzählten unsere Gedanken also den anderen und schneller als man es erwartet hätte, teilten genug Piraten unseren Traum, ein ganzes Schiff zu füllen. Schwer wurden die Verhandlungen mit den anderen, die nach einigen Monden dort im Süden für uns eine neue Familie und wir längst frei wurden. Doch letztlich kam die Gemeinschaft darin überein, uns alle, die wir es gemeinsam wollten, gehen zu lassen.

Wir ließen uns einen Mond zur Vorbereitung, in dem wir sowohl Schiff als auch uns auf das Unbekannte rüsteten. Es war ein großes Schiff, mit dem Koch unter Deck, Algros als Kapitän und mir am Steuer. Chamon jedoch hatte seine Liebe gefunden und wollte mit ihr zusammen zurückbleiben. Mag er glücklich geworden sein. Uns dagegen begleiteten genug Frauen und Männer, meist jüngeren Alters. Das Schiff wurde mit allem ausgestattet, was für solch eine Fahrt und Ankunft von Nutzen sein könnte, darunter auch Werkzeuge, Baustoffe und natürlich Vorräte. Schließlich verließen wir die gesetzlosen Landen, um der aufgehenden Sonne entgegen in die Freiheit zu segeln. Unser Kurs führte uns aber schnell nach Süden bis Salire und von dort aus weiter den Inseln folgend nach Osten. Als diese schließlich hinter uns zurückblieben, hatten wir nur noch die Sonne und die Sterne und weiten freien Himmel über uns. Glücklicher als zu dieser Zeit konnte ich wohl kaum jemals zuvor gewesen sein. Algros an meiner Seite, die Freiheit überall um uns herum; der Schrecken der Vergangenheit verschwand im Dunkel und ein Traumreich der Freiheit erwartete uns. Die Freude währte jedoch nicht allzu lange. Bald schien sich die Reise in eine Ewigkeit auszudehnen, ohne dass wir noch einmal Land zu sehen bekamen. Keine Insel entzückte mehr unser Herz und auch die Winde schienen zu erkalten. Wir mussten zu weit gen Süden gekommen sein. Zu allem Überfluss reichten unsere Vorräte nicht für die Ewigkeit, weshalb sich Unruhe an Bord breit machte; die Freiheit zur Rede wurde von allen immer wieder genutzt. Wir waren kurz vor dem Punkt, an dem eine Rückkehr nicht mehr möglich gewesen wär, so musste eine Lösung her. Und während wir tagtäglich die anderen beruhigten, fand sich diese auf einmal.

Irgendwann, nach einer unbekannten Reiselänge, entdeckten wir ein großes Festland im Norden und hielten sofort darauf zu. Die Winde hatten sich weiter abgekühlt gehabt, was uns schlussfolgern ließ, dass wir nun an der Südküste dieses noch unbekannten Landes der unbegrenzten Freiheiten sein mussten. Das Land, welches wir fanden, war aber rau und felsig; gar nicht wie die Ebenen und Wälder, von denen man uns erzählt und die wir erwartet hatten. Trotzdem legten wir an und beschlossen, es zu erkunden. Wir landeten in einer ruhigen Bucht, im Westen und auch Norden zeigte sich ein beeindruckendes Gebirge. Dagegen fanden wir aber kaum Bewuchs vor außer etwas Gestrüpp und auch nur wenige Tiere. Am Fuß dieser Berge, zwischen ihnen und der Bucht, errichteten wir schließlich unser Lager.

Einen Mond später waren wir bereits wieder in einer neuen misslichen Lage. In Gruppen waren wir ausgewandert, das Land zu erkunden, vor allem um vielleicht Anzeichen des goldenen Reiches zu erheischen, das uns versprochen ward und letztlich natürlich auch um Nahrung zu finden. In allen Punkten wurden wir kläglich enttäuscht. Nach Westen hin kamen wir nicht weit, da dort das Gebirge sich im Wege befand und es für uns zu beschwerlich gewesen wäre, doch erreichten einige von uns Höhen, von denen man einen besseren Ausblick auf das umgebende Land hatte. Sie erkannten gen West weiter das sich ausdehnende Meer; dies schien also kein Weg für uns zu sein. Sie mussten zurückkehren, als in den Höhen plötzlich ein Schneefall einsetzte. Nach Norden hin dagegen entdeckten wir, dass man über Land zwischen den Bergen und der Küste reisen konnte. Dorthin war es also, wohin wir letztlich flüchteten. Denn nicht nur in den Bergen begann der Schnee zu fallen, auch an der Bucht wurde es schnell immer kühler. Einigen von uns fiel endlich auf, dass wir bei unserer Reise ja immer weiter in den kalten Süden geraten waren, was auch bedeutete, weiter in Richtung der kalten Gebiete; dorthin, wo der Winter früher und strenger kam. Gleichzeitig bemerkten sie, dass wir unsere Reise damals im Sommer begannen und es langsam Herbst wurde. Man sollte sagen: Es wurde erst Herbst, doch trotzdem fiel schon der Schnee! Etwas, das ich in Djandir selbst im tiefsten Winter nicht und Algros aus seiner Heimat immerhin nur im Winter kannte, begann hier bereits zum Sommerende! Dies war nicht das Reich der goldenen Freiheit unserer Träume, es war das Reich der endgültig winterlichen Freiheit, des weißen Todes!

Wir beschlossen schnell, die Gegend zu verlassen um weiter gen Norden zu segeln. Kaum aber wollten wir das Schiff bemannen, da bemerkten wir das schwimmende Glas im Meer, welches Algros Eis nannte. Diese sogenannten Eisschollen umgaben unser Schiff bereits wie Quallen auf der Jagd, stets bereit zuzustechen und zerkratzen seine Hülle. Es zeigte sich bald, dass mit dem Schiff so kein Entkommen mehr möglich war, hätte dieses kalte Glas es doch erbarmungslos aufgeschlitzt und zermalmt. So blieb uns als letzte Wahl die Reise über Land gen Norden; der verzweifelten Hoffnung folgend, doch noch in wärmere Gefilde zu gelangen. Wir beraubten das Schiff seiner letzten Schätze und machten uns eilig auf den Weg. Unterwegs zeigten sich jedoch immer weitere Probleme für uns. Zunächst einmal war kaum jemand von uns Kälte gewohnt und unsere Kleidung hielt auch nur kühle Abende ab, doch dieser Wind fing an scharf wie eine Klinge zu werden. Zweitens konnten wir unsere bereits kläglichen Vorräte nur noch behelfsmäßig aufstocken: Unsere Verpflegung wurde sehr mager, auch wenn es zumindest an Wasser nicht im geringsten mangelte, fiel es doch in Form von Schnee bald auch am Fuße der Berge, in unsere Gesichter und Münder. Drittens aber wusste eigentlich niemand von uns wohin wir gingen oder gehen müssten und schnell machten sich Verzweiflung und Argwohn breit. Oft hieß es, dass Algros und ich Schuld seien, wenn alle dort in der kalten Einöde würden sterben müssen. Dies bereitete mir gleich zweifach Schmerzen, denn ich machte mir schon selber Vorwürfe und sah meine Familie in Gefahr. Schlimmer noch aber ist, dass diese Stimmen fast schon Recht behielten. Nur der wärmende Körper von Algros und seine beruhigenden Worte gaben mir Kraft.

Wir schienen eine Ewigkeit unterwegs zu sein, ohne dass sich die Lage je noch einmal besserte. Es wurde Tag für Tag kälter, immer wieder schneite es, das Meer an den Küsten schien hart wie Stein zu werden – und vor allem hatten wir immer weniger zu Essen. Es dauerte nicht lange, bis die ersten aus ihrem Schlaf in der Kälte nicht mehr erwachten, sondern für immer in wärmenden Träumen verblieben. Ob sie nun erfroren oder verhungert waren, sollten wir nie erfahren, doch macht es auch keinen wirklichen Unterschied. Die Überlebenden eigneten sich die Kleidung der Toten an und doch blieb es auch darunter kalt. Nahrung fanden wir unter dem Schnee natürlich auch keine; nur selten hoppelte oder lief uns ein schneeweißes, fremdaussehendes Tier über den Weg. Dass sie aber nicht alle friedlich waren, bemerkten wir zu spät. Während unsere halberfrorenen Füße durch festgefrorenen Schnee stapften, konnten wir manchmal kaum etwas des Weges vor uns erkennen. Da wir aber unmöglich draußen schlafen konnten und wollten, suchten wir immer wieder die Nähe der Berge und zwischen ihren steinernen Zehen höhlenhafte Unterschlüpfe. Eines Abends, als draußen ein schneidiger Wind uns den harten Schnee entgegen peitschte, hofften wir besonders verzweifelt auf Unterkunft. Als wir endlich eine kleine Höhle ausmachen konnten, stürmten wir alle erleichtert dort hinein. Doch die ersten Ankömmlinge bemerkten das haarige Etwas, das sich in eine Ecke der Finsternis gedrängt hatte, viel zu spät. Bis wir anderen ihnen endlich zu Hilfe kommen konnten, hatte die Bestie bereits zwei von ihnen zerfleischt. So konnten wir nur noch ihre Überreste retten und das Monstrum töten. Dieses stellte sich als eine Art großen Bärs hinaus, so dachten wir jedenfalls zunächst. Doch welcher Bär hat schon echsenhafte Schuppen unter seinem weißen Pelz und ein Gesicht, das mehr aus Maul und Zähnen als sonst etwas zu bestehen schien? Kurzerhand nannten wir das Wesen Jafreš, also Echsenbär.

Der Unmut zwischen unseren Begleitern wich allmählich bloßer Verzweiflung, als seien auch ihre einst vor Schmerz lodernden Herzen langsam erfroren. Die meisten wollten nur noch heim, ans andere Ende der Welt, wo sie sicher seien und die Welt dort kannten. Andere befragten ihre Götter, womit sie diesen plötzlichen eisigen Tod verdient hätten. Auch ich wunderte mich sehr über das Wetter, das von bloßer Kühle in so wenigen Wochen zu solcher Eiseskälte hatte umschlagen können. Es schien mir manchmal fast, als wären wir hier in eine Falle gestolpert, doch tat ich das ab als dumme Gedanken, beeinflusst von dem Gejammer der Göttergläubigen. Wir waren einfach zu weit vom Kurs abgekommen und zu einem unglücklichen Zeitpunkt an das falsche Ufer getrieben worden. Gut eine weitere Woche konnten wir nach Norden wandern, ohne dass erneut jemand von uns starb oder sich das Wetter noch weiter verschlechterte. Mittlerweile jedoch war die gesamte Küste von Eis eingefasst, eine frostig tödliche Schönheit. Manchmal stellte ich mir vor, wie wohl nun unser Schiff aussehen würde. Einige Male hatten wir Flüsse zu überqueren, was wir aber oft nur bemerkten, wenn jemand zufällig auf das Eis unter dem Schnee stieß. Es war stets hart und stark und trug uns bis an die anderen Ufer, auch wenn Algros einige Male uns anwies vorsichtig zu sein, da solches Eis auch einbrechen könnte. An anderen Stellen fanden wir endlich kleine Wäldchen: Raue starke Bäume, welche die Witterungsbedingungen gut auszuhalten schienen in ihrem ewigen Schlaf. Unser Ziel aber blieb es, uns soweit nach Norden zu retten, dass es endlich warm werden würde, nötigenfalls auch ein anderes schützendes Plätzchen irgendwo zu finden.

Zunächst aber war für uns die ruhige Zeit vorbei. Die letzten Spuren des Duftes von Freiheit in der Luft wichen dem Gestank von warmen Blut in kaltem Schnee. Ich weiß nicht mehr, wann genau sie angriffen, doch war es furchtbar. Nachdem die Tage immer schneller immer kürzer geworden waren, wurde auch uns nur immer kälter. Gelähmt wie wir voran stapften, bemerkten wir erst zu spät das Unheil. Vielleicht ein halbes Dutzend von ihnen kam lautlos aus den Bergen an uns heran geschlichen. Und dann plötzlich stürmten sich diese Jafreš, wie wir sie nannten, erbarmungslos und unter furchtbarem Geheul auf uns. Einige aus unserer Familie versuchten sich nicht einmal zu wehren; Verzweiflung und Kälte hatten sie gelähmt. Andere ließen sich zwar nicht widerstandslos angreifen, doch wurden sie trotzdem gnadenlos niedergemacht. Auch den Koch, unseren alten Freund, sah ich dort sterben. Einige wenige um Algros und mich erkannten, dass das Heil bloß in der Flucht lag. Natürlich machten wir uns später Vorwürfe, unsere Familie derart im Stich gelassen zu haben, doch war uns allen klar, dass nichts anderes uns gerettet hätte. Nach einer heillosen, kopflosen Flucht fanden wir uns allesamt irgendwo in den Bergen wieder. Wir hätten kaum noch sagen können, wie wir dorthin gelangt waren. Unser Versteck war eine kleine Höhle, diesmal eindeutig frei von allen Jafreš. Niemand kam uns zu verfolgen; warum, vermochten wir jedoch nicht festzustellen. Wir überblickten das, was uns noch blieb, die kläglichen Reste. Etwa ein Dutzend verzweifelter Überlebender zählte unser kläglicher Haufen. Das einzig noch lebende Kind unserer Familie hatte sich in den Armen seiner Mutter verkrochen und beide beweinten den Verlust von Vater und Ehemann. Überhaupt war kaum jemand unter uns, der nicht weinte. Selbst mir war nur noch danach, mich bei Algros zu verkriechen und meinen Tränen ihren Fluss zu lassen, doch durfte ich das nicht zeigen. So versuchte ich stattdessen zusammen mit Algros und einer tapferen Frau die anderen zu beruhigen.

Erst nach schätzungsweise fast einer Stunde fiel einem Krieger auf, was allen anderen bisher entgangen war: in dieser Höhle war es wesentlich wärmer als in allen anderen, die wir bisher besucht hatten. Wir, die wir unsere tiefste Natur nicht verleugnen konnten, waren mehr misstrauisch denn froh über diesen unerwarteten Zustand. Warum war es dort wärmer und warum kamen die Jafreš oder andere Tiere nicht hierher? So ging unsere mögliche Freude unter in der tatsächlichen tiefen See des Misstrauens. Während Algros und ein anderer Krieger die Höhle durchsuchten, konnte nur das kleine Kind die neuen Umstände nutzen und schlief friedlich ein. Nach etwa einer weiteren halben Stunde hatten die beiden Männer einen warmen Luftzog ausgemacht, der aus dem hinteren Bereich der Höhle aus einem Durchgang kam, der sich bisher hinter Felsbrocken hatte versteckt halten können.Nun zeigte sich das zweite angeborene Laster unserer Seelen, als wir neugierig wie wir waren die Felsen beiseite räumten, um den Umständen auf den Grund zu gehen. Wir waren zu viert, die wir auf neugierig-misstrauische Kundschaft gingen: Algros, der Krieger, die tapfere Frau sowie ich. Ein dunkler Tunnel erwartete uns, dem wir mit erleuchteten Fackeln folgten. Er verlief in einigen Biegungen und führte uns vollends in die Irre. Durch die Fackeln bemerkten wir erst spät den Lichtschein, auf den wir zugingen. Als wir ihn endlich sahen, löschten wir diese schnell, wussten wir doch nicht welcher Art die Quelle des Lichtes war; vor allem aber, ob sie gut oder schlecht für uns war. Langsam und vorsichtig krochen wir vorwärts und kamen zu etwas, dass ich ebensowenig in meinem bisherigen Leben gesehen, doch von dem ich immerhin gehört hatte. Unser Tunnel öffnete sich hin auf eine Art Klippe, die eine riesige runde Höhle einmal umlief. In der Mitte befand sich ein gewaltiger Abgrund, dessen Boden gefüllt war mit flüssigem Feuer. Zur Decke hin bot sich zum Anblick ein Loch in ebendieser, welches uns den grauen Himmel offenbarte. Jeglicher Schnee, der dort hereingefallen kam, schmolz sogleich über der Hitze dieses Abgrundes. Es war ein Feuerberg! Nichts hätte uns zur Wärmung und Erhaltung unseres Lebens willkommener sein können als dieser riesige Ofen. Doch die Freude durfte nur kurz währen. Staunend wagten wir einige Schritte auf die Klippe hinaus und kamen dabei in Richtung des rechten Ausganges.

Neben unserem Eingang sahen wir noch zwei weitere Tunnel aus diesem Kessel herausführen. Und aus dem linkerhand preschten plötzlich ohne Vorwarnung einige heulend wütende Jafreš in unsere Richtung. Unser Entsetzen war groß, die Angst um unsere Leben noch viel größer. Blind vor Panik geworden rannte der Krieger nun zum rechten Ausgang, als auch aus unserem Eingang dieses Heulen ertönte, gemischt mit den Schreien der von uns Zurückgelassenen. Uns anderen blieb nur dem Krieger zu folgen, waren die Jafreš doch schon fast bei diesem Eingang. Wir jagten durch weitere Tunnel, verspürten das drohende Heulen hinter uns und endeten schließlich in einer Sackgasse. Schnell mussten wir umkehren, zurücklaufen, bis zu einer Abzweigung, bei der es noch einen weiteren Stollen gegeben hatte. Wir waren schon kurz davor, da glaubte ich die Schreckensschreie unserer restlichen Familie zu hören, wie sie nun von den Jafreš zerfleischt werden würde. Kaum waren wir genau vor dem rettenden Gang, da vernahmen wir erneut das Heulen der Bestien und sahen sie vor uns durch den Gang auf uns zu hetzen. Panisch rannten wir in den anderen; Algros voraus, ich folgend, danach der Krieger und die Frau als letztes. Sie schaffte es nicht schnell genug, ihr markerschütternder Schrei in unserem Rücken spornte uns an. Letztlich erreichten wir einen Ausgang, der wieder aus dem Berg hinaus an einen Hang führte. Algros und ich suchten sofort eine Möglichkeit zum Abstieg, doch der Krieger blieb zunächst verwirrt stehen und blickte sich um. Dies war sein Fehler, denn zwei Jafreš sprangen ihn an und rissen ihn in die Tiefe und den harten Tod. Da waren Algros und ich auch schon dabei, selber den Hang vorsichtiger hinabzuklettern. Von oben vernahmen wir noch das Heulen der anderen Jafreš, das nun Enttäuschung verkündete, als sie uns nicht folgen konnten.

