Den Artikel gibt es auch als Buch.
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Abstract
Even ist eine tungusische agglutinierende Sprache. Diese Arbeit skizziert die Möglichkeiten der Sprache zum Ausdruck von Reziproken und des Soziativ und stellt sie in einen Vergleich zu anderen eng verwandten Sprachen: Evenki und Udihe. Es ergeben sich Gemeinsamkeiten und Unterschiede sowie eine Skala von Flexibel (Even) bis Unflexibel (Udihe) betreffend die morphologische Ausdrucksmöglichkeit.
Inhalt:
1. Einleitung 2
1.1. Etymologische Vorbemerkungen 2
1.2. Reziproke, Reflexive, Soziative. 2
2. Even 3
2.1. morphologisch – Reziproksuffixe 4
2.2. syntaktisch – Pronomen 6
2.3. Soziativ 7
2.4. Fazit Even 8
3. Evenki 9
3.1. morphologische Reziproke 9
3.2. syntaktisch – Pronomen 10
3.3. Soziativ 11
3.4. Fazit Evenki 11
4. Udihe 12
4.1. morphologisches Reziprok 12
4.2. syntaktisch – Pronomen und Reduplikation 13
4.3. Soziativ 14
4.4. Fazit Udihe 15
5. Unterschiede und Gemeinsamkeiten 15
5.1. Das Suffix 15
5.2. Syntaktisches 15
5.3. Der Soziativ 16
6. Fazit 16
7. Referenzen 17
1. Einleitung
Anderson (2006) zufolge gibt es einige für die sibirischen Sprachen typische Merkmale, hierbei u.a. eigenständige morphologische Reziprokformen. Tatsächlich, dem WALS (2008) zufolge1 wäre es eher bemerkenswert, wenn sie diese nicht hätten, da viele Sprache solche aufweisen. Da er aus der tungusischen Familie nur Even als Beispiel gibt, ist kaum ersichtlich ob er damit meint, dass die verwandten Sprachen dies nicht hätten (auch wenn er im Appendix Even und Udihe als mit Reziproken versehen auflistet – jedoch nicht erwähnt, ob damit eigenständige morphologische Formen gemeint sind).
Nedjalkov (2007) gab einen Sammelband zu Reziprokkonstruktionen heraus, in dem unter anderem auch Even und die nah verwandten Sprachen Evenki und Udihe behandelt werden. Eine interessante Frage die sich bei der Lektüre dieser Artikel stellt ist, wie sehr sich die drei Sprachen ähneln. Eine einfache Hypothese lautet, dass in diesen eng verwandten Sprachen große Gemeinsamkeiten betreffend der Reziproka gefunden werden. Eine zweite Frage ist, was die Sprachen denn sonst besonderes dem Reziprok ähnliches haben, wenn diese doch so gewöhnlich sind. Zu diesem Punkt lässt sich schon jetzt sagen, dass es der Soziativ ist.
Diese Arbeit soll das Reziprok des Ewenischen samt Soziativ und ähnlicher Formen erläutern und vorstellen und vor allem Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu verwandten Sprachen zeigen. Dazu werden die Schwestersprache Evenki sowie das Udihe vorgestellt und mit Even verglichen.2 Das System im Ewenischen wird hierbei ausführlicher dargestellt als die der anderen Sprachen.
1.1. Etymologische Vorbemerkungen
Es wäre vielleicht sinnvoll bereits zu bemerken, dass die Suffixe (und teilweise auch Pronomen) der einzelnen Sprachen auf eine gemeinsame Basis zurückgehen, deren Bedeutungsmöglichkeiten sich aber wandelten. Laut Nedjalkov & Nedjalkov (2007: 1625) ist das Suffix für das Reziprok in allen tungusischen Sprachen außer dem Manchu vorhanden und hat meist eine Form der Art -maat, -maač oder -masi. Entstanden sein soll es durch das unbekannte Suffix -maa und dem Durativ/Iterativ -či. Der Soziativ ist wesentlich umstrittener. Offensichtlich hat das Reziprok der drei Sprachen also schonmal eine gemeinsame Basis, die auch heute noch zumindest ähnlich klingt.
1.2. Reziproke, Reflexive, Soziative.
Was sind Reziproke überhaupt? Laut Bußmann (2002) kommt das Wort von reciprocus (zurückkehrend) und bedeutet eine wechselseitige Beziehung zwischen mindestens zwei Elementen, ausgedrückt durch spezielle Morpheme oder Pronomen (was periphrastisch wäre). Die Definition von Bulatova & Grenoble (1999: 28) lautet: Eine Aktion, die von mehreren Agens (gegenseitig! = wechselseitig) vollführt wird, die gleichzeitig auch Rezipienten sind.
Man muss das Reziprok von Reflexiven unterscheiden, bei denen der Agens allein steht und gleichzeitig Rezipient ist sowie vom Soziativ, der per Definition nach Bulatova & Grenoble (1999: 28) eine Aktion ist, die von mehreren Agens (zusammen!) ausgeführt wird, die (aber) auch gleichzeitig (semantischer) Patiens oder Rezipient sein können. Alle drei Formen scheinen also eng verwandt, weshalb es nicht überrascht, im folgenden Reziprok und Soziativ ineinander verschwimmend und häufig Reflexivpronomen bei der Nutzung des Reziprok vorzufinden.
Ein deutsches Beispiel: ‚Die Männer schlagen sich (gegenseitig [Reziprok] oder zusammen [soziativ]).‘ Hierbei wird man die Verwendung des Reflexivpronomens und die Pluralmarkierung am Subjekt erkennen. Offenbar gibt es keine eigenständigen Verbmarkierungen.
