AWG92 Der Schrecken aus Nardújarnán. Lehrjahre eines Helden.

Andre Schuchardt

präsentiert

Der Schrecken von Nardújarnán.

Lehrjahre eines Helden.

Titelvorschläge: Schrecken aus dem Dschungel; Gefahr im Norden; Tod in der Wildnis; Der Schrecken von Nardújarnán; Die Hochfestungen von Nardújarnán; Und in Nardújarnán begann es…; Die jungen Jahre des Helden Falerte Khantoë; Die Jugend des Helden; Beginn des Endes, Die ersten Jahre eines Helden; Beginn des Krieges; Propaganda für den Widerstand; Nördliche Schatten; Das Böse; Das Böse im Wald; Das Böse im Dschungel; Lehrjahre eines Helden; Düstere Träume; Traum und Schrecken; Der Tod begann in Nardújarnán; Eine lange Reise; Einer langen Reise Mühen; Einer langen Reise Schrecken; Damals, vor dem Untergang; Todesträume; Die dunklen Seiten; Die dunklen Seiten von Nardújarnán

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Inhalt

Karten 5

Rardisonán, Omérian, Ramit, Machey, Toch-Bas 5

Nardújarnán 6

Vorwort des Herausgebers 7

Prolog 8

I: Brief an den Vater 9

II: Brief an die Schwester 13

III: Nachricht für Puidor 15

IV: Brief an die Schwester 16

V: Bericht über die Ausbildung in der Guigans Rardisonan 19

VI: Brief an die Schwester 20

VII: Bericht des Obersten Seewächters Amerto an Bord der „Sturmwind“ 21

VIII: Tagebuch des Falerte Khantoë 22

IX: Brief an die Schwester 25

X: Tagebuch des Falerte Khantoë 26

XI: Bericht des Obersten Seewächters Amerto an Bord der „Sturmwind“ 30

Erstes Buch 32

XII: Tagebuch des Falerte Khantoë 33

XIII: Brief an die Schwester 35

XIV: Brief an Garekh 39

XV: Tagebuch des Falerte Khantoë 41

XVI: Brief an die Schwester 44

XVII: Bericht und Bitte des Außenpostens Médyhúda an Huális. 47

XVIII: Bericht der Obrigkeit von Ejúduira an Atáces 48

XIX: Brief an die Schwester 49

XX: Öffentliche Anschläge der ‚Bote von Tadúnjódonn‘ 51

XXI: Tagebuch des Falerte Khantoë 52

XXII: Brief von Garekh an Falerte 53

XXIII: Bericht von der Zusammenkunft der Obrigkeit zu Ejúduira. 55

XXIV: Brief an die Schwester 56

XXV: Tagebuch des Falerte Khantoë 58

XXVI: Bericht von Ejúduira an Atáces 59

XXVII: Tagebuch des Falerte Khantoë 60

XXVIII: Logbuch des Kapitäns Norís 63

XXIX: Tagebuch des Falerte Khantoë 64

XXX: Logbuch des Kapitäns Norís 67

XXXI: Tagebuch des Falerte Khantoë 68

XXXII: Logbuch des Kapitäns Norís 70

XXXIII: Tagebuch des Falerte Khantoë 71

XXXIV: Bericht des Caris Duimé an Atáces 72

XXXV: Tagebuch des Falerte Khantoë 73

XXXVI: Bericht des Außenpostens Huális an Atáces. 75

XXXVII: Bericht der Obrigkeit von Cabó Canguina 76

XXXIX: Tagebuch des Falerte Khantoë 77

XL: Bericht des Caris Duimé an Atáces 81

XLI: Tagebuch des Falerte Khantoë 82

XLII: Bericht von Atáces an Ejúduira 88

XLIII: Tagebuch des Falerte Khantoë 89

Zweites Buch 105

XLIV: Bericht des Arztes von Camdis an Aiduido Elazar 106

XLV: Bericht der Obrigkeit von Aiduido Elazar an Ejúduira 109

XLVI: 2. Tagebuch des Falerte Khantoë 110

XLVII: Bericht von der Verhandlung in Ejúduira 114

XLVIII: Öffentliche Anschläge des ‚Bote von Tadúnjódonn‘ 116

XIL: 2. Tagebuch des Falerte Khantoë 117

L: Brief des Geistwächters Castaris an Geistwächter Mosíz in Elpenó 118

LI: 2. Tagebuch des Falerte Khantoë 119

LII: Brief des Geistwächters Mosíz an Geistwächter Castaris in Atáces 121

LIII: 2. Tagebuch des Falerte Khantoë 122

LIV: Notizen des Geistwächters Castaris 125

LV: Brief an die Schwester. 126

LVI: 2. Tagebuch des Falerte Khantoë 127

LVII: Öffentliche Anschläge der ‚Bote von Tadúnjódonn‘ 133

LVIII: 2. Tagebuch des Falerte Khantoë 134

LIX: Brief an die Schwester 138

LX: 2. Tagebuch des Falerte Khantoë 139

LXI: Bericht des Außenposten Médyhúda an Atáces 146

LXII: Notizen des Geistwächters Castaris 147

LXIII: 2. Tagebuch des Falerte Khantoë 148

LXIV: Bericht des Geistwächters Mosíz an Atáces 154

LXV: 2. Tagebuch des Falerte Khantoë 158

LXVI: Brief an die Schwester 159

Drittes Buch 161

LXVII: 3. Tagebuch des Falerte Khantoë 162

LXVIII: Logbuch des Obersten Seewächters Amerto an Bord der ‚Sturmwind‘ 163

LXIX: 3. Tagebuch des Falerte Khantoë 164

LXX: Logbuch des Obersten Seewächters Amerto an Bord der ‚Sturmwind‘ 166

LXXI: 3. Tagebuch des Falerte Khantoë 167

LXXII: Brief an Garekh 170

LXXIII: Brief an die Schwester 172

LXXIV: Brief an die Schwester 174

Epilog 177

LXXV: Letzter Brief des Falerte Khantoë 178

Hinweise des Herausgebers. 182

Anhang 183

Anmerkungen zur Zeitrechnung 183

Länder und Provinzen: 184

Städte und andere Orte 190

Sprachliches und Begriffe: 193

Topographie 195

Fauna und Personen 197

Personen: 199

Notizen 200

 

Vorwort des Herausgebers

Dies sind die gesammelten alten Briefe, Berichte und Tagebuchaufzeichnungen des Helden Falerte Khantoë aus Ayumäeh in Ramit, der vor gerade mal einer Woche ruhmreich doch traurigerweise bei der Schlacht von Illort im Kampfe gegen die Hochfestungen sein Leben ließ. Diese Sammlung zeigt, wie früh sich die Hochfestungen bereits rührten und das nicht nur in Lurruken. Zwar wussten viele bereits seit langem von ihnen, doch glaubte ihnen niemand – nun kann man nichts anderes mehr als wissen.

Falerte Khantoë war einer von diesen, die ihr Leben dem Kampfe gegen die Bedrohung verschrieben. Nun ist er gestorben und bereits die halbe Welt verwüstet. Nutzen mag dieses Buch aber noch bringen, da es mehr über die Hochfestungen aufzeigt. Dinge, von denen die Anhänger von Tól und Omé bereits seit Jahrtausenden hätten wissen müssen.

Die Veröffentlichung erfolgt unter Genehmigung von Accilla Scazi, der Mutter Khantoës, welche seine erste Reise bereits einmal veröffentlicht hatte. Natürlich glaubte auch zu diesem Zeitpunkt niemand dem Inhalt sondern sah es als Unterhaltungslektüre.

An alle die dies noch zu lesen vermögen: die Welt ist noch nicht verloren und der Widerstand hält an!

Solero y Cyprilla, Toljidarin

Karison, Ojútolnán, 09.10.3999

Anmerkung: Einige der Briefe und Tagebucheinträge wurden an Stellen, welche nun wirklich nur die Betroffenen etwas angehen, gekürzt. Andere Stellen, vor allem die Tagebucheinträge, wurden der erleichterten Lesbarkeit zugute umgeschrieben.

 

 

 

Prolog

 

 

I: Brief an den Vater

Sommer 3978, Irgendwo in den Sümpfen von Emadé.

Werter Vater,

Nuref, mein Onkel, euer Bruder, und Mhadal, sein Sohn, euer Neffe, sind tot. So wirklich begreife ich dies erst jetzt. Und trotzdem verstehe ich noch nicht genau, wie es dazu kam. Nun ist das erste Mal, dass ich mich ausruhen und über alles nachdenken kann. Jetzt erst bemerke ich so wirklich ihren Verlust und was geschehen ist. Ich möchte euch schildern, wie es dazu kam, da ich hier noch nicht sobald fort kann. Die Gründe erläutere ich euch sogleich noch.

Anfangs verlief unsere Reise völlig gewöhnlich. Wir waren nach Rees in Machey gefahren um die Geschäfte zu tätigen. Im Sommer, vor wenigen Wochen, verließen wir Rees wieder. Wir nahmen den selben Weg zurück gen Ayumäeh und kamen an den Rand dieser Sümpfe.

Kurz nach Peridé, also knapp vor Beginn der Sümpfe, begegneten wir den Landwächtern. Wir hatten schon öfter Landwächter als Begleitschutz und als Führer angeheuert, doch immer nur in den Städten. Diesmal, auf dem Rückweg, hatte Nuref darauf verzichtet. Der Grund war der Übliche: sein Geldmangel. Auch meinte er, dass uns in Rardisonán schon nichts geschehen würde. Die Landwächter nun, eine Gruppe von vielleicht zwölf Leuten, trafen wir an der großen Kreuzung, an der man sich für den Weg durch die Sümpfe nach Belané oder an ihnen vorbei nach Osten, gen Rardisonan entscheiden musste. Nuref hatte letzteres vor. Doch diese Landwächter! Sie grüßten uns bei unserer Ankunft und Nuref erkundigte sich bei ihnen nach Neuigkeiten. Sie sagten, dass der Weg gen Ost versperrt sei, dass sich dort eine Bande Räuber herumtreibe. Die Landwächter würden gerade auf Verstärkung durch die Einheiten von Peridé warten, um dann gegen sie vorzugehen.

Natürlich erklärte Nuref ihnen etwas von einem wichtigen Auftrage, den er in eurem Namen ausführen müsse und dass wir es eilig hätten, einen Hafen zu erreichen, um von dort nach Ayumäeh heimkehren zu können. Die Landwächter schienen zu überlegen, sich zu beraten. Schließlich erklärten sie uns, dass wir unmöglich gen Osten könnten, aber vielleicht zurück nach Peridé und von dort nach Westen. Aber das lehnte Nuref ab – und genau das hatten sie vermutlich auch erwartet. Nuref sprach, wir müssten dann eben mitten durch die Sümpfe nach Belané; wir würden den Weg schon finden, wir waren ja schon einmal in den Sümpfen gewesen. Die Landwächter schien dies zu entsetzen. Schnell schlugen sie vor, dass die Hälfte von ihnen uns begleiten würde, zumindest durch die gefährlicheren Gebiete. Hier sprach Nuref schließlich, dass wir nicht das nötige Geld hätten, doch sie winkten nur ab und erklärten, unsere Sicherheit sei nun wichtiger.

Und so kam es, dass sechs dieser Landwächter uns durch die Sümpfe gen Belané leiteten. Oder so dachten wir zumindest, denn es kannte sich niemand von uns wirklich in den Sümpfen aus. Nach fünf Schritten hätten wir, die wir uns auf dem Meer stets zurecht finden, uns hier hoffnungslos verirrt. Deshalb fiel auch niemandem auf, dass wir allmählich von dem eigentlichen Pfad abkamen. Zu spät bemerkte Mhadal, dass wir immer weiter gen Osten statt nach Norden gingen. Da kamen sie auch schon von allen Seiten: die falschen Landwächter hatten gut drei Dutzend weiterer Banditen zur Verstärkung und fielen über uns her. Wir hatten kaum Zeit uns zu wehren. Ich schätze, ich war auch einer der Ersten, die es traf.

Es war irgendwann in der Nacht, als ich wieder erwachte. Zunächst wusste ich nicht, wo ich mich befand. Und das war nur gut so, denn es sollte mich noch Grauenvolles erwarten. Vater, könnt ihr euch vorstellen, wie schrecklich es war, als ich mich da blutbefleckt und mit schmerzendem Kopf in einem Loch voll Brackwasser wiederfand und als erstes neben mir die schwimmende Leiche meines Vetters Mhadal erblickte? Ekel, Abscheu, Furcht und gleichzeitig tiefe Trauer und Pein trafen mich. Doch zunächst floh ich einfach nur aus diesem Loch. Danach stieß ich auf die Trümmer unserer Wagen. Einige waren so stark zerstört, dass ich nicht mehr feststellen konnte, welches Teil zu welchem Wagen gehörte. Das galt nicht für unsere Leute, welche überall verstreut lagen, wo auch immer sie gerade erschlagen worden waren.

Als ich Nuref fand, kniete ich neben ihm nieder und versank in Tränen. Es verging eine ganze Weile, bis ich mich genug gefasst hatte, mir das Unglück genauer anzusehen. Bald fiel mir auf, dass einige Wagen ganz fehlten, bei anderen nur der Inhalt. Man musste sie gestohlen haben. Ebenso vermisste ich viele der Toten, vor allem die meisten unserer Frauen. Ich befürchte, man wird sie verschleppt haben. Doch hoffe ich auch, dass einige flüchten konnten und dann schon längst bei euch wären. Wenn dem so ist, dann haben sie euch vermutlich erzählt, ich sei auch tot, denn so muss es für sie ausgesehen haben. Aber so oder so wisst ihr durch diesen meinen Brief nun, dass ich lebe und auch bald zurückkommen werde.

Ich fühlte mich nach diesem unglücklichen Erwachen körperlich und geistig noch nicht sehr wohl, doch nahm ich mir genug Kraft und Zeit, die Toten zu begraben. – Ich weiß, diese Sitte gefällt dir nicht, doch wurde ich immerhin in Omérian erzogen und dort ist dies Brauch. Ich weiß nicht, woher ich all diese Kräfte nahm, doch ich ruhte mich auch nach dieser Tat noch nicht aus. Nuref hatte uns allen mehr als eindringlich geschildert, wie wichtig diese Waren in den Wagen für euch wären und dass sie unter allen Umständen Ayumäeh erreichen müssten. So durchsuchte ich die Trümmer der Wagen und ihre Umgebung – nach den Waren, aber auch nach Nahrung und Verbandszeug für mich. Enttäuscht musste ich aber feststellen, dass sich nichts von alledem finden ließ.

Zu allem Überfluss wurde es nun auch langsam dunkel und ich wusste nicht, wohin. Doch ich musste von diesem Ort fort, schon alleine für den Fall, dass diese falschen Landwächter noch einmal zurückkehren würden. Ich stolperte also eine Weile voran, darauf achtend, die Sonne links von mir zu haben, um nach Norden zu gelangen. So geriet ich allmählich tiefer in den Sumpf. Und als es völlig dunkel wurde, ließ ich mich an einem trockenen Flecken unter einem Baum nieder. Ich muss in dieser Nacht in ein Fieber gefallen sein, zumindest erinnere ich mich nicht mehr an die darauf folgenden Ereignisse.

Als ich endlich wieder erwachte, lag ich bedeckt doch entkleidet auf einer Strohmatratze. Es war eine kleine, selbstgezimmerte Hütte mit größtenteils notdürftiger Einrichtung, soviel konnte ich sehen. Es gab eine kleine Feuerstelle, einen Tisch samt Stuhl, sonst nur Strohlager wie diese Matratze auf der ich lag. Mir selber waren alle Wunden derer ich überraschend zahlreich hatte verbunden worden. Da mir wohl niemand etwas Böses wollen würde, der mich gerettet und verbunden hatte, legte ich mich bald wieder hin und schlief ein.

Ich erwachte das nächste Mal, als mir kaltes Wasser auf die Stirn getupft wurde. Es war hell im Raum; es musste Tag sein. Neben mir kniete eine Gestalt. Bald stellte sich heraus, dass es ein alter Einsiedler war. Der Mann sah aus, wie man sich einen von höheren Lebewesen entfremdetes vorstellt: wildes Haar samt Bart, behelfsmäßige, doch dem Wildnisleben angepasste Kleidung – nun, die genaue Beschreibung wird für euch nicht so notwendig sein. Die ersten Stunden sprach er nicht viel mit mir. Nachdem ich mich gut genug erholt hatte, ihn endlich mit meinen Fragen zu bedrängen, konnte ich nicht viel erfahren. Er nannte sich schlicht Puidor, also Fischer. Einst war er wohl in die Sümpfe gekommen, sich hierher zurückzuziehen, fern der anderen, um allein mit und in der Natur zu leben.

Es war vor zwei Tagen, dass ich hier aufwachte. Seitdem habe ich mit dem ruhigen alten Puidor so manch gutes Gespräch geführt, doch fiel mir letztlich ein, dass ich euch einen Brief schicken sollte, solange ich noch nicht selber abreisen kann. So schrieb ich euch diesen nun in den letzten Stunden und sollte damit auch bald zu einem Ende gelangen. Alle Einzelheiten, die für euch noch wichtig sind, könnt ihr mich dann selber fragen. Ich bin noch nicht weit genug genesen um reisen zu können, so Puidor, doch in ein paar Tagen wird es soweit sein. Er selber aber wird den Brief in die nächste Siedlung bringen, versprach er mir. Und sobald ich kräftig genug bin, gehen wir nach Belané, wo ich ein Schiff nehmen und heimkehren werde. Ich vertraue auf Puidor, auch wenn ich selten jemandem vertraue; in dieser kurzen Zeit ist er mir ein guter Freund geworden. Ich hoffe, ihn überzeugen zu können, mit heimzukehren. Vielleicht werde ich ihn euch dann vorstellen können.

Bis dahin, euer Sohn Falerte

 

 

II: Brief an die Schwester

Frühjahr 3979, Ayumäeh.

Geliebte Schwester,

seit wir uns das letzte Mal gesehen haben, ist einiges geschehen. Und kaum etwas davon zum Guten. Soweit ich mich entsinne, war unser letztes Treffen im Sommer, kurz nach meiner Heimkehr aus Rardisonán, wo es das Unglück mit Onkel Nuref gab. Damals hattest du nur die oberflächlichen Geschehnisse mitbekommen. Lass mir dir erzählen, was hinter den Kulissen hier noch geschah…

Du warst dabei und wirst dich sicher noch daran erinnern, wie glücklich mein Vater zu sein schien, mich lebend wiederzusehen. Doch das war es auch bereits. Er erwähnte keinen Brief, der ihn erreicht hätte, im Gegenteil: er schalt mich, weil ich ihm nicht geschrieben hätte. Ich hatte dir ja aber erzählt, dass ich dem Einsiedler namens Puidor den Auftrag gegeben hatte. Warum hatte er es nicht getan?

Wie auch immer, bereits einen Tag später, nach deiner Abreise, fing mein Vater wieder damit an, wie froh er doch über mein Wohlbefinden sei, dass das Geschäft durch diesen Umstand weiter fortbestehen könnte. – Ja, das Geschäft! Wie immer galt sein erster Gedanke nur dem Geschäft! Dass ohne mich das Familienunternehmen untergehen würde. Nuref und das Unglück der Sümpfe schien ihm längst vergessen. Ebenso, dass ich nicht den geringsten Hang zum Unternehmertun habe. Aber auf ihn einzureden brachte da nichts, selbst wenn ich sagte, dass ich nicht fähig genug sein würde, das Geschäft erfolgreich fortzuführen. Das schien er nie zu hören. Du weißt ja, wie er ist.

Du weißt auch, dass ich mich schon immer mit anderen Dingen beschäftige und das Einzige, was mich bisher an den Tätigkeiten meines Vaters teilhaben ließ war die Möglichkeit meiner Reisen. Und nun wollte er mir auch genau das noch verbieten: Er sprach tatsächlich davon, dass ich als sein einziger Sohn und Nachfolger auf mich aufpassen müsse, dass er mich fast verloren hätte, dass ich mich – oder vielmehr die Nachfolge und das Geschäft – nicht gefährden dürfe. Er wollte mir schlicht alle Reisen verbieten und mich bald in ein dunkles Kämmerlein irgendwo im Handelshaus einsperren, wo man mich dazu ausbilden solle, das Geschäft später einmal zu führen. Stell dir das vor! Ich, eingesperrt, statt frei in der Welt!

Du kennst mich; du weißt, dass ich mir das nicht gefallen lasse und schon oft wegen Ähnlichem und vielen anderem Zwist mit ihm hatte. Doch das nun ging zu weit. Er sah mich ein paar Tage lang nicht mehr daheim, denn ich trieb mich fortan bei meinen Freunden in der Stadt herum. Ich muss dir kaum erzählen, welch gewaltigen Streit es zwischem meinem Vater und mir gegeben hatte, als ich wiederkam. Er drohte mir mit allem möglichen, vor allem aber damit, mich ein- und wegzusperren. Und anfangs unterwarf ich mich dem, brach jedoch auch schnell damit.

Manchmal glaube ich, du hast das bessere Schicksal von uns erwischt, als du unserer Mutter mitgegeben wurdest und ich das schlechtere, dass ich bei meinem Vater blieb. Wie auch immer, ich halte es nun hier nicht mehr aus! Du weißt, es gibt noch viel mehr Ärger zwischen ihm und mir und ich werde dich nicht mit dem langweilen, was du schon längst weißt. Deshalb will ich dir nun nur noch von meiner endgültigen Entscheidung berichten:

Ich gehe von hier fort. Diesen Brief schreibe ich gerade hier am Abend. Ja, es gab vorhin einen erneuten Streit; und das bloß wegen der zukünftigen Farbe des Zaunes! Vielleicht mag meine Handlung übereilt sein, doch das glaube ich dies nicht; ich habe den letzten Monat viel darüber nachgedacht. Morgen früh bei Sonnenaufgang gehe ich mit meinem spärlichen Gepäck zum Hafen. Diesen Brief sende ich dir zu, damit du weißt, was geschehen ist und handeln kannst, sollte ich dir nicht in einigen Wochen erneut schreiben. Ich selber werde ein Schiff nach Belané nehmen. In den Sümpfen werde ich Puidor suchen und zunächst bei ihm bleiben. Auch will ich von ihm wissen, was mit dem Brief damals geschah.

Was ich danach mache, weiß ich noch nicht, doch ich werde dir davon erzählen. Vielleicht komme ich euch auch mal besuchen. Wir werden sehen. Zunächst möchte ich etwas von der Welt sehen, etwas erleben!

Pass auf dich auf,

dein Falerte

 

 

III: Nachricht für Puidor

Frühling 3979, Irgendwo in den Sümpfen von Emadé.

Werter Puidor.

Mein lieber Freund. In den letzten Monaten schrieb ich viele Briefe an dich, doch sandte ich nicht einen davon ab, da sie dich vermutlich nicht erreicht hätten. Ich werde sie zusammen mit diesem Brief in deiner Hütte belassen. Genau dort sitze ich und hoffe immer noch, dass du erscheinst, während ich ihn schreibe. Die genauen Erklärungen, warum ich wiedergekommen bin, findest du in den anderen Briefen. Ich habe nun bereits eine ganze Woche auf dich gewartet, doch länger kann ich es nicht mehr hinauszögern; meine Vorräte neigen sich dem Ende.

Ich bin vor meinem Vater geflohen, da ich es mit und bei ihm nicht mehr aushielt. Ich hoffte, eine Antwort zu finden, was genau ich nun tun soll. Vielleicht hat diese Wartezeit aber bereits ihre Hinweise gegeben. In Belané hörte ich, dass sie in Rardisonan nach neuen Anwärtern suchen. Sobald ich hiermit fertig bin, werde ich dort hingehen. Ich hoffe sehr, du kommst mich eines Tages besuchen. Wir haben noch viele Gespräche, die wir fortsetzen müssen. Wünsche mir Glück, dass es mir in Rardisonan besser ergeht als in Ayumäeh. Ich werde dir nicht schreiben können aus den oben geschilderten Gründen. Melde dich.

Bis bald,

Falerte

 

 

IV: Brief an die Schwester

Frühjahr 3979, Rardisonan.