Wochenlang marschierten Algros und ich nach all diesen Vorfällen alleine weiter, stets gen Norden, wie wir alle es vorgehabt hatten, durch Schnee, Eis und Dunkelheit. Nicht einmal sprachen wir über den Verlust und Schmerz, sprachen überhaupt nur noch wenig miteinander, solange es nicht um Nahrungs- oder Schutzsuche ging. War nun etwa auch unsere Liebe erfroren? Wir hatten, was wir wollten: wir beide allein in der freien Welt. Und doch war es nicht das, was wir uns vorgestellt hatten. Mittlerweile wurde es immerhin nicht mehr weiter kühler und nach einer Weile kam es mir sogar so vor, als sei die Kälte ertragbar geworden. Meine Hoffnung wuchs, dass dies mit unserem Gang nach Norden zu tun hätte. Letztlich aber wurde sie mit einem Schlag zerstört. Irgendwann waren wir an einen Punkt gelangt, da schien die Küste nicht weiter gen Norden verlaufen zu wollen. Wir folgten ihr stattdessen nach Westen, doch nie bog sie wieder in Richtung der warmen Lande ab. Schließlich lautete unsere Entscheidung, die nahen Berge bis zu ihren Gipfeln zu besteigen, um einen besseren Ausblick auf das Land haben zu können. Da die Schneestürme auch seit einigen Wochen verschwunden waren, rechneten wir uns eine gute Möglichkeit dazu aus. Doch wie wurden wir enttäuscht; nie kamen wir dort zusammen an. In weiter luftiger Höhe, dessen Grenzenlosigkeit ich einst die geliebte Freiheit genannt hätte, die nun aber nur Sinnlosigkeit ausstrahlte, mussten wir immer wieder glitschige Felsen, Spalten und Abgründe überwinden. Bei einem von diesen war es, dass Algros seinen Halt verlor. Oh grausame Welt, wie schmerzhaft machtest du mir doch klar, dass ich ihn immer noch liebte! Nun aber war es vollends zu spät, ihm dies selber zu sagen. Alleine musste ich weiter, hätte ich mich doch aber am liebsten ebenso auf seine Reise begeben. So versperrten mir Tränen bei meinem letzten Aufstieg stärker die Sicht, als es der Schnee vermocht hätte, und selbst die Freiheit konnte mir keinen Lebenswillen mehr liefern. Es dürfte einem Wunder gleichen, dass ich heil oben ankam, waren meine Gedanken und Träume bei jedem Schritt, jedem Griff doch nur bei Algros, und wie wir uns diese Freiheit vorgestellt hatten. Aber was hätten uns die Träume noch genutzt; der mich erwartende Ausblick war schreckenserregend.

Oben auf einem Gipfel angelangt hatte ich eine Sicht, die man nur als wunderschön hätte beschreiben können, wäre man nicht wie ich in Trostlosigkeit versunken. Wohin mein Blick sich auch wendete, ob gen Nord, West oder Ost, bemerkte er nur Küsten, die zurück nach Süden führten, zurück in die erbarmungsloseste aller Kälten. Der furchtbare Gedanke, der sich mir nun aufdrängte, war: hatte es uns hier auf eine Insel verschlagen? War es also bedeutungslos gewesen, wohin man ginge, denn man würde immer wieder an die gleichen Orte kommen, stets nur im Kreise gehen? Waren wir tatsächlich in einem eisigen Grausen gefangen worden? All die Toten, all die Verzweiflung, all dies nur aus der Hoffnung auf eine Freiheit, die es nie geben konnte, nie geben würde – und alles umsonst? Hatten sie Recht behalten; war ich Schuld an all den Toden, da ich sie überredet hatte? Nie könnte ich das weinende Gesicht des kleinen Kindes vergessen, nie den Sturz meines geliebten Algros.

Es kommt mir vor, als hätte ich tagelang dort auf diesem Gipfel gehockt und nichts getan, nur gestarrt und mir Vorwürfe gemacht. Algros, die anderen – all diese Hoffnungen und Träume. Nun aber habe ich einen Entschluss gefasst. Mir blieben nur meine Kleidung, meine Gedanken sowie der Rucksack mit meiner Ausrüstung, darunter auch diese Blätter, welche ich nun so sinnlos bekritzel, denn nie wird jemand diese Worte finden; nie sollte jemand dies finden. Und doch werde ich sie hinterlassen, versteckt unter einem Steinhügel. Eigentlich weiß ich nicht, warum ich das tun will. Dafür weiß ich jedoch, was noch zu tun ist. Ich werde meine Ausrüstung hier zurücklassen und gehen. Damit wird mein Bericht nun enden. Ich habe nichts mehr, für das es sich zu leben lohnt; ich habe der Welt selbst nichts mehr zu geben. Ich lebte für meine Freiheit, ich gab alles für meine Freiheit, ich bekam mehr Freiheit, als ich wollte – nun werde ich mich wahrhaftig der Freiheit übergeben, auf dass diese über mich entscheiden mag. Oh Algros, was haben wir falsch gemacht, das zu verdienen?

ENDE

 

Anmerkung des Herausgebers

Thanoris Hirs ist die größte bekannte Insel der bekannten Welt. Sie könnte auf ihrer Oberfläche so manches kleines Land fassen, würde sie nicht fast völlig aus Gestein und Eis bestehen und daher kaum bewohnbar sein. Erst vor etwa 500 Jahren gelangten Nirzen auf die Insel; das einzige Volk, welches Kälte mehr liebt als Wärme und deshalb auf ihrer Suche nach kühlen Gegenden zum Leben dorthin gelangte. Gut 100 Jahre später fand ein Trupp der Nirzen zufällig die Aufzeichnungen der Thanori, welche nicht in dem Stil geschrieben waren wie hier wiedergegeben. Dafür sorgte der tolumische Schriftsteller Qarchis, nach dessen Veröffentlichung Thanori in der tolumischen Religion entdeckt und zur Heiligen ernannt wurde. Da das Original heute verloren und um den Leser nicht zuviel zuzumuten, gaben wir hier seine Umschreibung, die erste dieser Art, an. Im Laufe der Jahrhunderte fanden sich noch zahlreiche Geschichten, in denen Thanori und Algros als Helden vorkamen. Nach letzterem ist übrigens das gewaltige Gebirge auf der Thanoris Hirs benannt.

Trotzdem gibt es noch einige Fragen, die diese Geschichte hinterlässt. Dass die Nirzen nie über Wesen berichteten, die denen der Erzählung Thanoris gleichen, mag nicht zu sehr wundern. Interessanter ist dafür schon, dass Thanori und ihre Getreuen es zu einer Zeit schafften, diese Insel zu erreichen, in der es noch keine wirklich hochseetauglichen Schiffe gab. Dass es ihnen mit diesem nicht gelang, aus dem Eis zu fliehen, leuchtet dafür schon eher ein. Merkwürdig ist aber, dass damals, als die Welt noch viel kälter gewesen sein musste, die Insel der Beschreibung kaum kälter klingt als das, was man auch heute dort findet. Wenn dies auf Qarchis Neudichtung beruht, muss man sich dennoch fragen, wie es ihnen damals gelang dort zu überleben. Es bleibt nur zu hoffen, dass noch einmal das Original sowie geschichtliche Quellen über Thanori und ihre Getreuen gefunden werden, um diesen Fall besser zu erforschen.

Tonn Onasi, Jagâharis des Hauses des Buches von Raygadun

Raygadun, Aleca, 08.05.3995

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Der A’Lhumakrieg – Epilog

Juli 18, 2016

Die letzten Seiten fügte ich meinem Bericht hinzu, da der Galryrm Acles Tovan Mhoretoan mir kürzlich eine Abschrift zukommen ließ und ich dachte, seine Worte könnten den Krieg zwischen unseren Ländern am besten schildern. Es war ein blutiger und böser Krieg, doch Crear erzählte uns stets, es sei notwendig die gefährlichen Tarler aufzuhalten bevor sie zuerst zu uns kämen. Wir in der Burg in Lurut bekamen kaum etwas von den Grausamkeiten dieses Krieges mit, doch erlebten wir Crears seltsame Änderungen, nachdem er mitten zwischen den Feldzügen wieder heimgekehrt war.
Wir hatten Caeryss nicht überzeugen können mit heimzukommen; um ihrer Sicherheit fürchtend verließ sie bald das Land, doch ließ sie das Kind von Euliste, Crears Base, bei uns, als Emmistat versprach sich um es zu kümmern. Crear kehrte heim und fand dieses Kind bei seiner zukünftig angetrauten, die niemals schwanger gewesen war. Beunruhigenderweise schien er sich dessen nicht bewusst; er kannte das Kind sofort als sein eigenes und liebte es wie ein wahrer Vater. Doch seine Anfälle von Schmerzen und Wahnvorstellungen verstärkten sich in den folgenden Jahren bloß noch, bis wir alle fürchteten seine Nähe zu suchen.
Es war eine wahrhafte Erleichterung – so muss man leider sagen – als er an einem dieser Anfälle starb – wenngleich es Gerüchte gab. Das Volk, welches ihn nicht selber gekannt hatte und hasste, sprach von einem Mord und feierte einen unbekannten Helden. Nur wenige hatten ihn wirklich gekannt wie ich und mein Schmerz war groß ihn sterben zu sehen. Niemals hatte ich einen solchen Freund gekannt und sollte es auch niemals wieder tun. Viele nennen ihn wahnsinnig, wenige von den Göttern gesandt wie er es behauptet hatte, doch ich kannte den Kern hinter den vielschichtigen Schalen.
Sein Sohn, den er Orot Crear Elorm genannt hatte, sollte sein Nachfolger werden, doch war er viel zu jung um allein zu handeln. Teule tat vieles daran, die Herrschaft über ihn zu erringen, doch schien sie keinen schädlichen Einfluss zu hinterlassen und es war eine wahrhafte Erleichterung, als sie in hohem Alter sich befindend letztlich doch noch starb.
Heute ist Orot alleiniger König. Stets war er ein braver Junge gewesen, wenngleich auch in ihm die Anlagen seiner Familie zu lauern scheinen, doch kann dies erst die Zukunft sagen. Solange jedenfalls ich Tereanv von Lurut bin, werde ich ihm mit Rat und Tat beistehen. Auch Asmyllis, wenn sie einmal vor Ort ist, versucht guten Einfluss auszuüben, doch meist ist sie auf Reisen und letztlich vor allem in Cirmaen.
Wie man sieht verbesserten sich die Beziehungen zu Tarle letztlich doch noch etwas, wenn auch viel Misstrauen auf beiderlei Seite lauert. Unter Crear kam es noch zu vereinzelten Scharmützeln, seit Orots Herrschaft ist es ruhig an diesen Grenzen.

 


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Der A’Lhumakrieg – XIII: Die letzten Regen

Juli 11, 2016

Es fanden große Jubelfeier in Cirmaen statt, als das feindliche Heer geschlagen und auch aus Narrkuva vertrieben worden war. Nachdem diesem abgegolten war, rief der Galryrm Mallan seine getreuesten Gefolgsleute sowie auch mich zu sich, um die nächsten Schritte besprechen zu können. Die Alumen schienen sich auf ihre Seite des Meeres zurückgezogen zu haben, doch hielten sie immer noch Kuthaern und Gulrunn. Zwar waren die Festen von Tarle stets einzelgängerisch gewesen, doch konnte man bisher noch nie zulassen, dass ein anderer Tarler einem feindlichen Ausländer allein gegenüberstand, weshalb sich zahlreiche Stimmen erhoben die eine Befreiung der anderen Festen forderte. Nach einigen lautstarken Gesprächen musste Mallan schließlich diesen Forderungen zustimmen.

Während in Narrkuva alles vorbereitet wurde und die Einheiten Cirmaens sich dort sammelten, erschienen eines Morgens plötzlich Schiffe, die sich schnell als die Hardens und Thalgrens herausstellten. Die anderen Festen hatten einige wenige verfügbare Einheiten abgestellt Cirmaen zu unterstützen, als sie von der Belagerung erfuhren. Sie kamen spät, doch waren wir trotzdem froh sie zu sehen, konnten sie uns doch bei der Befreiung Kuthaerns helfen. Armeen dieser drei Festen zusammen hatte man seit Jahrhunderten nicht mehr gesehen, doch arbeiteten sie nun zusammen gegen einen gemeinsamen Feind.

Kuthaern war schwach besetzt zurückgelassen worden, hatte es doch auch kaum Zugang von Seiten der Alumen. Innerhalb von nur zwei Tagen hatten wir die Besatzer zum Aufgeben gezwungen, wenngleich sie noch nichts von der Niederlage ihrer Armee erfahren hatten und sich eigentlich in gut zu verteidigender Lage befanden. Von den Alumen aber hörten wir, dass sie froh waren dieses Land zu verlassen, da aus der Wüste und den nördlichen Felsentälern allerlei seltsame Lebewesen angekrochen kämen, gegen die sie sich verteidigen mussten. Maraine bestätigte mir, dass es Kuthaerns Aufgabe war, alles aus diesen Gegenden von einem Eindringen in die östlichen und südlichen Länder zu hindern. Auch mir schauderte es bei diesem Gedanken, doch waren die befreiten Kuthaerner sicher, dieser ihrer Aufgabe wieder nachgehen zu können.

So waren wir frei, dem armen Gulrunn zu helfen. Zurück in Narrkuva waren Nachrichten aus Harden und Thalgren eingetroffen, die uns nun auch in dieser Weise Glück bei unseren Unternehmungen wünschten und die weitere Benutzung ihrer Truppen gestattete, um Gulrunn zu befreien. Nichts hielt uns also auf, dieser letzten Aufgabe nachzugehen, außer – die Alumen. Der einzige Weg von Cirmaen nach Gulrunn führte entweder über gefährliche Pässe durch den Udarwald oder am Rande der Berge entlang ein kurzes Stück durch Aluma westlich an Daminro vorbei.

Wir entschieden uns trotz der Gefahr zusätzlicher Kämpfe für letztere Möglichkeit und schifften die Einheiten gen Osten, um dort an Alumas Küsten anzulegen. Hin und wieder dann stellte sich uns eine kleine Einheit Verteidiger in den Weg, doch ernsthaft kämpfen mochte niemand gegen unsere Übermacht. Daminro selbst vermieden wir so gut es ging, sahen es aber verteidigungsbereit in der Ferne liegen – und dann ging es in die Wälder, wo wir uns auf die Pfade und Straßen verlassen mussten, um uns nicht zu verirren.

Am zweiten Tag unserer Reise durch diesen Wald fiel uns plötzlich und überraschend etwas in den Rücken und Flanke, von dem wir erst später merkten, dass es teils Einheiten aus Daminro, größtenteils aber Holzfäller und Köhler aus den Wäldern waren. Verzweifelt fielen sie uns an, doch konnten sie letztlich niemals gegen uns siegen. Und so plötzlich sie gekommen, waren sie auch wieder verschwunden.

Am dritten Tage überschritten wir die unsichtbare Grenze von Gulrunn und am vierten erreichten wir dessen offenes Land. Nach weiteren Tagen Fußmarsch berichteten unsere Späher, dass wir bereits erwartet wurden: andere tarlische Armeen lagerten unweit westlich der Feste. Am nächsten Tag vermochten wir unseren Augen kaum zu trauen, als wir vor Gulrunn auf unzählige Krieger stießen, welche die Feste bereits belagerten. Aus Begghyrn und Badros waren sie gekommen uns beizustehen und die Alumen aus Gulrunn zu vertreiben.

War bereits die Vereinigung der Festen Cirmaen, Harden und Thalgren bei Kuthaern seit Jahrhunderten ohne Beispiel gewesen, so übertraf dies nun alles bisher dagewesene seit ungezählten Zeiten. Schon oft war Gulrunn in der Vergangenheit Ziel kriegerischer Streitigkeiten aus dem Norden gewesen; wir wollten dies endgültig beenden. Unsere Einheiten so lagern lassend, dass sie zusammen mit denen der anderen Festen einen Halbkreis um Gulrunn herum bildeten, traf Mallan sich mit den anderen Galryrms. Sie berieten sich den Rest des Tages und als er Abends zurückkehrte, hatte er einiges zu berichten.

Zunächst erzählte er von den Besatzern Gulrunns, die jetzt schon Wochen Zeit gehabt hatten, sich festzusetzen. Nach der Niederlage bei Cirmaen hatten sich offenbar die Reste der alumischen Armee dorthin zurückgezogen, um uns zu erwarten und ihre Stellung zu verfestigen. Gulrunn strotzte nun nur so vor alumischen Waffen, die alle auf uns vorbereitet waren. Wir würden ähnliche Belagerungs- und Kriegsmaschinen gegen den Gegner verwenden, wie es dieser vor Cirmaen getan hatte, um zu ihm vorzudringen, dabei in der Hoffnung bleibend, dass sie die Feste freiwillig freiwillig aufgeben würden. Tarler waren nicht bekannt für Grausamkeit und daran sollte sich nichts ändern.

Der Angriff fände bei Morgengrauen statt, also sollten wir alle gut schlafen. Ich würde erneut in Maraines Einheit verbleiben. Uns gehörte die Aufgabe in das Innere vorzudringen nachdem ein Tor offen oder Türme an den Mauern wären. Uns zur Hilfe standen Schützen, Ballisten, Türme, Rammen und sogar einige Tomaren. Nur Katapulte wollte man nicht verwenden, um Gulrunn nicht unnötig zu zerstören.

Statt sofort schlafen zu können sprach ich bei einem Abendessen noch mit Maraine über unsere Befürchtungen und Träume. Maraine, dessen Heimatdorf unweit von Gulrunn lag, hatte seine Verlobte dort in der Feste und damit genug Gründe sich zu sorgen, doch auch viele andere in unserem Lager besaßen Freunde und Verwandte in Gulrunn, die es zu schützen galt. Und alle sahen dem Morgen mit Ungewissheit entgegen. Nach langen Augenblicken tiefster Gedanken fiel ich mitten in der Nacht endlich in meinen Schlaf. Am nächsten Morgen weckten uns die Hörner; es blieb kaum Zeit zum ankleiden.

In den Morgenstunden machten sich die Armeen fünfer Festen auf eine sechste zu befreien. Zuvorderst kamen die Schilde, derweil ihnen Schützen Deckung gaben und die Tomarenreiter für Verwirrung unter den Verteidigern sorgten. Gleichzeitig wurden die Belagerungstürme voran geschoben, in welchen weitere Schützen sowie wir warteten, bis die Mauern erreicht wären. Die Verteidiger besaßen keine Möglichkeit unsere Türme zu zerstören und mussten so unser Nahen hoffnungslos mitansehen, derweil ihre Pfeile nutzlos im Holz der Türme steckenblieben.

Hatten wir endlich die Mauern erreicht, ließ man eine kleine Brücke herab, über die wir kriegsschreiend auf die Mauer strömten, derweil unsere Schützen diese Mauer bespickten. Die erste Reihe von Verteidigern war noch gut kampfeswillig, so dass uns nichts anderes übrigblieb. Seite an Seite mit Maraine focht ich einen Weg über die Mauer hinüber zur zweiten Mauer, nur um festzustellen, dass diese mit Gittern abgesichert war.

Während einige der unsren das Haupttor öffneten um die großen Rammen für das zweite Tor zu holen, suchten wir andere Wege hinüber in den nächsten Hof, doch fanden wir keinen. Die Rammen droschen auf das Tor ein, und die Edlen und Galryrms von Tarle selbst kamen in diesen ersten Hof, um durch das zerborstene Tor ihren Kriegern voran in den nächsten zu strömen und wir hintendrein.