Nach Haspelmath (2007), der eine ganze Typologie aufstellt, gibt es implizite und explizite Reziproka, wobei letztere grammatisch ausgedrückt werden durch eine freie Äußerungsform oder durch eine spezialisierte (die sogenannten reziproken Konstruktionen). Diese können wiederum aus mehren Sätzen oder – meist – nur einem bestehen. Letztere werden dabei noch einmal unterteilt in lexikalische Reziproke und grammatische. Die Konstruktionen sind meist anaphorisch (referieren also auf Gegebenes). Am Verb (durch Morpheme) markierte Reziproke signalisieren meist Reziprokalisation des direkten Objektes (DO), jedoch sind auch andere Varianten möglich, die man nach ihren Diathesen ordnet, von denen es für gewöhnlich bis zu vier gibt (kanonisch, indirekt, possessiv und postpositional)3. Haspelmath (2007) geht weiterhin davon aus, dass Reziproka sämtlich Subjekt-orientiert sind, also von dem ausgedrückten Argument stammen. Wie wir sehen werden gibt es aber auch andere Möglichkeiten, diese jedoch nur in sehr restrigierten Formen.
2. Even4
Even (auch bekannt als Ewenisch oder Lamutisch) ist eine Nord-tungusische Sprache. 1989 gab es laut Malchukov (1995) etwa 17.000 Ewenen, von denen schon damals aber nur gut 43,8% Even als Muttersprache hatten. Malchukov (2007) listet bloß noch auf, wieviele Ewenen es 2002 gab, doch sagt nicht, wieviele davon Ewenisch sprachen. Da Russisch und Jakutisch (Sakha) auf dem Vormarsch sind, gilt die Sprache als gefährdet.
Even ist morphologisch mit Suffixen agglutinierend, syntaktisch ist sie Nominativ-Akkusativ mit Basis-Wortreihenfolge SOV. Sie hat reziproke und soziative Formen, die beide reziproke Bedeutungen ausdrücken können, wobei auch der Kopf einer Phrase zusätzlich markiert werden kann. Ebenso gibt es reziproke Pronomen, allerdings nur, wenn etwas nicht verbal reziprok ausgedrückt werden kann. Dies soll im Folgenden exemplifiziert werden. Malchukov (1995) und (2007) sind hierbei die Grundlage.5
Reziproke Ausdrücke können im Even morphologisch, lexiko-syntaktisch (durch reziproke Pronomen) oder morphosyntaktisch (durch ein Possessiv-Pronomen, das auch zu morphologischen Markierungen führt) ausgedrückt werden. Letzteres rechne ich hier der Einfachheit halber zu den anderen Pronomen.
Weiterhin besitzt Even Vokalharmonie, hier soll aber nur jeweils eine Realisierung einer Form in den Beispielen gezeigt werden.
Im Folgenden skizziere ich kurz den morphologischen Reziprok im Ewenischen samt seinen Diathesen, danach die syntaktischen Konstruktionen durch Pronomen und Präpositionen und abschließend den Soziativ. Es kann hierbei aus Platzgründen nicht absolut ins Detail gegangen werden, dafür empfiehlt sich auch eher Malchukov (2007), doch soll das Wichtigste über die Reziproken herausgearbeitet werden.
2.1. morphologisch – Reziproksuffixe
Die morphologische Form des Reziprok ist im Ewenischen das Suffix -mat (je nach Dialekt auch -mač). Das Subjekt wird hierbei wie man sieht in der morphologischen Konstruktion für Pluralität markiert; genau wie im Deutschen.
(1) ak-nil-ø aw-mat-ta
Bruder-PL-NOM waschen-REC-NFUT:3PL
‚Die Brüder wuschen sich (gegenseitig).‘ (Malchukov 1995: 14)
Wie schon angesprochen unterscheidet man bei Reziproken verschiedene Typen von Diathesen. Hierbei unterscheidet Malchukov (1995) nur drei Arten (die unteren ‚kanonischen‘ i. bis iii.), während Malchukov (2007) diese weiter spezifiziert, dabei dem Rahmen des Buches, in welchem der Artikel publiziert wurde, folgend. Er unterscheidet in Objekt-orientierte (die nur bei Kausitiven vorkommt und auf die kaum näher eingegangen wird) und Subjekt-orientierte Diathesis, ähnlich wie Haspelmath (2007). Letztere ist die hauptsächliche und ’normale‘ Form eines Reziproks; diese unterteilt er in weitere Arten (nach Häufigkeit geordnet):6
a) Kanonisch: Dies ist sozusagen die normale Diathese.
i. DO-orientiert: Das Subjekt ist hier koreferenziell mit dem DO. Hier nehmen transitive Verben belebte Objekte. S = 01, TR+animiertesO.
ii. OO-orientiert: Das Subjekt ist koreferenziell zum 2. Argument von bivalenten Intransitiven7. S=02,, bivINTR
iii. IO-orientiert: Das Subjekt ist koreferenziell zum 3. Aktant von Ditransitiven. Das Objekt steht im Allativ, Instrumental oder Lokativ. S=O3, DITR+ALL/INSTR/LOK
(2) bi nimek-n’un etiken-teki göö-met-te-p
Ich Nachbar-COM Alter.Mann-ALL sagen-REC-NFUT-1PL
‚Ich und der Nachbar erzählten dem alten Mann über jeden anderen.‘
(Malchukov 2007: 1653)
Malchukov (2007) fasst diese drei Unterformen zu einer Obergruppe zusammen, dem Kanonischen.
b) Indirekt: Diese Diathese ist auch relativ häufig.
3er Transitive aus lediglich drei semantischen Gruppen (Geben, Wegnehmen, Sprechen) können diese Diathese bilden. Das Objekt steht im Dativ, Ablativ oder Allativ. S=O1, 3TR+DAT/ABL/ALL
(3) oroči-l tara-w oro-r-bu meer doo-li borit-mat-ti-tan
Even-PL das-ACC Rentier-PL-ACC unter sich.selbst teilen-REC-PST-3PL
‚Even teilten diese Rentiere unter sich auf.‘ (Malchukov 2007: 1653)
c) 2 Diathesen: Diese Diathese verbindet Eigenschaften auf zwei Diathesen gleichzeitig, vor allem der kanonischen. 3er Transitive Verben, die ambig sind (können das Subjekt cross-korefenziell mit dem DO oder IO verbinden). S=O1/02, 3TR
d) Possessiv: Diese Diathese betrifft Situationen mit einem Besitz.