Geliebte Schwester.

wie ich dir das letzte Mal schrieb, melde ich mich hiermit wieder. Ich hoffe, es geht dir gut. Mit diesem Brief sende ich dir meine neue Anschrift, dorthin kannst du deine Antworten schicken. Wie du siehst, bin ich nun in Rardisonan. Leider alleine, denn Puidor habe ich nicht antreffen können, obwohl ich gut eine Woche in seiner Hütte auf ihn gewartet hatte. Das war vor einem Monat und obwohl ich ihm Briefe mit meinen Plänen hinterlassen hatte, ist er seitdem nicht hier aufgetaucht. Ich hoffe, er meldet sich noch. Wie du auch siehst, ist meine Anschrift die Guigans, die Blutsteine, die aber lange nicht so blutrünstig sind, wie ihr Name vermuten lässt. Lass mich dir erzählen, wie ich hierher kam:

Bei meiner Ankunft in Belané hörte ich bereits, dass man Anwärter suche. Doch hatte ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht das Verlangen, einer zu werden. Mein einziges schwaches Ziel im Geiste war die Besichtigung fremder Länder – und die Abschüttelung des Jochs meines Vaters. Insofern wusste ich eigentlich auch überhaupt nicht, was ich in Rardisonan nun tun sollte. Ich konnte mich gerade noch so dorthin durchschlagen, doch ab Rardisonan selber stand ich bar aller Mittel da. Ich betrat also die Stadt und hatte die Schwierigkeit, mir Geld oder Nahrung oder Arbeit – oder alles zusammen – zu besorgen. Es war Mittag an dem Tag an dem ich ankam und meine letzten Vorräte hätten nur noch bis zum Abend gereicht. Und Geld hatte ich in meiner maßlosen Dummheit bei meiner Flucht von Daheim nicht genug mitgenommen. Ich verbrachte den ersten Tag mit der Suche nach Arbeit für Geld, Nahrung oder Unterkunft, lernte dabei bereits einen Teil der Gassen und Kanäle der Stadt kennen, vor allem aber die Unfreundlichkeit einiger ihrer Einwohner: teils wurde ich beleidigt, teils trat man gar nach mir. Natürlich machten das nur die wenigsten und vermutlich hatte ich die Falschen gefragt, doch in Ayumäeh wäre mir dies wohl nie geschehen.

Natürlich fand ich den Tag nicht was ich suchte, wie du dir denken kannst, und verbrachte bald die Nacht in einer Scheune, die ich unverschlossen fand – und aus der ich morgens sehr unfreundlich wieder herausgeworfen wurde. Damit begann dieser Tag bereits sehr vielversprechend, doch vor allem sollte es dabei nicht bleiben. Denn mittlerweile stand ich ohne Nahrung da und all meinen Bemühungen zum Trotz sollte ich auch an diesem Tag keinen Erfolg haben.

Du weißt, ich bin verwöhnt, ich gebe es zu. Immer gewohnt etwas zur Verfügung zu haben und nicht viel dafür tun zu müssen, waren diese Umstände sehr schnell sehr unangenehm für mich. Es war gerade erst Nachmittag und schon plagte mich aufs Schlimmste der Hunger. Als ich dann auch noch zufällig auf den Marktplatz gelangte, dort ein unermessliches Gedränge herrschte und sich die Gelegenheit ergab… – nun, ich will es nicht ausschreiben, ich schäme mich zutiefst für diese Tat, dass ein Händler – nein, mehrere Händler – sich zuweilen über den Verbleib ihrer Waren wundern mussten. Ich schwor mir aber schnell, es ihnen wieder gut zu tun und mittlerweile arbeite ich auch bereits daran. Wie auch immer, auf diese unredliche Weise schaffte ich es mich für einige Tage durchzuschlagen. Doch dass dies nicht die Lösung sein konnte, war mir schnell klar.

Da sich nach einer Weile immer noch nichts besseres ergab, nicht einmal die kleinste einfache Arbeit für mich und ich nun schon öfter in die Nähe der Guigans gekommen war, tat ich bald den letzten vernünftigen Schritt: Eines Morgens fragte ich am Haupttor der Guigans, wo und wie ich mich einschreiben könne. Der Torwächter wies mich hinein, wo ich gleich am Eingangshaus in einem kleinen Zimmer dem wachhabenden Hauptmann, einem Jinn, vorstellig wurde, welchen ich nun stetig sehen soll, denn er leitet auch die Ausbildung.

Der Jinn hielt ein längeres Gespräch mit mir. Warum ich mich melden würde, was ich erwarten würde, wie es wirklich sein würde und was es mir bringen könnte. Letztlich unterschrieb ich, mit dem Ziel, nach der Ausbildung meine Zeit in einer Guigans zu verbringen – etwas anderes wurde nicht angeboten. Mittlerweile bin ich gar nicht mehr so sehr ein Gegner der Kampfkunst wie früher noch. Ich erhielt ein Zimmer, meine Ausrüstung, mehrmals täglich Mahlzeiten und so fort. Dafür musste ich noch gleich am selben Tag an der Ausbildung teilnehmen. Unser Kampfausbilder war und ist ein Caris namens Duimé – ein dunkler Mann in seinen besten Jahren mit der für die Armee unverkennbaren Mischung aus halblangem Haar und Kinnbart –, der uns seitdem täglich körperliche Betätigung lehrt. Hierbei nahm er auf mich als Anfänger kaum Rücksicht, doch habe ich es irgendwann geschafft, zu den anderen aufzuschließen. Und ich wage zu sagen, dass ich mittlerweile mit zu den Besten in der Ausbildung gehöre. Zumindest hat der Jinn mir das gesagt, denn der Caris Duimé ist immer nur hart und fordernd zu uns. Vermutlich gehört das halt zu seinen Aufgaben. Ein Krieger namens Miruil, der schon länger hier ist, hilft mir manchmal bei den Übungen. Die anderen sind größtenteils seltsam, so vor allem dieser düstere Mann namens Couccinne.

Nun, ich muss jetzt aufhören, wir haben hier einen täglichen Briefdienst, der bald aufbrechen wird. Ich hoffe auf Antwort von dir. Was ist nun in Bezug zu deiner Vermählung? Vielleicht würde ich es schaffen, zu kommen. Und was gibt es weiterhin Neues? Hat sich Vater schon gemeldet? Lass ihn nicht wissen, wo ich bin!

Dein Falerte

 

 

V: Bericht über die Ausbildung in der Guigans Rardisonan

09. 03. 3979, Rardisonan.

Hiermit wird berichtet über den Fortschritt der Ausbildung in der Guigans Rardisonan. Wie angefordert besonders bezüglich der Einsatztauglichkeit.

In den vergangen Monaten haben sich genug Lehrlinge als für den Einsatz tauglich erwiesen. Hervorheben möchte ich hierbei besonders die Leistungen der Kämpfer Muiril Enfásiz y Calerto, Oljó y Becal, Couccinne Carizzo aus Amacco in Omérian und Jimmo, der seine Herkunft aber nicht klar macht. Einige haben länger gebraucht, andere sind erst seit wenigen Wochen bei uns.

Im Ganzen haben also wir gut zwanzig brauchbare Kämpfer, welche sich auch für Hinterlandeinsätze eignen. Der Großteil davon stammt nicht aus Rardisonán. Viele haben eine zwielichtige Vergangenheit oder verraten sie erst gar nicht. Dies entspricht den gestellten Anforderungen. In Nardújarnán werden sie leichter zu beherrschen sein als im umkämpften Rinuin oder hier in der Heimat, wo sie Unheil anrichten könnten. Sie werden als für die Überfahrt und den anschließenden Einsatz in Nardújarnán tauglich befunden. Dreißig weitere sind nutzbar für den Einsatz auf Schiff oder in einer Guigans. Abschiffbarkeit zum Ende des Monats wird erwartet.

Der Bericht über vertrauenswürdigere Anwärter für Rinuin und die Kolonien in Acalgirí folgt in wenigen Wochen.

Anbei Einschätzungen und weitere Angaben zu den einzelnen Anwärtern, soweit vorhanden und bekannt.

(Siegel der Guigans von Rardisonan)

 

 

VI: Brief an die Schwester

Sommer 3979, Rardisonan.

Geliebte Schwester,

ich schreibe dir in Eile, denn es ist etwas geschehen. Ich weiß nicht warum und man hat auch nicht allzu großartig mit uns darüber gesprochen, doch wir werden nun versetzt. Nicht alle von uns, doch ganze fünfzig immerhin. Darunter auch Männer wie Miruil und Couccinne, von denen ich dir schon das letzte Mal schrieb. Vorgestern trat man an uns heran und sagte uns, was man mit uns vorhätte, und in weiteren zwei Tagen reisen wir dann auch schon ab. Widersprüche waren nicht möglich. Seit unserem Eintritt und der Verpflichtung für zumindest einem Jahr wäre dies Verrat gewesen.

Der Caris Duimé teilte uns die Neuigkeiten beim Frühstück mit. Ich saß neben Miruil und Oljó y Becal, als der Jinn zu uns hinaus in den Hof kam, wo wir zusammen saßen. Duimé tat, als müsste es uns allen eine große Ehre sein, was er uns zu verkünden hatte. Nun, ich will dich nicht weiter mit Spannung foltern: man sendet uns alle ins ferne Nardújarnán. – Ja, richtig, ins nördliche Land der gewaltigen Wälder, Flüsse, Berge und Ebenen, wo angeblich wirklich alles größer ist. Duimé sagte uns schlicht, dass dort am dringendsten noch Nachschub an neuen Kämpfern gebraucht würde und wir deshalb dort benötigt werden. Die nächsten Tage werden wir mit Vorbereitungen verbringen müssen. Uns wurde verboten, in dieser Zeit noch Briefe zu schreiben oder Besuch zu empfangen.

Puidor ist bisher immer noch nicht erschienen und wird es wohl auch nicht mehr. Ich hoffe, es geht ihm zumindest gut. Und ebenso dir. Sobald ich irgendwo angekommen bin, schreibe ich dir. Zu deiner Hochzeit kann ich nun natürlich nicht kommen, doch unser Schiff wird sicherlich an Touron vorbeikommen. Sollten wir anlegen und Ausgang erhalten, könnte es sein, dass ich in ein paar Tagen überraschend vor deiner Tür stehe, also kurz nach Ankunft dieses Briefes. Ich hoffe sehr darauf, dich wiederzusehen, auch wenn ich unserer Mutter lieber aus dem Weg gehen würde. Nun muss ich aufhören, man versucht uns noch in Windeseile alles Nötige beizubringen, was wir über Nardújarnán erfahren müssen. Ich hoffe nur, unsere Vorgesetzten wissen, was sie tun.

Dein Falerte

 

 

VII: Bericht des Obersten Seewächters Amerto an Bord der „Sturmwind“

11. 05. 3979, An Bord der Sturmwind.

Die ersten Tage der Überfahrt verliefen gut. Der Sommerwind ließ uns schnell vorankommen und wir konnten auf Zwischenhalte verzichten. Kurz nachdem wir an Touron vorbei waren, gerieten wir in starken Seegang. Viele der angeblich seetüchtigen Kämpfer, die unsere Ladung darstellen, hängen seitdem grün über der Reling! Wie soll das erst werden, wenn wir den Sund von Omér durchschiffen müssen?

Immerhin aber scheinen die meisten derer, die nur als für den Landeinsatz tauglich gemustert wurden, sich auf hoher See doch recht gut zu machen. Haben diese Leute da in Rardisonan überhaupt einen Hauch Ahnung von dem, was sie tun und wie sie ihre Aufgaben zu erledigen haben? Sobald wir in Almez ankommen, werde ich mich beschweren. Diesen Bericht schicke ich bei unserem nächsten Halt zurück nach Rardisonan.

Herr, der ihr dies lest, sprecht ein Wort in der Guigans! Im schlimmsten Falle könnte es noch zu Todesfällen an Bord kommen bei solch schlampiger Musterung!

Amerto y Cajál an Bord der „Sturmwind“

 

 

VIII: Tagebuch des Falerte Khantoë

16. 05. 3979, An Bord der Sturmwind.

Ich beginne dieses Tagebuch, meine zukünftigen Erlebnisse festzuhalten. Auch mag es mir als Gedächtnisstütze für spätere Zeiten dienen. Gestern durchfuhren wir den Sund von Omér. Seit unserer Abreise haben wir in keinem Hafen mehr gehalten. Meine Schwester sah ich so leider nicht. Auch hatte ich mir heimlich erhofft, vielleicht Ccillia in Touron zu sehen. Doch das wäre vermutlich nicht gut gewesen. Die Lage an Bord ist schwierig, will ich meinen. Der Oberste Seewächter Amerto, Herr dieses großen Schiffes, zeigt sich mehr als ungehalten über uns. Warum nur? Vielen der Männer, die die See nicht gewohnt sind, ging es eine Weile reichlich schlecht. Amerto gibt die Schuld dafür uns und dem Jinn in Rardisonan. Zugegeben, mehr als einer hier hatte nicht die Wahrheit bei der Musterung gesagt. Amerto belohnt dies mit Strafen. Auch sonst scheint es nicht sehr förderlich zu sein, soviele Menschen auf einen Haufen zu sperren. Fast täglich kommt es zu Zwist und Zank. Braucht der Mensch so sehr seine Freiheit, dass er sie sich erkämpfen muss, sobald er sie bedroht sieht? Amerto scheint uns nicht als würdig anzusehen. Ich habe Gerüchte gehört, dass wir Halkus anlaufen werden, die Hauptstadt Omérians, wo er die ihm Unangenehmen über Bord werfen will. Ich kann nicht einschätzen, wie hoch der Wahrheitsgehalt dieser Gerüchte ist, doch glaube ich kaum, dass er dies tun wird, denn die Beziehungen zwischen Omérian und Rardisonán sind – soweit ich weiß – bestenfalls gespannt. Auf jeden Fall aber ist es unübersehbar, dass Amerto uns nicht mag. Aber zumindest ich habe es geschafft, mir halbwegs Anerkennung bei ihm zu holen, als ich bei den Aufgaben der Seemänner an Bord helfen konnte. Leider müssen wir wohl zwangsweise mit ihm auskommen: Halkus werden wir sicherlich anlaufen, ist dies doch der letzte Hafen, bevor wir eine lange Weile auf hoher See verbringen müssen. Das bedeutet mehrere Wochen in diesen Umständen leben. Und auch wenn es zweifelhaft ist, dass wir diesen Amerto und seine Seewächter nach dieser Reise jemals wiedersehen werden, stelle zumindest ich mich lieber gut zu ihm und halte auch die anderen an, es mir gleich zu tun.

Am schwersten war dies mit Miruil. Miruil, der kleine Kämpfer aus Calerto, der so stolz auf seine braunen Locken ist und einer etwas wohlhabenderen Familie entstammt, ähnlich wie ich. Miruil allerdings bildet sich etwas mehr auf seine Abkunft ein. Seit seiner Kindheit, so erzählte er, ist er es gewöhnt, andere herumzuscheuchen und nicht, selber herumgescheucht zu werden. Doch er folgt bedingungslos den Anweisungen eines Vorgesetzten, denn diese Befehle vermag er als für sich gültig anzusehen. Dafür sah er es nicht ein, den Anweisungen und Hinweisen eines einfachen Seemannes zu folgen und als genau dies schätzte er die Seewächter ein – höchstens noch als zu ihm gleichberechtigt, nicht aber als vorgesetzt. Und so geschah es eines Tages, dass ein armer Seewächter ihm einen Säuberungsbefehl gab und Miruil, von einer leichten Seekrankheit schon genug geplagt, geriet darüber mit ihm in Streit. Letztlich gingen der ruhige Couccinne und ich dazwischen und konnten schlimmeres verhindern, doch musste Miruil sich später vor Amerto rechtfertigen und erhielt zur Strafe zwei Tage Einzelhaft. Vielleicht gar nicht so ein schlimmes Schicksal, müssen wir restlichen uns doch alle zusammen drei große Gemeinschaftsschlafhallen teilen – die Seewächter schlafen bei dem guten Wetter sogar auf Deck.

Einen weiteren Vorfall gab es mit Oljó. Dieser neigt ja sehr zu Glücksspielen, doch diesmal hätte er es vielleicht sein lassen sollen. Ich weiß nicht, ob wirklich er es war, der beim Spiel betrogen hatte. Wie auch immer, es kam zum Streit und zu Gerangel und endete damit, dass Oljó nun eine neue kleine Narbe über dem Auge hat. Zum Glück erstattete niemand Bericht, sonst hätte er wie Miruil bald Einzelhaft gehabt. Und welch Licht würde das auf uns alle werfen, wenn bereits zwei in Einzelhaft wären?

Ja, wir haben hier schon eine hübsche Truppe. Es dürfte noch lustig werden, sobald wir ernsteren Gefahren ins Auge sehen müssen. Aber ob das jemals geschehen wird? Nun, immerhin untereinander halten die meisten gut zusammen, auch wenn ich einige der Leute – und gerade Oljó – nicht wirklich leiden kann. Dafür sind andere dabei, mit denen ich mich schon besser verstehe. Doch so wirklich trauen kann ich hier wohl niemandem, werde und sollte ich wohl auch nie. Viele kamen aus ähnlichen Gründen wie ich damals in die Guigans: die reine Not. Einige waren ohne Bleibe, so zum Beispiel der kleine rothaarige Kämpfer Zalím – und auch ich. Andere waren abenteuerlustig und wollen etwas erleben, so der gute Miruil, der seiner Familie überdrüssig war – und wieder auch ich. Weitere waren Diebe oder Verbrecher und auf der Flucht oder auf der Suche nach neuen Möglichkeiten – oder gar von einem Gericht zum Kriegsdienst abgeurteilt worden, so auch unser unglücklicher Dieb Oljó. Bei den meisten weiß ich aber überhaupt nicht, woher sie kommen oder warum sie hier sind. Ein gutes Beispiel dafür ist Jimmo. Ich habe mehrmals versucht mit dem großen, ergrauten Hünen zu reden doch stets verneint er es, etwas über seine Herkunft verraten zu wollen. Ich weiß auch nicht so recht, was ich über ihn denken soll. Er spricht nicht viel mit uns, doch bisher bot sich auch kein Grund zu größerem Misstrauen – gerade deshalb traue ich ihm aber auch nicht.

Aber ich werde sehen, was die nächsten Wochen bringen. Couccinne brachte mir gerade die Nachricht, dass wir Halkus anlaufen und wohl die Nacht über dort bleiben und Vorräte beziehen werden. Dann werde ich auch sehen, ob er tatsächlich noch jemanden des Schiffes verweist. Zumindest Couccinne meinte, dass wir die Nacht über Freigang erhalten würden. Ich werde diese Zeit noch einmal nutzen. Couccinne warnte mich auch, dass sie jeden hart verfolgen, der versuchen würde, sich aus dem Dienst zu stehlen. Wollte er damit etwa sagen, dass er sich dies bei mir vorstellen könne? Das wäre eine gewaltige Frechheit von ihm!

Ah, ich sehe die Lichter der Stadt! Wie schön sie doch ist.

 

 

IX: Brief an die Schwester

17. 05. 3979, Halkus.

Geliebte Schwester,

ich schreibe dir hiermit eine nur schnelle und kurze Notiz aus Halkus. Ja, richtig, wir sind in der Hauptstadt deines Landes! Aber nur kurz und nur um Vorräte aufzunehmen. Heute Mittag bereits geht es weiter, dann sind wir bis zu vier Wochen auf hoher See, bevor wir den nächsten Hafen erreichen. Gestern Nachmittag erst kamen wir hier an.

Es geht mir gut, doch gestern geschah etwas. Einer der Männer, ein kleiner Kerl namens Zalím, verschwand in der Nacht. Wenn er bis zu unserem Aufbruch nicht wieder erscheint, wird er für vogelfrei erklärt. Ich frage mich nur, was diese Strafe für ihn hier, in einem fremden Land, schon für Bedeutung hätte. Wie dem auch sei, ich hatte Zeit mir Halkus anzusehen. Eine beeindruckende Stadt habt ihr da, alt und schön, doch auch ruhig. Hügel, Meer und Wald – was will man mehr?

Ich werde dir Abschriften meines Tagebuchs mitschicken, damit du über das was mir so geschieht unterrichtet bist. Ich werde deshalb versuchen dort möglichst verständlich zu schreiben. Leider muss ich nun aufhören. Grüße deinen Gemahl und viel Glück euch beiden!

Dein Falerte

 

 

X: Tagebuch des Falerte Khantoë

01. 06. 3979, Irgendwo auf Hoher See unfern von Nardújarnán.

Es ist etwas Schreckliches geschehen. Lass mich dir erzählen. Zwei Wochen sind vergangen seit unserem letzten Landaufenthalt. Welches der nächste Anlauf ist, wissen wir nicht, doch wird es irgendwas in Nardújarnán sein. Es ist jedem spürbar, dass viele nicht mit diesem langen Aufenthalt auf See auskommen. Auch der immer gleiche Ablauf von Aufstehen, Essen, Kampfübungen, Essen, Schlafen, Aufstehen, … tut seinen Teil, uns alle zu zermürben. Darum kann ich auch mir selber nicht ganz trauen, was die Geschehnisse von gestern Nacht betrifft, doch will ich meine Erinnerung hier trotzdem festhalten.

Es war mitten in der Nacht, als mich ein Druck auf der Blase erwachen ließ. Nachdem ich diesem Bedürfnis nachgekommen war, gelangte ich auf meinem Rückweg an einem der hinteren Laderäume vorbei. Seltsame Geräusche ließen mich da neugierig aufhorchen. Ich lauschte an der Tür und vernahm seltsames Summen und unverständliche Worte. Schon da hatte ich ein ungutes Gefühl und Besorgnis beschlich mich. Ich überlegte kurz, einen Seewächter zu benachrichtigen, doch unterließ es dann. Wenn die Ursache des Geräusches sich als harmlos herausstellen sollte, würde man mich sonst wohl auslachen oder ob der Störung bestrafen. Also öffnete ich vorsichtig die Türe, um meine drängende Neugier endlich befriedigt zu sehen. Glücklicherweise öffnete sie sich fast lautlos. Im Raum stapelten sich die Kisten, so dass man zunächst überhaupt nichts sah. Doch hörte ich die Worte nun lauter, aber weiter nicht wirklich verständlich.

Ich schloss die Tür hinter mir möglichst leise, bevor ich mich vor wagte. Der Raum war erwartungsgemäß stockfinster, doch tastete ich mich an den Kisten entlang, um Ecken und Biegungen und durch enge Gassen. Recht schnell bemerkte ich, dass ich allmählich die Umrisse der Kisten erkennen konnte. Das lag aber nicht an meiner Gewöhnung ans Dunkle, sondern an dem Umstand, dass es heller wurde. Das unverkennbare Flackern von Feuer drang zu mir vor. Und nach der nächsten Biegung sah ich es.

Ich hatte mich etwas zu weit vorgewagt und ging wieder in Deckung, doch lukte um die Ecke. Ein Mann war dort. Erkennen konnte ich ihn nicht so richtig. Er kniete mit nacktem Oberkörper neben einer großen Kiste, nur ein Bart fiel auf seine Brust. Auf der Kiste lag der Körper eines anderen Mannes. Der Kniende hatte sich und den Liegenden mit Zeichen bemalt, die ich nicht erkennen konnte, und hielt einen Dolch in der Hand. Kerzen flackerten, aufgestellt um die Kiste. Scheinbar war ich gerade zum Höhepunkt erschienen. Ich verstand nur Fetzen von dem, was er murmelte.

„…auf diesem Schiff seien verdammt! In Nardújarnán finden sie ihren Tod durch die Hände meiner Herrn! Für Šamrek! Für Ašckhir! Für Axabula!“

So oder so ähnlich sprach er und summte und wiederholte einige andere, mir unbekannte Wörter und dass wir alle sterben würden, dass er den Liegenden opfern und dadurch Macht von jemanden oder etwas aus Nardújarnán erhalten würde – kurz gesagt: Es war als befände ich mich mitten in einer der schlechten Abenteuergeschichten von Nuosan Deleau. Als er mit seiner Rede und seinem Gesang fertig war, hob er den Dolch sowie seine andere Hand über den sich nicht rührenden Mann, umklammerte mit beiden Händen den Dolch und stieß ihn herab. Wenn der Mann nicht bereits tot gewesen war, dann wäre er es ab diesem Stoß. Bemerkenswerterweise hielt der Mörder an dieser Stelle aber nicht an sondern zog sogleich den Dolch wieder heraus. Langsam drückte er die Schneide quer über seinen eigenen Brustkorb, bis das Blut floss. Doch sich selber brachte er nicht um.