Der nächste Hof aber erwies sich als Falle; es war ein langer schmaler Weg die dritte Mauer entlang. Von oben regnete es Pfeile und wir unten konnten kaum mehr tun als uns mit Schilden zu schützen. Auf ähnliche Weise ging es durch die nächsten Höfe, zwischen denen auch immer wieder Tore zu zerstören waren. Irgendwo hier muss es gewesen sein, dass ein Pfeil den Galryrm Mallan tödlich getroffen von seinem Pferd fallen ließ, doch die Krieger von Cirmaen wussten auch ohne ihren Anführer um ihre Sache weiterzustreiten.

Im fünften Hof fanden sich endlich wieder Wege die Mauer hinauf, von wo aus man endlich die ganze Eingangsburg von Gulrunn erreichte; bald war sie unser. Jetzt hätte es noch die Stadt sowie die zweite Burg gegeben, doch in ersterer hatten die Bürger sich bereits erhoben und zweitere ergab sich dann wie erhofft uns kampflos. Endlich also konnten wir die Befreiung Gulrunns feiern, doch mussten gleichzeitig über unsere Verluste trauern. Maraine dagegen fand seine Versprochene wohlerhalten und war den restlichen Tag nicht mehr aufzutreiben. Die überlebenden Galryrms, sofern anwesend, beschlossen die Alumen frei ziehen zu lassen, wenn sie dieses Land verlassen und nicht zurückkehren würden, wozu deren Anführer gerne zustimmten, schienen sie doch auch des Krieges ihres Königs überdrüssig.

Da der Galryrm von Gulrunn bereits bei der Eroberung durch die Alumen ums Leben gekommen war, hielt am nächsten Tag, mitten in den Aufräumarbeiten, das Volk bereits eine Wahl ab, den neuen Galryrm zu bestimmten. Die Truppen der anderen Festen aber zogen wieder heim, nicht ohne vorher noch auf die Unterstützungspakte und Freundschaft anzustoßen. Auch die Mannen von Cirmaen mussten jetzt heim, doch ward ihr Marsch ein Trauerzug.

Die Alumen hatten uns freie Pfade durch ihr Land zugesichert, und so wurde der tote Galryrm Mallan von dem Zug seiner Krieger begleitet durch Aluma über Narrkuva nach Cirmaen gebracht. Ab Narrkuva bewies ihm jeder Tarler, an dem wir vorbeikamen, die stille ehre und uns laute Siegesfeiern, doch war nicht allen von uns zum Feiern. Maraine tin Arath war jetzt Ranghöchster, weshalb er den Zug anführte, begleitet von anderen Edelmännern sowie mir. Er war es auch gewesen, der mich überhaupt dazu gebracht hatte mit zurück nach Cirmaen zu kommen, wo noch Überraschungen auf mich warten sollten. Dort gestaltete es sich zunächst kaum anders denn bisher, auch die Cirmaenen befeierten zugleich die Siege als auch ihren Verlust, war Mallan doch im Volk beliebt gewesen.

Am Tag nach unserer Rückkehr, nach einer langen Nacht voller Feste, wurde Mallan ebenso feierlich in den Grüften der Edelmänner Cirmaens, weit hinten im Tal, beigesetzt. Die Feste quoll über von Volk, als auch Bauern, Minenarbeiter und Förster aus dem Tal in den Ort kamen, der ihr aller Leben sicherte. Bei Einbruch der Dunkelheit führte ein feierlicher Zug von der Burg aus durch die Stadt, die Hinterburg sowie das Tal Mallan zu den Grüften hinauf; der Pfad gesäumt von unzähligen stillen Fackelträgern.

Einen weiteren Tag darauf fand die Wahl des neuen Galryrm statt. Der Gildenrat traf in seiner Burg zusammen, nachdem ihre Vertreter bereits am Vortag mögliche Anwerber vorgeschlagen hatten. Letztlich hatte auch das Volk noch eine Stimme; wer immer von genügend Einwohnern vorgeschlagen wurde, kam ebenso in die Auswahl des Gildenrates. Dessen Sprecher fragte von einem Balkon der Burg herab das Volk, wen sie vorschlagen würden, und zu meinem Erstaunen vernahm ich aus allen Ecken des Platzes laute Rufe:

Acles Tovan Mhoretoan!

Auch der Sprecher schien erstaunt und fragte das Volk:

Seid ihr sicher? Er ist ein Ausländer; kommt nicht aus Cirmaen, noch aus Tarle!

Doch das ertönende Ja nach seiner ersten Frage erstickte die weiteren Worte. So kam also auch ich mit in den Saal, wo der Rat sich über den nächsten Galryrm beriet, während ich überlegte, ob ich mich überhaupt niederlassen und das Reisen aufgeben wollte. Wir hörten jedes Wort des Rates während der Beratschlagung und überlegten schon selber, wer es werden mochte, doch Maraine war sicher, dass die Wahl auf mich fallen würde und schwor mir so oder so seine ewige Freundschaft und Ehrergiebigkeit.

Letztlich dann erhob sich der Sprecher wieder und stellte seine Frage, obwohl wir bereits alles wussten:

Acles Tovan Mhoretoan, ihr seid nicht aus Tarle, doch das Volk von Cirmaen und ganz Tarle liebt und vertraut euch. Viel habt ihr bereits für uns getan; nun fragen wir euch: Würdet ihr euer Leben den unsrigen verschreiben?

Ich hatte lange Zeit zum Überlegen gehabt und konnte schnell und überzeugt antworten.

Wenig später stellte der Rat dem Volk den neuen Galryrm von Cirmaen vor.

In den folgenden Jahren sah sich die Feste, abgesehen von einem kleinen Zwischenfall, einer Zeit des Friedens und der Ruhe ausgesetzt, was sie gut zu nutzen wusste. Von den Alumen hörten wir kaum noch etwas, bis ihr nächster König wieder um Handel mit uns bat. Der Krieg zwischen Tarle und Aluma, das sich später unter ihrem nächsten König A’Lhuma nannte, war vorbei und wir wollten alles daran setzen, dass nie wieder einer entstände.

Als wichtigsten Berater und rechte Hand erkor ich mir für diese Aufgabe meinen Freund Maraine tin Arath, der seitdem zusammen mit seiner Frau bei mir in der Burg von Cirmaen lebt.

Damit endet die Schilderung, wie ich meine Reisen aufgab und zum Galryrm erwählt wurde.

 


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Der A’Lhumakrieg – XII: Blitz und Donner

Juli 4, 2016

Die Mauer von Cirmaen schützt Feste, Stadt und Burgen auf der nördlichen Seite vor allem, das von dort kam. Ihr einziges großes Tor führt auf die Brücke nach Narrkuva, und von dort kam die Armee von Aluma. Zuvorderst kamen auf der Brücke große Schilde, welche die Nachfolgenden schützen sollten. Hunderte von Kriegern warteten bereits in sicherer Reichweite darauf ihnen zu folgen.

Überraschend trafen Schiffe ein, von West und Ost, die auf ihren Decks weitere Kämpfer, vor allem aber Katapulte und gar Belagerungstürme trugen. Die Katapulte begannen bald auf die Türme der Mauern einzuschießen, wo die Ballisten und Schützen von Cirmaen ihr Bestes gaben, die Feinde durch Bolzen und Pfeile fern zu halten.

Und kaum dass die Schilde auf der Brücke dem Tor nahekamen sahen wir, was sie schützten: Riesige feste Rammböcke waren dort in ihren hölzernen Kästen mit Rädern, um auf das Tor niederzugehen, was auch dieses nicht für immer aushalten würde. Doch die Pfeile und Bolzen vermochten gegen diese Schilde und Dächer der Rammböcke nichts auszurichten und Katapulte gab es in Cirmaen nicht.

Während die Schiffe mit den Belagerungstürmen näher kamen und versuchten sich vor der Mauer in den Wellen zu halten, eilte ich mit einigen Kämpfern Maraines zurück in die Stadt um mit Reisigbündel gefüllte Eisenkörbe zu besorgen und sie an die Schützen zu verteilen, die nun in Brand gesetzte Stoffe an ihren Pfeilen in die Schiffe sowie auf die Böcke schießen konnten. Ein erster Erfolg wurde uns zuteil, als ein ganzes Schiff plötzlich in Flammen aufging. Leider jedoch trugen es die Wellen und die Strömung des aus den Bergen hinter uns kommenden Baches wieder aufs Meer hinaus, so dass ein neues seinen Platz einnehmen konnte.

Vom großen Westturm, der auf einer Felsspitze mitten ins Meer hinein ragt, konnte ich die ganzen Ausmaße des Feindes erkennen und es schien hoffnungslos. Rammen, Türme oder Katapulte – eins von diesem musste Cirmaen früher oder später in die Knie zwingen. Doch dann würde noch ganz Cirmaen bis zur letzten Maus kämpfen, bevor es daran dächte sich zu ergeben. So weit durfte es aber niemals kommen, weshalb ich beschloss etwas dagegen zu tun.

Der Udarwald hinter uns war bekannt für seine Tomaren und so fragte ich Maraine, ob auch Cirmaen über diese Tiere verfügen würde. Als er das bejahen konnte, ward ich sofort von Begeisterung gepackt.

Wo befinden sie sich, fragte ich ihn, und wieviele sind es?

Und er antwortete, genug um eine kleine Truppe auszuheben, doch haben wir kaum geübte Reiter für sie.

Ob genügend oder nicht, war damals nicht wichtig und so wies ich ihn, den mir Höhergestellten an, aus den Kämpfen alle Reiter zusammentrommeln zu lassen, derweil ich in der Bevölkerung nach denen suchen wollte, die wahrhaft bereit waren ihre Heimat zu verteidigen.

Volk von Cirmaen, rief ich ihnen zu, jetzt wird es sich zeigen, wer von euch wirklich seine Heimat schützen kann. Unsere größte Möglichkeit sind die Tomaren und wer diese zu reiten vermag und mir in den Kampf folgen will, möge sich nun melden!

Und tatsächlich hatten wir am Ende mehr Freiwillige als Reittiere, die in Höhlen am Hang des Tales lebten. Diesen Überschuss ließen wir die Plätze an der Mauer derer einnehmen, die mit uns gingen. Niemals könnte diese kleine Truppe von Tomarenreitern eine ganze Armee schlagen, da bewies es Maraine Recht haben zu können, doch würden wir die Möglichkeit erhalten, zumindest unheimlich Verwirrung zu stiften.

Zu mehreren Dutzend verließen wir die Höhle und alle folgten sie mir, wenngleich ich das Gefühl behielt der sich bloß am wackligsten halten zu Könnende zu sein. In einem großen Bogen flogen wir nach Westen, die Hänge hinauf und über die Mauer hinweg, hinter dem großen hervorragenden Westturm hervor. Die Überraschung gelang uns wahrhaft großartig; niemand hätte uns erwartet – und selbst einige der Schützen von Cirmaen blickten erstaunt.

Zwar vermag man von einem Tomaren aus nicht allzuviele kämpferische Kniffe anzuwenden, doch hatten einige von uns ihre Armbrüste oder Bögen dabei; wir anderen konnten zumindest uns im Sturzflug auf einzelne Gegner auf der Brücke oder den Schiffen stürzen und diese von ihrem Tun abhalten. Und damit wird auch das größte Ziel unserer wahnsinnigen Tat klar: Den Gegner verwirren und das Feuer von der Mauer ab und auf uns lenken, dass wiederum das Feuer der Mauerschützen sie vernichten konnte, bevor sie diese erreichten oder ihre Katapulte spannen könnten.

Uns allen war vorher mehrfach bewusst gemacht worden, dass die Wahrscheinlichkeit lebend heimzukehren mehr als schwindend gering war, solange wir nicht andauernd in Bewegung bleiben würden. Und so fiel einer der mir Folgsamen nach dem anderen: Mal verzettelte man sich in einem Kampf am Boden und wurde solange aufgehalten bis der tödliche Stoß oder Pfeil kam, mal war man schon in der Luft zu langsam und wurde abgeschossen, mal konnte man sich einfach nicht mehr im Sattel halten und fiel schreiend in die See. Auch mir sollte so ein Schicksal wohl nicht erspart bleiben.

Zunächst lief alles wunderbar: Als Ziel hatte ich mir die Waffenmeister an den Schiffskatapulten auserkoren und einen nach dem anderen zog mein Tier ins Wasser, nachdem wir uns auf ihn gestürzt hatten, bis viele Schiffe ohne Waffenmeister nutzlos im Wasser dümpelten. Doch plötzlich, hoch droben in der Luft, kreischte mein Tier auf dass es einem das Herz zerbrach, und mit einem Knacks fiel es mitten in der Luft leblos in sich zusammen.

Mit rasender Geschwindigkeit stürzten wir auf das Meer zu und eiligst befreite ich mich aus meinem Gürtel, dass ich nicht mit dem Tier auf den Meeresgrund gezogen werden möge. Bevor wir aufprallten, sprang ich so weit es ging von ihm fort und landete hart im Wasser. Als ich die Oberfläche wieder durchstieß und damit rang oben bleiben zu können, handelte ich mehr nach Gefühl denn nach Verstand. Vor mir sah ich in den rauschenden Wellen eines der Schiffe, dass ich so verzweifelt angegriffen hatte. Seile waren über Bord gefallen und hatten sich in der Reling verfangen, als würden sie nur auf mich warten. Ich beschloss ihre Hoffnung nicht zu zerstören und ergriff sie, um mich an Deck hieven zu können. Das Schwerste war damit geschafft.

Kaum war ich neu hinzugekommen zu dieser Deckgesellschaft, da wurde ich auch schon begrüßt. Diesen Mann ins Wasser zu stoßen war nicht schwer und ich bekam wieder eine Waffe. Danach aber war ich plötzlich allein. Scheinbar war ich nicht der einzige geladene Gast und so sah ich andere meiner Flieger, die sich hierher hatten retten können, um ihr Leben kämpfen. Mich vergaßen dabei aber dann plötzlich beide Seiten. Ich weiß nicht, wie es kam, doch sah ich mich auf einmal alleine dastehen. Das Schiff hatte bereits viele Krieger verloren und die verbliebenen beschäftigten sich mit den Angriffen der Flieger auf Deck und aus der Luft.

Mich abseits haltend gelang es mir unerkannt zum Bug vorzudringen, wo das Katapult des Schiffes befestigt war. Seine Waffenmeister waren bereits verschwunden, wohl von unseren Angriffen auf die eine oder andere Art ins Wasser gedrängt worden. Das erste Mal erblickte ich eines dieser Katapulte aus der Nähe und war beeindruckt. Etwas so großes auf ein Schiff zu bekommen musste schwer gewesen sein, da zollte ich den Alumen meine Achtung. Nun lag es aber verwaist und nutzlos dort, immer noch gespannt und auf die Mauer Cirmaens gerichtet.

Ich stand am Bug und erblickte, wie es um die Feste stand: Immer noch versuchten Schiffe mit Türmen die Feste zu erreichen, doch wurden stetig von Feuerpfeilen zurückgedrängt, derer die Verteidiger aber nicht unzählig besaßen und irgendwann deshalb aufgeben müssten. Unten am Tor hatten die Böcke dieses längst erreicht und rammten ihre Schädel gegen das Eisenholz in dem Versuch es zu knacken, was ebenso früher oder später gelingen musste. Die Pfeile von oben staken nutzlos aus ihren Dächern heraus und selbst Brandpfeile blieben nur stecken und brannten kurz, bis sie erloschen. So würden es die Verteidiger also niemals schaffen – und in diesem Augenblick kam eine Idee zu mir.

Das Katapult bot sich mir doch bereits gespannt, wartend auf seine Nutzung – warum also es warten lassen? Auf kreisförmigen Schienen befestigt konnte man es hin und her drehen, sich ein Ziel suchen. Schwer ließ es sich bewegen, doch war ich ja auch allein. Also warf ich mich so gut es ging gegen das Drehholz und schob das Katapult ein Stückchen zur Seite. Ich konnte nicht richtig einschätzen, worauf genau es nun deutete, aber gäbe es sicherlich genügend Angriffsflächen, und so löste ich einfach den Spannhebel und ließ seine Ladung fliegen.

Nicht gerade wenig staunend sah ich die Überreste der feindlichen Böcke auf der Brücke stehend, als mehrere große Steine auf sie niedergeprasselt waren. Auch die Schilde hatte es getroffen, doch sah ich von ihnen außer Kleinholz kaum noch etwas. Die restliche Bande stand nun schutzlos dem Feuer von der Mauer gegenüber und verlor daraufhin ihren Mut. Plötzlich und wie eine Meute Tiere wendeten sie und drängten zurück, dabei etliche der ihren von der Brücke schubsend.

Als ich das sah, wusste ich nicht ob Lachen oder Weinen angebracht war. Doch war es gut für die Feste, die von einem Druck erlöst sich den restlichen Schiffen zuwenden konnte. Nun stand aber auch ich auf einem solchen und meinte bald sich auf mich stürzende Krieger Alumas hören zu müssen, doch blieb alles still um mich herum, während weiter hinten auf Deck man immer noch kämpfte. Der naheste feindliche Krieger, der im Kampf mit einem abgestürzten Flieger sich befand, sah bald meine Klinge auf sich zukommen, die er nur einige Male vermeiden konnte. Zuletzt befand auch er sich im Wasser und ich war bereit mich dem nächsten zu stellen – doch was war das? – Wieder kam nicht einer auf mich zu.

Und erneut blieb ich ruhig und in Deckung, um auch keinen auf mich aufmerksam zu machen, als ich gen Hauptdeck schlich, wo sich die Brücke befand. Hier endlich fand ich Gegner, und deren gleich zwei, die auf mich eindrangen während ich die Treppe hinauf kam. Es ging hin und her, rauf und runter, dann flog der erste von ihnen neben mir ins Nass. Der Zweite rief mir Beleidigungen in seiner Sprache zu, spuckte und fluchte wie ein besessenes Weib, doch brachte dies ihm auch nicht mehr als sein Vorgänger. Endlich dann stand ich oben nah dem Steuerrad, welches der Steuermann gerade verließ, die Hände waffenlos erhoben.

Ich ergebe mich freiwillig! Rief er, doch plötzlich zuckte er herum und sprang mit großem Anlauf hinab ins Meer.

Mich über die seltsamen Alumen wundernd erlangte ich nun das Steuer für mich selbst und fühlte mich für einen kurzen Augenblick wie der König der Meere. Nie zuvor hatte ich ein Schiff steuern können und kannte mich deswegen auch kaum mit der Steuerung aus. Ich hätte gar nicht gewusst, was mit diesem Ungetüm anzufangen ist, hätte nicht eine plötzliche Bö die Segel erfasst und das Schiff vorangetrieben. Kurz vermochte ich mich noch zu wundern, warum das Schiff nicht einfach segellos ruhig vor Anker gelegen hatte, da war ich auch schon stark mit dem Ruder beschäftigt, um aus diesem Umstand noch etwas Nützliches hervorzubringen.