Das Subjekt ist Possessor. Diese Diathese wird durch ein (Reflexiv-)Pronomen ausgedrückt, siehe unten. Gebildet werden kann sie von Transitiven und 2er Intransitiven. Meist erscheint das Objekt im Benefaktiv. S=POSS, TR/2INTR(+BEN)
e) Postpositionaler Possessiv: Diese Diathese ist ähnlich wie d), allerdings wird hier der Besitz durch eine Postposition hergestellt.
(4) atika-r meer žugu-li-wur ukčen-met-te
alte.Frau-PL selbst über-PROL-REFL.PL erzählen-REC-NFUT.3PL
‚Alte Frauen erzählen über sich selbst.‘ (Malchukov 2007: 1656)
Im Gegensatz zu den gleich folgenden syntaktischen Konstruktionen können einige Reziproka nicht morphologisch ausgedrückt werden. Bewegungsverben können z.B. nicht reziprok sein (*Sie gehen sich). Auch kann Koreferenz zwar zu einem Argument, aber nicht zu einem Adjunkt ausgedrückt werden. Dies kann im Ewenischen nur syntaktisch ausgedrückt werden. Außerdem führen die Diathesen zu verschiedenen Valenzminderungen des Verbes, was in syntaktischen Konstruktionen nicht geschieht.
Es gibt auch noch anderes, das man erwähnen sollte. So kann das -mat neben seiner Reziprozität auch Multiplikation bedeuten, was uns hier aber nicht interessieren soll. Weiterhin ist es in einem östlichen Dialekt auch möglich in ‚possessiven‘ Reziprokkonstruktionen den Kopf der Phrase zu markieren. Das Suffix lautet -takan: atika-r-takan.
2.2. syntaktisch – Pronomen
Wie erwähnt wird eine Konstruktion mit Pronomen benutzt, wenn eine morphologische Lösung nicht möglich ist. Die Pronomen können aber auch Koreferenz des Subjekts zu einem Adjunkt anzeigen. Nach Malchukov (1995) wird in östlichen Dialekten das Suffix -teke(n)- (vgl. das takan; samt Endungen) zu dem Reflexiv-Possessiv-Plural-Pronomen meer addiert. In westlichen Dialekten dagegen wird das Reflexiv-Possessiv-Plural-Pronomen meen redupliziert (samt Endungen).
(5) meer-teken-du-r ‚zu sich gegenseitig‘
meen-meen-du-r ‚zu sich gegenseitig‘ (Malchukov 1995: 26f)
In einer solchen Konstruktion wird das Subjekt für Pluralität markiert, genau wie bei den Affixen.
Malchukov (2007) unterteilt die Pronomen anders:
a) kennt er noch von reflexiven Pronomen stammende:
- meen-i ‚SG.self‘ und meer-bur ‚PL.selves‘ stammen von possessiven Pronomen und sind Subjekt-orientiert,
- meen-ni ‚er sich selbst‘ und weitere sind Objekt-orientiert und daher auf kausative Konstruktionen beschränkt;
b) weiterhin gibt es ‚richtige‘ Reziprok-Pronomen, deren Subjekt-orientierte Formen oben in (5) erklärt sind, derweil die Objekt-orientierten statt -du- ein -me- nehmen.
Weiterhin nennt Malchukov (1995) eine dritte Form von Reziproka, das Possessiv-Pronomen meer, welches Malchukov (2007) in eine vierte Klasse von reziproker Diathese steckt. Dessen Bedeutung soll in einem Beispiel gezeigt werden:
(6) Asa-l-ø meer unta-l-ø-bur aj-mat-ta
Frau-PL-NOM selbst Schuh-PL-NOM-REF flicken-REC-NFUT:3PL
‚Frauen flickten sich (gegenseitig) ihre Schuhe.‘ (Malchukov 1995:29)
Dieses Pronomen ist aber ambig (ähnlich wie die deutsche Übersetzung), weshalb man auch lesen könnte: ‚flickten ihre (eigenen) Schuhe‘.
Auch hier unterscheidet Malchukov drei Diathese-Typen, deren Subjekte jeweils korefenziell zum Possessor einer DO-NP, obliquen NP oder IO-NP sind. S=DO-POSS / S=POSS-OBL / S=IO-POSS
Man sieht: Die Gemeinsamkeit ist hier der Possessiv.
(7) amarla maa-ča-wur olra-w meer-teker-dur böö-wet-te
später töten-PART-REFL.PL Fisch-ACC gegenseitig-DAT-REFL.PL geben-ITER-NFUT.3PL
‚Später gaben sie sich den Fisch, den sie getötet hatten.‘ (Malchukov 2007: 1662)
Im Gegensatz zu den morphologischen Markern führen die Pronomen übrigens keine Valenzminderung herbei (Malchukov 2007: 1662). Als weitere Unterschiede zwischen den morphologischen sowie den syntaktischen Formen führt Malchukov (2007: 1663) folgende an:
a) Die morphologische Form ist häufiger; b) Pronomen sind markierter, komplexer und deshalb seltener benutzt sowie dialektal unterschiedlich geformt; c) die Pronomen haben keine ‚possessive‚ Diathese, dafür aber eine adverbiale; d) Pronomen sind nicht ambig und werden deshalb meist genutzt um eben Ambiguitäten aufzulösen.
Folgend ein Beispiel, in der Ambiguität aufgelöst wird:
(8) a) Hurke-r hölnež-u arča-mka-mat-ta
Junge-PL Gast-ACC treffen-CAUS-REC-NFUT.1PL
‚Die Jungen senden den Gast jeden (anderen) zu treffen / Die Jungen senden sich (gegenseitig) den Gast zu treffen.‘
b) Hurke-r hölnež-u meen meen-ur arča-mka-mat-ta
Junge-PL Gast-ACC gegenseitig-REFL-Pl treffen-CAUS-REC-NFUT.1PL
‚Die Jungen senden den Gast jeden (von sich) zu treffen.‘ (Malchukov 2007: 1664)
Letztlich gibt es noch einen sogenannten Reziprok-Spezifikator, der mit den Suffixen zusammen benutzt wird und ‚meer dooli(-wur)‘ lautet und soviel wie ‚unter ihnen; zu jedem anderen‘ bedeutet. Er wird mit den Suffixen in Konstruktionen benutzt, die keine strikte cross-Koreferenz zwischen Partizipanten impliziert.