An dieser Stelle dann bevorzugte ich es, schnell den Rückweg anzutreten. Um dabei leise bleiben zu können, war ich aber doch alles andere als schnell. Danach stahl ich mich in den Schlafsaal – doch schlafen konnte ich kaum noch.

Wer war das? Was hatte er da gemacht? Wen hatte er da umgebracht? Ich wagte es nicht, zu einem Seewächter zu gehen, erwartete ich doch, dass es im Laderaum bereits aufgeräumt gewesen wäre und man mir dann nicht glauben würde. Und zugegebenermaßen war ich vor allem viel zu verängstigt und verstört, nun noch einmal aufzustehen. Ich spüre es ja jetzt noch in meinen Knochen. Welch Gräuel!

Erst am nächsten Tag verspürte ich den Drang, mich mitzuteilen und dem Ganzen auf den Grund zu gehen. Nach dem Mittag nahm ich zu diesem Zweck Miruil zur Seite und schilderte ihm, was ich meinte beobachtet zu haben. In seiner Abenteuerlust war Miruil stets etwas leichtgläubig in seiner Bestrebung oder Hoffnung glauben zu dürfen und etwas Aufregendes zu finden und wollte deshalb sogleich mit mir das Ganze überprüfen gehen. Ich selber war zu aufgeregt, doch auch überrascht, dass meine vermutlich sehr abgehackt klingenden Worte ihn überzeugen konnten. Da wir nach dem Essen nur knapp eine halbe Stunde Zeit für uns selber hatten, nutzten wir diese, um zu dem betreffenden Laderaum hinabzusteigen. Niemand begegnete uns und den Laderaum fanden wir unverschlossen vor. Ich scheute mich hineinzugehen und ließ Miruil den Vortritt, bevor ich schließlich folgte. Dort unten war es immer noch mehr als dunkel, doch durch die zahlreichen Ritzen in Wänden und Decke immerhin schwach erleuchtet. Das, was wir fanden, war wenig aufregend – wir fanden nämlich nichts.

Miruil war offensichtlich kurz davor mich für verrückt zu erklären in seiner Enttäuschung – zumindest waren das im ersten Moment meine Gedanken. In Wirklichkeit sagte er aber, dass der Mörder die Leiche wohl bereits über Bord geschmissen und alle Spuren beseitigt hätte. Ich dankte ihm innerlich für sein Wohlwollen. Vielleicht könnte ich mich ja doch noch auf ihn verlassen.

Als wir uns wieder auf den Weg gen Deck machten, um den Übungen beizuwohnen, kam uns Couccinne aufgeregt entgegen: Man hatte Zalím, der ja seit Halkus vermisst wurde, aufgefunden. Er lag tot in einer Vorratskiste, deren Inhalt dem Abendessen hätte dienen sollen. Zalím schien noch nicht lange tot zu sein, ermordet durch einen Stich ins Herz. Aufgeregt platzte Miruil mit dem hervor, was ich ihm erzählt hatte und schilderte, was wir gerade getan hatten. Couccinne blieb ruhig, sagte uns, dass Amertos Seewächter nach Spuren und Hinweisen suchen würden, während Miruil auf mich einredete, dass ich mit Amerto sprechen müsse. Letztlich ließ ich mich zu diesem zerren.

Amerto war ungehalten darüber, dass ich des Nächtens durch das Schiff gewandert war, doch vergaß dies über meine Geschichte recht schnell wieder. Ich war mir nicht sicher ob er mir glaubte oder mich für den Mörder hielt, doch gab er meine Beschreibung des Täters an seine Seewächter weiter. Leider hatte ich jedoch kaum mehr zu beschreiben, als dass er nun wohl eine Wunde quer über der Brust hätte und einen Bart trug. Amerto tat das Naheliegendste und ließ alle an Bord daraufhin untersuchen – doch nichts ließ sich finden. Amerto sprach zwar davon, dass der Mörder von Bord gesprungen sei, doch ich dachte daran, dass er mir nun wohl nicht mehr glauben und mich bald beschuldigen würde. Doch zunächst ließ er noch einmal überprüfen, ob jemand fehlen würde – Doch natürlich war dem nicht so.

Das war also vor zwei Tagen. Bis gestern wurde die Stimmung an Bord mehr als sehr gespannt. Einige sagten mir offen, dass sie mir nicht glauben würden, andere fingen an, alle möglichen anderen Verdächtigungen heranzuziehen und wieder andere vermuteten, dass Zalím sich selbst umgebracht hätte und dass ich spinnen würde. – Warum auch immer er sich dann in die Kiste hätte legen sollen oder wie auch immer er bereits tot den Dolch hätte verschwinden lassen können. Zumindest war das Vertrauen an Bord nun nicht mehr das stärkste.

Gestern Abend dann sah ich den Mann wieder. Ich war von allen Pflichten zeitig befreit worden und machte einen einsamen Spaziergang über das Vorderdeck, wo sich zu diesem Zeitpunkt niemand außer mir aufhielt. Jedenfalls dachte ich das. Denn sogleich sah ich eine Gestalt am Bug stehen. Wie in der düsteren Nacht zuvor stand der Mann da, mit entblößtem Oberkörper. Das Mondlicht umriss die frische Wunde. Er stand ruhig da und blickte auf das Meer. Ich selber wusste nicht, was ich tun solle. So stand ich nur starr und erschrocken. Und dann wandte der Mann seinen Kopf und zum ersten Mal erblickte ich sein Gesicht, das bärtige Gesicht. Und immer noch bin ich mir sicher, dass ich mich geirrt haben muss. Das konnte nicht sein. Nein! Warum sollte es Puidor sein? Ich muss einem bösen Traum aufgesessen sein. Vielleicht träume ich ja immer noch?

Der Mann sprach nicht. Stumm sah er mich an. Ich erkannte immer noch das Gesicht Puidors doch eine Stimme tief in mir drinnen sagte mir, dass er es nicht sein könne, nicht sein dürfe. Der Mann mit Puidors Gesicht aber ohne dessen Gefühl, ohne ein Erkennen in den Augen sah mich nur finster und wie tot an.

„Ihr seid alle verdammt in Nardújarnán zu sterben!“ sprach er schließlich mit unmenschlich wirkender Stimme.

Dann ließ er sich rücklings die Reling herabstürzen. Kein Geräusch kam auf, weder vor noch nach dem Sturz. Erschrocken riss ich mich aus meiner Starre und lief zur Reling, doch in den dunklen Fluten erkannte ich nichts. Erst später kehrte ich völlig verstört in den Schlafsaal zurück, als alle bereits in ihren eigenen Träumen waren. Niemandem habe ich seitdem davon erzählt, glaube ich doch mir selber nicht. Denn als er stürzte, sah der Mann nicht mehr aus wie Puidor. Oder bildete ich mir nun das nur ein?

Das war also gestern. Die anderen suchen immer noch nach einem Mörder. Sollen sie ruhig, ich werde sie nicht davon abhalten. Vielleicht irrte ich mich ja doch. Ich hoffe sehr, dass dem so ist. Was uns wohl in Nardújarnán erwarten wird? Ängstlich blicke ich in die Zukunft…

 

 

XI: Bericht des Obersten Seewächters Amerto an Bord der „Sturmwind“

02. 06. 3979, An Bord der Sturmwind.

Dieser Bericht ergeht an den befehlshabenden Richter von Atáces. Morgen erreichen wir Abajez, von wo er weitergeleitet werden wird.

Werter Herr, Seltsames geschieht an Bord meines Schiffes. Ein Mann wurde tot aufgefunden. Darüber werde ich auch die Leitung der Seewächter in Panguino unterrichten, doch das Folgende muss an euch gehen. Wir können keinen Mörder ausfindig machen. Ein Krieger der Einheit welche wir hier verschiffen und die für Abajez bestimmt ist, schildert zwar ihn gesehen zu haben doch entspricht kein Mann an Bord dieser Beschreibung. Auch sonst verhält dieser Kämpfer sich eigenartig. Er sollte beobachtet werden; ich traue ihm nicht. Dies gehört zweifellos in euren Zuständigkeitsbereich. Die Einheitsnummer ist AB-1007. Soweit mir bekannt ist, soll die andere Hälfte der Krieger an Bord nach Atáces versetzt und von dort ins Hinterland geschickt werden. Vielleicht wäre dies eine gute Möglichkeit, den Knaben loszuwerden. Sein Name lautet Falerte Khantoë.

Oberster Seewächter Amerto.

 

 

Erstes Buch

XII: Tagebuch des Falerte Khantoë

04. 06. 3979, Abajez

Es sind gerade einmal zwei Tage vergangen seit meinem letzten Eintrag. Und doch ist bereits wieder einiges geschehen. Gestern Mittag erreichten wir den Hafen Abajez. Wir sind also in Nardújarnán! Und noch leben wir, trotzend allen Drohungen…

Wir waren bereits zwei Nächte zuvor an der ersten Landzunge Nardújarnáns vorbeigekommen, wie ich erfahren habe. Das war die Nacht, in der ich der Puidor-Gestalt auf dem Vordeck begegnet bin. Ob er es nun wirklich war oder nicht – vielleicht war er an der Stelle von Bord gefallen um das Land erreichen zu können. Soviel zu meinen ganzen Überlegungen. Auch habe ich mir gedacht vielleicht ein Reisebuch zu verfassen. Grundlage dazu könnten meine Tagebucheinträge werde. Ob das jemand lesen würde? Na vermutlich wird es nie dazu kommen…

Abajez ist die westlichste Stadt von Nardújarnán, in der man nicht nur Krieger eines Außenpostens in der Wildnis findet, sondern eine richtige kleine Stadt mit richtigen Bürgern. Uns wurde erneut erlaubt den Abend über an Land zu gehen. Abajez wirkte vertraut und fremd zugleich. Vertraut, da die Siedler größtenteils aus Rardisonán stammen und abgesehen von ihrem seltsamen Dialekt, dem Toljúepa, wie aus Rardisonan oder Belané kommend wirken, Städte, die mir schon vertraut sind. Fremd war die Stadt wegen ihres eigenwilligen, andersartigen Baustils und der fremden Landschaft. Dies ist nicht zuletzt schließlich einfach nicht Rardisonán, Ramit oder Omérian. Abajez liegt in der Provinz Galjúin, einer zerklüfteten Mischung aus Berg- und Meerland mit etlichen Buchten. Der größte Fluss dieser Landen ist die Mijalar (oder Mijalaría im Toljúepa). Der Name ‚Kalte Wasser‘ geht darauf zurück, erzählte man mir, dass der Fluss größtenteils ein reißender Gebirgsfluss ist. Erst am Ende seiner Reise beruhigt er sich. Dort, was auch für große Schiffe wie unseres befahrbar ist, liegt denn Abajez. Auch die umgebende Landschaft ist die flachste und ruhigste von ganz Galjúin. Als westliche Stadt ist sie zwangsweise der erste Anlaufpunkt für Schiffe aus dem Westen und die Bürger sind gut auf diesen Umstand eingerichtet. Zahlreiche Händler und Kneipen erwarteten uns bereits im Hafenviertel.

Während wir uns vergnügen, so erfuhren wir erst heute, lud das Schiff erwartungsgemäß neue Ladung. Dazu gehören auch weitere Reisende gen Ost, weitere Krieger, die mit uns fahren. Dafür war für zehn von uns hier das Ziel ihrer Reise. Sie dienen nun bereits in der Guigans von Abajez. Wir anderen werden weiterfahren; wie uns gesagt wurde nun ohne erneuten Halt bis zu unserem Ziel, der Stadt Almez.

Heute morgen bereits legten wir ab. Ich sitze hier auf dem Vordeck. Die grauen Gipfel von Galjúin ziehen an uns vorbei. So ähnlich muss Nirza aussehen, nur kälter und nicht so warm wie dieses nördliche Land. Selbst der Wind auf See ist warm..

Couccinne ruft…

 

 

XIII: Brief an die Schwester

12. 06. 3979, Almez

Geliebte Schwester,

endlich finde ich Zeit, dir wieder einmal zu schreiben. Vor wenigen Tagen gelangten wir an unserem Ziel an: Die Stadt Almez in Nardújarnán. Unsere Reise verlief größtenteils ruhig, bis auf wenige Unstimmigkeiten in der Besatzung und einem Vorfall: Ich schicke dir eine Abschrift des Tagebucheintrages mit, der dir erklärt was ich meine. Darum nun, bevor ich anfange diese für mich neue Welt dir zu schildern, meine Bitte an dich: Lies den Eintrag und lass bitte für mich in Rardisonán nach Puidor suchen, wie ich ihn dir beschrieben hatte. Ich muss wissen, was mit ihm ist. Es hat allergrößte Wichtigkeit!

Nun lass mich dir aber diese wunderbare fremde Welt schildern. Seit einigen Tagen fahren wir an der Küste von Nardújarnán entlang und zum zweiten Mal legten wir nun an. Das erste Mal in Abajez im Lande Galjúin. Dieses sieht aus, wie man sich Nirza vorstellen würde, nur wärmer als selbst in dessen wärmsten Wintern. Genau genommen selbst wärmer als es bei euch ist: Der Sommer liegt schon fast hinter uns, doch sogar wir Nordländler schwitzen noch in der Sonne. Galjúin also war ein zerklüftetes Bergland, durchbrochen von zahlreichen unregelmäßigen Buchten und dafür Berge, die bis in das Meer hinein reichten. Zahlreiche Wäldchen schmückten diese Berge.

Almez dagegen liegt im Lande Tadúnjodonn an einer weitläufigen Bucht, die ihren Namen trägt. Tadúnjodonn (und wieder kann ich mich nur auf das berufen, was mir erzählt wurde), eine wohl eher ländliche Gegend, gehört zum Hauptteil Nardújarnáns, zum Herzen, dem Teil, welcher der restlichen Welt allgemein besser bekannt ist doch immer noch nicht dem Bild gereicht, dass man so von Nardújarnán hat. Almez ist eine ruhige Hafenstadt. Das Land hier ist nur leicht hügelig, dafür soll es jenseits dieser Hügel in eine weite Ebene auslaufen, die Ebene von Atáces, in welcher die Stadt gleichen Namens liegt, die Hauptstadt von Tadúnjodonn. Dieses Herz Nardújarnáns soll auch der am dichtesten bewohnte Teil des Landes sein. Es beginnt mit Galjúin und reicht über Tadúnjodonn lediglich bis ins Nachbarland – und das, wo Nardújarnán doch mehr als doppelt so groß ist! – das meiste ist halt noch kaum erforscht. An den Rändern von Nardújarnán findet man im Westen die Gebirge, im Norden die weiten Wälder und Flüsse, in Süd und Ost das Meer. Und hier, im Herzen Nardújarnáns selber, die Flussländer im Westen, das Bergland von Galjúin, die Gebirge an der östlichen Küste, gen Norden die Flüsse, Seen und Wälder und hier im Süden und Südosten die weiten Ebenen, welche den gewaltigen Lauf des Tajazi, des großen Stroms, umgeben.

Du siehst, ich bin begeistert von diesem Lande, und das, obwohl ich bisher nur zwei Städte und etwas Küste gesehen habe. Doch glaube ich nicht, dass es mich hier lange halten wird und tatsächlich habe ich bereits Gerüchte vernommen, die besagen, dass man Teile von uns bald erneut versetzen will, diesmal nach Atáces. Ich frage mich, warum man das sollte. Atáces ist hierzulande das, was Rardisonan im Westen ist: die Hauptstadt der Krieger. Von dort aus werden die meisten Handlungen der Armee gesteuert. Nun, ich werde ja sehen. Jedenfalls habe ich mich gestern bereits bei der Briefstelle erkundigt, als ich eine Nachricht für Garekh – erinnerst du dich an ihn? – aufgab und mir wurde gesagt, selbst wenn wir einmal versetzt werden sollten, kann unsere Post weiterhin nach Almez gesendet werden, von wo man sie dann weiterleitet.

Der Mann in der Briefstelle war übrigens ein Eingeborener dieser Lande. Man sieht einige von ihnen in den Straßen; sie haben sich den Toljiken hier gut angepasst. Doch mir wurde gesagt, es gibt auch noch viele von ihnen draußen in ihren alten Dörfern, mit ihren alten Sprachen und Bräuchen. Die Toljiken unterstützen sie teilweise in einigen Belangen, andererseits kümmern sie sich nicht viel um sie. Die meisten Stämme in Nardújarnán – die noch nicht weit entwickelt zu sein scheinen, was wohl daran liegt, dass die gewaltigen Berge alle Landreisen aus dem Westen wie beispielsweise Irlost verhindern – dulden ihrerseits die Toljiken auch wie Nachbarn auf ihrem alten Land. Ich kann mir das irgendwie kaum vorstellen. Aber andererseits sind die Toljiken hier schon etliche Jahre und wer weiß, wie es anfangs war. An den Grenzen der Länder jedenfalls, draußen in den dichten Wäldern, sollen die dort Lebenden den Toljiken weniger gut gesinnt sein. Couccinne meint, er traue den Eingeborenen nicht; dass sie sich eines Tages auflehnen und sich rächen würden – Miruil würde sich darauf wohl freuen.

Ich muss dir auch noch etwas über die anderen erzählen. Du weißt, ich vertraue Menschen weder leicht noch schnell. Bei vielen dieser Männer mag Misstrauen auch mehr als angebracht zu sein. Die meisten derer, mit denen ich bisher am meisten zu tun hatte, habe ich dir bereits geschildert: den nüchternen Couccinne, den abenteuerlustigen Miruil, den geheimnisvollen Jimmo und den gefährlich wirkenden Oljó. Doch lass mich dir nun von zwei weiteren erzählen.

Zuerst unseren alten Ausbilder aus Rardisonan, den Caris Duimé. Der Caris kam mit uns nach Nardújarnán. Er redet nicht wirklich mit uns, hält sich eher abseits – so wie er mir in der Ausbildung vorkam, am ehesten aus Überheblichkeit. Nun ist er aber unser Vorgesetzter und Truppenleiter, hier in der Guigans Almez auch unser weiterer Ausbilder. Klarkommen muss man also mit ihm. Aber es war schon eine Überraschung, ihn am ersten Tag unserer Ankunft bei den abendlichen Übungen plötzlich wieder als tonangebend anzutreffen, war er mir doch an Bord des Schiffes irgendwie nie aufgefallen. Sehr seltsam.

Der Zweite von dem ich dir berichten möchte, ist Scaric-tar-Garshan aus Toch-Bas. Scaric ist ein lebensfroher Mann mittleren Alters, mit dunkler Erscheinung – wie die Leute aus Toch-Bas halt sind. Sein Körper ist groß und schlaksig, doch zeigt er sich in den Übungen als sehr gewandt. Wenn man mit ihm spricht, hängt der Blick unwiderstehlich schnell fest an seiner beeindruckenden Hakennase. Zwar habe ich aufgrund seines starken Akzents stets Schwierigkeiten ihn zu verstehen, doch macht sein Witz und seine freundliche Art dies schnell wett. Stets frage ich mich, ob sich nicht doch etwas Schlechtes hinter seiner Art verbirgt. Auch wollte er nicht darauf eingehen, warum er ausgerechnet zur Armee des Nachbarn seines Heimatlandes gegangen ist, sondern winkte bei dieser Frage nur mit der Bemerkung ab, dass seine Heimat zu klein und friedlich sei und man, um Abenteuer erleben zu können, schon Seefahrer werden oder zur toljikischen Armee müsste. Doch so recht glaube ich ihm nicht, dass dies seine einzigen Gründe seien. Scaric ist neu bei uns seit wir Abajez verließen. Er ist bereits seit zwei Jahren in Nardújarnán und kennt sich hier also noch am besten von uns aus.

Das war es erstmal zu diesen Bereichen. Ich werde versuchen, dir mit diesem Brief einige Samen einheimischer Pflanzen mitzuschicken, weiß ich doch, wie sehr du dich dafür begeisterst. Versuche sie anzubauen und berichte mir die Ergebnisse. Und wie verläuft deine Ehe bisher? Was macht Mutter? Und hast du in letzter Zeit Ccillia mal wieder gesehen? Wie geht es ihr und was macht sie? Ja, ich möchte es doch wissen.

Jetzt muss ich aufhören. Für heute habe ich frei und mir einen Einheimischen angeheuert, der mir die Umgebung der Stadt und vor allem den wunderschönen Strand zeigen soll. Solltest du je auf Reisen gehen, musst du ihn dir unbedingt ansehen! Wenn es hier schon so aussieht und es solch wundersame Tierarten gibt, wie mag es dann wohl erst im Landesinneren sein? Ich muss die Gelegenheit mir dies anzusehen nutzen, bevor wir doch noch versetzt werden. Ich werde versuchen Zeichnungen von allen meinen Begegnungen anzufertigen, die ich dir das nächste Mal mitschicke.

Dein Falerte

 

 

XIV: Brief an Garekh

12. 06. 3979, Almez

Werter Freund,

ich schreibe dir aus einem wichtigen Grund, doch habe ich keine Zeit, dir ausführlicher zu schreiben. Vielleicht ist mir dies ein andern Mal möglich; ansonsten wende dich diesbezüglich an meine Schwester, die bestens über meine letzten Erlebnisse unterrichtet ist. Lass mir dir nur kurz erklären, dass ich seit meiner Flucht bei der Armee von Ojútolnán gelandet und hierher nach Nardújarnán versetzt worden bin. Antworten kannst du hierher an die Guigans von Almez senden, unabhängig davon, wo im Lande ich mich dann befinde. Es gehen auch schon Gerüchte um, dass wir versetzt werden sollen.

Nun aber meine Anliegen. Erstens: Ich hatte dir doch von dem Einsiedler Puidor erzählt. Seltsame Dinge sind geschehen, weshalb ich wissen muss, was mit ihm derzeit ist. Du wolltest dieses Jahr doch noch mehrmals nach Rardisonán und Machey reisen. Ich hoffe sehr, dass dir ein Zwischenhalt möglich wäre. Im Anhang möchte ich dir den Weg sowie eine Beschreibung Puidors schildern. Es geht mir nur darum zu wissen, wo er sich aufhält und was er macht. Den Grund muss ich dir ein andern Mal erklären. Oder siehe folgenden Punkt. Zweitens nämlich sende ich dir Abschriften meines Tagesbuchs mit. Behalte sie bitte bei dir. Sollte mir je etwas geschehen, lege sie meinem Vater vor. Vielleicht erklären sie einiges. Ein einzelner Brief an ihn ist auch dabei. Die Tagebuchseiten kannst du gerne lesen, um über mich unterrichtet zu sein, den Brief lasse bitte in Ruhe.

Wenn du dies alles tust, stehe ich noch mehr in deiner Schuld als schon zuvor. Nun muss ich aber aufhören, unser Ausbilder ist ein Ekel von einem Mann. Aber vielleicht kann man gerade seiner Härte besser vertrauen als den vielen aufgesetzten Freundlichkeiten anderer. Wir sind hier alle Flüchtlinge, Abenteurer und Männer ohne Vergangenheit. Wem darf man da schon trauen? Trotz der Geselligkeit fühle ich mich einsam. Vielleicht liegt das daran, dass ich mir selber nicht vertrauen kann. Nun lasse ich dich aber mit diesen düsteren Gedanken in Ruh. Wie geht es dir und deiner Familie? Wie steht das Geschäft? Handelst du immer noch mit diesem Pack von Schwarzseepiraten und denen von Noctsce? Pass auf dich auf! Ich traute diesem Gesindel noch nie. Irgendwann werden sie noch unser aller Untergang sein. Doch damit meine ich nur unsere Heimat Ramit. Der Untergang der Welt könnte etwas ganz anderes sein. Lies einfach das Tagebuch. Vermutlich sind es nur Hirngespinste. Finde Puidor!