Voraus erblickte ich einen ganzen Haufen alumischer Turmschiffe, dich gedrängt vor der Mauer wartend, dass sich kaum eines bewegen konnte. Halb aus Willen, halb aus Unfähigkeit etwas anderes zu tun steuerte ich unser Schiff mitten dort hinein. Unter mir verharrten die Krieger langsam in ihren Kämpfen, blickten zunächst erstaunt, bevor das Unvermeidliche käme. Dieses stellte sich als großes Krachen und Rumpeln vor, als die Schiffe alle ineinander stießen, wenngleich auch Männer auf ihnen allen schrien und an Rudern ruckten.

Ich aber hatte ebenso nicht recht vor auf diesem treibenden Holz zu bleiben und tat es den anderen Kämpfern gleich, welche ich im Nass begrüßen durfte. Hinter uns aber fingen die Schiffe eines nach dem anderen Feuer, als die Brandpfeile niedergingen und sich keines mehr vor dem anderen retten konnte, selbst wenn es aus dem Zusammenstoß unbeschadet hervorgegangen war.

Nach einer Weile konnte ich mich endlich an den Hängen entlang zu einer Stelle treiben, von der ich das Meer verlassen und wieder Erde betreten konnte. Einige der unsrigen Krieger waren mir bereits zuvorgekommen. Die Tore der Feste hatten sich geöffnet um Kämpfer hinausströmen zu lassen, die nach Narrkuva zogen um die Alumen endgültig zu vertreiben.

Ich aber wurde von einigen Zurückbleibenden erkannt und feierlich in die Feste geleitet, da man bereits über meine – so oft unfreiwilligen – Heldentaten berichtet hatte. Während ich mich erholte und vom Galryrm höchstselbst belobigt wurde, focht Maraine tin Arath die letzten Kämpfe aus und kehrte nach wenigen Tagen aus einem befreiten Narrkuva zurück.

Doch damit hatte alles erst begonnen; es gab noch viel zu tun.


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Der A’Lhumakrieg – XI: Wie sich das Gewitter staute.

Juni 27, 2016

Mein Name ist Acles Tovan Mhoretoan. Ich schreibe dies in einer Zeit der Ruhe, auf dass ich es später nicht vergessen mag. Ursprünglich kam ich aus dem fernen Zardarrin, doch zog es mich fort. Von meinen jungen Jahren gibt es genug Geschichten, lasst mich nun bloß von dem Krieg zwischen A’Lhuma und Tarle berichten.

Damals nannte ersteres sich Aluma und hieß zuvor Sacaluma, doch hatte gerade ein neuer Herrscher die Macht an sich gerissen, als ich aus dem Westen heimkehrte. Das dortige Volk des Echris Sirenn sowie die Tarler waren bereits meine ewigen Freunde geworden, da wollte ich erfahren, was in meiner Heimat geschehen war. Ich wusste also nicht, was mich erwarten würde, als ich die Lande des Echris Sirenn verließ. In Badros aber hörte ich bereits schlimme Nachrichten.

Die Alumen griffen Tarle an, verkündete man, und ich musste mich zunächst erkundigen, wer denn die Alumen seien. Nachdem dies geschehen war, erfuhr ich weitere Neuigkeiten, die man sich zu erzählen wusste: Das Wüstentor Kuthaern war erobert, Gulrunn und Narrkuva bedrängt. Kämen Begghyrn und Cirmaen – und anschließend Badros – als nächstes? So gut es ging versuchte auch ich das Volk zu beruhigen, denn noch nie war Tarle erobert worden, so uneins die Festen sich auch manchmal sein mochten. Viele glaubten mir, und so zog ich weiter.

An Gulrunn vorbeiziehend sah ich bereits die Fahnen der Alumen über den Zinnen gehisst und wusste hier nichts mehr tun zu können. Das Land um die Feste war verwüstet, Dörfer geplündert und verbrannt und zahlreiches Volk befand sich auf der Flucht. Die Feste selber schien aber größtenteils weiter bestehend. Als ich mir die Stadt ansah erkannte ich, dass ein Großteil der feindlichen Armee wieder abgezogen war – nach Norden, wie mir die Bürger verrieten.

Not und Elend sah ich in der Stadt und wusste, dass ich dem Volk von Tarle helfen musste. Einige kräftige Burschen waren der Stadt verblieben, die gegen die Besatzer kämpfen wollten. Einen von ihnen kannte ich noch von früher und mit seiner Hilfe überzeugte ich auch die anderen, dass es vorschnell wäre das Schwert zu erheben. Stattdessen sollten sie die anderen Festen um Hilfe bitten und in Kampfbereitschaft versetzen, derweil ich mich entschloss in die feindliche Armee einzudringen und ihre Pläne zu erfahren.

Nach Tagen der Verfolgung fand ich den Haufen endlich lagernd vor Badern – einer alumischen Stadt. Badern schien nicht zum ersten Mal in den letzten Monden eine Armee bei sich gesehen zu haben. Volk auf der Straße erzählte von den Ängsten, dass eines Tages diese oder andere Armeen vielleicht gegen ihre Stadt und Dörfer ziehen könnten. Andere sprachen von den Vorteilen, die diese fremden Krieger ihnen bringen würden, doch waren Leute jener Art in der Unterzahl.

Die Armee war mittelgroß; vermutlich waren die größeren Streitkräfte woanders. Sie hatten sich eine Zeltstadt erbaut, die Badern an Fläche gleich kam, und sie mit flachen Erdwällen und dort hineingerammte Pfähle gesichert. Wen sie wohl schreckliches erwarten konnten, den eine solche Verteidigung abschrecken müsse? Die Wachen am Eingang waren zumindest kaum – wachsam. Ein kleiner Strom von Volk ging ein und aus: Krieger, Händler und sogar Bauern. Die letzteren mochten Nahrung und Handelsgüter bringen.

Ich weiß nicht, für was sie mich hielten, doch musterten sie mich nur flüchtig, als ich selbstbewusst das Lager betrat. Vermutlich aber sah ich für sie aus wie viele der Krieger in diesem Lager, stellte die Armee sich doch als bunt zusammengewürfelter Söldnerhaufen heraus, der keine einheitlichen Farben, Ausrüstungen oder Wappen kannte.

Einen Tag und eine Nacht verbrachte ich bei diesem Haufen. Wild und planlos waren sie gepflanzt, diese Zelte und andere Lagerstätten. Mal tummelten sich mehrere, mal nur ein Krieger vor so einem Zelt als es dunkler wurde, um ein Süppchen zu kochen. Einem dieser ahnungslosen Gesellen verdanke ich viele Worte über das Ziel des Heeres sowie sein Zelt als Schlafplatz. Wie ich dies anstellte will ich nun schildern.

In einer dunklen Hintergasse fand ich diesen Krieger wie er über einer kleinen Feuerstelle umgeben von Stoffzelten hockte. Ihn grüßend setzte ich mich zu ihm und fragte ob ich auch etwas bekommen könnte. Mich misstrauisch beäugend willigte er schließlich ein. Wahrheitsgemäß erzählte ich im Lager neu zu sein und fragte nach Neuigkeiten. Es dauerte eine Weile das Eis zu brechen, doch nachdem er mir vertraute, wurde er zum wahren Wasserfall. Von Gulrunns Eroberung sprach er und wieviel es dort zu erbeuten gab.

Der Hauptmann hatte uns verboten zu plündern und zu vergewaltigen, sprach er, doch mal ehrlich; wer könnte da widerstehen? Ich hatte viel Spaß in einem der Häuser dort!

Und dann lachte er ein dreckiges Lachen, dass mir wahrhaftig schlecht werden ließ, doch musste ich gezwungenermaßen in sein Lachen einstimmen.

Es gab also viel zu holen, sagte ich, doch wann könnte ich auch etwas bekommen?

Da tat er geheimnisvoll, doch weihte mich ein, dass das nächste Ziel Cirmaen sein würde, und dass ich dort auf meine Kosten kommen würde. Ehrlich überrascht wunderte ich mich. Cirmaen galt doch als uneinnehmbar, doch der Mann versicherte mir, dass dort angelangt eine Geheimwaffe auf das Heer warten würde. Auf meine drängenden Fragen was dies sei wusste er nichts zu antworten, also bot er mir stattdessen etwas von seinem billigen Wein und wollte auf den Untergang Cirmaens und Reichtum für uns anstoßen. Da ward ich seiner überdrüssig, schlug ihn nieder, fesselte und knebelte und versteckte ihn so gut es ging, dass eine Weile lang ihn keiner finden könnte.

Immer noch wusste ich nicht genug und ging im Lager umher, auch anderen zu lauschen. Die Söldner sprachen über für mich belanglose Dinge wie ihren daheimgebliebenen Familien und Frauen sowie über für mich abstoßende Dinge wie ihre erfolgten Plünderungen, Vergewaltigungen und Tötungen Unschuldiger, dass ich sie am liebsten sofort erschlagen hätte. Doch zügelte ich mich und vernahm auch Nützliches.

Am brauchbarsten war es hierbei eine Gruppe von Hauptleuten aus dem Dunkel heraus zu belauschen, wie sie in einem großen Zelt Besprechung hielten. Am nächsten Morgen wollten sie die Truppen in Bewegung setzen, damit es sich in Daminro mit einem zweiten Heer, in dem auch ein hoher Adliger namens Somm Orichin wäre, vereinigen könnte. Dieses Heer schien der König selbst zu führen und sofort hätte ich meine Hände an ihn gelegt, hätte ich doch nur einen Pfad in sein schwer befestigtes Zelt gefunden. So blieb aber nur den Hauptleuten zu lauschen.

Ab Daminro sollte es weitergehen gen Nordwest zum Meer, wo sie aus einem kleinen Hafen hinaus nach Narrkuva fahren wollten. Narrkuva war schwer zu erreichen, doch leicht zu erobern, so dass sie von dort über die Brücke nach Cirmaen könnten. Derweil blieb in Gulrunn nur eine kleine Besatzung, die aber bald aus dem Osten verstärkt werden würde. So hoffte ich, dass die von mir entsandten Boten die anderen Festen schnell erreichten um Gulrunn zurückzuerobern, bevor diese Verstärkung käme und entschloss mich selber nach Cirmaen zu bringen um es zu warnen.

Da keiner der Hauptleute über eine Geheimwaffe sprach und es spät wurde, legte ich mich bald erschöpft im Zelt des niedergeschlagenen Söldners zur Ruhe. Nach wenigen Stunden Schlaf erwachte ich vor allen anderen, stahl mir von der umzäunten Weide ein Reittier und entschwand gen Narrkuva. Der Weg dorthin war einigermaßen schwierig. Da Krieg herrschte gab es verstärkte Zölle und Straßenwachen, denen ich bis Daminro jedes Mal gut ausweichen konnte. Dort erblickte ich die im Schatten des Waldes lagernde Armee bereits, zigmal größer als das Heer in Badern, doch hielt dafür nicht an.

Im Dorf Maen-am-Meer war es schwer eine Überfahrt nach Narrkuva zu bekommen. Zwar herrschte hier noch kein Krieg, doch niemand wollte es wagen. Allerdings fand ich einen Fischer, der aus dem Dorf fliehen und mir deshalb sein Boot für mein Tier bieten wollte. Zwar war ich kaum das Segeln gewöhnt, doch irgendwie schaffte ich es nach Narrkuva, das sich der Gefahr noch gar nicht recht bewusst zu sein schien.

Lange versuchte ich das Volk zu warnen, doch konnten sie nicht so recht daran glauben. Und selbst wenn sie es getan hätten – Narrkuvas Schutz war das Meer, keine Mauern oder Waffen. Wenn es jemand schaffte es zu erreichen, konnte es sich nur ergeben. Also verließ ich es, eilte die Brücke entlang nach Cirmaen. Diese Feste liegt im Tal der meernahen Berge, seinen einzigen Zugang riegelt eine gewaltige Mauer ab, geschützt von Türmen und dem Meer.

Im Torhaus auf der Brücke vor der Feste tat man wie gewöhnlich seinen Dienst. Zwar war die Feste durch Nachrichten aus Kuthaern verteidigungsbereit, doch erkannten die Wächter mich noch von früher und ließen mich ein. Innen erblickte ich das Volk der Stadt, das kaum Angst aufwies, vertraute es doch auf die Stärke seiner Feste und seinen Galryrm. Diesen Galryrm aber galt zu warnen, doch – wie? Ich kannte ihn nicht, noch die Wächter zu seiner Burg und Einlass für Fremde gab es nicht. Überlegend wanderte ich durch die Stadt, bis ich diesen würfelspielenden bärtigen Hauptmann erblickte.

Als er seinen Gegner besiegt hatte, bot ich an für diesen einzusteigen und stellte mich vor. Mich erkennend freute er sich über diese Herausforderung und nannte sich selber Maraine tin Arath. Das Spiel dauerte nicht lang, hatte ich doch schnell sein Vertrauen gewonnen und ihm von der marschierenden Armee erzählt. Zwar war auch er sicher, dass die Mauern diese abhalten würden, doch stimmte er mir zu, dass der Galryrm davon erfahren müsse. Mich zur Burg bringend befahl er uns Einlass zu geben und nach Rücksprache mit dem Galryrm ließen uns dessen Leibwächter hinein.

Mallan war bereits in Cirmaen geboren und nun seit zwanzig Jahren dessen gewählter Galryrm.

So, ihr seid also Acles Tovan Mhoretoan – Maraine erzählte mir von euch, sprach er, doch ich hörte noch nie zuvor von euch – und Fremden kann man in diesen Tagen nicht trauen.

So war es also – er vertraute mir nicht. Viel Überzeugungsarbeit auf mich zukommen sehend fing ich damit an. Ich fragte nach der Erlaubnis von meinen letzten Erlebnissen berichten zu dürfen und bekam sie. Von der Eroberung Gulrunns hatte er gehört, was für ihn zwar beunruhigend, doch noch nicht fürchterlich war. Von dem Heer in Badern hörte er mit Interesse und lachte gar darüber, dass ein ’so kleines Heer‘ ganz Gulrunn bezwungen hatte. Bei der Schilderung der Armee in Daminro wurde sein Blick aber nachdenklich und als ich erzählte, was mir der Söldner in Badern gesagt hatte, sprach er dazwischen.

Ich glaube noch immer nicht, dass ein König von Sacaluma – Aluma, berichtete ich ihn – so verrückt sein könnte uns hier in Cirmaen angreifen zu wollen, sprach er. Wir haben die dicksten und höchsten Mauern und fähigsten Krieger von ganz Tarle – und stärker als Tarle ist niemand. Trotzdem will ich eure Warnung zumindest überprüfen lassen, also seid mein Gast bis meine Boten aus Narrkuva zurück sind.

Damit entließ er uns und ich musste einige Tage untätig in Cirmaen verbringen, derweil die Feinde immer näher rückten. Wäre es nicht um das mir geliebte Volk von Tarle gegangen, ich mochte mich aus dem Streit herausgehalten haben. So aber stellte mich Maraine den anderen Hauptleuten sowie seinen eigenen Kriegern vor und von allen erhielt ich die Erlaubnis, sie auf einen Angriff vorzubereiten. Der Galryrm hörte zwar davon, doch ließ mich gewähren, da selbst bloße Übungen nie schaden könnten. Viele von ihnen lernte ich in diesen Tagen gut kennen und vor allem Maraine selbst mochte ich bald mein Vertrauen schenken.

Am vierten Tag dann war es soweit, dass die Boten aus Narrkuva zurückkamen. Erschöpft und zerritten sollen sie in der Burg angekommen sein, doch verkündeten sie schon unterwegs in der Stadt lauthals, dass Narrkuva erobert worden war. Zusammen mit Maraine eilte ich mich, zum Galryrm zu gelangen. Dieser sah gram- und sorgenvoll aus.

Acles Tovan Mhoretoan… -, ihr hattet Recht, sprach dieser langsam, der wahnsinnige König will uns angreifen. Narrkuva ist bereits sein und schon schiebt er Kriegsmaschinen über die Brücke. Ich gebe an all meine Hauptleute den Befehl, die Verteidigung vorzubereiten.

Da fragte ich ehrerbietig darum, bei dieser Aufgabe mithelfen zu dürfen.

Sucht euch einen meiner Hauptleute aus, sprach er, ihr könnte euch ihm anschließen.

Und so kam es, dass ich als rechte Hand des Hauptmannes Maraine tin Arath durch Burg, Stadt und Feste eilte, alle für die Verteidigung zusammenrufend. Zwei Tage sollten uns für die letzten Vorbereitungen bleiben, bevor der Feind angriff. Und selbst das Volk der Stadt kramte seine Waffen und Bögen heraus, um im letzten Falle ihre Stadt von den Dächern ihrer Häuser aus zu verteidigen. Doch soweit wollten wir es nicht kommen lassen.

Und dann kam der Tag des Angriffs.

 


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Der A’Lhumakrieg – X: Eine Überraschung kommt selten allein.

Juni 20, 2016

Die Rückkehr von Asmyllis traf uns alle vollkommen überraschend – alle, bis auf Crear, der wohl von seinen Agenten schon unterrichtet worden war. Ihr Gespräch an diesem einen Abend schien Ewigkeiten zu dauern, so dass ich Somm Orichin die Empfehlung gab, die Festlichkeiten wieder aufleben zu lassen, bevor es zu größeren Tratschereien kommen konnte.

Trotzdem entstanden diese natürlich, wobei ich hauptsächlich über Caeryss und die Mägde mitbekam, was man sich so erzählte. Angeblich kam es hinter verschlossenen Türen zum Streit zwischen Tante und Neffe. Asmyllis soll ihm geradeheraus gesagt haben wie sehr er sich schämen müsse, das Andenken seines Vaters beschmutzt zu haben, indem er nach der Macht griff und dafür auch über Leichen ging. Auch solle ihr die Entwicklung in der Burg nicht gefallen – die Leute, mit denen Crear sich hier umgab – die Veränderungen, die er an der Ausstattung vorgenommen hatte. Fast alle Gerüchte gaben dieses Bild der Tante, die ihren Neffen niedermachte, ungeachtete der Tatsache seines Ranges. Wenige schienen zu glauben, dass nach den langen Jahren der Trennung diese Beiden auch froh sein könnten einander zu sehen.

Wie Crear wohl bei diesem Treffen handelte, darüber waren die Meinungen tiefer gespalten. Dienstmädchen behaupteten ihn im Raum brüllen zu hören, andere sprachen von Lachen. Viele meinten, er hätte Asmyllis auf ihre Rede hin gedroht einzusperren oder hängen zu lassen, einige glaubten an den freundlichen Jungen. Wie auch immer – Tatsache ist, wir werden wohl nie erfahren, was hinter der verschlossenen Tür geschah.

Keiner der beiden sprach später noch einmal darüber, selbst mit ihren engsten Vertrauten nicht – oder ich war kein Vertrauter Crears mehr. Jedoch verhielten sie sich zueinander recht gewöhnlich – nicht wie die große Tante zum kleinen Neffen, aber wie Verwandte. Unter Beobachtung anderer sprachen sie über keine großen Belange, doch behandelten sich mit einer gewissen Ehrfurcht.