(9) heejeke-l oroči-l-n’un meer dooli bejci-gre-r maa-mat-kara-r
Yukaghir-PL Even-PL-COM unter ihnen.selbst jagen-ITER-NFUT.3PL töten-REC-ITER-3PL
‚Yukaghiren und Evenen jagten und töteten sich.‘ (Malchukov 2007: 1666)
2.3. Soziativ
Der Soziativ ist eine morphologische Form, die für diese Sprachen typisch ist, wie wir noch sehen werden. Im Ewenischen lautet der Marker -lda.
(10) beji-l unijek-tu ilača-lda-r
Mann-PL Laden-DAT stehen-SOC-NFUT.3PL
‚Die Männer stehen zusammen beim Laden.‘ (Malchukov 2007: 1667)
Das Suffix kann auch durch ein Adverb (ömettu ‚zusammen‘) oder Kollektivnumerale ausgedrückt werden. Dann ergibt sich eine syntaktische Konstruktion, ähnlich wie im Deutschen. Die Besonderheit der tungusischen Sprachen ist es ja aber gerade, solch einen Soziativmarker zu haben.
Auch der Soziativ kennt Subjekt- und Objekt-orientierte Diathesen mit denselben Unterklassen wie beim Reziprok, wobei letztere Orientierung wieder nur mit Kausativen auftritt.
(11) hi oro-r-bu buteke-duk köke-lde-wken-i-s
Du Rentier-PL-ACC Hufkrankheit-ABL sterben-SOC-CAUS-PST-2SG
‚Du ließest die Rentiere wegen der Hufkrankheit (zusammen=gleichzeitig) sterben.‘
(Malchukov 2007: 1668)
Von einigen Verben kann der Soziativ aus semantischen Gründen nicht gebildet werden (z.B. *Zusammen schneien; das ergibt auch im Deutschen keinen Sinn). Weitere Beschränkungen gibt es jedoch nicht, außer noch in der parallelen Nutzung zum Reziprok (s.u.). Ist ein Verb bereits lexikalisch reziprok, kann ein Soziativ zwar gebildet werden, verändert aber die Bedeutung nicht. Weiterhin kann der Soziativ auch einen Kompetitiv ausdrücken; eine Herausforderung, einen Wettkampf (hiru-lde- ‚Im Skifahren wettstreiten‘).
Das Reziproksuffix -mat führt wie schon erwähnt eine Valenzminderung herbei, während dies der Soziativ -lda nicht macht; die Anzahl der geforderten Argumente bleibt gleich.
Vom Soziativ kann auch ein Reziprok der Form -lda-mat gebildet werden.
(12) a. maa- ‚töten‘
b. maa-lda- ‚jmd/etwas zusammen töten‘
c. maa-lda-mat- ’sich (gleichzeitig) gegenseitig töten‘
d. maa-mat- ’sich gegenseitig töten‘ (Malchukov 2007: 1650)
Ist ein Verb bereits lexikalisch reziprok (durch ein -lda), so kann zwar ein -mat rangehängt werden, die Bedeutung bleibt jedoch dieselbe. Bei manchen Verben jedoch verändert es die Bedeutung und bildet eine neue lexikalische Einheit, z.B. bei finden – treffen, wovon auch ein Reziprok gebildet werden kann.
2.4. Fazit Even
Wir sahen im Ewenischen eine morphologische Form des Reziprok, den Marker -mat, der zu einer Valenzminderung führt und in ganze fünf Diathesen unterschieden wird. Das Reziprok kennt nur wenige Beschränkungen. Pronomennutzung wird meist emphatisch oder disambiguierend benutzt. Weiterhin gibt es auch einen eigenständigen Soziativmarker, der auch periphrastisch gebildet und als Marker auch seltener als Kompetitiv oder Reziprok genutzt werden kann. Even beweist damit eine relativ große Flexiblität und Fülle an Ausdrucksformen, wobei die morphologische Form jedoch am beliebtesten ist8.
3. Evenki9
Evenki10 ist die direkte Schwestersprache von Even, weshalb man viele Gemeinsamkeiten erwarten kann; und tatsächlich gelten viele der Grundangaben für Even auch für Evenki. Nedjalkov & Nedjalkov nehmen für 2007 nicht mehr als 15.000 Sprecher an, was trotzdem mehr als für Even ist. Die Evenki haben auch eine eigene autonome Region in Sibirien, in der ironischerweise jedoch kaum Evenkis leben, da der Rest im Großteil Sibiriens verstreut ist. Die Beschreibung hier folgt Nedjalkov & Nedjalkov (2007), die ihre wiederum auf einem südlichen Dialekt basierten.
Um gleich die auffälligste Gemeinsamkeit zu zeigen: das Suffix für das Reziprok ist -maat (mit Variante -maači), der Soziativ ist -ldə, eine Form -ldə-maat ist auch möglich und die Pronomen lauten memegil-wer und mer-wer. Bereits starke Ähnlichkeiten zum Even. Ähnlich wie im Even verändert der Soziativ (natürlich) nicht die Valenz (außer als Komitativ genutzt), das Reziprok dagegen schon. Der Soziativ kann von allen Verbstämmen und auch Kausativen gebildet werden, nicht aber von Reziproken. Hier liegt auch ein erster wichtiger Unterschied zum Even: Nedjalkov & Nedjalkov (2007) analysieren das -ldə-maat als einen komplexen Reziprok-Marker, aber nicht als Soziativ, der vom Reziprok gebildet wurde.
Die Reihenfolge in der Darstellung ist dieselbe wie beim Even, doch werde ich mich (noch) kürzer halten.