Dein Freund Falerte.

 

 

XV: Tagebuch des Falerte Khantoë

24. 06. 3979, Guijúlon

Die Gerüchte haben sich bestätigt. Nur etwas mehr als eine Woche waren wir in Almez, als der Versetzungsbefehl kam. Nun sind wir auf dem Weg nach Atáces. Jegliche Leichtigkeit, mit der wir bisher befördert wurden, ist vergessen. Ab sofort marschieren wir zu Fuß in Reih und Glied, die ganze lange Straße von Almez bis Atáces. Unterwegs, so hatte ich bereits gewusst, gibt es nur wenige Dörfer, ein paar Herbergen und lediglich einen einzigen Außenposten der Armee: Guijúlon, benannt nach dem kleinen Bach an dem er liegt, mit dem roten Sand an seinem Grunde. Dort befinden wir uns nun. Die eine Hälfte des Weges liegt hinter, die andere noch vor uns. Bisher schliefen wir immer auf dem nackten Boden, mit unseren Rucksäcken als Kopfkissen. Hier in Guijúlon bekommen wir für eine Nacht zumindest Platz auf Strohlagern. Ich muss schon sagen, ich kenne Besseres. Selbst auf den Handelsreisen mit Nuref hatten wir Feldbetten und Zelte dabei. Zumindest aber hat es hier bisher noch nicht einmal geregnet. Es ist aber unwahrscheinlich, dass es bis Atáces so bleiben wird, und was dann wohl geschehen mag? Es ist warm in diesen Landen, teilweise schon zu warm.

Guijúlon ist ein kleiner Außenposten, nur Zwanzig sorgen hier für den Schutz der gesamten weiten Umgebung. Doch scheint es auch nur wenig Schützenwertes zu geben. Eine feindliche Armee kann man hierzulande nicht erwarten und mit kleineren Räuberbanden kommt der Außenposten schon zurecht, bei größeren würde er Hilfe kommen lassen. Zwanzig Kämpfer – damit sind die Dreißig von uns, die hier heute angekommen sind, also in der Überzahl. Doch auf genau sowas ist der Außenposten auch ausgerichtet: Reisende zwischen Atáces und Almez aufnehmen und beschützen. Es ist uns also mehr als genug Platz geboten, doch davon nur wenig zum Schlafen. Andere Außenposten in Nardújarnán haben andere Größen und Zwecke, stets aber den Schutz von Nardújarnán zum Ziel.

Einige von uns kommen wesentlich schlechter mit den Umständen zurecht als ich. Miruil zum Beispiel. Er beklagte sich bereits bei den Hängematten auf der Sturmwind, dies nun scheint ihm zuviel zu werden. Beschweren würde er sich seit Amerto und seiner Einzelzelle aber wohl nicht mehr. Andere haben sich bei dem langen Marsch schnell Blasen an den Füßen geholt, obwohl uns vorher gezeigt wurde, wie wir unser Schuhwerk zu behandeln hatten – doch wir haben uns noch nie wirklich großartig über weitere Entfernungen bewegt. Dies ist nun also unsere Bewährungsprobe. Der Caris Duimé ist immer noch unser Leiter, benimmt sich aber weiter wie unser Ausbilder. Vielleicht ist das auch so geplant? Dass er uns nun alles beibringt, indem wir es ausüben? Nun stehen jedenfalls Übungen im Wildnisleben und der Heilkunst an.

25. 06. 3979, Guijúlon

Die Nacht liegt nun hinter uns. Duimé hat uns alle überrascht. Bisher hatte er sich immer abseits von uns gehalten, doch gestern Abend setzte er sich zu unserer Gruppe ans Feuer. Drei größere Feuerstellen gab es im Lager für uns sowie die Besatzung des Außenpostens, welche verstreut bei uns saß um Neuigkeiten und Klatsch auszutauschen. An unserem Feuer waren etwa zwölf Mann, darunter Miruil, Couccinne, Scaric, Jimmo und natürlich ich. Scaric, Miruil und der Lece Commosha Dacealus unterhielten gerade die gesamte Gruppe mit einem Streitgespräch über die Frage des besten Weines. Plötzlich stand Duimé neben uns, seiner Rüstung entledigt doch noch in Tracht wie wir alle, einen Schlauch Flüssigkeit in der Hand – da verstummten alle. Als er auch noch fragte, ob noch Platz für ihn an diesem Feuer sei, erwartete ihn Schweigen, das schnell peinlich wurde. Commosha war der Erste, der sein Erstaunen beseitigen und Duimé auffordern konnte, sich zu setzen. Er wählte den Platz zwischen mir und Scaric, da er bereits zwischen und hinter uns stand. Nach der Starrheit des ersten Erschreckens eilten wir uns, ihm Raum zum Sitzen zu geben. Sobald Duimé saß, begann Commosha ihm zu erzählen, worüber sie sich soeben gestritten hatten. Duimé überraschte jeden, indem er sofort etwas Passendes dazu beitragen konnte, das alle Beteiligten genug in Erstaunen zu versetzen vermochte, dass sie ihren Streit darüber vergaßen. Duimé wandte sich augenblicklich an mich um ein Gespräch mit mir zu beginnen und die Anderen vergaßen seine Anwesenheit bald.

Ich war erschrocken darüber, dass er mich ansprach – und ich wundere mich noch immer über das, was er fragte. Was weiß er, was will er? Er fragte mich aus über die Geschehnisse an Bord der Sturmwind, über die seltsame Nacht bis hin zur Flucht der Puidor-Gestalt. Als uns allen Vorgesetzter hatte er an Bord das Recht auf eine eigene Kabine gehabt und war nur selten an Deck gekommen, da er leicht seekrank werden würde, so erklärte er. Deshalb hätte er kaum etwas von den Geschehnissen mitbekommen, abgesehen von den Berichten Amertos. Doch selbst als sein Wein mich lockerer werden und meine Angst teils vergessen ließ, konnte ich ihm kaum Neues erzählen. Mein Misstrauen war noch stark genug. Ich habe niemandem von meinen Gedanken und Befürchtungen berichtet, außer in meinen Briefen an Garekh und meine Schwester. Wenn ich heute daran zurück denke, frage ich mich, warum Duimé sich so sehr für diese Geschichte interessiert hatte. Verdächtig war sein Verhalten schon.

Wie auch immer, an irgendeiner Stelle unterbrach der schon gut angetrunkene Scaric unser Gespräch – oder Verhör? – und Duimé, der zu diesem Zeitpunkt auch schon einiges getrunken hatte, lies sich in ein neues verwickeln. Ich nutzte diesen Moment, um mich für diesen Abend zum Schlafen zurückzuziehen. Doch zuvorderst wanderte ich noch zur Mauer des dunklen Außenpostens, die Landschaft draußen zu beobachten. Duimé hatte mich verstört.

Es scheint sich etwas geändert zu haben seit gestern Nacht. Viele aus unserem gestrigen Kreis gehen etwas vertrauter mit Duimé um. Ich kann nicht behaupten, dass mir dies gefällt. Und ich hoffe, er weiß das nicht. In einer Stunde gehen wir los. Ich warte auf den Abmarschbefehl. Wieder tagelang durch die Steppe laufen.

 

 

XVI: Brief an die Schwester

29. 06. 3979, Atáces

Geliebte Schwester,

nun sind wir endlich in Atáces. Die Reise war mühsam und lang, und das, obwohl wir eine der am besten ausgebauten Straßen des Landes nutzen konnten. Ständig überholten uns Karren, Wagen und Reiter. Einer davon muss deinen Brief mit sich getragen haben, denn er erwartete mich hier bereits. Sorgen musst du dir also nicht machen. Auch wenn mir von der langen Reise immer noch Beine und Füße schmerzen, sonst geht es mir gut. Es freut mich auch zu hören, dass es dir gut geht. Ich bin mir auch sicher, dass du nichts von mir verraten wirst, wenn du meinen Vater besuchst. Die Geschichte von eurem Gärtner dagegen klingt reichlich seltsam. Bist du dir dessen wirklich sicher? Das wäre ja was! Kaum auszudenken! Außerdem danke ich dir für deine Bemühungen, auch wenn du nichts über Puidor erfahren konntest. Vielleicht bringt dir da deine geplante Rückreise über Rardisonán ja wirklich Erkenntnisse; auch wenn ich diesbezüglich schon Garekh um eine Überprüfung gebeten hatte, von deiner Reise will ich dir hiermit natürlich nicht abraten. Und du bist sicher, Ccillia nicht finden zu können?

Lass mich dir noch kurz meine Reiseeindrücke von diesen fremden Landen schildern, bevor ich endgültig in einen langen, erschöpften Schlaf falle. Wir waren also für Tage auf dieser sich ewiglich hinziehenden Straße von Almez nach Atáces unterwegs und bekamen nur auf der Hälfte des Weges einmal eine halbwegs richtige Unterkunft; doch dies schildert dir dann die Abschrift meiner Tagebucheinträge. Sonst hatten wir nur unsere Rucksäcke und Umhänge, doch dies reichte aus, da es hier außergewöhnlich warm ist zu jeder Tages- und Nachtzeit. Nur einmal gerieten wir in einen Regenschauer, wir mussten ihn ertragen und wurden später von Duimé unerbittlich dazu angetrieben, während ihm auch zu schlafen. Zumindest zeigte uns ein einheimischer Führer aber, den wir dabei hatten, dass wir auf hohen Steinflächen trockener schlafen könnten als im Matsch und wie wir die großen Blätter einiger seltsamer Farne als Regenschutz nutzen könnten. Überhaupt die Pflanzen! Selbst der kleinste Strauch erscheint mir größer als unsere Pflanzen. Einige wenige Bäume mit interessanten Früchten sahen wir und Sträucher mit Beeren. Doch ist das Land der Ebene von Atáces noch recht spärlich besiedelt im Vergleich zu den Wäldern des Nordens, so unser Führer. Auf der Ebene zeigten sich meist unterschiedlich lange Gräser, die Bäume liegen in kleineren Ansammlungen beisammen. Richtige Wälder wie bei uns daheim sah ich bislang kaum. Doch östlich der Strecke Almez-Atáces liegt eine niedrige Gebirgskette, an deren Fuß die Strecke entlang führt und bemerkenswerterweise sammeln sich dort vor allem die größeren Pflanzen.

Die größten Tiere dagegen findet man in der Ebene. Ich kann gar nicht alle Tierarten beschreiben, da hier vollkommen andere leben als bei uns, sieht man von denen ab, die man hergeschifft hatte. Erinnerst du dich, wie wir als Kinder davon träumen, ein Possel (oder Pojél) zu haben, nachdem wir Geschichten darüber gehört hatten? Ich sah gleich eine ganze Herde! Ich beschreib sie dir noch einmal. Die Bullen sind fast so groß wie zwei Männer, ihre Vorder- sind länger als ihre Hinterbeine, weshalb sie einen Buckel haben. Dieser wird von einem Kranz halblangen Haaren umgeben, sonst ist das Tier nur kurzhaarig. Wir sahen einige Bullen im Wettstreit wohl um ihre Weibchen. Ihre dicken Schädelplatten, die kurzen Hörner und mannslangen Stoßzähne nutzten sie zum Kampf. Andere Tiere sahen sie, wie sie mit ihren Hörnern die Steppe nach Gras umgruben und dieses mit ihren kurzen Rüssel aus dem Boden rupften. Unser Führer bestätigte meine Vermutung der Begattungskämpfe indem er auf den großen Hautlappen am Bauch der Tiere deutete, der bei den Männchen zu dieser Zeit bunt gefärbt war. Auch wenn sie meist friedlich waren, machten wir lieber einen Bogen um die zur Paarungszeit gereizten Bullen. Hier in Atáces sah ich gleich die nächsten, nun aber als Lasttiere.

Atáces selbst liegt mitten in der Ebene. Eine große Festung beherrscht ihre Erscheinung, derweil die Stadt selber um sie herum und für Augen wie unsere ungewohnt schutzlos ohne Mauer dasteht. Doch wozu auch eine Mauer in einem Land, wo sämtliche anzutreffenden Einheimischen friedlich sind? Zwar gibt es immer mal kleinere Aufstände und streunende Räuber, doch diese zu vertreiben reicht die Festung allemal. Besonders, da Atáces Hauptsitz sämtlicher Abteilungen der Armee von Nardújarnán ist. Alle Befehle kommen von hier, alle Berichte kommen hier an. (Derweil übrigens die Flotte ihren Sitz in der kleinen Stadt Elpenó in Galjúin hat und die Herrschaft Nardújarnáns in ihrer Hauptstadt Ejúduira im Osten sitzt.) Ich sah lediglich viele Zäune in den Vororten von Atáces, um Tiere fernzuhalten. Doch diese meiden die Toljiken schon von selbst, nicht zuletzt auch deshalb, weil gerne Jagd auf sie gemacht wird. Atáces ist eine hübsche Stadt, doch wirkt sie auf mich zu jung, zu geplant, zu – sauber. Das bin ich nicht aus unseren alten Städten gewöhnt. Die Bürger der Stadt sind Abkömmlinge der Siedler und Abenteuerer, die einst in dieses Land kamen und wirken ebenso fremd wie die Stadt selber. Nicht nur die Kleidung ist hier anders.

Noch hat man uns nicht gesagt, ob wir jetzt endgültig hierbleiben werden. Interessant wäre es sicherlich schon, dürften sich hier doch viele nette Ausflüge ergeben. Aber nun fallen mir fast die Augen zu. Ich habe mit Miruil, Couccinne, Scaric und noch zwei anderen zusammen ein Zimmer in der Festung mit drei Stockbetten. Endlich wieder ein Bett! Sogar einen kleinen See gibt es im Bereich der Festung in welchem es uns erlaubt ist sich zu waschen, auch gibt es eine Waschküche für unsere Kleidung. Unermessliche Annehmlichkeiten nach diesen letzten anstrengenden Tagen!

Dein Falerte

 

 

XVII: Bericht und Bitte des Außenpostens Médyhúda an Huális.

04. 07. 3979, Médyhúda

Vor einer Woche trafen wir erneut auf diese Wesen aus den Wäldern. Eine kleine Gruppe von ihnen begegnete unseren Kundschaftern. Nur zwei von ihnen gelangten wieder lebendig zurück zu uns. Dank ihnen wissen wir, dass es dieselben Wesen waren, die uns schon eine Woche zuvor überraschend angegriffen hatten. Damals haben wir sie noch zurückschlagen können. Mehr wissen wir aber immer noch nicht über sie. Sie sind weder Menschen noch Eingeborene, uns zahlenmäßig weit überlegen. Zwar sind sie scheinbar nur mit rückständigen Waffen ausgestattet, doch ihre Zahl gleicht dies aus.

Gestern vernahmen wir Trommeln und sahen Feuerschein durch das Dickicht des Waldes. Sie planen etwas. Kundschafter, die wir aussendeten, kehren nicht zurück. Niemand will sich mehr aus dem Posten heraus wagen. Diesen Bericht senden wir mit einem Boot zum Außenposten Huális, mit der dringenden Bitte um Unterstützung. Ihre Angriffe gegen unsere Wälle waren bisher leicht zu bewältigen. Doch wenn sie uns belagern sollten, könnten wir nicht lange aushalten. Wir brauchen dringend Hilfe, sollten wir Médyhúda halten wollen.

(Siegel des Außenpostens Médyhúda)

 

 

XVIII: Bericht der Obrigkeit von Ejúduira an Atáces

09. 07. 3979, Ejúduira

Gestern erreichte uns über den Fluss ein Bote. Er scheint von dem Außenposten Médyhúda zu kommen. Beantworten kann er uns diese Frage jedoch nicht mehr, denn er ist tot. Ein Pfeil in seinem Hals beweist dies recht eindrücklich. Außerdem roch er bereits unangenehm. In seiner Hand hielt er eine Botschaft umklammert. Warum die anderen Posten am Fluss die Fahrt seines Bootes nicht sahen, bleibt unklar. Seine Botschaft ist jedenfalls bei uns statt in Huális gelandet. Hiermit senden wir sie an euch weiter, da es sich um euren Aufgabenbereich zu handeln scheint. Zwar können wir euch keine Befehle erteilen, doch äußern wir hiermit den dringenden Wunsch, dass ihr die Vorkommnisse überprüft und bei Bedarf der Bitte um Unterstützung, wie in der Botschaft beschrieben, nachkommt. Möglicherweise sollte man gar über eine Strafgesandschaft nachdenken. Auch in den Geschichten der einheimischen Bevölkerung gibt es bedenkliche Gerüchte über den Norden. Eine Bedrohung für ganz Nardújarnán können wir als dessen Obrigkeit nicht dulden.

(Siegel der Obrigkeit von Ejúduira)

Anbei findet ihr die betreffende Botschaft; eine Abschrift wird in unser Lager überführt.

 

 

XIX: Brief an die Schwester

20. 07. 3979, Atáces

Geliebte Schwester,

drei Wochen sind wir nun schon in Atáces. Vermutlich ist mein letzter Brief noch lange nicht bei dir angelangt. Trotzdem ist genug angefallen, von dem ich dir berichten mag.

Wir leben hier in der Feste und bekommen kaum mit, was sich außerhalb dieser ereignet. Alles spielt sich größtenteils hier drinnen ab. Es ist langweilig. Wenn wir nicht gerade unsere Zeit mit Übungen verbringen, sitzen wir in unseren Kammern und spielen die verschiedensten Spiele. Doch an einem Abend kam Miruil zu mir. Er meinte, er würde es hier drinnen nicht mehr aushalten und dass wir in die Stadt gehen sollten. In die Stadt gehen! Welch Vorschlag! Doch er meinte es ernst und mir war selbst nach einem Ausflug. So sagte ich zu, wohlweißlich, dass es uns verboten war die Festung zu verlassen und uns Wachen aufhalten würden. Doch Miruil hatte überraschend gut geplant. Zwei der Wachen waren Commosha Dacealus und Dosten Aschengrau, letzterer ein Jüngling aus Akalt, der wer weiß warum bei uns war. Beide stellten sich als Vertraute von Miruil heraus. Zusammen mit Couccinne und Scaric verließen wir klammheimlich die Feste. Jimmo beobachtete uns dabei, doch dachte ich mir nichts Schlimmes. Nun aber habe ich ihn in Verdacht.

Wir verbrachten ein paar angenehme Stunden in der Stadt, erkundeten sie – und vor allem besuchten wir ihre Tavernen. Bei unserer Heimkehr waren wir dem genossenen Wein entsprechend weniger vorsichtig. Uns erwartete ein erzürnter Caris Duimé mit fünf Begleitern. Er sprach zu uns, dass dies zu tun ihm nicht gefallen würde, doch es notwendig sei und so bekamen wir alle zwei Tage Strafhaft. Ich glaube nicht, dass dies ein gutes Licht auf uns werfen wird.

Bei unserer Entlassung erwartete Duimé uns und lud jeden von uns einzelnd zu einem Gespräch zu sich ein. Ich wusste nicht, was ich davon halten sollte. Zu mir sprach er von seiner Enttäuschung gegenüber einem vielversprechenden Kämpfer – und wieviel Mühe er gehabt hätte, eine härtere Strafe von uns abzuwenden. Er spielte unseren Freund. Oder ist er dies sogar? Er schloss mit den Worten, dass man sehen würde, wie mit uns weiter zu verfahren sei. Freigänge in die Stadt zumindest seien für alle von uns zukünftig gestrichen. Ob Jimmo der Schuldige ist, weiß ich immer noch nicht. Irgendwie hatte ich mir das Lebens einst – freier – vorgestellt. Zumindest darf ich dir noch schreiben. Ich bin auf deinen nächsten Brief gespannt,

dein Falerte.

 

 

XX: Öffentliche Anschläge der ‚Bote von Tadúnjódonn‘

21. 07. 3979, Atáces

Kämpfe im Norden.

Atáces. Wie uns gestern die Führung von Atáces mitteilte, wurde vor drei Wochen der Außenposten Médyhúda von den Wilden des Waldes angegriffen. Von dem Außenposten gibt es keine Nachrichten mehr. Die Obrigkeit teilte uns nicht mit, ob Kundschafter ausgesandt worden seien, doch erklärte sie, dass derzeit eine Gruppe zusammengestellt wird, welche die Wilden für ihr Handeln strafen soll. Eine Abreise wird diese Woche noch angestrebt, die Gruppe soll von Ejúduira aus den Fluss Tajazi entlang nach Norden fahren. Wir werden weiter berichten.

Waren in Galjúin noch immer verschwunden.

Elpenó. Die Waren, die vorherige Woche aus Elpenó verschwunden sind, wurden ebenso wie ihre Diebe noch nicht gefunden. Wie uns Elpenó nun mitteilte, handelt es sich vor allem um Nahrungsmittel, Heilwaren sowie Waffen. Es wird vermutet, dass eine Räuberbande für die Tat verantwortlich ist. Von Reisen in die Berge von Galjúin wird daher abgeraten, bis man die Täter gestellt hat.

 

 

XXI: Tagebuch des Falerte Khantoë

22. 07. 3979, Atáces

Heute ist etwas Seltsames geschehen. Da wir ja keinen Freigang mehr haben, verbringen wir unsere Zeit in diesem Gebäude. Immerhin gibt es hier neben dem großen, gepflasterten Hof auch noch das große Parkgelände. Zwar ist auch dieses für Übungen gedacht, doch verbringe ich dort auch gerne meine Freizeit.

An einer Stelle stehen vier Bäume eng beieinander. Hier war es, dass es geschah. In einem Moment blickte ich noch auf die Bäume und sah zwischen ihnen nur Schatten, im nächsten blinzelte ich kurz und dann sah ich einen kurzen, schwachen Blitz. Besser vermag ich es nicht zu beschreiben. Als sich mein Blick beruhigt hatte, vermeinte ich dort Puidor zwischen den Bäumen stehen zu sehen. Er lächelte mir zu.

Ich muss mich geirrt haben. Ich hoffe, ich habe mich geirrt. Ich sah, nachdem mich der Schrecken aus seinem Griff entlassen hatte, zum Hauptplatz hinüber, ob mich jemand beobachte. Doch niemand schenkte mir Aufmerksamkeit. Und als ich wieder zu den Bäumen sah, war da wieder nur Schatten.

Werde ich langsam verrückt?

 

 

XXII: Brief von Garekh an Falerte

25. 07. 3979 Ayumäeh, angekommen am 29. 08. 3979 in Atáces

Lieber Freund,

es war gefährlich, einen Brief hierher zu schicken. Dein Vater hätte fast davon erfahren. Du weißt doch, wie geschwätzig meine Frau ist. Diesmal kam sie jedoch nicht dazu, die Briefe selbst zu öffnen, denn sie ist schwanger. Ja, du liest richtig! Unsere Familie wird sich vergrößern. Die Kinder erhalten Zuwachs und freuen sich auch schon.

Der Handel mit den Piraten wurde in den letzten Monden etwas zu brenzlig, scheinbar haben sich der alte Schwarzkralle und Noctsce ein wenig in den Haaren. Ich kann also nur noch nach Rardisonán schmuggeln, weshalb ich deiner Bitte auch recht schnell nachkommen konnte. Ich komme gerade aus Belané zurück. Hier mein Bericht.

Ich habe an der angegebenen Stelle im Sumpf gesucht. Tatsächlich fand sich dort eine kleine Hütte, doch sie war leer. Lediglich Staub, Schmutz, Schlamm, Moos, Getier und jede Menge Wasser. Sie machte auf mich nicht gerade den Eindruck, dass dort jemand in den letzten Jahren gelebt hätte. Die Händler dieser Gegend, die sich stets so schön über meine Waren freuen, meinten auch nur, dass dort noch nie jemand gelebt hätte, dass sie die Hütte aber manchmal für ihre Händel nutzen würden. Auch in näheren Orten hörte ich mich vorsichtig nach Leuten um, auf denen die Beschreibung des Puidor passen würde, doch nie hatte jemand von solch einem Mann gehört. Letztlich versuchte ich es noch bei einem alten Freund, einem Landwächter, der mir das Leben dort stets erleichtert hatte, doch auch er wusste mir nichts zu erzählen.