Zu ihren anderen alten Freunden war Frau Asmyllis herzlich wie früher. Den ersten Tag verbrachte sie lange in einem Gespräch mit der alten Gouma, die sich wohl am meisten gefreut hatte sie wiederzusehen; auch die Mägde umschwirrten sie häufig. Ich sprach nur wenig mit ihr, hatte ich doch wie früher schon zuviel Furcht etwas falsches zu sagen. Den fremden Adligen begegnete sie teils unverhohlen mit Misstrauen; über die Söldner verlor sie kein Wort, widmete ihnen höchstens abfällige Blicke.

Bereits sehr bald reisten diese aber auch wieder ab – zusammen mit Crear. Sie fuhren über das Meer gen Westen um in den Steinhügeln am Rande der Wüste anzulegen und dort die Feste Kuthaern – Wüstentor – zu belagern. Diese lag abseits des restlichen Tarles und war sehr überrascht angegriffen zu werden, so dass sie niemals lange hätte widerstehen sollen. Trotzdem kam Crear mit einigen Einheiten nach wenigen Tagen Belagerung bereits zurück zu uns, weitere Pläne verfolgend.

In der Zeit seiner Abwesenheit war Frau Asmyllis ihrer Mutter Teule mehr als einmal aus dem weg gegangen; den endgültigen Zusammenstoß durfte ich miterleben, geschah er doch ausgerechnet vor meinem Schreibtisch. Ich war gerade mit Asmyllis im Gespräch, da kam Teule herein, wohl etwas von mir wollend.

„Ach, Tochter – du hier? – na dann hoffe ich mal nicht zu stören! -“

„Ja, ich auch hier – immerhin darf ich handeln wie ich will.“

Teule beachtete sie nicht sondern wandte sich an mich. „Wird es lange dauern? Ich muss mit euch sprechen.“

Asmyllis antwortete für mich. „Keine Sorge – ich wollte gerade los.“

„Wieder für Jahre im Nirgendwo verschwinden?“ Konnte es wirklich sein, dass Teule sich Sorgen gemacht hatte? Oder war sie bloß beleidigt, nicht bestimmen zu können was ihre Tochter tat?

„Keine Angst, so schnell wirst du mich diesmal nicht los – ich werde nicht noch einmal zulassen, dass Lurut derartiges angetan wird.“

Nun endlich schloss auch Teule die Tür hinter sich – noch mehr tratschende Dienstleute konnte ich zu der Zeit sicher nicht gebrauchen. Sie antwortete mit gefährlich freundlich wirkender Miene. „Wovon sprichst du, mein Kind?“

„Lurut war einst ein ruhiger Ort unter Gurass, der nichts weiter wollte als in einem ruhigen Reich leben. Doch wie hat dein Großneffe es nicht verändert! Gefährliche Leute gehen hier ein und aus, in der Stadt werden sogenannte Verräter gehängt, auf den Stadtmauern thronen Schädel erschlagener Gegner und ein Feldzug nach dem anderen soll seine Macht vergrößern! – und ich hörte, du warst ihm die wichtigste Ratgeberin!“

„Du musst dich irren, mein Kind – niemals habe ich ihm etwas Böses geraten – und die meiste Zeit beachtete er mich eh nicht.“

„Vielleicht hat er erkannt, dass du noch schlimmer bist als er!“

Darauf sagte Teule nichts, führte bloß ihren verletzten Ausdruck vor.

Asmyllis wollte aber wohl noch nicht gewonnen haben. „Sein Vater war der Einzige in dieser Familie, der nicht herrsch- und streitsüchtig ist. Mit ihm verschwanden alle Tugenden aus Lurut. – Ich bin von euch enttäuscht, euch allen – nicht nur von Crear und der Familie, vor allem aber auch von dir.“

Als ihre Mutter immer noch nichts sagte, drängte sie sich an dieser vorbei zum Ausgang und verschwand.

„Dieses Kind…“ Teule seufzte und wandte sich mir zu. „Ich muss mit euch über diese Magd sprechen – Caeryss.“

Verwundert horchte ich auf. „Was ist mit ihr?“

Als Crear wieder nach Lurut zurückkehrte erfuhr er zunächst, dass Louvis aus dem Kerker verschwunden war. Die Hauptverdächtige war ausgerechnet Caeryss, die seit diesem Vorfall ebenso vermisst wurde. Crear war nicht gerade guter Laune, als er von diesem Vorfall erfuhr.

„Errist! – bring mir diese Magd, und wenn du die ganze Stadt – nein, das ganze Land! – auf den Kopf stellen musst! Und vor allem aber finde Louvis – und lass ihn nicht noch einmal entkommen!“

Ich sah mich genötigt einzuschreiten. „Herr – Crear! – hör mich bitte an!“

Crear schien kurz vor einem seiner Anfälle zu stehen, doch gewährte er mir diesen Wunsch.

„Ich kenne Caeryss – fast besser als mich selbst – auch wenn sie vielleicht Mitleid mit Louvis hatte, niemals hätte sie dich so verraten!“

Mit einem Aufschrei schlug Crear mitten gegen einen Pfeiler, bevor er plötzlich ruhig wurde. „Und was schlägst du vor?“

„Behandle sie nicht schlecht – bitte! – frage sie, warum sie verschwunden ist – vielleicht nahm Louvis sie gefangen – lass sie sich zuerst erklären – lass mich mit ihr sprechen, sobald sie wieder hier ist!“

Und tatsächlich willigte Crear ein. „Gut – du wirst deinen Willen bekommen – der Freundschaft zuliebe.“

Caeryss wurde nicht rechtzeitig gefunden, um ein wahrhaft schreckliches Ereignis mitzuerleben. Crear traf bereits wieder Vorbereitungen die Stadt zu verlassen, diesmal um Tarle selbst im Süden des Reiches, von Daminro aus, anzugreifen. Somm Orichin war schon vor Wochen heimgekehrt dies vorzubereiten, derweil nun wohl die letzten Söldner bei uns eintrafen. In dieser kurzen Zeit musste ich gleichzeitig mich um Zimmerbelegungen, Essen und so weiter, als auch um die Suche nach Caeryss kümmern.

Zwangsweise vernachlässigte ich andere Freunde und Bekannte und bemerkte so nicht, wie es der alten Gouma immer schlechter ging. Das letzte Mal hatte ich sie einige Tage zuvor gesehen und gesprochen. Nun musste ich plötzlich an sie denken, während ich in der Küche an Caeryss‘ Statt die Mägde überwachte – und kurz darauf kam ein aufgeregter Diener hereingestürzt.

„Herr Eilzen! – kommt schnell zu Frau Gouma!“

Besorgt durch seinen Tonfall eilte ich mich so gut es ging, ihm zu folgen. Vor Goumas Kammer hatten sich bereits Schaulustige versammelt, derweil darinnen drei Kräuterfrauen neben ihrem Bett knieten.

„Verschwindet – an die Arbeit!“ Ich verscheuchte die Gaffenden und drängte mich in die Kammer, die Tür hinter mir schließend.

Klein und kraftlos lag dort Gouma in den Laken – wie auf die Welt gekommen, so sollte sie diese auch verlassen. Eine Frage bildend sah ich eine der Kräuterfrauen an, doch diese schüttelte den Kopf – und ich verstand.

„Lasst uns bitte allein.“

Meinen Wunsch folgend verließen die Frauen das Zimmer und ich blieb mit ihr allein. Ich weiß nicht, wie lange ich so blieb, wie lange ich dort ausharrte. Sie erwachte nicht mehr – zu merken, dass sie nicht mehr atmete, versetzte mir einen Stoß. Noch länger blieb ich dort, kniend und weinend, da klopfte es an der Tür.

Es war Asmyllis, die hiervon gehört hatte und gekommen war zu sehen, wie es uns ging. Als auch sie sah, dass Gouma uns verlassen hatte, kniete sie neben mir. Wir vermochten uns gegenseitig wieder Mut zu geben, dass es Gouma bei den Göttern gut gehen würde, und verließen bald die Kammer. Immer noch standen viele dort herum, nun sogar auch der Hofmeister Pyn, die bei unserem Anblick alle in unsere Trauer einzustimmen vermochten. Die halbe Burg wurde auf diese Weise gelähmt, als alle um ihre teuerste Freundin trauerten.

Als Crear dies endlich bemerkte, kam er zu uns herab gestiegen. „Was ist hier los? – Warum arbeitet ihr nicht?“

Schweigend deutete ich auf Goumas Tür.

Jemand anders sprach. „Unser aller Mutter Gouma ist von uns zu den Göttern gegangen.“

Kurz schlich sich ein unbekannter Ausdruck in Crears Züge, bevor sie hart wie Stein wurden. „Trotzdem muss es weitergehen. – Also – zurück an die Arbeit!“

Auch Errist, der mittlerweile stets an Crears Seite war, mischte sich nun ein. „Ihr habt euren Herrn gehört – los!“

Für das einfache Volk gab es keine Feiern; ihre Körper wurden auch nicht verbrannt. Crear hätte dafür sorgen können, dass Gouma trotzdem diese Ehren zuteil werden würden, doch er verlor kein Wort darüber. Darum stahlen sich einige von uns, darunter auch die Frau Asmyllis, mit Gouma unter uns aus der Burg hinab an den See. Zwar waren einige der Soldaten auf unserer Seite, doch hatte sicherlich jemand Crear davon unterrichtet, dass entgegen herrschenden Gesetzen in der Nacht eine Frau am See verbrannt worden war -. doch verlor er kein Wort darüber, ließ uns nicht verhaften.

Bis heute bin ich schwer enttäuscht, dass er selber nicht zu unserer Trauerfeier erschien und auch sonst kein Wort über dies Geschehen verlor. Doch konnte ich auch nichts daran ändern, jedes Wort über die Feier hätte uns bedroht und Crear war wahrhaftig schwer mit Vorbereitungen beladen. Allerdings gab es noch mehr, dass Crear von der Beschäftigung mit Gouma abhielt, und dies war die Herrin Emmistat. Nach ihrer Ankunft hatte ich ihr ein Gemach nah bei Crear geben sollen und dem gehorchend wies ich ihr das zwei Türen weiter links davon zu. Fortan sollte sie frei auf der Burg leben doch schien sich mehr gefangen zu fühlen: Kaum wagte sie sich vor die Tür und wenn immer eine Magd mit ihr herumgehen wollte, sah sie nie glücklich aus in ihrer Haut.

Erst Frau Asmyllis gelang es so recht, sie vor die Tür zu locken. Fortan war sie meist mit dieser zusammen im Garten zu sehen. Sprachen die beiden Frauen miteinander, sah Emmistat zuweilen tatsächlich glücklich aus; war Asmyllis dann gegangen und Crear schlich herbei ihren Platz einzunehmen, verschlossen sich ihre Züge und allen Anwerbungsversuchen Crears zum Trotz blieb sie abweisend. Einmal nur gelang es mir sie zu fragen, warum sie Crear nicht bei sich haben wollte.

„Mein Vater, meine Brüder, mein Verlobter – sie alle starben durch seine Hand und sein Wort. Er hätte die Macht gehabt sie leben zu lassen. Auch wenn ich meinen Verlobten nicht mochte und mich mit dem Bruder oft stritt, so liebte ich diesen und meinen Vater doch. Bis heute unternahm Crear nichts, aufgrund dessen ich ihm diese taten verzeihen könnte.“

Ich seufzte. „Also werdet ihr ihn niemals lieben oder als Ehegatten nehmen können.“

Da sah sie mich überrascht an. „Warum liegt es euch am Herzen, dass ich ihn liebe?“

Bis zu dem Augenblick hatte ich gar nicht gewusst, dass dem so war, weshalb ich auch überlegen musste. „Crear war nicht immer so. Er – ist mein Freund und war es schon immer; es gibt auch andere Seiten an ihm als die, die ihr nun kennenlerntet. Ja, auf eine gewisse Art – liebe ich ihn immer noch – wie einen Bruder.“

Ich weiß nicht ob ich Emmistat umstimmen konnte, doch schien sie Crear näherzulassen. Dass dies einem anderen Zwecke diente, erfuhr ich erst später.

Crear war gerade wenige Tage nach Süden aufgebrochen, um in Tarle die Feste Gulrunn zu erobern, da tauchte Caeryss wieder auf. Ein mir Vertrauter erstöberte sie in einem Dorf unfern Luruts. Ich brach sofort selber auf mit ihr zu sprechen, bevor etwas Schreckliches geschah. Frau Asmyllis bestand darauf mich zu begleiten, worin ich nichts schlimmes sah.

In dem Dorf angelangt trafen wir Caeryss vor einer Gaststätte. „Du erklärst uns lieber schnell, was dich zu deinem Verschwinden bewog. Alle denken du hättest Louvis befreit, und darauf steht der Tod.“

Caeryss beachtete das nicht. „Kommt schnell mit, Euliste hat gerade ihr Kind bekommen!“

„Euliste? – Aber -“ War sie nicht stets in der Burg gewesen? Und wann war sie schwanger geworden?

Wir folgten ihr und fanden Euliste dort im Kindbett – verstorben.

„Sie schaffte es leider nicht.“ Caeryss blickte trauernd.

Asmyllis aber ließ sich am Bett nieder und nahm eine Hand der Toten. „Oh Base, was ist nur mit euch geschehen?“

Ich war bloß erstaunt, Caeryss gar entsetzt. „Base? – Aber – das ist das Kind von König Crear!“

Und wie zur Antwort fing es an zu schreien.


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Der A’Lhumakrieg – IX: Verlorenes erscheint meist unerhofft.

Juni 13, 2016

Einst gab es einen kleinen Jungen, der mir fast wie ein Bruder war. Meine Ziehmutter war seine Amme und obwohl ich älter war, waren wir wie Geschwister. Dieser Junge wuchs in einer feindlichen Umgebung – seiner Familie – zum Manne heran und ward bald unser Oberhaupt. Eines Frühlings zog er zum Geburtstag des Königs aus – und kam selber als König zurück. Wenig hatten wir von dem vernommen, was im restlichen Reich geschehen war, wenn auch uns eine erschreckend große Zahl Leibwächter zurückgelassen wurde. So schien es kaum verwunderlich, wie schwer wir bei Crears Heimkehr überrascht waren.

Natürlich hatten uns Boten sein Kommen mitgeteilt und alles war eifrig damit bemüht, für ihn und seine Begleiter die Burg vorzubereiten – doch so recht wussten wir noch nicht, was da auf uns zukam. Crear brachte eine Handvoll Adliger und deren Begleiter, seine eigenen Leibwachen sowie einige Söldner der Tolum, Icran und Saldān mit sich – ein großer und bunter Haufen, den unterzukriegen für uns schwierig wurde. Unsere Befürchtung hatte damit bewahrheitet, dass diese rauen Gesellen wieder unseren Burgfrieden stören könnten.

Doch all das war bald vergessen – oder zumindest verdrängt – als Errist beim Erreichen des Burghofs für Crear ein Heil dem König forderte. Diese Neuigkeit dann verbreitete sich wie ein Lauffeuer, während Errist sich bei Hofmeister Pyn erkundigte, ob der Thronsaal bereit war und keine Störungen zu erwarten seien. Als dieser angab, dass dem so sei, zogen Crear und seine wichtigsten Untertanen sogleich in den Thronsaal, wozu sich auch die verbliebenen Hofadligen und Reste der Familie sowie die höchsten Diener gesellten. Dem Rest aber wurde der Blick auf das Folgende verwehrt.

Auf seinen Thron sitzend blickte Crear auf die Versammelten herab, derweil Errist sein Sprecher wurde.

„Bewohner der Burg Lurut – Adlige des Landes – werte Besucher – huldigt eurem König!“

Die meisten schienen zu verdutzt um sofort zu handeln, doch gelang es nach und nach – und wenn erst durch freundliche Anstubser – alle vor Crear sich verbeugen zu lassen, bis er selber anfing zu sprechen.

„Danke, meine Freunde – ich kann euch verkünden: wir kommen siegreich aus Barga zurück, um die Herrschaft des Landes in diese unsere Stadt zu tragen.“

In diesem Moment kam ein Adliger, der mir als Tereanv Somm Orichin von Daminro beschrieben wurde, die Krone mit beiden Händen haltend, auf den Thron zugeschritten. „Der König von Sacaluma – Jaster Junoh Sacaeran – ist tot. Gleichsam ist es auch seine Familie, bis auf die edle Emmistat. Ohne männlichen Erben der Familie Sacaeran war es an uns Tereanvs von Sacaluma, uns einen neuen König zu erwählen.“ Damit setzte er vorsichtig die Krone auf Crears Haupt, doch sprach er weiter. „Mögest du lange leben, König Crear Ataurass Elorm.“

Nachdem ihm wieder alle gehuldigt hatten, sah Crear nicht etwa selbstzufrieden, sondern schlicht ernst aus. Er blickte einmal in die Runde, um dann wieder zu uns zu sprechen. „Als meine erste Amtshandlung werde ich dieses Land umformen. Die alte Herrschaft der Sacaeran war lange überflüssig und verdorrt. Wir wollen das Land aber wieder zum Blühen bringen! Als ersten Schritt schließen wir mit dem toten Sacaluma ab und leben fortan in unserem Reich Aluma!“

Ein Raunen ging durch die Menge – erstaunt, missmutig, erfreut.

„Die restlichen Änderungen werdet ihr in den nächsten Monden und Jahren verspüren. Morgen werden wir ein Fest geben, dies alles zu feiern – kommt alle!“

Dies erfreute den Großteil der Menge schon mehr. Danach wurde die Versammlung aufgelöst und wir alle gingen unserer Wege, fast immer in Gruppen tuschelnd über alles was kam und noch kommen wollte.

Am nächsten Morgen rief Crear mich früh zu sich, obwohl ich aufgrund des Festes allerhand zu tun hatte. Seine Gemächer immerhin waren noch die alten.

„Du – Herr – ihr wolltet mich sprechen?“

Verärgert sah er mich. „Ich bin und bleibe Crear für dich, hast du das verstanden?“ Als ich verwundert nickte, klärte sich seine Miene – und verdüsterte sich sofort wieder. „Eilzen – du musst mir helfen – ich will Emmistat ehelichen doch weiß nicht, wie ich es ihr sagen soll.“

Meine Verwunderung schien nicht nachlassen zu dürfen. „Du willst – seit wann? Davon wusste ich nichts -“

„Du wusstest auch nichts von meinen Kriegsplänen – du kannst nicht alles wissen – ich will sie, seitdem ich sie das erste Mal sah. Ihr Verlobter ist nun tot und sie braucht einen neuen… – und das Reich eine Königin, die ihm Kinder schenkt – …wahrhaftig, ich liebte sie von Anfang an – wir sind beide von den Göttern geschaffen…“

„Wenn du Emmistat wolltest – warum brachtest du dann Euliste mit hierher? Was ist mit ihr?“

Kurz verdrehte er verärgert die Augen. „Euliste – ja, ich liebe sie, liebte sie schon immer – doch eigentlich… – wie ein Bruder seine Schwester. – Und hier – ist sie sicherer als überall.“

„Weiß sie davon? Weiß sie, wie du fühlst? Wie fühlt sie?“ Plötzlich war es mit peinlich, so mit einem König, einem erfolgreichen Feldherrn zu sprechen. Mich schämend brach ich ab, doch er schien nichts zu bemerken.