3.1. morphologische Reziproke
Im Evenki gibt es, im Gegensatz zum Even, auf natürlicher Basis nur die Subjekt-orientierten Diathesen. Objekt-orientierte sind zwar wie im Even im Kausativ theoretisch möglich, klingen aber für Muttersprachler trotzdem unnatürlich. Das Even besitzt also eine größere Ausdrucksmöglichkeit. Übrigens sind auch Reziproke von Verbstämmen mit einem unproduktiven (und damit festen und lexikalischen) Kausativmarker nicht möglich11. Die Subjekt-orientierten Diathesen unterteilen Nedjalkov & Nedjalkov (2007) in vier Typen, wobei hier im Gegensatz zum Even der 2-Diathesen-Typus fehlt und es statt der postpositionalen Diathese eine benefaktive gibt:
a) kanonisch
b) indirekt
c) benefaktiv (bei 2er Intransitiven mit optionalem IO);
d) possessiv (im Evenki sehr selten und mit dem Possesiv-Suffix -wer).
(13) omo:lgi-ča:-r ɘβikɘ:n-mɘ tanča-ma:t-ča-ča:-tin
Junge-DIM-PL Spielzeug-ACC wegnehmen-REC-IPFV-PST-3PL
‚Die kleinen Jungen nahmen einander die Spielsachen weg.‘ (Bulatova & Grenoble 1999: 28)
Trotz der vielen Diathesen kann das Suffix nur an eine begrenzte Zahl von Stämmen aufgrund semantischer Restriktionen kommen. Welche genau das sind, sagen Bulatova & Grenoble (1999) jedoch nicht.
Wie erwähnt analysieren Nedjalkov & Nedjalkov (2007) das Suffix -ldə-maat als einen komplexen Reziprok-Marker. Dieser ist möglich mit allen Verben, bei denen auch das bloße -maat möglich wäre und scheint emphatisch zu sein. Diese Formen werden aber scheinbar meist auch lexikalisiert.
(14) baka- ‚finden‘
baka-ldə-maat– ’sich treffen‘ (Nedjalkov & Nedjalkov 2007: 1611)
Die Suffixe dagegen werden nur selten lexikalisiert, anders also als im Even. Wenn Reziproka lexikalisiert wurden, haben sie auch kein nicht-reziprokes Gegenstück.
Im Evenki kann das -maat sogar an Nominativa gehängt werden, jedoch nur bei drei Formen, aus denen dann jeweils ein Verb wird. So wird aus ‚Schulter‘ ein ‚heiraten‘ (im Sinne von umarmen?12).
3.2. syntaktisch – Pronomen
Auch Evenki kennt Pronomen. Das reziproke Pronomen lautet memegil-ø-wer, wobei es anstelle des unmarkierten Akkusativ (-ø-) auch viele andere Kasus nehmen kann. Das Pronomen ist anstelle oder mit dem Suffix nutzbar, wobei einige Reziproke aber auf das Pronomen nicht verzichten möchten. Also wird im Evenki, im Gegensatz zum Even, das Pronomen manchmal obligatorisch gefordert. Auch hier wird wieder nach Diathesen unterschieden, wobei nur Subjekt-orientierte möglich sind:
a) kanonisch: von 2er Transitiven, 2er Intransitiven (hier ist der Akkusativ nicht möglich), 1er Intransitiven (restriktiert auf Tierlaute); 2TR, 2INTR, 1INTR
(15) čipča-l memegil-nun-mer čulli-žara-ø
Vogel-PL each.other-COM-ihr zwitschern-PRS-3PL
‚Vögel zwitschern miteinander.‘ (Nedjalkov & Nedjalkov 2007: 1618)
b) indirekt;
c) benefaktiv von 2er Transitiven. 2TR
Wie man sieht fehlt hier die possessive Diathese.
Wie im Even ist auch im Evenki das Pronomen optional, wenn ein Suffix vorhanden ist, und dient dann emphatischen Zwecken, kann also trotzdem erscheinen. Ausnahme sind hier die bereits erwähnten Fälle in denen es obligatorisch gefordert wird.
Auch das Evenki kennt zusätzlich noch ein reflexives Pronomen, das auch für Reziproka benutzt werden kann: mer-wer ’selbst‘, wobei die reziproke Verwendung jedoch selten ist. Je nach Konstruktion ist aus pragmatischen Gründen nur eine von beiden Lesarten möglich, manchmal jedoch beide. In diesen Fällen kann ein -maat disambiguieren.
3.3. Soziativ
Soziativ und Reziprok kommen im Evenki nicht im selben Satz vor. Jedoch kann der Marker -ldə zusammen mit einem reziproken Pronomen vorkommen, wenn seine Bedeutung schon selber reziprok ist. Bulatova & Grenoble (1999: 28) nennen den Soziativ Komitativ und geben das Suffix -ldi- an. Der Unterschied mag daran liegen, dass sie einen anderen Dialekt untersuchten; die Bedeutung ist jedoch dieselbe.
Der Soziativ hat folgende Diathesen:
a) Subjekt-orientiert: i. von Intransitiven, ii. von Transitiven;
b) Objekt-orientiert: kann bei Pluralität des Subjekts zu Ambiguität führen. Auch hier ist diese Diathese wieder einmal auf Kausative beschränkt.
(16) Asa-l kuƞaka-r-we suru-ldə-wken-e-ø
Frau-PL Kind-PL-ACC weggehen-SOC-CAUS-NFUT-3PL
‚Die Frauen schickten die Kinder zusammen weg / Die Frauen zusammen schickten die Kinder weg.‘ (Nedjalkov & Nedjalkov 2007: 1613)
Das Beispiel ist auch im Deutschen in der ersten Lesart ambig, es sollte aber klar sein, was gemeint ist. Interessanterweise ist der Marker übrigens in Texten häufig reziprok, in der Umgangssprache dagegen meist soziativ. Letztlich kann nur ein einziges Substantiv mit dem Soziativ verbalisiert werden: ‚Arm‘ wird zu ‚ringen‘13.
3.4. Fazit Evenki
Evenki weist als Schwestersprache des Ewenischen nahezu dieselben Merkmale auf, ist jedoch stärker restrigiert.