Weißt du, ich mache mir Sorgen. Bist du dir sicher, diesen Mann dort angetroffen zu haben? Doch ich vertraue dir, also muss es wohl so sein. Vermutlich wurdest du dann reingelegt. Ich weiß nicht, warum man das machen sollte, doch pass bitte auf dich auf. Es scheint dir ja mehr zu schaffen zu machen, als man denken könnte. Wenn du damals keine Fieberträume hattest, frage ich mich, wer sich da um dich gekümmert hatte und warum. Ich möchte es eigentlich gar nicht sagen, doch wer war da bei euch auf dem Schiff? Ist so etwas mittlerweile nochmal geschehen?

Dein Freund Garekh.

Vermerk der Guigans zu Atáces vom 29. 08. 3979 auf dem Umschlag: Einbehalten bis zur Rückkehr des Kämpfers Falerte Khantoë von seinem Einsatz.

 

 

XXIII: Bericht von der Zusammenkunft der Obrigkeit zu Ejúduira.

02. 08. 3979 Ejúduira

Heute wurde beschlossen, in drei Tagen eine Erkundungsgruppe zum Außenposten Médyhúda zu senden. Atáces sandte uns hierzu dreißig Kämpfer, die gestern in der Guigans zu Ejúduira eintrafen. Sie sollen Übermorgen über ihre Aufgabe aufgeklärt werden, einen Tag später reisen sie ab. Es bleibt keine Zeit mehr, sie auszubilden, da schon zuviel Zeit seit der Nachricht aus Médyhúda vergangen ist. Die Reise nach Huális wird drei Wochen dauern, sie sollen auf dem Schiff ausgebildet werden. Das Flussschiff Paruibi ist bereit und wartet. Den Stadtschreiern sollen so wenig Einzelheiten wie möglich erzählt werden, gerade genug, um die Bürger zu beruhigen. Während diese Gruppe unterwegs ist, sammelt Atáces bereits eine größere Streitmacht. Wir müssen damit rechnen, dass mittlerweile vielleicht auch schon Huális angegriffen wurde, und uns auf das Schlimmste vorbereiten.

(Siegel der Obrigkeit von Ejúduira)

 

 

XXIV: Brief an die Schwester

03. 08. 3979 Ejúduira

Die Ereignisse haben sich überschlagen. Ich schreibe dir aus Ejúduira, der Hauptstadt von Nardújarnán. Vor knapp einer Woche erhielten wir plötzlich einen Abmarschbefehl. Ich bin froh, überhaupt Zeit zu haben, dir zu schreiben. Soweit ich weiß, geht es nämlich schon Übermorgen weiter. Ich weiß nicht genau, was geschehen ist, noch, was wir zu tun haben. Aber offensichtlich ist es etwas Schwerwiegendes. Alle um uns herum, die davon Ahnung haben könnten, benehmen sich sehr überspannt. Scheinbar wissen auch die eingeborenen Diener etwas, doch verraten sie uns nichts. Irgendjemand muss wohl irgendetwas angegriffen haben, soviel ist klar. Unsere Vorgesetzten sagen uns nichts, das dürfen wir erst für Übermorgen erwarten. Die Anderen hier verhalten sich unterschiedlich: Miruil ist angespannt. Er sagt, er freue sich darauf, endlich ein Abenteuer zu erleben. Couccinne spricht über alles nur ungern. Er scheint nichts Gutes zu erwarten. Scaric macht seine üblichen Scherze; es könne schon nichts Großartiges geschehen sein. Oljó dagegen antwortete ihm, dass vielleicht wieder Krieg mit Aleca herrsche. Natürlich sagte er dies, als Commosha nicht fern war. Dieser sah aus, als würde er Oljó umbringen wollen. Der Knabe Dosten scheint sich von allen am meisten zu fürchten. Er tut mir ein wenig leid. Ich frage mich immer noch, was ihn zu uns trieb. Bisher kam ich nur zu kurzen Gesprächen mit ihm und die Fragen scheinen ihm Unbehagen zu bereiten. Die meisten der anderen Männer scheinen sich auf Aufregung zu freuen, ein Kerl namens Gammil geht mir dabei besonders auf die Nerven. Nur wenige zeigen Unbehagen. Dazu gehöre wohl auch ich.

Es ist schade, dass ich dir kaum von Ejúduira erzählen kann. Die Stadt ist beeindruckend. Sie ist seit Halkus die größte Stadt, die ich je sah. Wir haben sie nur bei unserer Ankunft kurz gesehen: Die Stadt ist durchzogen von Flussläufen und Brücken. Große Plätze sind ebenso wie enge Gassen allesamt vollgestopft mit allem, was in diesen Landen so handeln will. Wir wurden in eine Guigans gebracht, die auf einer Flussinsel am Stadtrand liegt. Von den Mauern aus kann man die Stadt beobachten. Vor allem aber die große Anlage auf der stadtmittigen Insel. Ein Kämpfer der Guigans sagte mir, das sei der Sitz der Obrigkeit. Für ein Land, das einem oft so fremd vorkommt, ein beeindruckender Anblick. Die Anlage kann sich sicherlich messen selbst mit dem Palast des Milciar in Halkus. Oljó war ebenfalls mit uns auf der Mauer und scherzte darüber, sie mal ausrauben zu wollen. Den Kämpfer bei uns schien dieser Gedanke nur anzuwidern.

Für uns geht das Leben hier fast weiter wie zuvor: Duimé lässt uns unseren üblichen Übungen nachgehen. Vielleicht soll uns das vom Denken abhalten. Ich frage mich, was die nächsten Tage bringen. Irgendwie bezweifel ich aber, dass ich dir so bald wieder werde schreiben können.

Jimmo sitzt mir hier im Schlafsaal gegenüber. Ich frage mich, was er wohl denkt. Er zeigt sich weiterhin sehr verschlossen.

Es tut mir leid, ich muss aufhören. Grüße alle von mir.

Dein Falerte.

 

 

XXV: Tagebuch des Falerte Khantoë

04. 08. 3979 Ejúduira

Was geht hier vor sich? Oljó hat Gerüchte aufgeschnappt, die man sich hier so erzählt. Sie berichten von einem verlorenen Außenposten, Angriffen, Kämpfen und Greueln. Ich glaube, er wollte mit diesen Geschichten nur dem Knaben Dosten Angst einjagen. Als er dies bemerkte, stand Jimmo auf und befahl Oljó, seine Geschichten zu beenden, sofern er es nicht beweisen könne. Es wäre fast zum Kampf zwischen den beiden gekommen, hätte nicht Oljó neuerdings einen Kumpanen gewonnen, einen zwielichtigen Zarden namens Xeazotankro. Commosha konnte Jimmo zum Glück davon abbringen, mehr zu tun, als nur Dosten von Oljó wegzubringen.

Heut Vormittag hatte ich Wache auf der Mauer mit einem Kämpfer der Guigans. Da es hier eigentlich kaum etwas zu bewachen gibt, konnte er mich davon überzeugen, ein Spiel zu wagen. Bald schon erzählte er mir dabei, dass er seinen Vorgesetzten mit Duimé hatte sprechen hören. Morgen früh würden wir demnach abreisen. Offensichtlich den Fluss hinauf, an die Grenze von Nardújarnán. Hatte Oljó etwa Recht?

Nach dem Abendessen offenbarte uns Duimé, dass wir nun unsere Ausrüstung überprüfen sollten, dass diese ergänzt worden wäre und wir morgen früh aufbrechen.

 

 

XXVI: Bericht von Ejúduira an Atáces

05. 08. 3979 Ejúduira

Die hergeschickten 30 Kämpfer wurden heute entsandt, das Geschick des Außenpostens Médyhúda zu erkunden. Die Männer stammen aus der Fremde, sind Außenseiter, verurteilte Verbrecher oder ähnliches. Es ist nicht schade um sie, sollten sie nicht mehr zurückkehren. In der Zeit ihrer Abwesenheit erwarten wir die Zusammenziehung der restlichen Kräfte. Die Bevölkerung soll möglichst darüber nicht benachrichtigt werden.

Das Schiff Paruibi hat Befehl, die Männer bis Huális zu fahren, von dort bringen sie kleinere Boote sicherlich nach Médyhúda. Der Caris Duimé hat den Befehl über die Gruppe. 10 eingeborene Führer sowie 5 unserer eigenen Männer begleiten sie. Diese haben Befehl, sich möglichst zurückzuhalten, und bei Gefahr die anderen zu verlassen um mit Bericht wieder hierher zurückzukehren.

Wir werden bei Bedarf weiter berichten.

(Siegel der Obrigkeit von Ejúduira)

 

 

XXVII: Tagebuch des Falerte Khantoë

07. 08. 3979 Irgendwo auf dem Tajazi

Nun sind wir also auf dem Fluss. Sie haben uns auf ein großes Flussschiff gesteckt, welches sich die Paruibi nennt. Erinnert mich an irgendetwas. Jedenfalls müssen wir hier auf dem Deck schlafen, unseren Übungen nachgehen und auch die Mahlzeiten einnehmen. Normalerweise würden wir ja nachts anlegen und auf Land ruhen, jedenfalls kenne ich das so von anderen Flussschiffen, doch man scheint es sehr eilig mit uns zu haben. Duimé, unsere zehn einheimischen Führer sowie die fünf seltsamen Kämpfer, die uns begleiten, haben ihren Platz unter Deck. Bei der Wärme dort unten kann man sie aber nicht beneiden. Ebenso könnte ich auf die Ratten dort verzichten. Diese Tiere scheinen wirklich überall zu sein. Das Schiff hat noch weitere zwanzig Mann Besatzung, die auf Hängematten schlafen dürfen. Sie haben es vermutlich am Besten. Aber auch nur in dem Punkt. Abwechselnd müssen sie den ganzen Tag lang am Flussufer vor uns her laufen und unsere Zugtiere leiten. Andere helfen an Bord, indem sie uns voran staken. Die Letzten kümmern sich um das Schiff selber. Sie arbeiten also mehr als wir. Trotzdem kommen wir nicht schnell voran. Eine Reise auf einem Flussschiff ist nach wie vor langsam und langweilig. Der Kapitän, ein Mann namens Norís, meinte, wir würden über drei Wochen brauchen. Naja, immer noch besser, als den ganzen Weg dorthin laufen zu müssen.

Dennoch sehe ich bereits Spannungen auf uns zukommen. Diese Männer hier scheinen mir nicht geeignet, solch lange Zeit auf so engem Raum miteinander zu leben. Schon in Atáces gab es andauernd kleinere Streits. Wie mag das dann erst hier werden? Duimé scheint zu meinen, dass es ruhig bleiben würde, solange wir erschöpft seien, also führte er unsere Übungen nach dem altbekannten Plan fort. Aber ob das reichen wird? Die Paruibi ist viel kleiner als die Sturmwind damals und wir können der Besatzung kaum helfen, da die meisten von uns nach den Übungen nicht in der Lage sind, auch noch das Schiff zu ziehen.

09. 08. 3979, Irgendwo auf dem Tajazi

Duimé scheint wieder ganz der Alte. Die vorgespielte Freundschaft, die er uns in Guijúlon und Atáces zukommen ließ, scheint vergessen. Stets ist er unten in seiner Kabine und pflegt auch nur mit den fremden Kämpfern dort zu speisen. Diese nehmen an unseren Übungen natürlich nicht teil. Duimé kommt nur an Deck um mit uns zu üben oder wenn er mit dem Kapitän sprechen muss, dessen Kabine im Hinteraufbau ist. Norís scheint bisher umgänglicher zu sein als damals Amerto auf der Sturmwind. Ihm scheint aber ein schnelles Vorankommen ebenso wichtig zu sein, wie es für Duimé ist. Seine Mannschaft treibt er stets zu harter Arbeit an, uns beachtet er nur wenig, lässt sich aber gern auf gute Gespräche ein. Nur sein Schiff sollen wir nicht anfassen.

Seit vier Tagen reisen wir auf dem Tajazi gen Nord. Ejúduira liegt weit zurück. Ein wenig wehmütig fühle ich mich deshalb. Zweimal kamen uns Schiffe entgegen, die flussabwärts fuhren. Man kann sie nur beneiden. Während wir förmlich dahinkriechen, scheinen sie zu rasen. Kaum erscheinen sie am Horizont, schon haben sie uns passiert. Dafür können wir, sofern wir den Hang dazu haben, genüsslich die Landschaft beobachten. Noch ist der Tajazi ein breiter Fluss, eher ein gewaltiger Strom, und ich sehe nur unser Ufer, das Rechte. Während links in der Ferne die Landschaft gebirgig wird und so mancher kleiner Fluss in den Tajazi mündet, ist der Osten flacher. Manchmal erblicken wir Felder, Bauerngehöfte und selten auch mal ganze Dörfer. Eines davon schien sogar ein Eingeborenendorf zu sein. Sie schienen dort in Ruhe zu leben, lediglich einen kleinen Handelshafen hatten die Toljiken nebenan am Fluss errichtet.

Doch das war Vorgestern. Heute halten wir an einem Außenposten, um neue Vorräte zu beziehen.

10. 08. 3979, Irgendwo auf dem Tajazi

Langsam beginne ich Oljó zu hassen. Heute war er in den Übungen so dreist, den Jungen Dosten über die Reling in den Fluss zu stoßen. Natürlich sagte er später, es sei ein Versehen gewesen. Zumindest kam es sofort zum Kampf zwischen Jimmo und Oljó. Wie gut, dass wir nicht mit echten Waffen üben. Zusammen mit Scaric sprang ich in den Fluss, um Dosten zu helfen, der nicht schwimmen kann. So weiß ich von dem, was auf Deck geschah nur das, was mir Miruil und Couccinne erzählten. Scheinbar kam Xeazotankro Oljó zu Hilfe, indem er Jimmo von Hinten sein Übungsschwert auf den Rücken schlug. Da griff dann auch Commosha in den Kampf ein. Während die anderen die Vier anfeuerten, holte Couccinne Duimé von unten, der die Übungen heute einem seiner Leute überlassen hatte. Duimé traf zeitgleich mit Norís auf Deck ein. Während Duimé dem Treiben einfach nur zusehen wollte, forderte Norís von ihm ein Beenden des ganzen. Erst da schickte Duimé die fünf fremden Krieger vor, welche die Vier auseinander zerrten und festhielten, wobei sich immerhin zwei gleichzeitig um Jimmo kümmern mussten. Duimé befahl, dass sie fortan nichtmehr dieselbe Seite des Decks betreten dürften. Außerdem mussten sie heute auf ihre Mahlzeiten verzichten.

Zwischenzeitlich hatte man auch endlich Scaric, Dosten und mir aus dem Wasser geholfen. Uns sah Duimé nur kurz an, als ob er etwas sagen wollte, doch schon war er wieder unter Deck verschwunden. Die Kämpfer aber blieben, um jeglichen drohenden Zwist im Keime zu ersticken. Seitdem sitzen Scaric, Dosten und ich hier um ein Feuer, das uns Norís erlaubt hatte zu entzünden, um uns zu trocknen. Zum Glück ist es immer noch warm in diesen Gegenden. Scaric versucht herauszubekommen, was ich hier alles aufgeschrieben habe. Mal sehen, ob ich ihm etwas verrate.

 

 

XXVIII: Logbuch des Kapitäns Norís

11. 08. 3979, An Bord der Paruibi

Ich frage mich, warum ich weiter für die Armee arbeite. Gestern haben einige dieser Raufbolde, die meine Ladung darstellen sollen, für viel Unheil an Deck gesorgt. Diesen Duimé würde ich manchmal auch am liebsten über Bord werfen. Was bildet der sich eigentlich ein? Dies wird meine letzte Fahrt für die Armee sein. Sobald ich dieses Pack losgeworden bin, kehre ich endlich heim zu meiner Frau. Danach werden wir nur noch harmlose Frachten beförden. Am besten nichts, das sprechen und gröhlen kann.

Gestern passierten wir die Mündung des Jannis. Cabó Canguina liegt dort. Der letzte Funken Menschlichkeit in diesen Gegenden. Ich vermisse meine Frau. Ab Morgen verlassen wir das bewohnte Nardújarnán. Wir sind schon mitten in Jaduiza. Danach kommen wir in die Gebiete, die immer noch strittig sind, die sich immer noch nicht fest in der Hand des Reiches befinden. Es könnte also gefährlich werden. Hoffentlich lassen sie uns einfach in Ruhe, wenn sie das bewaffnete Pack an Bord sehen. Der nächste Außenposten ist drei Tage entfernt, und dann kommt schon Huális. Dort werde ich sie los.

 

 

XXIX: Tagebuch des Falerte Khantoë

15. 08. 3979, An Bord der Paruibi

Ich schreibe heute über den gestrigen Tag. Ich brauchte eine Weile, die Geschehnisse geistig zu erfassen. Wieder einmal erscheint mir alles mehr denn unwirklich. Am besten, ich halte es hier schriftlich fest, vielleicht löst dies meine Gedanken.

Gestern legten wir an einem Außenposten an. Den Namen habe ich leider vergessen, doch scheint es der einzige Außenposten zwischen der Stadt Cabó Canguina und unserem vorläufigem Ziel, dem Außenposten Huális, zu sein. Von ihm aus konnte man in der Ferne bereits den sich verdichtenden Wald des Nordens erblicken. Der Posten nun unterschied sich kaum von anderen, die ich in diesen Landen gesehen hatte. Dieser nun aber, der zweite am Fluss von Ejúduira aus aufwärts, lag neben einem Eingeborenendorf. Während das Schiff kurz neue Vorräte aufnahm, hatten wir an Bord keine Aufgaben und durften tun, was uns genehm war. Miruil schlug vor, uns etwas Landgang zu genehmigen. Wir fragten bei Duimé an, welcher nichts dagegen einzuwenden hatte. Er sagte, ein wenig Land unter den Füßen könnte uns schon nicht schaden. Also gingen wir zu fünft von Bord. Couccinne, Scaric und der junge Dosten begleiteten uns.

Der Außenposten sah aus, als käme er aus demselben Guss wie die anderen dieses Landes: Eine kleine Befestigung mit großem Hof, einigen Gebäuden und gut 20 Mann Besatzung. Hier bot sich keine große Überraschung. Einer der Krieger erzählte jedoch, dass wir unbedingt den Markt des Dorfes besuchen müssten, um an Andenken zu kommen. Wir folgten seinem Rat, verließen den Posten durch sein Haupttor und standen sogleich im Dorf. Es war nicht das erste Eingeborenendorf, das wir sahen, jedoch das erste, welches wir auch selber betraten. Eine Reihe kleiner Häuser bot sich unserem Blick, wohl aus dem Schilfrohr des Flusses erbaut, ergänzt um Blätter und Wurzeln aus dem nahen Wald. Seine Bewohner sahen auch kaum anders aus, als die im Süden. Nur waren diese den Toljiken noch nicht so angepasst. Sie schienen aber immerhin Reisende gewohnt zu sein. Neben uns waren noch einige Kaufleute zugegen; die Eingeborenen boten ihnen und uns ihre Waren an.

Wir sahen uns eine Weile interessiert auf dem Markt um, doch verfügt niemand von uns über Geld, was die Leute schnell zu merken schienen und uns deshalb in Ruhe ließen. Da wir aber noch viel Zeit zur Verfügung hatten, erkundeten wir das Dorf, teils getrennt. Ich selber geriet an den Rand des Dorfes, wo es auf den Wald traf. Dort sah ich den jungen Dosten zwischen den Bäumen verschwinden und dachte mir noch nicht viel dabei; vielleicht musste er ja einfach austreten. Doch dann sah ich IHN. Ein Mann mit nacktem Oberkörper, eine Narbe über der Brust, den Bart lang gehalten. Puidor hielt ein Messer in den Händen und folgte dem jungen Dosten. Sofort eilte ich beiden nach, mein Schwert schnell ziehend: Ich musste Dosten retten! Eine schreckliche Angst erfüllte mich. Angst vor Puidors Absichten, vor seinem Erscheinen, vor meiner Zukunft. Warum verfolgte mich Puidor immer wieder, warum? Für Minuten stolperte ich durch das Unterholz. Immer wieder erblickte ich kurz Puidor, hatte jedoch Dosten aus den Augen verloren. Einmal verhakte ich mich in einer Wurzel und landete unsanft auf dem Waldboden.

Nachdem ich mich aufgerafft hatte, sollte ich sie nicht wiederfinden. Schnell kehrte ich ins Dorf zurück, das ich glücklicherweise wiederfand, um dort Hilfe zu holen. Dosten war immer noch ganz allein mit Puidor irgendwo dort im Wald. Ich mag den Jungen viel zu sehr, um ihn so enden zu lassen, erstochen von Puidor. Doch bereits als ich am Dorfrand ankam, sah ich, vor einer abseits stehenden Hütte, dort Dosten zusammen mit Miruil stehen. Die Beiden wunderten sich sehr über meine Aufregung und meine Verwunderung – ganz zu schweigen von dem Schmutz an mir, doch da sie nichts von irgendwelchen Geschehnissen im Wald erwähnten, bevorzgute ich es auch, zu schweigen. Stattdessen erzählten sie mir jedoch von der Inhaberin der Hütte, vor der sie standen und die ich besuchen sollte. Als ich die beiden nur weiter verwirrt ansah, führte Miruil mich kurzerhand hinein.

Drinnen erwarteten mich viele Eindrücke mir unbekannter Gegenstände, Gerüche und Anblicke. Und eine kleine alte Frau. Sie begrüßte uns sofort und plapperte fortan ohne Unterbrechung Dinge in einer mir unbekannten Sprache, wovon ich nicht ein Wort verstand. Sie schien dies nicht zu beachten, sondern fuhr weiter fort, während sie mich, der immer verwirrter wurde, mehrmals umrundete und dabei immer wieder anfasste und befühlte. Letztlich blieb sie vor mir stehen, sah mich ernst an und sagte etwas in einem wichtig klingenden Tonfall, dessen Inhalt ich nicht bestimmen kann. Schließlich drückte sie mir etwas in die Hand und schickte Miruil und mich wieder aus dem Haus zurück zu Dosten, weiter plappernd, bis der Vorhang ihrer Hütte sich hinter ihr geschlossen hatte.

Miruil fragte mich, was sie mir gegeben hatte und ich offenbarte ihm ein aus Holz geschnitztes Amulett, das an einer geflochtenen Kette baumelte. Er überzeuge mich, es mir sofort umzuhängen, da es ihr sehr wichtig erschienen sei. Das Holz selbst war recht schmucklos, abgesehen von eingeritzten Strichen, die eine Art Stern ergeben. Ich hängte es mir also um den Hals und verstaute es im Ausschnitt meines Hemdes. Seitdem ertappe ich mich immer wieder dabei, wie ich es berühre, als könnte ich dadurch meinen Geist festigen. Kaum, dass ich fertig war, kam Couccinne an. Er erzählte, uns gesucht und nun gefunden zu haben und dass wir uns eilen müssten, wollten wir nicht die Abfahrt des Schiffes verpassen. Wenig später waren wir wieder an Bord.

Ich erzählte niemandem von meinem Erlebnis im Wald. Lediglich Dosten fragte ich vorsichtig, ob er im Wald gewesen wäre. Als er verneinte und mich fragte, weshalb ich mich erkundigen würde, führte ich als Vorwand Tiere an, die ich entdeckt und ob er sie auch gesehen hätte. Das schien ihn zu befriedigen.

Gern wüsste ich, was die alte Frau gesagt hatte. Sie schien irgendetwas gespürt zu haben. Miruil und Dosten jedenfalls haben von ihr nichts bekommen. Einen unserer Führer zu fragen ist verlockend, doch erinnere ich mich nicht mehr an den genauen Wortlaut. Es war zu viel Geplapper.

Letztlich bleibt noch die Frage nach Puidor. War er zumindest wirklich gewesen? Ich bezweifle es sehr. Aber über die Bedeutung dessen, möchte ich lieber nicht nachdenken. Vielleicht sollte ich ihn das nächste Mal nicht beachten. Er scheint mich zu verfolgen. Warum bloß? Was sagt es mir aus?