„Nein, ich weiß nicht wie es ihr geht. Ist das denn wichtig? Es muss sein – kann nicht anders sein.“

„Du solltest mit ihr sprechen.“

Nach kurzem Schweigen antwortete er lächelnd. „Ja, das werde ich wohl – doch komm, du hast noch nicht auf meine ursprüngliche Bitte geantwortet.“

„Ja – natürlich – Emmistat – ich werde dir helfen, so gut es geht, doch muss das bis nach dem Fest warten – ich habe zuviel zu tun.“

Einen Moment lang sah er mich so ernst an, dass ich fürchtete für meine Anmaßung geköpft zu werden.

„Gut, du sollst deinen Willen haben – aber das war nicht alles, was ich von dir wollte.“

„Was gibt es denn noch?“

Die nächsten Worte trafen mich unvorbereitet. „Sag – willst du für mich Tereanv von Lurut werden?“

Auf meinem Weg zurück in die Küche, wo ich Caeryss und den anderen Aufgaben zuzuweisen hatte, begegnete mir Gouma. „Ach, da bist du ja, mein Junge! Ich muss mit dir sprechen!“

Innerlich seufzte ich auf. „Muss das jetzt sein? – So gern ich auch mit dir plausche; ich habe soviel zu tun…“

„Ja, bitte – es ist wichtig – du musst mir helfen.“

Bei diesen Worten und ihrem flehenden Blick konnte ich nicht widerstehen; ich ging mit ihr in eine Abstellkammer, wo wir ungestört sein würden.

„Was genau ist denn das Problem?“

„Ach – es ist…! – Du kennst doch Euliste?“

Natürlich kannte ich sie, hatte ich doch gerade erst über sie gesprochen.

„Sie ist schwanger!“

Zwar war ich überrascht, doch sah ich da nicht Schlimmes. „Und? Mit Schwangerschaften kennst du dich doch besser aus als ich.“ Langsam erst bemerkte ich, wie aufgeregt und drängend sie war.

„Es ist vom König – von Crear!“

Nun setzte ich mich lieber auf ein Fass. „Was? – woher willst du das wissen? Sie war Louvis Mädchen.“

„Sie hat es mir gesagt – nie hatte sie einen anderen Mann als Crear.“

Ich war fassungslos. „Was erwartest du nun von mir?“

Traurig setzte sie sich neben mich. „Ich weiß es doch nicht – rede mit Crear – das Kind soll nicht als Bastard zur Welt kommen…“

„Von genau dem komme ich grad – er will, dass ich ihm dabei helfe Emmistat zu ehelichen.“

„Oh weh! – Das arme Kind – Euliste!“

„Du erkennst die Schwierigkeiten? Und du weißt, wie eigen er in dem ist, was er will.“

Gouma schien aber nicht zuzuhören. „Das arme Kind!“

Also versuchte ich es anderes. „Du kümmerst dich um Euliste – ich werde mit Crear reden, sobald es mir möglich ist – aber jetzt muss ich dringend in die Küche, sonst können wir das Fest für heute vergessen.“

Damit verabschiedeten wir uns und ich kam endlich in die Küche, wo mich einige kochende Mägde sowie eine aufgeregte Caeryss erwarteten.

„Eilzen! – endlich! Hast du kurz Zeit für mich?“

Mittlerweile war es kein Seufzen mehr in meinem Innern – es wurde mir zuviel. „Aber nur wenn es schnell geht – ich…“

Doch schon zerrte sie mich mit in die nahe Vorratskammer, von verwunderten Blicken der Mägde verfolgt. Als sie die Tür schloss, standen wir im Halbdunkel, so dass ihre Züge nicht mehr sah.

„Louvis!“

„Wie bitte?“

„Louvis! Ich habe Louvis gesehen!“

„Wie – wo hast du ihn gesehen? Er gehört doch gar nicht zu Crears Gefolge.“

„Na das wär‘ auch was – so, wie sie ihn behandeln! – Oh Eilzen! Er hat mich angefleht!“

„Bitte – der Reihe nach…“

„Ja ja – Ich bin in den Keller gegangen um Knollen zu holen – da sah ich, dass die Tür zum verbotenen Flügel geöffnet war – du weißt schon, das Verließ – und neugierig wie ich bin… – drinnen hörte ich weinen – und dann sah er mich – und ich ihn – oh Eilzen!“

„Was ist mit ihm?“

„Sie haben ihn gefoltert – überall diese Wunden!“

„Was hast du gemacht?“

„Er flehte mich an, ihn zu befreien – aber ich bin nur vor Angst weggelaufen – und jetzt bin ich hier.“

„Hm… es tut mir ja leid für ihn – aber da können wir wohl nichts machen.“

„Ja – aber wie kann er nur so grausam sein?“

„Wer?“

„Na Crear – der König!“

Den Kopf voll seltsamer Gedanken machte ich mich nur noch mit halber Kraft an die Arbeit. Doch das Fest bereitete sich nicht von alleine vor und so hatte ich bis zum Nachmittag alle Hände voll zu tun. Für diesen Zeitpunkt kam alles an Adel und Reichtum in der Burg zusammen, das schnell genug aus Stadt und Umgebung hatte anreisen können. Zur Unterhaltung hatte ich nur einige Gaukler aus der Stadt bekommen können, doch schien dies niemanden zu stören, wenngleich Crear einen Großteil der Vorstellung verpasste, da Teule stetig versuchte ihm etwas zuzuflüstern.

Später dann folgte das große Festessen, bei dem sich alle an den von Caeryss und den anderen Mägden unter großer Anstrengung zubereiteten Speisen erfreuen durfte. Zuletzt folgte ein fröhliches Beisammensein bei Musik und viel Wein. Immer wieder sah ich Teule, wie sie sich einen Weg zu Crear zu bahnen versuchte, doch dieser war immer wieder umringt von Adligen, die mit ihm plauschten oder ihm Glückwünsche zusprachen.

Auch ich kam natürlich nicht dazu mit ihm zu sprechen, war ich doch auch zu sehr damit beschäftigt alles zu überwachen. Ein paar Mal jedoch ertappte ich mich, wie ich über Crears Angebot vom Vormittag nachsann. So recht konnte ich es mir nicht vorstellen Tereanv dieser Burg unter einem König Crear – oder irgendeinem anderen König – zu werden. Immer hatte ich die Ruhe geschätzt, die Burg Lurut möglich gewesen war, und nun schien es für immer aufregender zu werden. Auch die Sache mit Euliste und Emmistat stellte mich vor Probleme, die alleine zu lösen ich mir kaum zutraute. Wäre es mir möglich gewesen, ich hätte mich zu Gouma gestohlen, doch immer wieder musste ich einen anderen Ablauf der Feierlichkeiten überwachen.

Der Garten der Burg war schön geschmückt und Caeryss und die anderen hatten zahlreiche kleine Häppchen zubereitet. Als ich mir nur eins davon schnappen wollte, sprach mich plötzlich der Tereanv Somm Orichin an; einziger noch wahrer verbliebener Tereanv des Landes, das nun Aluma hieß.

Nach wenig Vorgeplänkel kam er schnell zur Sache. „Glaubt ihr, dass er ein guter König sein wird?“

Ich musterte ihn, um Spuren einer Falle zu suchen. „Ich weiß es nicht – aber er war immer ein guter Junge.“ Zweifel auszusprechen schien nicht die rechte Zeit.

Somm Orichin lachte ob meiner Antwort. „Dann bin ich mal gespannt, wie ihr den nächsten Streich eures – ‚Jungen‘ – findet. – Wartet, da erhebt er sich von seinem Platz um zu sprechen!“

Und tatsächlich, Crear wollte etwas sagen. „Meine Freunde – mein Volk – dank sei euch für euer zahlreiches Erscheinen trotz der widrigen Umstände nur einen Tag zur Anreise gehabt zu haben.“ Deutlich merkte man den Wein in seiner Sprache – so redete er nur unter dessen Einfluss. „Viele Erfolge haben mir – haben wir in den letzten Wochen – Monden – erzielt, doch war dies – war dies nur der Anfang. Wir alle wissen, wie Jaster Junoh Sacaeran dieses Land schwächte, es sich von innen zersetzen ließ – derweil er mit unseren eingeborenen Feinden tändelte. Als ich ihn fragte, was dies zu bedeutet – bedeuten hätte, griff er uns an, doch mit eurer Hilfe gewann das Gute. – Lasst uns dieses nun zum endgültigen Sieg führen, indem wir gegen unseren alten Feind ziehen und ihn endgültig vernichten. Lasst uns aufbrechen, bevor das Land Tarle bei uns einfällt! – Nieder mit Tarle!“

Ein Raunen entstand unter den wenigen, die von diesen Plänen nichts gewusst hatten, derweil der Rest ihm zujubelte und -prostete.

Doch während Crear sich feiern ließ, erschien am Gartentor eine schöne und zugleich das befehlen gewohnte Frau. Während ich sie noch als einziger zu bemerken schien und noch versuchte herauszufinden wer sie war, erhob sie schon ihre, die es schaffte allen Lärm zu übertönen. „Halt!“

Und alle waren still; wandten sich ihr zu.

„Crear! Was ist hier geschehen? Was soll das alles? Ich muss mit dir sprechen!“

Der Angesprochene kam lächelnd und ein wenig schwankend auf sie zu. „Natürlich – ich habe dich erwartet.“ Dann wandte er sich der Festgesellschaft zu. „Darf ich allen, die sie nicht bereits aus früheren Jahren kennen, meine einst verschollene Tante Asmyllis vorstellen?“


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Der A’Lhumakrieg – VIII: …ins Licht

Juni 6, 2016

In die Stadt Barga eingedrungen erwartete uns weiterer Widerstand von königstreuen Truppen, die aus ihrer kleinen Burg unweit des Haupttores auf uns einstürmten; uns, ihren zukünftigen Herrscher, die sie wie einen Feind betrachteten und dafür zahlen mussten. Einer nach dem anderen dieser wilden verzweifelten Männer von Barga fiel aus den Straßen und Gassen über uns her um in die Spieße und Schwerter unsrer Männer zu fallen. Es waren blutige, doch auch kurze Schlachten, die sich dort die verlangsamten Reiter der Tolumen mitsamt der Saldānen gegen die Barger lieferten, und meinereiner dort mitten darinnen, wenngleich Errist und seine Krieger nicht einen der Feinde hindurch ließen.

Es erstaunte meinereiner, wie derart viele der Barger noch Widerstand zu leisten bereit waren, hätten sie sich nach geltendem Recht doch bloß ergeben müssen, um Gnade und Milde zu erhalten. So aber ward es blutig und tödlich für sie, wenngleich sie uns bis zum Abend verzögern konnten auf dem Weg zur Burg. Nach etwa einer Stunde gaben wir Befehl immer wieder ausrufen zu lassen: Wer sich einfach ergäbe würde verschont werden, doch machte nur selten ein Barger von diesem Angebot gebrauch. Auch die Königstreue der einfachen Bürger mochte erstaunen, mischten sich zu den feindlichen Kriegern nach und nach doch auch immer mehr von ihnen, teilweise gar nur bewaffnet mit einfachen Stecken und Recken. Die Angebote zur Gnade lockten mehr von diesem Volk, doch auch hier überraschend wenig. Wie kam es, dass sie alle so leicht ihr Leben wegwarfen?

Nach einer Weile wurden wir diesem Volk von Narren mehr als überdrüssig und entschieden ihrer nicht mehr zu achten. Vor allem die Tolumen waren schon eine ganze Weile darauf erpicht, in die Häuser der Barger vorzudringen, ihr Hab und Gut an sich zu nehmen, die Frauen zu vergewaltigen und alles in Feuer zu setzen. Feuer wäre verfrüht gewesen, doch ließ meinereiner ihnen sonst freie Hand, wo immer sich ihnen jemand widersetzte. Gab einer aber seinen Widerstand auf, so ließ man befehlen diese zu verschonen. Auf die Durchsetzung dessen achteten die Anführer unsrer Truppen gut, weshalb sich immer mehr aus den Kämpfen zurückzogen. Auf Seiten der Truppen der uns hörigen Adligen Sacalumas aber gab es zum Teil wesentlich stärkere Unruhestifter. Dies zu merken und für spätere Zeiten zur Strafe zu bringen setzte sich meinereiner zum Ziel.

Nach Stunden, so schien es, erreichten wir endlich den Fuß der Burg, nachdem einige der Barger bereits über den Fluss geflohen und die Brücke hinter sich zum Einsturz gebracht hatten. Wir mussten einen großen Umweg in Kauf nehmen. In der Burg gab es überraschenderweise kaum noch Wehr, weshalb wir langsam doch bereits feiernd den Berg hinauf zogen. Die wenigen Pfeile vermochten wir gut zu vermeiden, die wenigen verbliebenen Krieger gut zu erschlagen. Und so kam es, dass wir am Abend eine bald leere Burg erreichten, derweil unten in der Stadt so mancher Kämpfer unsren Befehlen nicht mehr gehorchen mochte, ein Feuer legte und dafür von seinem Anführer erstochen worden war. Doch der Feuerschein gab uns Licht und so zogen wir gut erleuchtet ein.

Niemand der Königstreuen dieser Burg, niemand der zum König gehörte, niemand der sein Blut in sich trug sollte überleben, wollte ich jemals Frieden im Lande finden, also ließen wir bei diesem Aufstieg unseren Helfern jegliche freie Hand. Wer immer ihnen vor die Waffen lief wurde gnadenlos erschlagen, wollte er sich nun ergeben oder nicht. Kaum hatten wir das Tor durchschritten und den Außenhof erreicht, da schwärmten unsere Mannen aus wie Raubtiere, um jedes Haus in dieser Vorburg zu erkunden, jeden sich Versteckenden hinaus zu treiben, jede Einrichtung zu zerstören und jedes Gebäude in Brand zu setzen. Nur wer bei der Vergewaltigung ertappt wurde sollte gezüchtigt werden, galt es doch noch die Innenburg zu stürmen. Diese erwies sich als harmlos, nachdem wir einmal in der Vorburg waren, doch brach bei unserem Einzug bereits die Nacht herein.

Kaum hatten wir den Haupthof betreten,da verkündete meinereiner Belohnungen für die, die uns die Köpfe des Königs sowie seiner Familie brächten. Einzig die Frauen sollten verschont und uns vorgeführt werden – und mit allen adligen Feinden wollten wir noch fern der Burg ruhige Gespräche führen. Lediglich die Leibgarde des Königs und seiner Besucher standen uns noch im Weg, doch siegten wir auch über diese. Aus dem kleinen Tempel bargen Errist und seine Männer den Schatz des Königs, der eine solche Bezeichnung aber kaum verdiente; aus der Haupthalle zerrten die Tolumen all die Adligen, die sich dort sicher gefühlt hatten. Zahlreiche von ihnen ließen wir gefangen ins Lager zurückschicken, wo meinereiner später ein Wort mit ihnen zu reden hätte.

Besondere Freude bereitete es, den sich sonst immer so überlegen fühlenden Louvis nun in Ketten zu sehen. Doch wo auch immer man in der Burg suchte, Demaun von Gernin war nicht aufzuspüren. Nachdem nichts mehr übrig blieb konnte nur gesagt werden, dass es ihm gelungen war zu fliehen. Auch von Emmistat, der Schönen, seiner ihm Versprochenen aber uns Zugehörigen, sah niemand etwas. Weder war sie unter den Frauen, noch den Adligen oder den erschlagenen Dienern und Kriegern. Demaun musste sie mit sich genommen haben; ein weiterer Grund ihn zu jagen, zu vernichten. Doch auch wenn es meinereiner nach Emmistat verlangte, musste dies für den Augenblick zurückstehen, musste doch erst ihr Vater vernichtet werden, bevor Gernin vernichtet werden konnte.

Die Gemächer des Königs waren groß und mehrteilig; eine einzelne Tür trennte sie vom Gang. Nachdem dieser nicht mehr verteidigt werden konnte, galt es die Tür zu sprengen. Hinter dieser lauerten die letzten verzweifelten Leibwächter des Königs, die in den Klingen unserer Begleiter starben, doch auch so manchen von ihnen mit sich rissen. Am Ende des Kampfes stand dort der König allein; hastig in Rüstung geworfen mit seinem Schwert, starr vor etwas stehend. Neben ihm wartete der Knabe Jerris Jaster auf sein Schicksal: Gemeinsam mit seinem Vater unterzugehen.

Plötzlich bekamen wir Lust auf ein Spiel: Dort standen zwei einst so mächtige, nun nur noch so schwächliche Männer, bereit zu sterben – und bei uns waren Errist mit seinen Männern und einige Tolumen. Mit Leichtigkeit hätten wir sie jederzeit zerquetschen, niedermachen können, doch lockte das Spiel. Ohne Spiel kein Spaß, so sagte meinereiner, und ließ darum nur je zwei Krieger gegen die Beiden dort anbranden. Zunächst versagten die Tolumen gegen die Krieger von Barga, weshalb ich ihnen bloß Beifall zollen konnte. Die Antworten der Barger wies sie jedoch nicht als gute Verlierer aus; allmählich verloren wir die Lust am Spiel wieder.

Errist sollte mit all seinen verbliebenen Mannen endlich Jaster Junoh und Jerris Jaster für uns töten. Als unsere Krieger aber mehrere lange Augenblicke ohne Fortschritte zu erzielen ihr Glück versucht hatten, beschloss meinereiner das Blatt zu wenden. Mit göttlicher Unterstützung ausgestattet konnten wir die Lücken der feindlichen Verteidigung nutzen und Sohn erstechen, den Vater erschlagen. Nachdem beide auf dem Boden vor uns lagen, ihr Leben aushauchend, schlug meinereiner ihnen die Köpfe ab und ließ diese als Zeichen des Sieges von Errist aufbewahren.

Alle Räume des Gemaches sowie hernach noch einmal die restliche Burg ließen wir durchsuchen, doch fand sich nirgends eine Spur des jüngsten Sacaeran. Wir wüteten, wir zitterten, wir brüllten – doch das Kind war nicht zu finden. Um uns herum knisterte und knackste das Gebälk, als die Flammen über sie hinweg züngelten – länger konnten wir nicht mehr in der Burg verharren. Während wir die Burg verließen, trieben wir die gefangenen Adligen und Frauen wie Tiere vor uns her, derweil hinter uns die Gemäuer endgültig dem Feuer geopfert wurden.