4. Udihe14
Udihe (Udehe, Udeghe, Ude, Kekar, Käkala und viele Formen mehr15) ist, wie Even und Evenki, eine tungusische Sprache Sibiriens. 1989 konnten noch 528 der Udihe ihre Sprache, jedoch mehr als 100 dürften laut Nikolaeva (2007) heute keine Muttersprachler mehr sein; mittlerweile vermutlich noch weniger. Im Gegensatz zu den anderen bereits vorgestellten, dialektreichen Sprachen existieren vom Udihe nur (noch) zwei, die auch nur marginale Unterschiede haben sollen.
Im Udihe sind Reziproka grundsätzlich Subjekt-orientiert, wo die anderen beiden Sprachen wenigstens noch teilweise eine Objekt-Orientierung hatten16. Damit liegt Udihe näher an dem Ideal von Haspelmath (2007), der ja keine Objekt-orientierten Reziproke kennt. Objekte und Adjunkte können reziprokalisiert werden, Beschränkungen sind fast gänzlich semantisch; das ist kaum anders als in den anderen beiden Sprachen.
Auch Udihe kennt ein morphologisches Suffix (-masi) sowie ein reziprokes Pronomen (me(n)-), die auch kombiniert werden können. Im Gegensatz zu Even und Evenki nutzt die Sprache aber auch Reduplikation, um Reziproka darzustellen. Dies sahen wir bisher nur an einem Pronomen eines Dialekts des Ewenischen. Ein weiterer starker Unterschied ist, dass der Norddialekt nur durch -masi einen Soziativ ausdrücken kann, derweil der Süddialekt auch ein seltenes Suffix -niŋa hat. Dieser südliche Dialekt soll vor allem beschrieben werden.
Weitere Gemeinsamkeiten mit Even und Evenki in der Grammatik sind folgende: SOV-Wortstellung, agglutinierende Suffixe, Vokalharmonie (die aber andere Grundlagen hat – und interessanterweise betrifft sie das Reziprok- sowie das Soziativ-Suffix meist nicht).
4.1. morphologisches Reziprok
Das Suffix im Udihe, welches im Even und Evenki auf t bzw č endet, wurde im Udihe zu -masi. Es folgt grundsätzlich nach dem Aspekt und kommt vor dem Tempus, also ähnlich wie in den anderen Sprachen.
(17) nuati bele-masi-e-ti
sie helfen-REC-PST-3PL
‚Sie halfen sich (gegenseitig).‘ (Nikolaeva 2007: 939)
Im Udihe ist das Reziprok stets Subjekt-orientiert und nicht über Satzgrenzen hinweg möglich, also monoklausal, um mit Haspelmath (2007) zu sprechen. Da es im Udihe keine semantischen Beschränkungen hierzu gibt, können (fast) alle transitiven und intransitiven Verben das Suffix nehmen.
Udihe kennt auch nur zwei Diathesen der Subjekt-orientierten Konstruktion:
a) kanonisch (von 2er Transitiven mit DO und Intransitiven mit IO, wobei letztere selten sind);
b) indirekt (das IO eines Transitiven und die semantischen Klassen ‚Geben‘, ‚Wegnehmen‘ und ‚Sprechen‘ betreffend).
Die Formen sind hochproduktiv wenn von Transitiven, von anderen Verben jedoch nicht.
Selten kann -masi auch nicht-reziprok mit Intransitiven auftreten. Meist ist die Bedeutung dann, dass zwei Partizipanten eine Aktion abwechselnd ausführen. Im nördlichen Dialekt, wo es keinen Soziativmarker gibt, kann -masi auch diese (soziative) Bedeutung übernehmen.
(18)a) nuati etete-masi:-ti
sie arbeiten-REC-3SG
‚Sie arbeiten abwechselnd.‘
b) teu-ni sauli-masi-li-e-ti
alle-3SG Essen.anbieten-REC-INC-PST-3PL
‚Alle fingen an zusammen ein Festessen zu haben.‘ (Nikolaeva 2007: 941f.)
Meist wird -masi mit dem Aspektmarker -si verbunden, der verschiedene imperfektive Bedeutungen hat, was dann auch zu Ambiguitäten führen kann. Interessanterweise ersetzt -masi aber den Aspektmarker, wenn das Verb im Grundstamm bereits einen trägt.
Das reziproke Argument kann entweder instrumental als Adjunkt (19a), postpositionale Phrase (19b) oder durch einen Plural ausgedrückt werden.
(19)a) Gioŋka Pioŋka-zi zogzo-masi-e-ti
G. P.-INST streiten-REC-PST-3PL
‚Die Giongkas stritten sich mit den Piongkas.‘
b) bi neŋu mule mo:-tigi tukti-e-mi
Ich jg.Bruder mit Baum-LAT klettern-PST-1SG
‚Ich erklimme den Baum (zusammen) mit meinem jüngeren Bruder.‘
(Nikolaeva 2007: 945f)
4.2. syntaktisch – Pronomen und Reduplikation
Wird ein Pronomen benutzt, erhält das Verb kein Suffix und ändert so auch nicht die Valenz des Verbes. Die Basis des Pronomen ist das reflexive mene/me(n)- ’sich selbst‘. Reflexiv hat es das volle Kasuspradigma, reziprok wird es redupliziert und kann nur im Nominativ oder Akkusativ vorkommen.
(20) mene-mene (NOM) ’sich selbst‘
me-f(e)i-me-f(e)i (ACC) ’sich selbst‘ (Nikolaeva 2007: 948)
Lediglich das Akkusativ-Pronomen kann auch mit einigen Suffixen vorkommen, wird jedoch nicht von allen Sprechern akzeptiert.
Das Pronomen drückt vor allem Diathesen aus, die das Suffix nicht (mehr?) ausdrückt:
a) possessiv (ohne POSS am Kopf),
b) kanonisch (von 2er Intransitiven mit OO oder 2er Transitiven).
Das Pronomen kann auch ‚jeder selbst‘ oder ‚in unterschiedliche Richtungen‘ bedeuten.
Weiterhin hat, ähnlich wie das meer doli aus dem Even, Udihe auch ein ‚unter ihnen‘: mene dolo.