 

 

XXX: Logbuch des Kapitäns Norís

17. 08. 3979, An Bord der Paruibi

Verdammtes, elendiges Dreckspack! Verdammte verlauste Waldbrut! Verdammt sollen sie alle sein! Wie konnten sie es wagen? Wie konnten sie es wagen dies zu tun? Wir wurden angegriffen! In Scharen kamen sie aus dem Wald und metzelten meine Männer ab, als seien sie nur Schlachtvieh! Alle von ihnen, alle die an Land waren, das Schiff zu ziehen, sind tot! Gut die Hälfte meiner Männer! Und diese eingeborenen Führer, dieses stinkende Gesocks, das dieser Caris Duimé dabei hatte, gehörten dazu! Ihm verpassten sie eine Narbe unter dem Auge, drei seiner Krieger töteten sie. Danach sprangen sie runter ins Wasser und schwommen zu ihren Kumpanen! Die Dreckshunde rissen sich unsere Tiere unter den Nagel und verschwanden einfach wieder im Wald. Ich habe doch immer gewusst, dass man diesem Pack nicht trauen darf! Man sollte die Eingeborenen hier endlich unterwerfen! Niemals hätte man diese Eingeborenen unsere Künste lehren dürfen. Zum Glück schienen die Krieger am Ufer wahre Wilde zu sein. Würden sie sich nicht vor dem Fluss fürchten und ihn anbeten, hätten sie vielleicht wie die für uns arbeitenden Eingeborenen das Schwimmen erlernt. Dann wären wir wohl alle tot.

Und das alles trotz dieser unfähigen sogenannten Kämpfer an Bord. Keiner von ihnen vermochte irgendetwas auszurichten. Die meisten versteckten sich wie ängstliche Ratten vor den Speeren und Pfeilen der Angreifer. Es ist eigentlich ein Wunder, dass dabei niemand ernsthaft verletzt wurde. Duimé widersprach meiner Bitte, dass er sie verfolgen möge. Wir müssen Huális erreichen, meinte er. Ja interessiert es ihn denn überhaupt nicht, was hier geschah?

Nie wieder werde ich für die Armee arbeiten! Ich hoffe mittlerweile nur noch irgendwann lebend zurückkehren zu können. Mir verbleiben nur noch die Hälfte meiner Männer. Vor allem aber schmerzt der Verlust der Tiere. Es wird nun schwer, voranzukommen. Endlich aber dürfen die Krieger an Bord mal nützlich sein und arbeiten, mit anpacken und den Kahn voran ziehen, immer fort bis nach Huális treideln. Immerhin ein wenig Befriedigung für mich. Jetzt sind wir auch endgültig in der Wildnis. An den Ufern sieht man nur noch dichten Wald. Und schon zwei Tage ohne Schiffe aus der Gegenrichtung.

 

 

XXXI: Tagebuch des Falerte Khantoë

20. 08. 3979, An Bord der Paruibi

Keine Angriffe mehr seit dem einen Mal. Stattdessen muss jeder von uns nun abwechselnd das Schiff treideln. Wer dazu gerade nicht verdammt ist, bekommt von Duimé die übliche Ausbildung verpasst. Nun schläft auch er an Deck. Die Toten haben den Platz in den Kabinen eingenommen; wir bringen sie nach Huális. Obwohl wir uns bereits mitten im Herbst befinden, bleibt es weiterhin warm. Jeden Tag scheint die Luft auch noch feuchter zu werden. Gegen die Mücken und anderen Krabbeltiere haben wie zwar unsere Kräuterpasten, doch die Leichen dort unten scheinen in der Luft schneller zu verwesen und verbreiten jetzt schon einen unangenehmen Geruch. Nur die Ratten scheint das zu freuen. Und noch eine ganze Woche bis Huális. Duimé will die Toten einfach nur von Bord haben, doch Norís besteht auf ihre Mitnahme, zumindest ihren Familien zuliebe. Dass er da mal keine Meuterei heraufbeschwört.

20. 08. 3979, An Bord der Paruibi

Nun war es Duimé zuviel. Er ließ die Toten aus den Kabinen holen und einfach über Bord werfen. Soviel zu ihrer Würde. Norís gefiel dies gar nicht, doch er sagte kaum etwas dazu. Einige bedrohliche Schwerter der beiden verblieben Schoßkrieger von Duimé, Jénil und Gasuim, hielten ihn auch davon ab. Commosha Dacealus war auch dabei. So herrscht also wieder einmal der Stärkere. Diese Toten sahen aber auch bereits um einiges schlimmer aus, als mein Erlebnis damals in Emadeten. Ich hatte den starken Drang, mich möglichst weit von ihnen fernzuhalten. Trotzdem sah ich ihnen nach, wie sie die Strömung flussabwärts trug. Ihr werdet das Meer schneller wieder erreichen als wir.

Heute Nachmittag fielen für uns die Übungen aus, denn zehn von uns mussten im Wald nach einer Möglichkeit suchen, an neues Trinkwasser zu gelangen. Norís hatte Duimé überzeugen können, dass das Flusswasser kaum genießbar sei. Vielleicht lag es auch daran, dass einer der Männer so dumm war, es doch zu versuchen und nun seine Ausscheidungsvorgänge nicht mehr beherrschen kann. Jedenfalls musste ich mit in den Wald. Wir alle fühlten uns dort etwas unwohl. Im Laufe unserer Fahrt war er dem Fluss immer näher gerückt und breitete sich zu beiden Seiten in undurchsichtiger Dicke aus. Große Bäume und ein dichtes Unterholz erwarteten uns. Wir blieben stets in Sichtweite des Flusses, auch wenn das eigentlich kaum möglich war, ohne nah am Fluss zu bleiben, und fanden gegen Abend tatsächlich eine kleine Quelle. Ständig hielten wir Ausschau nach drohenden Angriffen. Einmal erschraken wir uns fast zu Tode, als eine Herde kleiner Tiere an uns vorbei lief. Die seltsamen kleinen Wesen mit ihren kurzen Rüsseln und großen Augen hatten vermutlich mehr Angst vor uns als wir vor ihnen. Ein wirklicher Angriff erfolgte zum Glück nicht. Auch suchte ich nach neuen Puidor-Erscheinungen, nach einem Zeichen, was er von mir will, wurde aber verschont. Ob es nun gut oder schlecht sein mag.

An Bord ist die Stimmung gereizt. Da wir nicht genug Männer haben, lagern wir über Nacht am Ufer. So gefährlich das auch sein mag; keiner von uns kann das Schiff jetzt noch ziehen. Wir schlafen aber auf dem Deck des Schiffes, damit wir im Notfall schnell flüchten können.

 

 

XXXII: Logbuch des Kapitäns Norís

26. 08. 3979, An Bord der Paruibi

In den nächsten Tagen sollten wir endlich Huális erreichen. Ich ertrage diesen Duimé und seinen Haufen nicht mehr. Ich habe kaum noch Befehlsgewalt über mein eigenes Schiff! Immerhin verspricht Duimé aber Entlohnung, doch traue ich ihm nicht. Wenigstens sind seine Krieger, wenn schon nicht zum Kämpfen, so doch wenigstens zum Ziehen gut zu gebrauchen. Wir haben tatsächlich nur ein oder zwei Tage Zeitverlust. Nach Plan würden wir morgen Huális erreichen. So wird es nur ein wenig später. In Huális werde ich neue Fracht aufnehmen und in gut einer Woche dürfte ich zurück in Cabó Canguina sein. Dann steige ich in den normalen Handel ein. Bloß fort von dieser Armee, egal wie gut sie zahlen.

Wir sind hier mitten im Wald. Im Notfall könnten wir aber auf die Mitte das Flusses hinaus flüchten. Natürlich müsste man dann die gerade Ziehenden zurücklassen. Welch Jammer. Und wäre dieser Duimé nicht, ich würde dann auch sofort umkehren. Irgendetwas Unheimliches liegt über diesen Wäldern. Mittlerweile offenbarte mir Duimé auch, was sein Auftrag sei. Und mir wurde erzählt, es sei eine harmlose ruhige Frachtfahrt!

Morgen müssen wir nochmal Wasser suchen. Vielleicht hätte sich Nardújarnán mit seinen Außenposten nicht einfach so schnell so weit in den Norden vorwagen sollen, ohne vorher etwas zu befrieden. Aber auf mich würde ja niemand hören. Obwohl, eigentlich klingt das nicht schnell – Oberster Norís. Wie wäre es mit damit?

 

 

XXXIII: Tagebuch des Falerte Khantoë

28. 08. 3979, An Bord der Paruibi

Der Wald ist überall. Der Fluss ist zwar immer noch gewaltig in seiner Breite, doch zu beiden Ufern sieht man nur Braun und vor allem Grün. Ständig entsteigen Vögel dem Wald, begleiten kurz unseren Weg und verschwinden dann wieder. Tiere kreischen, rufen und brüllen uns ihre Laute hinterher. Und über allem hängen hunderte verschiedene Gerüche. Wenigstens war unser letzter Versuch, frisches Trinkwasser zu finden, gefahrlos geglückt. Hin und wieder aber kommen gefährlich aussehende Tiere an das Ufer um zu trinken. Ein Grund mehr froh zu sein, dass wir nicht mehr treideln müssen. Auch wenn man sich wundern darf, warum den Tieren das Wasser nichts ausmacht.

Vielen der Männer behagt das alles nicht. Etliche weisen Zeichen der Angst auf. Für diese zum Glück gibt es nun keine Wege am Ufer mehr. Das Schiff müssen wir alle gemeinsam vom Deck aus vorwärtsstaken. Manchmal erscheint mir dies schwerer, als es zu ziehen. Die Leute an Bord verhalten sich teils immer seltsamer. Xeazotankro und Oljó stecken noch häufiger beisammen als schon zuvor. Stets stehen sie auf der Bordseite, die der gegenüberliegt, an der sich Jimmo befindet. Dieser wiederum beobachtet sie wie ein vorsichtiges Tier. Als weitere Seltsamkeit scheint sich Commosha Dacealus mit Duimé anzufreunden. Ich kann noch nicht beurteilen, ob ich dies für gut oder schlecht befinden soll.

Ich glaube, ich sehe dort hinten etwas…

 

 

XXXIV: Bericht des Caris Duimé an Atáces

29. 08. 3979, Außenposten Huális

Gestern erreichten wir den Außenposten Huális am Tajazi. Wir wurden dort von einem aufgeregten Alui empfangen. Scheinbar wurde der Außenposten in den letzten Wochen einige Male angegriffen. Sie erwarteten uns wohl als eine Verstärkung, doch da musste ich ihn enttäuschen. Stattdessen gab ich ihm den Befehl zu warten, da aus Atáces noch richtige Verstärkung für ihn erwartet würde. Weiterhin klärte ich ihn über meinen Auftrag auf. Der Alui nahm seine Befehle an, schien aber nicht begeistert. Wir werden einige Tage in Huális bleiben und uns neu ordnen, bevor wir nach Médyhúda aufbrechen.

Nun zu unserer Anreise. Ich muss Kapitän Norís als äußerst wenig hilfsbereit melden. Mehrmals bestritt er meine Befugnisse. Ansonsten aber verlief die Reise einigermaßen nach Plan. Jedoch wurden wir vor einigen Tagen angegriffen. Es waren Einheimische, doch ließ sich nicht feststellen, welchem Stamm sie angehörten. Unsere Führer waren keine Hilfe, sie liefen sogar zum Feind über. Ich gebe Rat, Atáces und Ejúduira nach Verrätern überprüfen zu lassen und falls welche vorhanden, diese schnellstmöglichst hinzurichten. Ich habe diesem Volk nie getraut. Und doch kann ich nicht glauben, dass es ihnen allein einfällt, so zu handeln.

Sobald wir Médyhúda erreichen, entsende ich neue Berichte.

Euch zu Diensten,

Caris Duimé y Belané

 

 

XXXV: Tagebuch des Falerte Khantoë

29. 08. 3979, Außenposten Huális

Gestern erreichten wir endlich Huális. Das bedeutete vor allem, endlich von diesem Schiff herunterkommen können. Kapitän Norís bestand auch sogleich darauf, wieder umkehren zu dürfen. Sowohl Duimé als auch der Alui des Außenpostens überzeugten ihn jedoch, noch zu bleiben. Er nahm frische Vorräte auf und legte heute mit etwas, das Duimé einen Empfehlungsbrief genannte hatte, wieder ab. Kein Verabschieden, keine Tränen. Es war erstaunlich: Da er das Schiff nun flussabwärts treiben lassen konnte, hatte er kaum noch Besatzung nötig und war vor allem in Windeseile unseren Blicken entschwunden. Im Hafen des Außenpostens liegt jedoch noch ein zweites Schiff. Damit werden wir morgen nach Médyhúda fahren. Eigentlich sollte der Außenposten wie jeder andere zwei Schiffe haben, doch eines war von seinem letzten Botengang noch nicht zurückgekehrt.

Huális sieht kaum anders aus als jeder andere verfluchte Außenposten dieses Landes. Und ich bin mir sicher, ähnliches schon bei anderen gesagt zu haben. Dieselben Mauern, dieselbe Einrichtung und irgendwie auch dieselben Menschen. Doch diese hier wirken verzweifelter, düsterer, als hätten sie keine andere Wahl in ihrem Leben gehabt oder seien vor etwas geflohen.

Der Alui erzählte Duimé gleich bei unserer Ankunft und in Gegenwart von uns allen, dass sie in den letzten Tagen einige Male angegriffen worden seien. Dafür bekam er dann so einige Schelte des erbosten Duimé. Scheinbar sollten wir das nicht hören. Es entstand auch sogleich einiges Geraune unter den Männern. Nach wie vor sind wir nicht hier, um für andere zu sterben. Der Alui war zwar geistesgegenwärtig genug, seine Aussage sogleich abzuschwächen, doch der Stimmung tat es kaum etwas Gutes.

Zumindest aber hatten wir dafür gestern wieder Strohlager zur Verfügung, die dem harten Deck der Paruibi bei weitem vorzuziehen waren. Heute werden wir noch einmal gute Nachtruhe haben, bevor es morgen früh weiter geht nach Médyhúda. Ich weiß aber nicht, ob ich überhaupt wissen will, was uns dort erwarten könnte. Keiner der Männer von Huális will sich darüber äußern. Scheinbar wurde ihnen der Mund verboten. Sie wirken nur bedrückt und unfroh. Werden wir auch bald so aussehen? Selbst Miruil wirkt, wenn er einmal denkt unbeobachtet zu sein, als wäre er gar nicht mehr so abenteuerlustig. Und Scaric unterhält uns zwar weiter mit seinen Scherzen, doch wirken diese manchmal etwas halbherzig. Wer weiß, wie ich auf die anderen wirken muss. So oder so ist klar, dass es mir nicht gut geht. Ich frage mich langsam, warum ich mich eigentlich für das alles gemeldet habe. Vielleicht hätte ich doch lieber bei meinem Vater bleiben sollen. Nardújarnán wird immer wärmer und feuchter, je weiter wir gen Norden vorstoßen. Und das, obwohl das Jahr sich eigentlich immer mehr der kühlen Jahreszeit zuneigen sollte. Die ständige Gegenwart allerlei Tierlaute macht mir ebenso zu schaffen wie die Bedrohung durch Mücken und Fliegen. Zwar haben wir unsere Salben, doch wer weiß. Einer der Männer ist bereits schwer an Brechreiz und Durchfall erkrankt. Jedoch sagt er, dass er kein Flusswasser getrunken hätte. Immerhin hat er dadurch das Glück, in Huális zurückbleiben zu können.

Und – ich habe gestern wieder Puidor gesehen. Ich saß am Fluss und sah ihn dort, sah seine Leiche im Wasser treiben, eklig aufgedunsen. Seltsamerweise konnte ich sie beobachten, ohne jegliche Gefühlsregung. Vielleicht war ich im Gegenteil aber auch nur vor Angst erstarrt. Ich erkannte bald, als er im Dunkeln zu mir getrieben wurde, meinen Irrtum. Ein Baumstamm hatte mir da einen Streich gespielt. Wahrlich, ich werde wahnsinnig! Oh helft mir doch…

 

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XXXVI: Bericht des Außenpostens Huális an Atáces.

01. 09. 3979, Außenposten Huális

Wie euch sicherlich der Kapitän Norís mitteilen wird, erreichte uns die Erkundungstruppe. Norís nahm Vorräte auf und verließ uns wieder. Duimé und seine Männer nahmen gestern unser zweites Schiff und brachen damit nach Médyhúda auf. Mögen ihre Seelen behütet werden. Wir haben ihnen zwei unserer Männer als Führer mitgegeben. Sie sollen ihnen den Weg nach Médyhúda weisen und dann zu uns zurückkehren.

Ich hoffe, es ist nicht gefährlich für sie, dass sie gingen, oder für uns, dass wir ihnen unser Schiff gaben. Wir hören draußen vom Wald her wieder Trommeln. Wer weiß, ob sie uns noch einmal angreifen. Da unser erstes Schiff wieder zu uns zurückkehrte, werden wir es erneut entsenden, mit diesem Bericht. Wir brauchen dringend Verstärkung. Wer weiß wie lange meine Männer es hier sonst noch ertragen.

(Siegel des Außenpostens Húalis)

 

 

XXXVII: Bericht der Obrigkeit von Cabó Canguina

01. 09. 3979, Cabó Canguina

Ein Kundschafter brachte uns gestern Nachricht. Nördlich, in einer kleinen Bucht des Tajazi, fand man ein Wrack. Das Schiff ist unbrauchbar. Man scheint es angegriffen zu haben. Laut dem Kundschafter sieht es aus, als wäre es zerrissen worden. Es ist uns nicht klar, wie dies geschehen sein soll. Überlebende ließen sich nicht finden. Ebenso gibt es keine Spur von der Fracht. Jedoch ließ sich der Name des Schiffes entziffern: Es ist die Paruibi von Kapitän Norís. Es wurde Befehl erteilt, seine Witwe hier in Cabó Canguina zu benachrichtigen.

Wir erbitten einige bewaffnete Kundschafter aus Ejúduira und Atáces. Wer das Schiff auch angegriffen hat, muss gefunden werden. Die Sicherheit des Tajazi als Handelsstraße könnte auf dem Spiel stehen. Wir werden auch weitere Kundschafter entsenden. Vielleicht hat das Ganze etwas mit den Berichten über aufständische Eingeborene im Norden oder den Gerüchten über Banditen im Westen zu tun. Wir hoffen, dass eure Untersuchungen diesbezüglich voranschreiten. Wenn sich diese Probleme nicht beilegen lassen, sollte man vielleicht überlegen den Tolnán zu benachrichtigen. Ojútolnán könnte einen weiteren Krieg nicht gebrauchen.

Damit erbitten wir selber auch Neuigkeiten die Kriege gegen die Vobloochen und Pervon betreffend. Hier in Cabó Canguina lässt sich kaum etwas erfahren von Dingen, die außerhalb von Nardújarnán geschehen.

Mögen eure Familien gesegnet sein.

(Siegel der Obrigkeit von Cabó Canguina)

 

 

XXXIX: Tagebuch des Falerte Khantoë

01. 09. 3979, Irgendwo auf dem Tajazi

Nun haben wir also endgültig Nardújarnán hinter uns gelassen, um mit einem alten Kahn hinaus in den düsteren Wald zu fahren, wo uns feindliche Wesen an allen Ecken und Biegungen auflauern und bösartige Augen uns aus den Gebüschen heraus beobachten. Zumindest erscheint es mir so. Langsam bin ich nicht mehr begeistert von der Armee. Sicher, den Süden von Nardújarnán sollte jeder einmal besucht haben, doch auf diese verdammten Dickichte hier im Norden könnte ich gut verzichten. Scheinbar alles hier will unseren Tod. Schlangen verfolgen uns im Wasser und versuchen erfolglos ihr Gift in den hölzernen Körper unseres Schiffes zu spritzen. Einige Fische im Wasser scheinen bevorzugt Fleisch zu fressen, was einen Mann einen Finger gekostet hatte. Zwei weitere Gründe, kein Wasser aus dem Fluss zu trinken. Vögel fliegen über uns hinweg und entleeren ihre Därme auf uns. Das war der Grund, warum wir das Segel des Schiffes zum Dach umbauten. Und was diese knorrigen Wesen da am Ufer waren, möchte ich bevorzugt gar nicht wissen. Nachts dann werden wieder die Mücken aus ihren Löchern kommen und uns hilflos umschwirren, abgestoßen von unseren Salben. Dann erscheinen aber auch die Fledermäuse, welche nur die Mücken zu fressen scheinen. Bisher jedenfalls. Außerdem scheinen ihre Därme noch schneller zu arbeiten als die der Vögel. Ach, und diese Hitze! Verdammt seist du, oh Wald des überquellenden Lebens, dass der Tod kaum minder zahlreich ist. Beides kriecht hier jedem schon förmlich aus den Poren!

Ich fühle, dass es den anderen ebenso geht wie mir. Na gut, jeder der ihr Unbehagen nicht merken würde, wäre ein völliger Dummkopf. Duimé scheint die meisten nur noch unter den Versprechen von Belohnungen zusammenhalten zu können. Ach, welch armer Narr. Spielte er anfangs noch unseren Freund, so scheint er uns nun mehr zu fürchten als den Wald. Ich habe bei vielen der Männern den Verdacht, dass ihre Gründe zur Armee zu gehen mehr dem Verlangen entsprangen, den Gerichten zu entgehen, als der Abenteuerlust oder dem Willen Ojútolnán zu dienen. Ob es wohl zu einer Meuterei kommen könnte? Ob ich sie wohl dazu anstiften sollte? Diese Reise ist doch nicht mehr normal! Oder bin ich es? Bilde ich mir das alles nur ein? Gibt es vielleicht überhaupt keine Spannungen an Bord?

Eben vermeinte ich auch, hunderte von Augen aus dem Wald uns anstarren zu sehen. Hunderte Eingeborene, die nur darauf warteten, über unsere armen Seelen herzufallen. Welch Schande es doch wäre, an diesem verfluchten Ort zu sterben. Oh, ich sollte mich zusammenreißen. Seltsamerweise scheint es mir besser zu gehen, wenn ich das Amulett der alten Frau betrachte. Irgendwie gibt es mir Kraft und vertreibt den Hass aus meinem Schädel. Ich sollte mich lieber ablenken, nicht soviel nachdenken, mal mit den anderen reden. Miruil und Couccinne spielen drüben grad irgendein Kartenspiel. Vielleicht kann ich da mitmachen oder zumindest zugucken. Und Jimmo zeigt dem Jungen Dosten irgendwelche Kunststücke mit dem Dolch. Das wäre auch interessant.

Ach, fast noch eine Woche auf diesem Kahn. Und schon wieder ihn die ganze Zeit staken müssen. Wenn ich bis Médyhúda nicht durchgedreht bin. Was uns dort wohl erwarten wird? Ich vermute ja, es wird nichts Gutes sein. In meinen Tagträumen sehe ich brennende Ruinen und verstümmelte Leichen. – Ah! Ich gehe jetzt rüber.

12. 09. 3979, Irgendwo auf dem Tajazi

Ich sehe meinen letzten Eintrag und kann ihn nur nochmal bestätigen. Oh, wann kommen wir bloß endlich heraus aus dieser grünen Verdammnis, deren schleimige Fänge Tag für Tag nach uns greifen? Nun, vermutlich nie. Von wegen bloß eine Woche! Fast zwei Wochen fahren wir nun schon hier auf dem Fluss herum. Nun sagen Duimé und unsere ‚Führer‘, dass wir morgen Médyhúda erreichen würden. Ob man ihnen noch glauben kann? Und ach! Ich wiederhole meine ganzen Bedenken vom letzten Mal nun nicht noch einmal. Immerhin habe ich die letzten Tage getan, was ich mir vornahm: mich abgelenkt. Mit Miruil und Couccinne gespielt und unsere Übungen vollzogen; mich mit Scaric über die teils immer seltsamer anmutenden Wesen im Wald lustig gemacht und ihnen sonderbare Namen gegeben – und doch, es waren auch einige schöne Wesen dabei; sogar mit Jimmo habe ich ein wenig gesprochen, doch kaum etwas Neues aus ihm herausbekommen. Die restliche Zeit geht für das Staken drauf, wobei man leider viel zu gut nachdenken kann.