In der Stadt ließen wir jedem der dies wollte freie Hand, mit der Stadt und seinen Bewohnern zu verfahren wie er wünschte. Mit den Gefangenen vor uns bewegten wir uns über die Hauptstraße, derweil all überall um uns herum Krieger zu Tieren wurden: Gegenstände aus Häusern tragen, Frauen vor, in und hinter Häusern vergewaltigen, Männer töten – oder auch vergewaltigen – und alles, egal ob noch bewohnt oder nicht, in Brand setzen. Der Feuerschein beleuchtete die Nacht, beleuchtete unseren Weg, beleuchtete unsere Bewegungen. Wir, von den Göttern entsandt, hatten das mächtige Barga besiegt. Die Stadt, die einst Jahrhunderte allein gegen übermächtige Gegner ausgeharrt hatte, würde bald nur noch aus rauchenden Trümmern bestehen. Niemand leistete mehr Widerstand; alle, die sich nicht bereits früher ergeben hatten konnten nur noch unsere Schwerter fliehen.

Meinereiner aber nahm kaum Anteil an dem tosenden Geschehen um sich herum, beschlichen ihn doch wieder einmal die alten schrecklichen Kopfschmerzen, doch dann – lief da Euliste vor Verzweiflung rufend über die Straße, verfolgt von einer kleinen Bande Krieger, ihrem Rock hinterhergeifernd. Sofort riefen wir Befehle, welche diese Männer nicht zu hören schienen – oder wollten –, weshalb Errists Leute sie kurzerhand erschossen.

Euliste war derweil über ihren eigenen Stoff gestolpert und im Schmutz der Straße gelandet. Errist sollte ihr helfen und sie zu uns bringen. Sie sah meinereiner in seiner blutbespritzten Rüstung, erleuchtet von tausend Flammen, schweigend an. – Und dann brach sie unter Tränen zusammen. Wir nahmen sie mit uns; auf einem Karren, der eigentlich für die Verletzten war. Hinter uns brach die Stadt für immer zusammen.

Zurück im Lager dauerte es lange Euliste zu beruhigen, doch blieb sie bei uns. Ebenso anstrengend sollten die Gespräche mit den Adligen werden, die wir gefangen genommen hatten. Geduld war schon lange nicht mehr vorhanden, unterstützt durch die ständigen Kopfschmerzen, so ließen wir jeden, der sich nicht auf unsre Seite stellte, köpfen und für Lurut mitnehmen. Die meisten schienen dann vernünftig zu werden und schworen Gehorsam, wofür sie zwar enteignet, doch am Leben gelassen wurden. Sogar Louvis wollte nun zu Lurut gehören, doch wussten wir Interessanteres mit ihm anzustellen.

Nachdem wir gesehen hatten, wie Barga zu einem schwarzen Häufchen Schutt wurde, kamen langsam die ersten Berichte herein. Bei der Eroberung von Stadt und Burg hatten wir Verluste, die hinzunehmen wir verkraften konnten. Wieviele Feinde gefallen waren, vermochte niemand mehr zu sagen, doch schien ein Großteil auch einfach geflohen zu sein. Als Richtung blieben diesen nur die Hochlande im Osten – oder die Berge drumherum – so ließ ich die schnellen Tolumen diese Gegenden durchsuchen.

Viele Schätze hatten wir aus Barga geborgen, so vor allem auch die Krone des Königs, die in Lurut aufzusetzen wir gedachten. Dass es nur zwei Sacaeran-Häupter in meinem Gepäck werden sollten war zwar eine Schande, doch leider kaum zu ändern, sollten die Tolumen in den Hochlanden keinen Erfolg haben. Wahrhaftig wütend ließ meinereiner aber die Nachricht werden, dass auch Fouchal Demaun von Gernin sich eindeutig unter den Geflohenen befand – und wohin dieser gehen würde, schien nicht schwer zu erraten.

So verließen am folgenden Tag, nach wenig Schlaf, drei Gruppen das Schlachtfeld: Tolumische Reiter suchten das Hochland nach Flüchtigen ab, eine weitere Gruppe Reiter ging mit den Gefangenen und dem Erbeuteten über sichere Gebiete heim nach Lurut – der Rest zog nach Gernin, wo die Icraner bereits in Kämpfe verwickelt sein müssten. Dort rechtzeitig hinzukommen sollte uns aber vor Mühen stellen. Wir konnten zurück über Cahmind einen großen Bogen um die Berge herum schlagen – oder wir zogen mitten über sie hinweg.

Aus Zeitgründen entschieden wir uns für letzteres und verbrachten daraufhin einige Zeit in den Bergen, die zu dieser Jahreszeit zum Glück schneefrei waren – kaum einer der Flachländler war größere Erhebungen gewöhnt, lediglich einige der Tolumen kannten Berge, aber dafür keinen Schnee. Aber obwohl dies für viele von uns recht neu war, kamen wir gut voran, von der Sonne getrieben. Zweimal schien Demaun Einheiten, wo immer er sie auch herbekommen haben mochte, uns auflauernd in den Pässen zurückgelassen zu haben. Pfeile regneten auf uns herab und Steine wurden nach uns geworfen, doch konnten wir ihrer Herr werden und sie besiegen.

Am anderen Ende des Passes angelangt und auf Gernin zumarschierend wurde der Widerstand stärker, der aus Burgen und Dörfer auf uns einzudringen schien. Immer konnten wir sie leicht abwehren, waren wir doch die Gesandten der Götter, die mit Feuer im Rücken aus den Bergen strömten um die Hauptstadt dieses Landstriches zu vernichten. Vor Gernin erwartete uns eine Schlacht, die gerade zwischen den unterlegenen Icranen und den aus der Stadt stürmenden Gerniern entbrannt war. Rechtzeitig kommend fielen wir dem Feind in Flanke und Rücken und wurden vom Jubel der Icranen begrüßt.

Die Schlacht war hart und brandete hin und her, doch erblickte meinereiner letztlich Fouchal Demaun in der Menge und hielt auf ihn zu. Nach einem gewaltigen Kampf verliehen die Götter mir die Kraft ihn niederzustrecken, woraufhin seine Krieger sich ergaben oder flohen. Erstere ließ ich geschont, letztere ließen wir verfolgen und zogen dann in die Stadt. Nicht alle dort hießen uns willkommen und so wurde Mann, Frau und Kind erschlagen, wo man sich wehrte. Doch schließlich war die Stadt unser.

Es sollte nicht mehr lange dauern, da schwörte ganz Sacaluma mir die Treue – doch Sacaluma gab es nicht mehr. Mit den Köpfen ihrer Häupter im Gepäck zog ich heim nach Lurut – und zusammen mit Emmistat, die in Demauns Palast gewesen war – meine Emmistat.


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Der A’Lhumakrieg – VII: Die ersten Schritte…

Mai 30, 2016

Die nächsten folgenschweren Ereignisse erlebte ich selber nicht mit, hörte von ihnen nur aus der Ferne, daheim in Lurut. Es war Frühjahr geworden und Crear mit seiner Leibgarde um Errist abgereist; die fremden Männer hatten sich bereits früher verabschiedet. Ich fühlte mich zurückgesetzt, da er mich nicht hatte mitnehmen wollen, doch verstand ich später, dass es wohl zu meinem Schutz geschah. Vor einiger Zeit fand ich einen von ihm selbst verfasstem Bericht.

 

Wir verließen Lurut am Achten des Mondes. Narattet und die Ländereien zahlreicher anderer Besitzer, derer einige uns bald folgten, durchreisten wir. In Meadrish vereinigten wir uns mit Somm Orichin von Daminro und überquerten den Haregez; die Brücke von Meadrish ist wahrlich ein Wunder: Bei ihrer Überschreitung sahen meinereiner in den Fluss hinab und erblickte dort ein Spiegelbild und wie die Fische dessen Kopf umkreisten. Sie bildeten die Königskrone und verhießen uns gut Glück bei unserem Vorhaben.

Auf der anderen Seite des Flusses erwiesen sich die Verbündeten als spärlicher; die Macht von Barga als stärker. Aber das konnten wir ja bereits im vergangen Jahr erfahren und so wunderte es wenig. Die Freunde aus der Tolum, Icran und Saldān unerkannt durch das Land reisen zu erlassen war schwer, doch in Hafrond erwartete mich Nachricht, dass sie es erfolgreich nach Cahmind geschafft hatten – zumindest die Icraner; alle anderen an einem Ort zusammen warten lassen wäre tölpelhaft gewesen, hätten sie doch selbst Mächte an sich reißen können. So aber zerstreuten sie sich an wichtigen Orten des Landes; des Feindes; auf dass sie mir später nützlich sein würden.

Fünf Tage vor Jaster Junohs Geburtstag erreichten wir Barga. Es muss beeindruckend gewesen sein, unseren Trupp Getreue durch die Stadttore eintreffen zu sehen und wir gaben uns auch alle Mühe, als zukünftiger Herr erkannt zu werden. Wieder einmal speiste Jaster Junoh uns mit Zimmern in drittklassigen Herbergen und Stadthäusern ab, doch sollte es damit bald vorbei sein. Ich bestand darauf mit Somm Orichin, meinem größten Diener, im selben Haus untergebracht zu werden; wie schon damals ein Jahr zuvor. Zu meinem großen Verdruss war in diesem Haus aber auch das Lager des unehrenwerten Mannes aus Gernin, der mich einst so schmählich beleidigt hatte. Jaster Junoh – oder sein Gehilfe Tereanv Feart – war weniger dumm als ich vermutet hätte; in jeder Gaststube, jedem Haus, waren jeweils Freund und Feind meinereiner vermischt.

Dies machte es für uns schwer uns später allein zu treffen um die Geschehnisse der nächsten Tage zu planen. Doch letztlich kamen wir überein uns von Jaster Junoh einen Jagdausflug in das nahe Hochland zu erbitten. Die Erlaubnis machte es einfach, für unsereins Ruhe zu haben. Wichtiger aber noch war, dass uns die Boten aus Cahmind und dem Hochland nun besser erreichen konnten. Alles verlief nach Plan, so sahen wir guter Dinge die kommenden Tage der Erleuchtung nahen.

Zu seinem Geburtstag lud Jaster Junoh Sacaeran wieder in seine Burg. Tereanv Feart hatte sich schon das Jahr zuvor nicht gerade hervorgetan mit seiner damaligen Planung des Tages und diesmal wurde es kaum besser. Nach der üblichen Begrüßung gab es das ebenso übliche Frühstück – und endlich sah ich sie wieder. Sie war nicht zusammen mit dem Kerl von Gernin gekommen; schien schon länger bei ihrem Vater zu sein: Emmistat. Oh welch größere Schönheit könnte es in diesen Landen geben, wenn nicht sie und meinereiner? Beide von höchstem Geblüt, würden wir wahre Herrscher zeugen. Doch zunächst müssten die Hindernisse überwinden werden, die sich uns so in den Weg stellten: den Mann von Gernin sowie ihren Vater. Immer wieder war der Blick auf sie gefallen, kaum auf Essen oder das Tischgevolk, welches mit ihrem Geplapper, Geschmatze und Gerülpse schon lange jegliche Geduld überstrapaziert hatte. Als das Fraßgelage endlich vorüber war, gab es freie Zeit für uns zu verbringen.

Da der Tag nur noch wenig jung und es für uns noch viel zu tun gäbe, wollte ich nicht länger warten und bestand darauf, den König sprechen zu dürfen. Jaster Junoh tat herzlich und väterlich, sprach vom letzten Jahr, welch Toren meinereiner und Gernin doch gewesen, dass dies nun aber vorbei und wir wieder vernünftig geworden seien, worüber er mehr als glücklich wäre. Die ganze Zeit über konnte man aber nicht umhin sich zu fragen, wie ein solch dummer, die Wahrheit nicht erkennender König es geschafft hatte, so lange in seinem Amt zu verbleiben; sich so lange auf seinem Thron zu halten, hatte er doch nicht einmal Macht über uns.

Harmlos fing ich an ihm dies vorzuhalten. Zunächst brachte ich das Gespräch auf unsren seligen Vater und fragte Jaster Junoh, warum seine Macht nicht dessen Tod hätte verhindern können; wie er als König es zulassen konnte, dass seine Untertanen sich mordeten. Dies war das Zeichen für den sich in Hörweite befindlichen Demaun von Gernin mit in das Spiel einzusteigen, doch leider verwehrte dieser sich; sah uns bloß misstrauisch an. Jaster Junoh dagegen war zutiefst verblüfft und fragte, was meinereiner mit seinen Äußerungen meine. Man erklärte ihm frei heraus, dass seine Herrschaft und Macht am Ende seien und fragte, was er dagegen zu tun gedachte. Da er immer noch nicht verstand, sprach man von seiner Tochter, lobte ihre Schönheit und Gewandtheit. Er schien zwischen Erstaunen und Geschmeicheltheit zu wechseln, bis festzustellen war, dass eine solche Frau nicht an ein Aas wie den von Gernin zu verschachern sei sondern einem wahren Mann mit Zukunft zugehöre: meinereiner. Endlich schien Jaster Junoh wütend zu werden und auch Gernin versuchte mir Einhalt zu gebieten, doch versagte natürlich wie bei allem. Letztlich sprach man ihn noch auf Tarle an, unseren alten Feind, und warum sich seine Herrschaft dem immer weiter annähere. Bald warf man ihm Verrat und Zusammenarbeit mit dem Feind vor, bis ihm endlich die Geduld ausging.

Wütend verlangte er den Rauswurf – die Verhaftung – doch schon waren die Getreuen Luruts, derer der Saal fast die Hälfte zählte, zur Stelle. Mit Waffengewalt erzwangen wir uns selber einen Weg an die Freiheit, bei dem der Blick aber nicht von der schönen Emmistat gelassen werden konnte – doch dann, was war das, was erblickte man da? Auch Euliste, die kluge Geliebte, war in diesem Saal auf einmal zugegen. Es dauerte lang, bis ihr Blick gedeutet werden konnte.

Mittags waren wir unbehelligt zurück nach Cahmind gelangt. Die waffenschwingenden Kriegshunde der Tolum erwarteten uns bereits; freudig, in die Schlacht ziehen zu dürfen – für Lurut und sein Geld zu sterben. Es waren Söldner; sie nahmen viel Geld für ihre Taten; Trauer um sie wäre verschwendet gewesen. Zwei Ziele hatten wir uns erkoren, die zu erreichen wir nun auszogen. Das zweite war die Vernichtung der Macht Gernins – oder zumindest der Versuch sie an einer Hilfeleistung zu hindern – was die Männer aus Icran zusammen mit dem etwa einen halben Dutzend edler Leute unsrer Gesinnung aus Sacalumas Nordosten erledigen sollten. Als Hauptziel aber galt uns die Vernichtung von Jaster Junoh Sacaeran, seiner Macht und allem was ihn ausmachte.

Die Saldānen, welche östlich von Barga lagerten, hatten sich bereits mit dem Morgengrauen in Bewegung gesetzt; unsere Hauptmacht aus Cahmind folgte nun diesem Beispiel. Leider, so muss man wohl sagen, waren Aufregung und Anstrengung zuviel für meinereiner. An diesem Tag schien die Sonne mit aller Macht, unseren Marsch zu erleuchten, doch stach sie zu stark in die Augen. Die Schmerzen waren das erste Zeichen, dann folgte es: Die Götter gaben Zeichen, dass unser Zug erfolgreich sein würde; ihre Farben legten sich über den zu schreitenden Weg. Sie sprachen und wie immer gab es einen Preis zu zahlen. Die Schmerzen wurden allsbald so stark, dass man sich kaum noch aufrecht halten konnte. All der Lärm – Tritte, Kriegsmaschinen und Geheul – bohrte sich in das Hirn. Errist war diese Anfälle bereits gut gewöhnt und so wusste er, was zu tun sei; wie er den Zustand seines Herrn vor den anderen verschleiern und in seinem Namen handeln konnte.

Als wir Barga erreichten, wie es dort an den Hängen über dem Fluss lag, waren die Saldānen schon vor Ort. Ihr Anführer unterrichtete uns, wie sie etwa eine Stunde nach unserem Aufbruch die Stadt erreicht und angegriffen hatten. Niemals hätte Barga einen so plötzlichen Angriff, schon gar nicht an diesem Tage, erwartet, doch befanden sich genug Krieger von Jaster Junoh und seiner Getreuen in der Stadt, um trotz Überraschung handeln zu können. In verzweifelter Schnelligkeit hatten sie die Tore der Stadt verschlossen, doch die Saldānen, Meister der Kriegsmaschinen, nahmen sie sogleich unter Beschuss.

Unsere Tolumen waren vorwiegend berittene Bogenschützen und unterstützten das allgemeine Feuer wo es nur ging, derweil die Krieger von Lurut bei der Belagerung halfen. Barga war nur eine Stadt; keine Festung wie die Siedlungen in Tarle; niemals hätte sie dem lange standhalten können. Doch war es auch verwunderlich, wieviele Getreue Jaster Junoh in seinem Land noch besaß, die von der Belagerung – und oftmals gleichzeitig auch von ihren eingeschlossenen Herren – erfahren hatten und verzweifelte Angriffe gegen unsere Flanken führten, als gäbe es eine wahrhafte Wahrscheinlichkeit ihres Sieges gegen unsere Stärke. Manch wenige von ihnen erkannten die Aussichtslosigkeit ihrer Lage besser und schlossen sich uns so schon in den ersten Stunden des Krieges an. Andere aber brandeten in unsere Speere und Pfeile und kehrten nie wieder heim.

Nach vier Tagen Belagerung schien das Ende des Feindes näher, doch immer noch gab sich Barga nicht geschlagen. In ihren Mauern und Türmen zeigten sich Risse und Kluften, an einigen Stellen der Stadt war kurzzeitig Feuer ausgebrochen, doch wieder gelöscht worden und die Toten des Schlachtfeldes zu zählen lohnte kaum noch. Wir erwarteten das Zeichen ihrer Aufgabe, ihres Eingeständnisses zur Niederlage – und wir hätten sie verschont. So aber wurde es zuviel; dauerte zu lang – in der Stadt läge dann noch die Burg zur Eroberung vor uns. So traf meinereiner mit den tolumischen Helfern zusammen, welche für solche Fälle besonders fähige Männer anzubieten wussten. Wir lernten diese Männer kennen, die nicht einmal ein Dutzend Kopf zählten, doch lange Erfahrung und vor allem niemals Gewissensbisse aufweisen konnten. Und wir willigten in ihre Benutzung ein.