(21) mene dolo e-iti asa
REFL innen NEG-3PL respektieren
‚Sie respektieren sich nicht.‘ (Nikolaeva 2007: 950)
Der nördliche Dialekt hat übrigens noch ein zweites Pronomen: za:-fi-za:-fi, welches möglicherweise auch ein volles Kasusparadigma hat.
Im Gegensatz zu den anderen Sprachen kann Udihe auch eine Postposition (oder ein anderes Element, z.B. ein Adjektiv) reduplizieren, um Reziprok auszudrücken.
(22) b’ata aziga dä: dä: te:-iti
Junge Mädchen neben neben sitzen-3PL
‚Der Junge und das Mädchen sitzen nebeneinander.‘ (Nikolaeva 2007: 953)
Reduplikationen sind im Udihe beliebt, nicht nur in diesem Fall. Sehr selten können sogar ganze Sätze redupliziert werden um einen Kompetitiv (Wettbewerb) darzustellen.
Lexikalische Reziproka können übrigens weder Reziprok- noch Soziativ-Affix aufnehmen, was im Evenki emphatisch möglich ist. Es gibt einige symmetrische Verben, die fast ausschließlich intransitiv sind. Dagegen hat aber auch Udihe einige von Nominalen derivierte lexikalische Reziproken, z.B. kakt’a ‚Hälfte‘ wird zu kakt’a-masi ‚die Hälfte tun‘. Einige davon sind schon lange genug lexikalisiert, dass die Basis nicht mehr feststellbar ist.
4.3. Soziativ
Wie erwähnt gibt es nur im südlichen Dialekt einen Soziativ der Form -niŋa. Dieser stellt gleichzeitig ein Affix für ein Numeral dar, welches Kollektiva formt. Der nördliche Dialekt benutzt hierzu ein ähnliches Suffix, jedoch nicht an Verben. Ähnlich wie die Reziproka ist auch der Soziativ Subjekt-orientiert. Seine Bedeutung lautet, dass mindestens zwei Personen zusammen eine Handlung ausführen. Im Gegensatz zum Reziprok kommt es für gewöhnlich vor dem Aspektmarker, der scheinbar immer das Imperfektiv -si ist. Derart derivierte Verben nehmen Plural-Kongruenz. Die Bedeutung von mindestens einem Soziativ ist semantisch übrigens reziprok.
(23) soŋo-niŋa-si-li-e-ti jazata uti
weinen-SOC-IPFV-INC-PST-3PL natürlich das
‚Natürlich fingen sie zusammen an zu weinen.‘ (Nikaloaeva 2007: 957)
Statt dem Suffix kann man auch das Partikel geje ‚zusammen‘ benutzen, um soziative Bedeutung auszudrücken. Da selbst im Süddialekt das Suffix nur selten angewendet wird, ist dieser die häufigste Variante. Hierbei kongruiert das Verb sowohl zu Plural als auch Singular.
(24) minti geje etete-fi
wir zusammen arbeiten-1PL.INC
‚Wir arbeiten zusammen.‘ (Nikolaeva 2007: 958)
4.4. Fazit Udihe
Im Gegensatz zu den anderen Sprachen legt Udihe mehr Wert auf analytische Konstruktionen sowie Reduplikation. Die Suffixe sind nur beschränkt vorhanden und auch die Pronomen werden eher ungern benutzt.
5. Unterschiede und Gemeinsamkeiten
Nachdem wir nun die Besonderheiten betreffend Reziprok und Soziativ in den einzelnen Sprachen sahen, soll dies hier nun zusammengefasst und verglichen werden. Einiges haben wir schon bei den Vorstellungen selber festgestellt, anderes soll jetzt nochmal verdeutlicht werden.
5.1. Das Suffix
Wie wir sahen und auch schon in 1.1. ansprachen, hat das Suffix in den drei Sprachen eine Form der Art -maat, -maač oder -masi. Ihre Funktionen unterscheiden sich allerdings, weshalb vermutet werden darf, dass sie prototungusisch eine gemeinsame Basis hatten und diese sich veränderte. In Udihe ist das Suffix Subjekt-orientiert, in den anderen ist auch bei Kausativen Objekt-Orientierung möglich, wobei dieses wiederum im Evenki stärker beschränkt ist als im Even.
Even ist auch am flexibelsten, was die Diathesen betrifft. In Udihe sind keine possessiven oder adjunktiven Diathesen per Suffix, jedoch per freiem Marker und Reduplikation möglich.
Im Udihe muss das Subjekt interessanterweise nicht für Plural markiert werden, hat keine semantischen Beschränkungen und kann auch ‚abwechselnd‘ bedeuten. Even hat wenige Restriktionen, Evenki dagegen viele. Im Even kann das Suffix auch für Multiplikation stehen. Dass es eine gemeinsame Basis geben muss ist jedoch deutlich.
5.2. Syntaktisches
Hier ist Udihe wieder restriktiver als die flexibleren Sprachen Even und Evenki, wo die Pronomen alle oder fast alle Kasus nehmen können (Nikolaeva 2007: 965), während Udihe nur zwei Kasus zulässt; zumindest für das reziproke Pronomen. Dagegen kann Udihe possessive Diathesen per Pronomen ausdrücken, die anderen Sprachen nicht, die dafür jedoch wieder mehr andere Diathesen besitzen.
Als einzige Sprache der Gruppe kann Udihe reduplizieren. Dieses Merkmal ist also eigentlich untypisch für Tungusisch. Die durch die Reduplikation gewonnenen Möglichkeiten (Adjunkte zu reziprokalisieren) wird in den anderen Sprachen durch Adverbiale erreicht.
Reziproke Argumente werden in allen drei Sprachen relativ gleich ausgedrückt (Nikolaeva 2007: 965). Die verbale Kongruenz ist dagegen wiederum anders in den Sprachen. In Even und Evenki können sie sowohl Singular als auch Plural haben.
Even und Udihe besitzen auch eine Art reziproken Spezifikator, meer doli bzw. mene dolo.
