Zitat des Tages – Leben

Mai 3, 2012

Wir werden geboren – unsere Eltern geben uns Brot und Kleid – unsere Lehrer drücken in unser Hirn Worte, Sprachen, Wissenschaften – irgend ein artiges Mädchen drückt in unser Herz den Wunsch es eigen zu besitzen, es in unsere Arme als unser Eigentum zu schließen, wenn sich nicht gar ein tierisch Bedürfnis mit hineinmischt – es entsteht eine Lücke in der Republik wo wir hineinpassen – unsere Freunde, Verwandte, Gönner setzen an und stoßen uns glücklich hinein – wir drehen uns eine Zeitlang in diesem Platz herum wie die andern Räder und stoßen und treiben – bis wir wenn’s noch so ordentlich geht abgestumpft sind und zuletzt wieder einem neuen Rade Platz machen müssen – das ist, meine Herren! ohne Ruhm zu melden unsere Biographie – und was bleibt nun der Mensch noch anders als eine vorzüglichkünstliche kleine Maschine, die in die große Maschine, die wir Welt, Weltbegebenheiten, Weltläufte nennen besser oder schlimmer hineinpaßt.

Kein Wunder, daß die Philosophen so philosophieren, wenn die Menschen so leben. Aber heißt das gelebt? heißt das seine Existenz gefühlt, seine selbstständige Existenz, den Funken von Gott? Ha er muß in was Besserm stecken, der Reiz des Lebens: denn ein Ball anderer zu sein, ist ein trauriger niederdrückender Gedanke, eine ewige Sklaverei, eine nur künstlichere, eine vernünftige aber eben um dessentwillen desto elendere Tierschaft.

 

– Jakob Michael Reinhold Lenz: Über Götz von Berlichingen (1774)

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Die Menschheit

März 30, 2009

Alle treibt das gleiche Ziel:

Ewig leben in den Werken.

Es wird Rot: bleibe stehen,

warte brav – für dein Grün,

folge stets der Herde nach.


Zitate des Tages

November 11, 2008

„Er stellte sich die Menschen so vor, wie sie tatsächlich sind, nämlich als Würmchen, die sich auf einem winzigen Häufchen Schmutz gegenseitig verschlingen. Diese lebendige Vorstellung ließ ihn sein Mißgeschick vergessen, weil sie ihn die Nichtigkeit der eigenen Existenz [..] erkennen ließ.“

„zwei Unglückliche [..] sind wie zwei schwache Stämmchen, die sich gegenseitig stützen, um dem Sturm standhalten zu können.“

– Voltaire: Zadig oder Das Schicksal (1748)


Trauer: Ursache und Effekte

November 4, 2008

Was ist es, das eine kleine harmlose Enttäuschung gleich zu großer Trauer, zu Traurigkeit werden lässt? Ist es

a) etwas unterbewusst vorhandenes, das will, dass man anders handelt, dass man den Willen zur Überwindung des Selbst hat, das nun dafür straft, dass man anders handelte,

b) das entstandene schlechte Gewissen, wofür diese Reaktion aber zu extrem ist, das darum unbewusst weitere Assoziationen, vielleicht an frühere Enttäuschungen aufwirft,

c) unterdrückte Ängste, die sich nun Bahn brechen oder

d) der Verlust, weil man die Enttäuschung doch nicht verursachen wollte?

Der Grund wird durch die Analyse leider nicht entdeckt. Doch der Akt der Analyse bringt Energie. Energie die beim Nachdenken genutzt wird. Energie, die sich gut anfühlt.

Die Traurigkeit, die Trauer, bringt Ernst, bringt das Nachdenken. Trauer als eine Art Reinigung der Seele, wie die Tränen den Körper reinigen. Der Schmerz wird fortgespült, er macht Platz für Neues. Neue Gedanken, neue Erinnerungen strömen herein. Auch neue Ängst, Existenzängste. Angst, die Furcht vor Bedrohungen der eigenen Existenz, die zu neuer Trauer führt. Trauer um das Verlorene, vor allem aber Trauer um das Nicht-Erreichte.

Trauer ist Ruhe.