In der Nacht zum fünften Tage schlüpften sie in ihre dunklen Anzüge. Es war eine der seltenen mondlosen Nächte; wieder waren uns die Götter willfährig. Auf den Stadtmauern versuchten die Wachen das Land zu erleuchten indem sie Fackeln so gut es ging aus ihren Schießscharten vor die Mauern herabließen, doch benachteiligte dies sie mehr als es half: Von dem Schein geblendet konnten ihre Augen niemals das erkennen, was am Rande des Lichtscheins geschah. Wieder einmal wurde offensichtlich, wie das Licht für meinereiner arbeitete und werkelte, wie es mich baden wollte auf dem Weg zum Ruhm. Jenseitigen Wesen gleich vermochten die Tolumen außerhalb der Sicht unserer Gegner zu verbleiben. Mit Wurfankern bewehrt, die man hierzulande kaum kannte, erklommen sie die Mauern der Stadt ohne auch nur einen der ihren in einem Feindfeuer zu verlieren, waren die Wächter doch nicht auf sie vorbereitet und verpassten so ihren Einstieg. Heimlich machten sich die Tolumen auf der Mauer daran zum nächstgelegenen Torhaus zu gelangen.

Wir, die wir gespannt waren wie es voran ging und alles aus der Ferne beobachteten, sahen von ihrem Tun doch nichts. Schon zu diesem Zeitpunkt von dieser guten Ausgabe für die Männer beglückt bereitete meinereiner alsbald über Errist seine Truppen vor. Sobald das Tor offenstand, würde Barga eine Blutnacht erleben.

Auf einmal sahen wir in der Ferne aus Mörderlöchern der Mauern fallend Körper rauschen und lautlos vor der Mauer aufschlagen. In plötzlicher Aufregung vermochten wir nicht zu sagen, wer sie waren, doch war ich zuversichtlich, dass alles gut werden würde. Und tatsächlich gab es keinen Lärm, kein Geschrei, keine Warnrufe auf der Mauer; es konnten also nur Barger gewesen sein. Immer wieder stürzten im Folgenden weitere Körper von den Wehrgängen; die Tolumen kamen gut voran. Es dauerte nicht mehr lange, da hatten sie das große und mächtige Tor an der Westseite der Stadt erreicht. Mehrere von ihnen hatten bis hierhin überleben müssen, würde doch nun alles schnell gehen.

Während eine Handvoll von ihnen sich den Weg in das Torhaus erkämpfte, um dann das Gitter hinauf zu ziehen, musste der Rest hinab auf die Straße, jegliche Gegenwehr dort bereits beseitigen und dann das schwere Tor mit all seinen Beschlägen, Schlössern, Balken und Nieten aufzustemmen und diese Arbeit gleichzeitig gegen nachrückende weitere Verteidiger beschützen. Diese Männer wussten, wie hoch die Möglichkeit ihres Todes war, doch lockte ihnen dafür gutes Geld – und die ewige Dankbarkeit meinerseits.

Derweil diese herausragenden Männer sich am Tor versuchten, mussten wir vor den Mauern zurückgebliebenen bereits ausrücken, um ihnen rechtzeitig zu Hilfe kommen und die Stadt brechen zu können. Alles hing voneinander, von den jeweiligen Erfolgen ab, und wäre auch nur ein Glied dieser Kette gescheitert, hätten spätere Zeiten meine Herrlichkeit bezweifeln müssen.

Aber die Götter waren bei uns – und im Nebel des lockenden dämmernden Tages stürmten wir siegesschreiend und waffenschwingend in die Stadt. Für ihre Treue zum König sollte niemand begnadigt werden.

 

 


 

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Der A’Lhumakrieg – VI: Nicht alles ist kaufbar: Wer für seine Liebe töten würde…

Mai 23, 2016

Ein ganzes Jahr sollte nun vergehen, bevor die großen Unglücke begannen. Nach seiner beschämenden Abreise aus Barga war Crear lange Zeit weniger gut gestimmt.

„Wir kann er es wagen, mich – mich! – einfach so aus der Stadt zu werfen? – Er weiß doch, wer und was ich bin!“

„Nun, du hast gegen geltendes Recht verstoßen…“

Wütend schlug Crear gegen den Schild an meiner Wand – lange würde dieser nicht mehr leben. „Geroux hat das! – Er hat mich dazu getrieben!“

Seit unserer Abreise nannte er den Tereanv von Gernin nur noch bei dem alten Namen dessen Stadt: Geroux statt Gernin. Was das zu bedeuten hatte wusste ich mir nicht zu erklären.

„Was hast du vor?“

„Ach, ich weiß es…“ Plötzlich sackte er in sich zusammen, lehnte sich vorher noch mit dem Rücken an die Wand, bevor er an dieser herabrutschte.

Seine Hände hatte er seitlich an seinen Schädel gepresst; die schmerzverzerrt Fratze erschrak mich zutiefst.

„Crear?“ Hastig sprang ich auf, riss die Tür meines Zimmers auf und schrie um Hilfe.

Später rügte er mich für mein Verhalten; es sollte nicht die ganze Burg wissen, unter welchen Schmerzen er manchmal litt. Die Kräuterfrauen wussten mit ihm sowieso kaum etwas anzufangen, doch waren sie Meisterinnen des Tratsches, weshalb auch bald so alle unterrichtet schienen. Natürlich wurden seine Schmerzen davon auch nicht besser, schienen eher immer schlimmer zu werden. Das Burgvolk ging unterschiedlich damit um. Einige begannen ihn zu meiden, andere meinten es ausnützen zu können und fast alle tuschelten heimlich über ihn.

„Wenn ihr mir diese Bemerkung gestattet; der junge Tereanv scheint wahnsinnig zu werden.“ Der alte Faulass sprach dies wie beiläufig, als ich eigentlich mit ihm und zwei anderen Hofadligen die Vorbereitung zu Crears Geburtstagsfeierlichkeiten besprechen wollte.

„Was?“ Die Bemerkung hatte offensichtlich nicht viel mit Wildbret zu tun, weshalb ich zunächst nicht wusste, was er meinte.

„Wie kommt ihr da jetzt drauf?“

„Ich habe schon länger darüber nachgedacht. Ist euch nie dieser Blick aufgefallen, den er manchmal hat? Und gestern hat er die alte Gouma in den Schlamm gestoßen, als sie ihn bei einem seiner Anfälle im Weg stand…“

Da krachte auf einmal etwas. Überrascht wendete ich mich und sah Crear in den Raum mit geschwinden Schritten eilen, in der Hand einen Holzscheit schwingend – nein; ich erkannte: Es handelte sich um ein Stuhlbein; den Rest des Stuhles hatte er an dem Durchgang zum Raum zerschmettert.

„So also sprecht ihr über euren Herrn?“

Schneller als wir handeln konnten hatte er bereits Faulass erreicht und schlug dem Alten mit dem Stuhlbein über den Schädel. Während Faulass blutend in die Knie ging, konnten wir anderen Drei einschreiten. Wir hielten Crear und das Bein mit Mühe davon ab, tödliche Schläge zu verteilen, bis Crear irgendwann plötzlich bewusstlos zusammenbrach.

Später erinnerte er sich an nichts von dem Geschehenen mehr; zu unserem Glück, hatten wir doch immerhin unsere Hände gegen unseren Herrn erhoben. Niemand von uns wagte es ihm zu erzählen, waren wir doch zu tief erschüttert; Faulass verließ eines Tages schweigend die Burg und kehrte auf den Gutsbesitz seiner Familie zurück.

„Warum verlässt uns Faulass denn?“ Crear stand auf dem Balkon über der Eingangshalle und sah der Kutsche des Adligen verwundert nach, wie sie schwer bepackt den Hof verließ.

Mir war es unangenehm zu antworten. „Er meint, eine Zeit draußen auf seinem Anwesen würde ihm gut tun.“

Schweigend nickte Crear, bis er dann das Gespräch auf anderes lenkte. „Wir können sein Zimmer vermutlich auch gut gebrauchen – ich erwarte Gäste aus dem Reich – und du solltest dich fortan auch nicht wundern, wenn Besucher aus anderen Ländern dabei sind. Lurut sollte sich nicht mehr einzeln in Sacaluma verstecken, findest du nicht auch?“

Ehrlich gesagt wusste ich nichts darauf zu antworten: Ich leitete vielleicht eine Burg, aber nicht einen ganzen Landstrich.

„Gut, dann werde ich… Crear?“

Ohne Vorwarnung waren Tränen auf sein Gesicht getreten. „Ich vermisse sie…“

„Was? – Wen?“

„Sie alle… die nicht mehr sind… Euliste, die in Barga bei Louvis ist… meinen Vater, der nicht mehr unter uns ist… meine Mutter, die ich nie gekannt habe… Asmyllis, die schon solange verschwunden ist…“ Seine Stimme verschwand unter Schluchzen.

„Crear…“ Nicht recht wissen, was ich tun soll, legte ich ihm eine Hand auf die Schulter.

Plötzlich warf er sich in meine Arme. „Ich vermisse sie!“

Wen genau er nun meinte vermag ich aber nicht zu sagen, doch auf einmal war er wieder der verängstigte Junge von damals.

Einige Zeit darauf – es war schon wieder Sommer – kamen vermehrt seltsame Gestalten zu Besuch auf die Burg. Männer, die ich nie zuvor gesehen hatte, kamen und gingen, blieben einige Tagen und waren dann wieder verschwunden. Männer aus verrufenen Gegenden waren sie: Luftig gewandete Geschäftsleute aus der Tolum, schmierig düstere Geldsäcke aus Icran und andere, die ich nicht erkannte. Jeder stank förmlich danach, sich für Geld zu verkaufen und keiner hätte je mein Vertrauen erringen können.

„Diese Männer, die da immer zum Tereanv kommen – sie gefallen mir nicht.“ Caeryss sah Gouma an, die bedrückt nickte.

„Einer dieser Kerle hat sogar schon versucht mich in sein Bett zu bekommen – mich alte Vettel! Ha!“

„Du bist nicht alt.“Doch sie schien meinen Einspruch gar nicht zu hören.

„Manchmal frage ich mich wirklich, was aus meinem kleinen Jungen Crear geworden ist.

„Hmpf! -Ja, er verhält sich immer sonderbarer. Mal ist er ganz der Alte; mal ein fieses Monster, das seine Diener schlägt und manchmal auch ein windiger Geschäftsmann, wenn er sich mit diesen Gestalten trifft.“ Caeryss wollte schon fröhlich weiterschnattern, da erschien Hofmeister Pyn am Gartentor.

Er war außer Atem. „Herr Doubal! Endlich finde ich euch! – Bitte kommt doch mit – der Tereanv brach vor einer Stunde zusammen und ist seitdem nicht wieder erwacht – kommt bitte schnell!“

Ich wechselte mit Gouma und Caeryss noch besorgte Blicke, dann folgte ich ihm den langen Weg hinauf zu Crears Gemächern.

Wie sich noch zeigen sollte, blieb dies nicht das einzige Mal, dass Crear unter Schmerzen zusammenbrach. Meist jedoch konnte er die drohende Gefahr zukünftig rechtzeitig erkennen und sich zurückziehen, was natürlich für Geschäfte nicht sehr förderlich war. Die Kräuterfrauen konnten ihm nicht helfen; sie alle wussten sich gegen Crears Leiden nicht recht zu helfen. Sehr zu meinem Missfallen brachte Teule ihm eine Mischung, die gegen seine Schmerzen helfen sollte, sofern er immer ein paar Tropfen nähme. Zwar schienen sie ihm wirklich ein wenig zu helfen, doch vor allem eher schrecklich stark an Teule zu binden, was er dieses Mal nicht bemerkte. Nur ich schien noch auf ihn aufpassen zu wollen, wenngleich ich es nicht wagte, ihm meine Befürchtungen selbst zu sagen – lieber hielt ich mich bedeckt und beobachtete alles aus Verstecken heraus.

So auch an einem Tag, als Teule ihren Großenkel im alten Kartenraum antraf – und ich ‚zufällig‘ draußen vor dem Fenster war. Ich hatte nicht gewusst, was Crear dort suchte, doch war er schon seit etwas mehr als einer Stunde dort drinnen am herumwühlen – und lange hätte ich nicht mehr ausharren können.

„Ah, Crear! Was machst du denn hier?“ Schrecklich süß klang ihre Stimme.

„Dasselbe könnte ich dich fragen – aber wozu schon? Ich suche Karten – von der Burg, der Stadt, dem Land, dem Reich… – ich muss wissen, was wo liegt – und auch, wem was gehört.“

Plötzlich erschien Teules Stimme nah am Fenster; nah bei mir. „Da könnte ich dir doch helfen – lass mal sehen.“ Etwas raschelte. „Du musst wissen, wer dem Reich Lurut etwas schuldig ist – wer ihm treu ist – und wer schon immer unser Feind war.“

„Ich habe es mir bereits mit Gernin und Barga verscherzt – nächste Woche kommt Tereanv Somm Orichin von Daminro zu Besuch – er könnte mein stärkster Verbündeter werden.“

„Mit dem Osten kamen die Herren von Lurut noch nie zurecht – aber Crear, mein Liebling – niemals darfst du dir den König zum Feind machen – es sei denn, du kannst siegen.“

„Um den König mache ich mir zur Zeit weniger Sorgen – um ihn werde ich mich im Frühjahr kümmern.“

„Dann hoffe ich, dass du weißt was du tust – soll ich dir noch einiges über die anderen Adligen und ihre Ländereien erzählen?“

„Natürlich – Danke Großmutter.“

Mir liefen Schauer über den Rücken die beiden so vertraut reden zu hören, doch konnte ich auch nicht aufhören sie zu belauschen, musste stetig weiter zuhören. So erfuhr ich allerlei über Adel und Ländereien, die auf Karten gezeigt wurden welche ich nicht sah und von denen ich teilweise noch nie gehört hatte. Irgendwann wurde ich dem doch noch überdrüssig und verschwand schwirrenden Kopfes von diesem Ort.

Im späten Herbst dann geschah etwas, das uns allein das Fürchten lehrte. Die Früchte auf den Feldern hatten gerade ihre Reife erlangt und waren alle eingesammelt worden. Wie es Sitte war, ging daher der zehnte Teil in die Speicher der Burg, unter meine Obhut. Wir alle hätten uns nur zu gerne in dem Obst gesuhlt doch war es uns verboten uns mehr als den täglichen Anteil zu nehmen, der von Pyn verteilt wurde. Einer seiner helfenden Knechte aber nun wurde eines Abends dabei ertappt, wie er einen ganzen Arm voll mit sich nehmen wollte. Leider war Pyn so unvorsichtig, Crear davon zu erzählen.

„Er hat was getan? – schafft ihn mir sofort herbei!“

Wie befohlen sandte Errist zwei seiner Krieger aus, die bald mit dem Knaben zurückkehrten. Ängstlich stand dieser dann vor Crear, der auf seinem Thron saß.

„Du hast Obst gestohlen – stimmt das?“ Crears Stimme war hart und verlangend, so dass selbst ich Angst bekam.

„Herr – meine Familie -“

„Was schert mich deine Familie? – Hast du oder hast du nicht?“

„Herr – ja, Herr, aber nur um…“

„Errist! – Dieser Knecht wird das nächste Jahr im Kerker bei Wasser und Brot verbringen! – So muss er wenigstens nichts stehlen – Und danach darf er sich sein Obst wieder kaufen, wie alle in der Stadt.“

Wir alle – außer vielleicht Errist – waren bestürzt über dieses Urteil. Auspeitschen wäre noch die schlimmste Strafe gewesen, die man früher dafür verwendet hätte.

Pyn war aber der Einzige, der es wagte darauf hinzuweisen, während die Krieger den nun weinenden Knaben fortschafften. „Herr – meint ihr nicht, dass das zu hart ist?“

„Pyn – wer von uns beiden ist hier der Tereanv? Willst du mich anzweifeln? Auf meinem Thron sitzen?“

Crear hatte ruhig gesprochen, doch Pyn erbleichte. „N-nein – Herr! – Ihr seid der Tereanv!“

„Dann ist gut.“

Pyn verbeugte sich und machte sich eilends daran, den Saal zu verlassen.

Den Winter über waren einige Fremde bei uns ‚zur Überwinterung‘; vielerlei rauflustig wirkende Gestalten, denen die Anständigeren unter uns nur zu gerne aus dem Weg gingen. Ein oder zwei von ihnen waren schon früher dagewesen, so zum Beispiel dieser Tolume namens Chastred mit seiner Gruppe Krieger. Ich war bei weitem nicht der Einzige, der Böses fürchtete .

„Was meinst du, wofür braucht er all diese Krieger?“ Caeryss hatte bereits mehrfach unter ihren Übergriffen leiden müssen; an diesem Tag saß sie mit Gouma und mir zusammen zum Frühstück in der Küche – die anderen Mägde waren gerade aus, den hohen Herren und Damen ihre Anteile zu bringen,

„Das letzte Mal als ich soviele fremde Krieger in der Burg gesehen habe, hatte Tereanv Gurass ein Turnier veranstaltet.“ Gouma schien immer häufiger in Erinnerungen zu schwelgen – oft fragte ich mich, was das wohl zu bedeuten hatte.

„Ich glaube kaum, dass er mit diesen…“ Vorsichtig sah ich mich um, mich zu vergewissern, dass nicht der falsche lauschen würde, und sprach danach trotzdem nur leise. „Ich glaube kaum, dass er mit diesen – Banditen ein Turnier veranstalten will.“

Caeryss sah mich erschrocken an. „Glaubst du wirklich, dass es Banditen sind? Einer von Errists Männern meinte, er glaubt, es seien Söldner.“

Ich konnte nur mit den Augen rollen. „Natürlich sind es Söldner – und Banditen – je nachdem, was ihnen gerade mehr einbringt. Wo ist der Unterschied? – Die Frage ist aber immer noch, was sie hier wollen; und ich befürchte schlimmes.“

„Was könnte jemand mit Söldnern schon wollen?“ Entwickelte sich Gouma plötzlich zur Kriegskennerin?

„Jemanden angreifen?“ Manchmal erschien Caeryss so schrecklich unschuldig, dass es fast schon erfrischend war.

„Aber wen wohl?“ Gemütlich rührte Gouma in ihrem Brei herum.

„Da befürchte ich so einiges. In letzter Zeit hatte Crear oft Besuch von Adligen, die größeren Landbesitz haben – und mit einigen davon verstand er sich nicht – die könnten gute Ziele für ihn sein – oder die Umgebung von Lurut; seinen eigenen Machtbereich vergrößern – und dann ist da noch Barga und alles was darinnen ist.“

„Den König angreifen?“ Es schoss förmlich aus Caeryss hervor, dass sie sich danach erstmal erschrocken umblickte.

Gouma aber interessierte anderes. „Was gibt es dort denn?“

Ihren Blicken nach zu urteilen sprach ich folgendes mit düsterer Miene. „Den König – seinen Gegner Louvis – die Macht des Reiches – seine Ehre – und schon so mancher Mann war bereit für seine Liebe zu töten.“

„Ach, seine Liebe!“ Gouma kichern zu hören erschrak mich fast schon mehr als die Umstände in der Burg.

Den gesamten folgenden Winter waren wir eingepfercht mit fremden Männern, die sich an Lautstärke und Rüpelhaftigkeit allesamt gegenseitig zu überbieten schienen. Und bald käme der Frühling – doch vorher entsandte Crear Boten an den König, dass er sich würde entschuldigen wollen – und wurde so für den nächsten Geburtstag wieder eingeladen.


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