Auch etymologisch scheint es eine gemeinsame Basis zu geben: Reflexiv meer (Even) und mer-wer (Evenki) sowie reziprok meen (Even) und mene-mene (Udihe). Das memegil-wer des Evenki fällt hierbei heraus, wobei die Frage wäre, was das -gil- bedeutet.
5.3. Der Soziativ
Wie wir gesehen haben, hat nur ein Dialekt des Udihe einen Marker, während Even und Evenki ihr -lda/-ldǝ besitzen, Süd-Udihe dagegen nur über -niŋa verfügt. Und selbst dieses wird nur ungern benutzt, die Sprecher bevorzugen analytische Konstruktionen.
Für Even und Udihe wurden auch Partikel bzw. Adverbien berichtet, die man nutzen kann.
Im Even und Evenki kann das Suffix sowohl Soziativ als auch Reziprok sein, im Even auch Kompetitiv (der im Udihe per Reduplikation ausgedrückt wird).
Eine Kombination von reziprokem und soziativem Suffix bedeutet im Even Reziprokalität oder seltener eine neue lexikalische Bedeutung, im Evenki kann es bloß ein emphatisches Reziprok sein.
6. Fazit
In dieser Arbeit wurden die drei tungusischen Sprachen Even, Evenki und Udihe vorgestellt und verglichen bezüglich ihrer Möglichkeiten zum Ausdruck von Reziprok und Soziativ. Es wurde festgestellt, dass wie erwartet die Schwestersprachen Even und Evenki sehr ähnlich sind, Even aber morphologisch etwas flexibler ist. Udihe ist dafür analytisch flexibler denn seine nördlichen Nachbarn und dem Evenki näher als dem Even, was nicht verwundert, leben die Evenki auch in stärkerer Nähe. Der Unterschied im Udihe verglichen mit den anderen beiden Sprachen wirft auch wieder die Frage auf, von wo die Udihe überhaupt stammen, beziehungsweise auf welche Beziehungen sie zurückgehen. Dies wird sich im einst sich ständig in Bewegung befindlichen Sibirien aber kaum noch feststellen lassen.
7. Referenzen
- Anderson, Gegory (2006): Towards a Typology of the Siberian Linguistic Area. In: Yaron Matras, April McMahon, and Nigel Vincent (eds.) Linguistic Areas. Convergence in Historical and Typological Perspective. Basingstoke: Palgrave Macmillan, S. 266-300.
- Bulatova, N. & Grenoble, L. (1999): Evenki. München: LINCOM.
- Bußmann, Hadumod (2002): Lexikon der Sprachwisenschaft. Stuttgart: Alfred Kröner 2002, 3. Auflage.
- Haspelmath, Dryer, Gil & Comrie (2008): World Atlas of Language Structures. Munich: Max Planck Digital Library. http://www.wals.info
- Haspelmath, Martin (2007): Further remarks on reciprocal constructions. In: Nedjalkov, V.P. (ed.): Reciprocal constructions. Amsterdam: Benjamins.
- Malchukov, Andrej (1995): Even. München: LINCOM.
- Malchukov, Andrej (2007): Reciprocal constructions in Even. In: Nedjalkov, V.P. (ed.): Reciprocal constructions. Vol 4., S. 1643-1677. Amsterdam: Benjamins.
- Nedjalkov, I.V. & Nedjalkov, V.P. (2007): Reciprocals and sociatives in Evenki (with an appendix on Manchu). In: Nedjalkov, V.P. (ed.): Reciprocal constructions. Vol 4., S. 1593–1642. Amsterdam: Benjamins.
- Nedjalkov, V.P. (ed.) (2007): Reciprocal constructions. Amsterdam: Benjamins 2007.
- Nikolaeva, Irina (2007): Reciprocals and sociatives in Udihe. In Nedjalkov, V.P. (ed.), Reciprocal constructions, Vol. 3, S. 933 – 968. Amsterdam: Benjamins
- Nikolaeva, I. & Tolshaya, M. (2001): A grammar of Udihe. Berlin: de Gruyter.
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Fußnoten:
1http://wals.info/feature/106?tg_format=map&v1=cfff&v2=cd00&v3=cf60&v4=cff0&s=20&z1=3000&z3=2999&z4=2998&z2=2997#
2Hierbei ist anzumerken, dass von den drei hauptsächlich benutzten Artikeln der von Nikolaeva am besten, der von Malchukov am ’schlichtesten‘ ist.
3Von Bulatova & Grenoble (1999: 28) werden Diathesen definiert als ‚grammatische Markierung einer Beziehung zwischen Aktion, Agens und Patiens.‘ Also die Klarstellung der semantischen Rollen. Hier werden sie vor allem genutzt um die Reziprokformen weiter zu unterteilen; je nachdem welche Diathesen genutzt werden können.
4Dieses Kapitel basiert größtenteils auf Malchukov (2007), ergänzt um Malchukov (1995).
5Beispiele wurden wie in den Originalen belassen und lediglich übersetzt.
6Abkürzungen: DO = Direktes Objekt, IO = Indirektes Objekt, OO = Doppelt-Objekt.
7Bivalente Intransitive brauchen zwei Argumente, aber kein direktes Objekt.
8Man ist versucht zu sagen: Wie es sich für eine agglutinierende Sprache gehört.
9Dieses Kapitel basiert größtenteils auf Nedjalkov & Nedjalkov (2007), mit Ergänzungen durch Bulatova & Grenoble (1999).
10Früher auch bekannt als ‚Tungus‘, von dem sich die Bezeichnung für das Tungusische ableitete.
11Darin liegt wohl auch die Begründung, warum man ihn noch als Kausativ und nicht als Teil des Stammes analysiert.
12In anderen Sprachen würde man das wohl als ‚ringen‘ ansehen.
13Das erinnert an ‚Schulter‘ und ‚heiraten‘ oben.
14Dieses Kapitel basiert größtenteils auf Nikolaeva (2007), ergänzt um Nikolaeva & Tolshaya (2001).
15Von den Even werden sie übrigens Oročon ‚Rentierzüchter‘ genannt, obwohl sie Fischer sind.
16Es ist nicht bekannt, ob im Udihe Kausativ und Reziprok kombinierbar sind; scheinbar aber nicht.