Vor zwei Tagen kamen wir an einem Dorf der Eingeborenen vorbei. Duimé befahl uns schließlich, nach einigem Überlegen, dort anzulegen. Unsere Führer meinten, dies sei keine gute Idee, doch Duimé blieb bei seinem Entschluss. Wir bräuchten Vorräte. Das Dorf sah zunächst kaum anders aus als andere, die wir in Nardújarnán gesehen hatten. Vermutlich werden sowohl Außenposten als auch Eingeborenendörfer aus demselben Guss erstellt. Und doch – schon bei der Annäherung war etwas beträchtlich anders, Was war es wohl… – nun, zuvorderst war keine Seele am Fluss. Wir sahen zwei Leute am Kai, doch verschwanden sie bei unserem Anblick hinten im Dorf. Sehen wir denn so schrecklich aus? Nun gut, wir können uns hier kaum waschen. Wie auch immer, es kamen andere Eingeborene aus dem Dorf heraus, kräftigere Gestalten, und warfen ihre Speere nach uns. Natürlich suchten wir danach Abstand zu diesen ungastlichen Wesen. Unsere Führer versicherten uns, dass man sonst hier den Toljiken freundlicher gesonnen war. Erst nach der Angelegenheit mit Médyhúda fing man an, sich feindlich zu verhalten. Also was hat wohl diese Veränderungen verursacht? Warum greifen sie uns nun an? Das Dorf sah an sich harmlos aus, konnte kaum Einwohner haben. Also vielleicht nur Angst vor uns, weil sie fürchteten, dass wir sie für das strafen könnten, was andere verbrochen haben? Oder ein Aufstarken lange unterdrückten Hasses? Jedenfalls würden sie wohl kaum ein feindliches Verhalten einem stärkeren Gegner über einnehmen, hätten sie nicht mehr Unterstützung hinter sich. Ich harre also voll Angst und Sorge allem, was da kommen mag. Denn eines ist sicher: Dies hier ist Feindesland und alles in diesen Wäldern will unseren Tod. Keine schönen Aussichten für unseren kleinen Ausflug.

Miruil sprach mit mir über Oljó, unseren lieben Freund, und seinem kleinen Kumpanen, dem hässlichen Xeazotankro. Seinem Gefühl nach würden die beiden irgendwas aushecken. Was das wohl sein könnte? Ich vermute zumindest nichts Gutes. Aber dieser Satz kommt mir bekannt vor. Man muss nun schon hier auf dem eigenen Schiff die Augen offenhalten. Ich fühle mich wie ein Fisch in einem Meer voller Raubfische. Doch diese wären mir lieber, deren Verhalten könnte man berechnen und abschätzen. Ich vermisse Cicillia. Ich vermisse sie wirklich. Ich hätte es niemals tun sollen. Und ich vermisse auch meine Schwester. Wem soll ich mich hier denn wirklich und wahrhaftig anvertrauen? Bleibt nur das Tagebuch…

Morgen also Médyhúda…

14. 09. 3979, Irgendwo auf dem Tajazi

Endlich erreichten wir das Ziel unserer Reise: Médyhúda. Ich habe vieles erwartet, doch nicht das, was wir vorfanden. Verwüstungen, massenhaft verstümmelte Leichen, Breschen in den Mauern, eine Handvoll um das Überleben Kämpfender, einen Außenposten gefüllt mit feindlichen Eingeborenen, Wesen und Pflanzen des Waldes, sich ihren Teil zurückholend, einen einzelnen Überlebenden, der uns kurz vor seinem Tode eine gestammelte Botschaft überlässt – all das hätte ich erwartet und noch viel mehr, doch nichts davon entsprach der Wirklichkeit. Wir haben den ganzen Außenposten auf den Kopf gestellt, ihn von Innen, Außen, Oben und Unten gründlichst durchsucht und doch nichts gefunden. Rein gar nichts. Keine Kampfspuren an den Mauern, im Hof, am Tor, an oder in den Gebäuden oder gar im nahen Wald. Keine Toten, keine Waffen, keine Eingeborenen, keine Tiere. Nichts. Und das ist es, was die Sache verdächtig und unheimlich werden lässt. Wo ist all dies, was einst in diesem Lager sich befand? Alles an Besitztum, Waffen, Vorräten und dergleichen ist verschwunden. Zurück blieben nur die spärlichen Möbel sowie die nun leerstehenden Gemäuer. Als hätte man entschlossen, den Außenposten aufzugeben und für immer zu verlassen. Doch das widersprach den Berichten. In Huális hatte man niemanden erblickt. Über den Fluss sind sie dort nicht vorbeigekommen. In den Wald sind sie aber auch nicht gezogen; wir fanden jedenfalls keine Spuren. Das wiederum ist auch sehr verdächtig, denn hieß es nicht einst, dass Médyhúda angegriffen worden sei? Aber dann müsste es doch Spuren der Angreifer geben, doch die finden sich nicht. Hat man alle Spuren beseitigt? Doch es gibt noch eine weitere Möglichkeit: Die Besatzung des Postens könnte flussaufwärts geflohen sein, mit einem Schiff. Doch wozu, warum und wohin? Zumindest fehlen die beiden Schiffe des Postens.

Duimé gab uns nun neue Befehle. Er meinte, wir seien hier, um herauszufinden, was in Médyhúda geschehen sei, und vielleicht auch mit dessen fliehendem Boten, und dass es bei diesem Auftrag bleiben würde. Also schlugen wir hier unser Lager auf und warten. Wer eine Begabung dafür besitzt, muss den umgebenden Wald durchsuchen, auf dass sich vielleicht doch noch Spuren finden würden. Einer der Männer aus Huális fragte ihn, ob sie mit einem vorläufigen Bericht nach Huális zurückkehren sollten. Duimé war zunächst dagegen, da wir sonst erstens kein Schiff mehr hätten, zweitens unsere Vorräte nicht die gut zwei Wochen bis zu einer Rückkehr ihrerseits reichen würden. Doch Commosha Dacealus überzeugte ihn, sie ziehen zu lassen, da wir uns auch aus dem Wald ernähren könnten; Tiere, Beeren und Wasser fanden sich zu Genüge. Duimé nahm sich nur einige Augenblicke für seinen Bericht, dann brachen die beiden auf.

Ich fühle mich hier unwohl, so ohne Möglichkeit einer schnellen Flucht. Ich sollte das hier wohl als eine seltsame Art der Beurlaubung betrachten, doch das klappt nicht. Die zahlreichen Tierlaute des Waldes und die altbekannten Probleme halten mich davon ab. Eigentlich möchte ich in überhaupt keinen Kampf verwickelt werden. Außerdem träume ich nun auch noch ständig von Ccillia. Ach könnte ich sie doch nur erreichen!

 

 

XL: Bericht des Caris Duimé an Atáces

14. 09. 3979, Médyhúda

Wir haben Médyhúda erreicht. Dies ist mein Vorbericht, ein vollständiger folgt, sobald alles endgültig geklärt ist. Der Außenposten ist verlassen. Es gibt keine Anzeichen erfolgter Gewalt, noch welche von der Besatzung. Da das zweite Schiff des Postens auch fehlt, dürften sie vermutlich damit geflohen sein. In Huális wurden sie nicht gesehen, also fuhren sie flussaufwärts oder in einen der zahlreichen Nebenarme des Stromes. Im Wald fanden sich keine Spuren von ihnen, jedoch auch keine von Angreifern. Wir werden dies ungefähr zwei bis drei Wochen lang untersuchen. Ergibt sich bis dahin nichts, werden wir diesen Posten halten, bis andere Befehle oder Entsatzung eintrifft. Huális soll uns mit Vorräten versorgen.

Euch zu Diensten,

Caris Duimé y Belané

 

 

XLI: Tagebuch des Falerte Khantoë

23. 09. 3979, Médyhúda

Sie werden nie wieder zurückkommen. Die armen Seelen aus Huális, die dorthin zurückkehren wollten, werden niemals von uns erzählen können. Und ohne sie sind wir auch verloren. Seit zwei Tagen nun schon liegen ihre verwesenden Körper vor den Mauern des Außenpostens in der Sonne. Eines Morgens waren sie plötzlich da. Sie wurden ermordet, ihre Kehlen sind durchgeschnitten. Jimmo und ein anderer Kerl sollten sie hereinholen. Kaum waren die Tore aber offen, da regnete es bereits Speere auf sie. Zum Glück wurden sie nicht verletzt. Es erfolgt immer noch kein Angriff auf uns, doch das scheint nur eine Frage der Zeit zu sein. Wir sitzen hier fest. Ich fühle mich wie in einem Kochtopf. Die Sonne brät uns, damit die Eingeborenen sich an uns laben können. Was sollen wir tun?

Drei Tage nach unserer Ankunft fanden Miruil und ich das zweite Schiff des Außenpostens, als wir den Fluss abwärts erkundeten. Es lag in einer kleinen, doch äußerst gut versteckten Bucht. An Bord befand sich natürlich niemand, doch es war stark beschädigt worden. Zum Glück war der Rumpf noch ganz. Es war eine gewaltige Mühe und die Arbeit zahlreicher Hände nötig, es hierher zu bekommen. Erst seit drei Tagen liegt es am Kai. Wenige Stunden später sollten wir uns in dieser misslichen Lage befinden. Vielleicht haben wir mit unserer Arbeit die Eingeborenen auf uns aufmerksam gemacht.

Duimé befahl, das Schiff wieder herzurichten. Ich hoffe, damit wir fliehen können, und nicht nur, um Boten zu entsenden. Keiner von uns ist zum Krieger geboren und sollte Duimé etwas dergleichen in Erwägung ziehen, dürfte es eine Meuterei geben. Ich jedenfalls will nicht hier bleiben, bis die Augen des Waldes dort draußen zu uns hier herein wollen. Ich habe etwas gegen ungebetene Gäste. Und die meisten hier sind meiner Meinung, soweit ich das mitbekommen habe.

30. 09. 3979, Irgendwo auf dem Tajazi.

Oh, wie sich manchmal doch die Ereignisse überschlagen können. Wir haben einen neuen Anführer und sind irgendwo im Nirgendwo. Noch am selben Tage meines letzten Eintrages beging dieser Idiot Duimé seinen Fehler, den ich befürchtet hatte. Kaum war das Schiff zur Abfahrt bereit, da gab er schon den Befehl, dass fünf von uns damit nach Huális fahren und Hilfe holen sollten. Als wären diese nicht selber genug in Not und nun vielleicht schon längst gefallen. Als wären die beiden Toten vor den Toren von Médyhúda nicht Beweis genug, dass eine Fahrt gen Huális den Tod bedeuten würde. Als wären wir nicht bereits selber genug auf verlorenem Posten, ohne Vorräte, ohne Hilfe.

Kaum, dass Duimé seinen Befehl erteilt hatte, da ging der Unmut in Form eines Raunens durch die Mengen. Dann trat der Krieger Gammil aus ihr heraus, stellte sich vor Duimé und widersprach. Wir würden dem Befehl nicht gehorchen, sprach er. Stattdessen sollte das Schiff uns lieber in Sicherheit bringen. Duimé war von diesem Widerspruch nicht begeistert. Er nannte dies Meuterei und befahl Miruil, der Gammil gerade am nächsten stand, diesen zu verhaften. Doch Miruil verneinte diese Aufforderung. Andere aus der Truppe stellten sich auf seine Seite. Selbst Oljó und Xeazotankro standen hinter der Meuterei von Gammil. Selbst Commosha Dacealus gehorchte Duimé nicht mehr. Ich war mehr als beeindruckt und erfasst von diesem alle durchdringenden Gruppengeist.

Gammil wurde schnell von allen als neuer Anführer angesehen. Einige gaben zwar Ratschläge oder stellten sogar seine Entscheidungen etwas in Frage, doch letztlich folgte ihm jeder. Was sollen wir auch anderes tun? Wir haben alle denselben Wunsch: zu leben. Oljó forderte lautstark Duimés Tod, andere stimmten sogar ein, doch Gammil war dagegen, und die meisten waren ebenso dieser Ansicht. Duimé war zwar stets hart gewesen, doch ihn umzubringen wäre unmenschlich und würde uns kaum besser machen als unsere Angreifer. Also fesselten wir ihn nur. Seine Verfluchungen und Drohungen hörte niemand von uns mehr. Auch wenn ich zugeben muss, dass jemand darüber hätte nachdenken sollen, was später fern von Médyhúda mit ihm geschehen sollte. Aber das ist nun wohl unwichtig.

Gammil ließ das Schiff beladen mit allem, über das wir noch verfügen. Viel ist es nicht. Dann, dem hastig in unseren kleinen unzulänglichen Geistern erstellten Plan nach, wollten wir schlicht stromabwärts fahren. Zur Not uns treiben lassen, doch hauptsache weg von Médyhúda. Im Wald ertönten bereits die Trommeln und wir sahen immer mehr kampfbereite Eingeborene auftauchen, während wir in diesem Gefängnis ohne Vorräte feststeckten. Es war also allerhöchste Zeit, etwas zu unternehmen. Doch Dosten, der von uns allen die besten Augen hat, sah ein Problem: Etwas weiter flussabwärts von Médyhúda gerät der Tajazi in eine Enge, an welcher sich die Ufer sich annähern. Dort war es, dass die Eingeborene auf Erhöhungen Feuer entfacht hatten, wie Leuchtfeuer zu beiden Ufern. Gerade waren sie dabei, irgendetwas, das jedoch stark nach Baumstämmen aussah, ins Wasser zu lassen. Sie wollten uns also einsperren oder zumindest über eine Möglichkeit verfügen, uns bei unserer Durchfahrt erreichen zu können. Letzteres stellte sich jedoch schließlich als falsch heraus, denn bald war tatsächlich der Flusslauf für Schiffe gesperrt.

Einige von uns bekamen an dieser Stelle Panik. Wie lange es wohl dauern würde, bis sie auf die Idee kämen uns auch vom Wasser her anzugreifen? Einige Männer wussten zwar zu berichten, dass die Eingeborenen nicht schwimmen könnten aus dem seltsamen Grund ihrer Verehrung für den Fluss, doch warum sollte man darauf vertrauen. Jedenfalls blieb für uns nur noch die Wahl, stromauf zu fliehen oder im Außenposten zu warten, bis der Hungertod oder die Eingeborenen kämen, was auch immer früher einsetzen würde. Gammil erreichte, dass wir die Flucht wählten. Wir bemannten das Schiff und legten ab. Stromauf also. Es stellte sich als fast so unerträgliche Folter heraus, wie auf den Tod zu warten. Flussab wäre es für uns leicht gegangen, sich einfach treiben lassen, doch flussauf ist es mühselig voranzukommen. Wir dürfen auch nicht zu weit hinaus ins tiefe Wasser geraten, denn uns bleibt nur das Staken, das Segel ist uns kaum eine Hilfe. Das liefert uns leider aber der Gefahr durch fliegende Speere aus. Denn die Eingeborenen folgen uns. Es ist die lächerlichste Flucht, die ich je gesehen habe. Wir kommen nur sehr langsam vorwärts. Bis Gestern konnten sie uns mühelos am Ufer folgen. Dann endlich kam ein breiter Nebenfluss des Tajazi, dessen Mündung sie nicht überqueren konnten. Unsere Vorräte sind nun längst aufgebraucht. Morgen werden wir an Land gehen, sofern dieses dann frei von Eingeborenen sein sollte. Ich hoffe doch sehr.

Lange hatte ich nicht mehr solche Angst um mein Leben. Das letzte Mal wohl damals in Emadeten. Damals, als meine heile Welt zerbrach und sich in diese hier verwandelte: Dieser Schrecken, den Nardújarnán für mich darstellt. Ich möchte gar nicht mehr daran denken, wie oft ich die Gestalt meines Puidor dort draußen in einem unserer Verfolger zu erkennen glaubte. Warum sehe ich ihn ständig? Wenn es so weitergeht, werde ich mich freiwillig allen Schrecken dort draußen stellen, um sie endlich loszuwerden. Und doch – es ist sonderbar – fühle ich mich auch lebendig wie nie zuvor auf dieser Flucht. Als würde die Angst erst mir alle Kräfte verleihen, die zum Leben nötig sind.

Den anderen an Bord geht es sehr unterschiedlich. Zunächst wäre da Duimé. Ihn hat man in eine Kabine unter Deck gesperrt. Da das Schiff nicht das Größte ist, gibt es davon hier nur vier. Die anderen werden von uns als Vorratsräume genutzt. Natürlich sind sie nun leer. Und mein Magen knurrt. Jedenfalls können wir den eigentlichen Laderaum als Schlafsaal verwenden. Das dürfte auch sicherer sein, als an Deck zu schlafen. Wer weiß, ob die Eingeborenen nicht doch noch eine Möglichkeit finden, uns mit Speeren oder Pfeilen zu erreichen. Außerdem haben wir dort unten mehr Schutz vor den Mücken und Fliegen. Unsere Salben sind längst aufgebraucht, nun plagen die Biester uns. Bei einem der Männer scheint bereits eine Art Krankheit ausgebrochen zu sein. Jedenfalls liegt er mit Fieber in einer unserer ‚Vorratskammern‘. Wir schlafen nur in kurzen Schichtwechseln. Die meiste Zeit über müssen wir das Schiff vorwärts staken oder nach Gefahren im Wald Ausschau halten. In Wirklichkeit aber erwehren wir uns da nur meist der Mücken oder dummer Vögel. Einige dieser Biester sind reichlich dreist. Miruil hat es sich mittlerweile zur Aufgabe gemacht, sie zu schießen. Auf diese Weise bekommen wir immerhin etwas Nahrung. Doch das Wasser aus dem Fluss können wir weiterhin nicht trinken; auf Durchfall kann jeder von uns gut verzichten. Couccinne will aber irgendwie versuchen, es zu reinigen. Wie, das vermag ich nicht zu sagen, doch in seiner freien Zeit stellt er seltsame Versuche mit einem Eimer Flusswasser an. Commosha Dacealus wurde verdächtig still seit unserer Meuterei. Ich frage mich, ob man ihm nun trauen kann oder ob er versuchen könnte, etwas bezüglich Duimé anzustellen. Immer wenn ich ihn sehe, versuche ich ihn im Auge zu behalten. Ähnlich geht es mir mit Jimmo, da ich immer noch weiß, ob er es damals war, der uns an Duimé verraten hatte. Äußerlich lässt er sich nicht viel anmerken, während er seine Arbeit wie wir alle tut. Manchmal aber wirft er Oljó und Xeazotankro Blicke zu, bei denen mir das Mark zu gefrieren droht. Hasst er die beiden wirklich so sehr? Doch auch dieses liebste Paar meines Ärgers ist seit den letzten Tagen äußerst ruhig geworden. Xeazotankro war nie der Stärkste von uns, und die Strapazen scheinen stark an ihm zu zehren. Fast tut er mir leid. Oljó dagegen ist zwar kräftig, doch scheinbar nicht für die Natur gemacht. Ich seh ihn immer wieder um sich schlagen und sich kratzen, als fürchte er sich vor den Mücken. Ob unser böser Oljó vor kleinen Tierchen wirklich Angst hat? Der Junge Dosten macht sich trotz seiner Schmächtigkeit dagegen überraschend gut, wesentlich besser als Xeazotankro. Ich habe ihn sich nie beklagen gehört, noch zeigt er übermäßig viel Furcht vor unseren Verfolgern. Ist es die Unerfahrenheit der Jugend oder der feste Glaube an uns alle, der ihm Sicherheit gibt? Bei letzterem dürfte er verloren sein. Selbst Scaric hat scheinbar alle seine Witze verloren, auch ihn umgibt ein düsterer Hang des Unterganges, wie uns alle.

Dann gibt es noch die beiden ehemaligen Krieger von Duimé. Der Kerl namens Jénil hat sich in letzter Zeit verdächtig gut mit Gammil gestellt, der wiederum immer noch die Rolle des Anführers innehat. Diesem Jénil traue ich kaum. Er versucht zu sehr, zu uns zu gehören. Der Andere, Gasuim, ist mir da wesentlich lieber. Anfangs erzählte er immerfort, welche Strafen uns für unsere Tat erwarten würde. Dafür wurde er im Gegenzug von Gammil bestraft. Nun hält er zwar endlich den Mund, doch zu mögen scheint er uns weiterhin nicht. Ich möchte nicht wissen, wie ich auf die anderen wirke. Seit unserer Flucht sprach außer Gasuim eigentlich kaum noch jemand mehr als das Notwendige und ich bevorzuge es hier dann auch, zu schweigen.

Wir fliehen nach Norden, hinein in den tiefen Wald. Wieviel Hoffnung ist das noch zu erwarten? Gammil meinte, wir müssten den Großen See, den Carajúl erreichen, von wo aus wir nach Osten, zum Meer gelangen könnten. Und welche Hoffnung ist das bitte? Ich träume derweil lieber von Ccillia und ihren warmen Armen. Oh Ccillia, auf dass ich dich wiedersehe.

01. 10. 3979, Irgendwo auf dem Tajazi.

Heute hat sich etwas verändert. Endlich haben wir wieder einmal angelegt. Nachdem die Eingeborenen sich immer noch nicht gezeigt hatten, haben wir es gewagt. Und oh! Wie wurden wir doch belohnt! Es fand sich ein kleiner See mit klarem Wasser, süß wie Honig; überall fanden wir Beeren und begegneten seltsamen Wesen, deren Fleisch uns nun speist. Oh welch wundersamer güldener Traum in einer Welt der Träume voller Schrecken. Au ewig hätte ich dort auf dieser Lichtung verbleiben und leben können, in meinem eigenen kleinen schönen Traum, fernab all der bösen Dinge um mich herum.

20. 10. 3979, Irgendwo auf dem Tajazi.

Es hat wahrlich eine Ewigkeit benötigt, doch endlich sind wir am See, am großen Carajúl. Zwei der Männer sind auf unserem Weg gestorben, beide an dieser grässlichen Krankheit, welche diese widerlichen Mücken und Fliegen zu verbreiten scheinen. Ein weiter scheint sich bereits angesteckt zu haben. Der Rest von uns ist einfach nur am Ende seiner Kräfte. Wir haben beschlossen, zunächst ein Lager herzurichten und für eine Weile hier am See, der mir wie ein gewaltiges Meer ohne Ende erscheint, zu verbleiben, bis wir uns etwas erholt haben. Es ist kaum zu glauben, dass aus diesen teils so friedlich wirkenden See ein Fluss entspringen kann, der so voller Gefahren ist. Selbst das Wasser des Sees ist durch Couccinnes Maßnahmen für uns genießbar.

Seit drei Wochen schon sehen und hören wir keine Eingeborenen mehr, und dieser Umstand lässt unser Herz höher schlagen. Dennoch – ich fühle mich so müde. Wir alle sind endlos erschöpft. Sollte noch etwas geschehen und wir dies alles nicht überleben, so hoffe ich zumindest, dass dieses Buch gefunden wird. Auch wenn das wohl eine sinnlose Hoffnung ist. Sagt Cicillia, dass ich sie liebe. Ebenso meiner Schwester und Mutter. Ja selbst meinem Vater. Doch nun – Schlaf – ich muss schlafen. Morgen mehr.

 

 

XLII: Bericht von Atáces an Ejúduira

20. 10. 3979, Atáces

Wir befürchten mittlerweile, die Kundschafter um den Caris Duimé für tot erklären zu müssen. Mehrere Wochen lang hat der Außenposten Huális nichts mehr von ihnen gehört. Sorgen machte man sich bereits, als entsandte Krieger mit ihrem Schiff nicht zurückkehrten. Unsere Truppen trafen gerade noch rechtzeitig ein, um Huális zu helfen. Wir erwarten ihre Berichte in den nächsten Wochen. Verläuft alles nach Plan, werden sie danach weiter gen Médyhúda ziehen. Hoffnung, die Gruppe von Caris Duimé dort lebend anzutreffen besteht aber kaum. Damit dürfte ihr Auftrag als fehlgeschlagen gelten. Zwar wurden von vornherein kaum Überlebende erwartet, doch zumindest ein Ergebnis.

Der Alui von Huális teilte unseren Truppen auch mit, Caris Duimé hätte ihm berichtet, ihr Schiff, die Paruibi, sei unterwegs nach Huális angegriffen worden. Ein Bericht darüber erreichte uns aber nie. Jedoch erhielten wir vor sechs Wochen Bericht von Cabó Canguina, dass die Paruibi zerstört aufgefunden worden war, irgendwo nördlich der Stadt. Das bedeutet, dass Schiff wurde auf seinem Heimweg erneut angegriffen und vermutlich gingen dabei auch Berichte von Caris Duimé und Kapitän Norís verloren. Dies gibt uns Anlass zur Sorge. Elpenó meldete ähnliche räuberische Vorfälle in Galjúin. Das lässt einen Zusammenhang und damit ein größeres Problem für uns vermuten. Wir werden weitere Einheiten aussenden, die betroffenen Gebiete zu erkunden und die Vorfälle zu untersuchen. Unsere Empfehlungen an euch sind, dass ihr eure Geistwächter ebenso entsendet; wir zumindest werden unsere einsetzen.

(Siegel der Obrigkeit von Atáces)

 

 

XLIII: Tagebuch des Falerte Khantoë

26. 10. 3979, Irgendwo am Carajúl.

Fast eine Woche sind wir nun schon an diesem See, diesem Meer. Kleine Hütten haben wir uns gezimmert an einer geschützten Stelle zwischen Felsen. Wir wurden gerade rechtzeitig damit fertig, denn vor drei Tagen fing es an zu regnen und seitdem hört es nicht mehr auf. All die Zeit über war es stets trocken gewesen; feuchtwarm, doch ohne Regen. Und nun das, als wollte uns die Natur verhöhnen. Dafür gibt sie uns nun Nahrung und Wasser im Überfluss. Vermutlich ist dies alles Teil ihres grausamen Spiels, unser Leiden zu verlängern. Mittlerweile kann ich mich kaum noch an ein gemütliches, warmes Bett erinnern. Wie war das damals bloß? Damals, vor über fünf Monden. Ist es wirklich schon so lange her? Nun hocke ich hier in einer Hütte zusammen mit Couccinne, Scaric und zwei anderen und höre dem Tropfen des Regens über uns zu. Irgendwie muss ich aber meine Gedanken, Überlegungen und Bedenken loswerden und was wäre da besser für geeignet, als mein kleines Tagebuch, denn Couccinne ist gerade beschäftigt und mit den anderen möchte ich nicht sprechen.

Natürlich können wir uns hier nicht ewig verkriechen. Unter Nachdruck von Gammil entschieden wir, spätestens Ende des Mondes gen Osten loszuziehen. Das Schiff hatte eine Karte von Nardújarnán an Bord, auf der deutlich doch ungenau erkennbar ist, dass man nur stets gen Osten wandern muss, um recht bald das Meer zu erreichen. Viel Schneller, als dies nach Süden möglich wäre. In beiden Richtungen sind zwar Berge zu überwinden, doch sind die im Süden höher, derweil die im Osten nur mehr große Hügel darstellen sollten. Zu Beginn der Reise könnten wir einfach dem Tajazi wieder flussab, also nach Osten, folgen. An einer Biegung käme dann ein größerer Nebenfluss, dem man bis in die Berge folgen kann. Soweit bräuchten wir das Schiff also noch und kämen mit ihm auch schneller voran. Später dann wären die Berge zu überqueren, anschließend müsste man einen Fluss finden, der nach Osten, in den See Bomorán mündet. Dieser hat eine Verbindung zum Meer und hätten wir dieses einmal erreicht, so wären wir bereits in Pesenno, einem Land Nardújarnáns, wo es immerhin Außenposten gibt. Soweit also unser schöner Plan. Immerhin durchführbar klingt er ja. Das einzige Problem wäre der Fußmarsch durch die Berge. Doch spätestens nächstes Jahr könnten wir schon zurück in Nardújarnán sein. Wenn, ja wenn, wir allem Feindlichen entgehen können. Zwei Fünfergruppen von uns meldeten sich freiwillig oder wurden als Freiwillige auserkoren, unsere Umgebung sowie den Weg gen Osten zu erkunden, zumindest ansatzweise. Eine Gruppe wird von Miruil geführt, die andere von Commosha Dacealus.

Bisher zumindest blieben wir hier unbehelligt. Selbst die elenden Fliegen kommen nicht zu diesem See. Vielleicht benötigen sie das dreckige Flusswasser zum Überleben. Im See können wir sogar genießbaren Fisch fangen und bisher fanden wir auch keine, die dafür uns fressen wollten. Es könnte ein wunderbares Traumland sein, doch wann wohl wird dieser Traum zum Alptraum werden? Wir haben auch ein Problem. Wir konnten Duimé dazu bringen, dass er sich unterordnen würde, wenn wir ihn nur von seinen Fesseln befreien. Bisher hält er sich sogar daran, und fliehen kann er hier sowieso nirgendwo hin. Aber er redet. Anfangs ließ er kurz seinen Hass in Form von Drohungen an uns aus. Züchtigungen ließen ihn dies zwar schnell vergessen, doch es streute Unruhe und Zweifel in die Herzen der Männer. Später versprach er allen eine mildere Strafe, die dem Plan zur Flucht gen Osten widersprächen. Wir müssten den Tajazi herab nach Nardújarnán, sagte er. Entweder hätten die Einheimischen ihre Sperre längst wieder aufgehoben, oder Atáces hätte bereits Truppen entsandt. So oder so wäre der Weg gen Osten in seinen Augen Unsinn. Dies säte weitere Zweifel in den Hirnen einiger, und so sieht man allenthalben Infragestellungen des Planes. Bisher konnte Gammil uns zusammenhalten, doch würden wir uns nicht bald in Bewegung setzen, so ist sicher ein ernsthafter Aufstand zu fürchten. Deshalb besteht ein Teil der ausgesandten Gruppen auch aus Unruhigen.

Dummerweise jedoch hat Duimé Recht. Woher sollen wir wissen, ob wir nicht wieder zurück könnten, den Tajazi herab? Doch genau da beginnt ein zweites Problem: Wenn wir einfach nur zurückgehen, so wird uns entweder Duimé selber oder die Obrigkeit von Atáces sicherlich vor ein Kriegsgericht stellen. Unser Tod wäre abgemachte Sache. Bei dem Weg gen Osten dagegen könnten wir immerhin versuchen, aus Nardújarnán zu entkommen. Soweit meine Meinung. Verbrecher werden wir in den Augen von Ojútolnán so oder so sein. Ich habe schon lange nicht mehr über mich selbst nachgedacht. Die letzten Tage waren gefüllt mit dem Bau des Lagers, Nahrungssuche, Erkundschaftungen sowie dem Pländeschmieden. Und auch dem Streiten. Irgendwo jedoch ist alles hoffnungslos.

Ist mein Leben nun nicht zerstört? Kehre ich nach Nardújarnán zurück, macht mich Duimé zum Verbrecher. Fliehe ich, werde ich ewiglich ein Flüchtling sein vor einem der mächtigsten Reiche der Welt. Mein Leben war ja schon immer sinnlos, nun steht es auch noch einem sinnlosen Ende gegenüber. Aber vielleicht könnte ich nach Omérian fliehen. Zurück zu Ccillia und hoffen, dass sie mir verzeiht. Ich vermisse sie an diesen Tagen immer mehr. Couccinnes Gegenwart macht dies nicht leichter. Ich sehe ihm an, dass er den Untergang genauso kommen sieht wie ich. Seltsamerweise aber versucht er es gerade in dieser Lage zu überspielen. Seit wenigen Tagen hat er Scarics Rolle übernommen, dumme Späße zu machen. Geht man einigen von diesen aber auf den Grund, so spürt man ihre Dunkelheit und Verzweiflung. Mein Freund macht mir derzeit Angst. Selbst auf Scaric macht sein Verhalten Eindruck, immer ruhiger wird der Mann. Ich bräuchte nun dringend Miruils Zuversicht und Abenteuerlust. Hoffentlich kommen sie alle bald zurück und bringen gute Neuigkeiten.

01. 11. 3979, Irgendwo am Carajúl

Im Abstand von einem Tag sind nacheinander die beiden Gruppen endlich zurückgekehrt. Als erstes kam Commosha Dacealus mit seinen Begleitern zurück. Sie hatten in einem großen Bogen die Umgebung unseres Lagers erkundet. Sich erst gen West haltend, dem See folgend, bogen sie dann ab nach Süden in den Wald, gelangten bald nach Osten, das Lager umgehend, und schwenkten dann um, nach Norden, wieder zum See zurück und danach zu uns. Auf ihrem Weg sahen sie vieles, doch kaum etwas davon wäre für uns nützlich. Nach Westen hin setzte sich der See zunächst fort wie bisher. Das heißt, mit Abwechslungen von Wald und Lichtungen, ohne irgendwelche Überraschungen. Als der Regen begann, wagten sie sich tiefer in den Wald, dessen dichtes Blätterdach sie gut vor den Fluten schützte.

Dacealus erzählte von immer größer werdenden Bäumen, von Beeren in Kopfgröße, Schnecken in Unterarmgröße und den seltsamsten anderen Tieren. Von Mittelgroßen erzählten sie, die an Bären erinnerten, doch sofort die Flucht ergriffen bei ihrem Anblick; von hasenähnlichen Flugtieren und zahlreichen Vogelarten. Einmal jedoch begegneten sie einem Tier, das aus Geschichten selbst bei uns bekannt ist: einem Carrara. Sie hatten Glück, dass es ein altes, schwaches Tier war, so konnten sie ihm noch rechtzeitig entkommen. Sonst sind diese Bestien meist paarweise unterwegs. Abgesehen von den vielen Wundern, die diese Gruppe sah, fanden sie nichts, dass uns wirklich gefährlich werden könnte; leider jedoch berichteten sie auch von nichts Nützlichem oder sonst Interessantem.

Nach ihrer Ankunft, die das Lager in einige Aufregung versetzt hatte und die allgemeine düstere Stimmung endlich mal wieder zerstob, wurde ich zusammen mit Jimmo dazu eingeteilt, Feuerholz aus dem Wald zu besorgen. Das erste Mal mit Jimmo allein. Dieser ergraute, ruhige Hüne lässt mich manchmal immer noch erschauern. Doch diesmal kamen wir sogar ins Gespräch. Der Anfang war dabei wenig eindrucksvoll: mir fiel plötzlich auf, dass wir uns nun mitten im Winter befinden müssten, doch hier in diesem Wald scheint es keinen Winter zu geben. Ich war so überrascht von meiner Erkenntnis, dass ich sie laut aussprach. Jimmo erzählte mir daraufhin, dass er es früher stets genossen hätte, mit seinem Sohn im Winter im Wald zu spielen. Diese Offenheit überraschte mich noch mehr. Ich wunderte mich ihm gegenüber, dass ich nicht gewusst hätte, dass er Familie hat und fragte ihn, was sie denn davon hielten, dass er so weit von ihnen entfernt hier in der Wildnis sei. Ich erkannte meine Taktlosigkeit zu spät, denn es stahl sich bereits ein schmerzlicher Ausdruck in Jimmos Gesicht. Auf einmal, ohne Hemmungen, erzählte er mir, wie sie von imarischen Truppen in einem der letzten Kriege zwischen Rardisonán und Machey getötet wurden. Ihr Gehöft hatte man dabei abgebrannt und Jimmo sah nur noch den Weg zur Armee. Doch nicht um Rache an den Imaris üben zu können, sondern um so weit wie möglich wegzukommen. Dann sah ich die Tränen in seinen Augen. Ich wusste nicht damit umzugehen, hatte das Bedürfnis ihn zu trösten, doch vermochte es nicht. Etwas hemmte mich. Mir muss etwas anderes einfallen, ihm mein Mitgefühl darzulegen. Ich frage mich, ob er aufgrund des Todes seines Sohnes sich nun so sehr um den Jungen Dosten kümmert.

Einen Tag nach Commosha Dacealus kam Miruil zurück, zusammen mit seinen Begleitern Oljó, Xeazotankro sowie Gasuim. Der Fünfte der Gruppe sei am Fluss von einer mannslangen wilden Echse gerissen wurden, gegen die selbst Satenechsen harmlos wirken sollten. Leider hat er uns damit nur vor etwas warnen können, dass wir bereits wussten. Ansonsten erzählten die Vier ähnliche Geschichten von Tieren und auch Pflanzen wie Dacealus, nur waren bei ihnen auch wieder diese elenden Fliegen zugegen. Es erscheint wie ein Wunder, dass sich keiner von ihnen eine Krankheit zugezogen hat. Ihre Hauptaufgabe war die Erkundung unseres Weges gewesen; das haben sie getan. Eingeborene waren ihnen nicht begegnet, ein gutes Omen. Deshalb beschlossen wir nun einstimmig, genug Vorräte anzusammeln um dann in zwei Tagen aufbrechen zu können.

Mir gefällt es irgendwie aber gar nicht, dass Miruil sich seit ihrem Ausflug besser mit Oljó und Xeazotankro zu verstehen scheint. Eine seltsame Eifersucht nagt an mir. Zwar verhält sich Miruil mir gegenüber wie gewöhnlich, doch auch freundschaftlicher zu den anderen beiden. Die Drei werden sich langsam zu ähnlich.

02. 11. 3979, Irgendwo am Carajúl

Morgen werden wir abfahren. Wir sind nun mitten in den Vorbereitungen. Doch nicht deshalb bin ich derzeit aufgeregt. Hier an diesem schönen See habe ich trotz allem viel Zeit, immer wieder über Ccillia und über das, was geschehen war, nachzudenken. Gestern Abend ging ich spazieren, nachdem der Regen endlich wieder aufgehört hatte, um mit meinen Gedanken etwas allein sein zu können. Ich wanderte in dem schwachen Licht des weißen Mondes an einem ebenso weißen Sandstrand des Sees entlang, da fing eine Bewegung meine Aufmerksamkeit. Erschrocken zog ich meine Waffe und starrte in den Wald, bereit für jegliches gefährliches Tier oder auch Eingeborene. Dann sah ich ihn dort inmitten der Bäume. Puidor kniete am Rande des Waldes im Unterholz. Es wirkte, als würde er dort etwas ausweiden. Seinen Anblick schon fast gewöhnt, lähmte mich die Angst nun kaum noch, wollte mich dort nur wegbringen, doch ich beschloss, so gut es ging näher heranzuschleichen, um zu sehen, was er da genau tat. Dies gelang mir soweit recht gut, und das, obwohl jede Faser meines Körpers einfach nur rennen, davonlaufen und schreien wollte, jedes bisschen ihres kläglich übriggebliebenen Verstandes von sich reißen. Doch ich beherrschte dieses Verlangen und schließlich stand ich so, dass ich von seiner Rückseite aus sehen konnte, was er dort tat. Ja, er weidete etwas aus. Doch es war nicht etwa ein erlegtes Tier, nein, dort lag die blutige Leiche meines Freundes Couccinne!

Ich musste bei diesem Anblick ohnmächtig geworden sein. Als ich erwachte, lag ich am Strand und neben mir saß Couccinne, noch sehr lebendig und sah mich besorgt an. Er gab mir Wasser und kümmerte sich um mich. Bald erzählte er mir, er sei mir gefolgt, da er sich Sorgen gemacht hatte, und fand mich dann so dort vor. Ich verschwieg ihm meine Erscheinung, doch wir setzten uns zusammen auf einen Stein am See und redeten. Er erzählte mir von seiner Familie. Wir stellten schnell fest, dass wir beide herrische Väter haben, mit denen wir kaum zurechtkommen. Couccinne aber verließ früher sein Zuhause denn ich. Zunächst versuchte er es im Orden der Omé von Frezinne als Mönch. Das erklärt für mich einiges an seiner Person. Später gab er dies aber auf, da er anfing zuviel im Leben in Frage zu stellen und keinen Sinn mehr darin sah, an demselben Ort zu verbleiben. So kam er letztlich zur Armee. Oh, er erzählte mir soviel aus seinem Leben wie nie zuvor. Und ich schilderte ihm mein größtes Geheimnis, dass meiner schönen Ccillia, meine Pläne sie wieder für mich zu erobern und den Grund, warum ich nicht mehr bei ihr war. Irgendwie fange ich an, Couccinne mehr als Bruder, denn als Freund zu betrachten.

07. 11. 3979, Irgendwo

Alles läuft nur noch schief. Alles! Lasst mich in dieses meines Totenbuch von all dem klagend niederschreiben, das uns in den letzten Tagen wiederfuhr.

Unsere Abreise vom See verlief zunächst ohne Probleme. Wir beluden das Schiff mit sovielen Vorräten, wie es nur tragen kann und stachen sodenn in See, unsere armen Hütten zurücklassend. Vielleicht hätten wir einfach auf ewig dort bleiben sollen. Solange weder Tiere noch Eingeborene kommen, dürfte es dort sicher sein, Platz genug sein eigenes sicheres Traumreich zu bauen. Und wieviel von dem, was nun verloren, wäre dann vielleicht noch da! Aber ach, so bleiben unsere Hütten zurück um unserer Anwesenheit unbedeutenden kleinen Leben zu gedenken. Vielleicht mögen sie einst Tieren oder Eingeborenen eine Bleibe sein.

Dank Segel und Strömung war es leicht und schnell, den Tajazi zu erreichen, ebenso wie auf diesem zu unserem auserkorenen Nebenfluss zu fahren. Wir kamen mitten in der Nacht dort an und es ward schrecklich. Als hätten sie uns erwartet. Einige wenige Feuer wurden von ihnen sowie uns entfacht. Dann stießen sie Baumstämme ins Wasser, wie sie es schon bei Médyhúda getan hatten. Jedoch taten sie dies bereits vor der Mündung des anderen Flusses. Uns blieb also nur die Wahl zwischen dem Versuch durchzustoßen oder umzukehren. Und ein Umkehren war nicht möglich, wie Commosha Dacealus uns schnell aufklärte, denn wir fuhren viel zu schnell. Hätten wir versucht zu wenden, so hätte uns die Strömung unweigerlich an der Sperre kentern lassen. Also gab Gammil Befehl, sie stattdessen zu durchstoßen. Wir alle hielten den Atem an oder beteten zu unseren jeweiligen Gottheiten, als wir uns ihr näherten. Unsere Angreifer hatten es nicht ganz geschafft, den Fluss zu sperren, einige Stellen boten noch knappe Durchgänge. Doch zu beiden Seiten standen sie bereit, mit Speeren in den Händen, andere hielten Bögen gespannt, und alle sangen sie Lieder oder trommelten.

Und dann erreichten wir eine der Engen. Es gab ein fürchterliches Krachen und das Schaben von Holz an Holz und das Schiff schwankte schrecklich. Die Eingeborenen schossen ihre Pfeile ab und zwei der Männer schafften es nicht rechtzeitig, sich in Sicherheit zu bringen. Dann sprangen einige unserer Angreifer unter wildem Rufen und in halbnackten, federgeschmückten Trachten zu uns aufs Schiff. Wir waren dem linken Ufer zu nahe gekommen, und so begann unser erster richtiger Kampf. Während zwei von uns mit dem Steuer rangen und versuchten, uns vorwärts zu bringen, mussten wir Restlichen uns gegen gut zwei Dutzend wilde Krieger zur Wehr setzen. Ich sah Jimmo im wilden Rausch um sich schlagen, sah Oljó von einer geschützten Stellung aus mit der Armbrust das Ufer beschießen, sah Miruil im Tanz mit einem Speerkämpfer. Und Duimé schien der Tapferste von allen zu sein. Alle von uns kämpften aber nun um unser gemeinsames Überleben. Einige taten es Oljó gleich, um nicht noch mehr von ihnen an Bord springen zu lassen. Dann endlich waren wir mit einem plötzlichen Ruck von der Sperre frei und schossen vorwärts; die Pfeile der Eingeborenen am Ufer trafen ins Nichts. Viele der Fackeln an Bord waren bereits erloschen, so wurde der Kampf für uns dunkel und ich sah kaum noch mehr als den Gegner vor mir. Schreie und Schläge von Schwertern auf Speere ertönten überall um mich herum. Immer wieder vernahm ich einen Schmerzenssschrei und oft ein Platschen, als jemand ins Wasser fiel. Und dann war auf einmal alles ebenso schnell vorbei, wie es begonnen hatte.

Wir eilten uns, den anderen Fluss hinaufzufahren und begannen das Staken, sofern noch jemand dazu in der Lage war. Wenigstens unterstützte uns das Segel noch. Erst am nächsten Tag konnten wir die Ausmaße der Schlacht erkennen. Fast ein Dutzend toter Eingeborener ward von uns noch in der Nacht von Bord geworfen. Aber nun erst erkannten wir die Verluste in den eigenen Reihen. Sechs der Männer waren tot, wir konnten sie nur noch ins Wasser lassen. Einer davon war Jénil, einer der ehemaligen Krieger von Duimé. Zwei andere waren bereits an der Sperre erschossen worden. Zwei Männer waren schwerverletzt, es gab kaum Hoffnung für sie. Fünf weitere werden ihre Verletzungen überleben, können jedoch eine Weile nicht arbeiten oder kämpfen. Zu diesen gehören auch Xeazotankro und Scaric. Ersterer verlor einige Finger, zweiterer zog sich zahlreiche Schnittwunden zu. Beide werden uns erhalten bleiben, auch wenn Xeazotankro jammert wie ein Kind. Scaric dagegen macht gute Miene zum bösen Spiel.

Nun muss ich noch das Schrecklichste von allem schildern. Ich würde es lieber vergessen, doch darf es nie vergessen werden. Oh du grausame Welt! Drei der Männer waren schlicht verschwunden, fielen während des Kampfes wohl über Bord. Und einer von diesen Dreien ist mein Couccinne! Oh geliebter Freund, so werden all deine düsteren Ahnungen doch noch zur Wahrheit. Ich werde dich vermissen, mein Freund. Couccinne Carizzo aus Amacco in Omérian, ich schwöre dir, dies alles zu überleben und deiner Familie von dir Nachricht zu bringen, von deiner Tapferkeit zu erzählen, eher will ich nicht ruhen.

Gammil weigerte sich, nach den Vermissten zu suchen und Miruil musste mich zurückhalten, sonst wäre ich allein gegangen. So aber eilen sich die kläglichen Überlebenden dieser schrecklichen Fahrt, vor ihren Feinden fliehend und hoffend auf ein neues Leben. Nun zählen wir nur noch 21 auf diesem Schiff und bald schon dürften es nur noch 19 sein. Wie viele werden wohl noch sterben müssen, bevor wir diesem fehlgeschlagenen Auftrag entrinnen können? Wir sind hier mitten auf diesem uns fremden Fluss, die Flucht dürfte nur noch wenige Tage dauern. Noch hören und sehen wir keine Verfolger, doch werden sie sicherlich kommen. Ich habe Angst.

14. 11. 3979, Irgendwo.

Eigentlich bin ich mir ja überhaupt nicht sicher, welcher Tag heute ist. Ist es wirklich der, von dem ich denke, dass er es ist? Auch weiß ich nicht, wo wir uns hier befinden. Alles scheint so hoffnungs- und sinnlos, seit wir den Fluss verlassen haben. Würden Gammil und Miruil uns nicht vorantreiben, so wäre ich wohl schon längst ein Zurückgelassener. Sollte je ein Mensch nach uns suchen, könnte er uns leicht anhand der Spur von Leichen hinter uns finden. Womöglich sind wir in Wirklichkeit auch alle schon lange tot und nun auf einem endlosen Marsch in einem schrecklichen Jenseitsreich, wo nur die Guten den Pfad als Erste verlassen dürfen. Das zumindest würde erklären, warum Couccinne so früh gehen durfte. Mit wem soll ich nun noch über meine Besorgnisse sprechen? Miruil ist völlig in der Aufgabe aufgegangen, über unsere Sicherheit zu wachen. Es ist seltsam, aber ich bemerke immer häufiger, wie ich in Jimmos Nähe gerate. Doch die ständige Anwesenheit von Dosten an dessen Seite hindert mich, unser Gespräch von damals noch einmal aufzunehmen. Scaric muss von zwei Kriegern auf einer Bahre mitgeschleift werden; er hatte sich auf dem Fluss irgendwas eingefangen.

Vor drei Tagen erreichten wir eine Stelle im Fluss, ab der das Schiff ihn nicht mehr befahren konnte. Wir mussten es dort zurücklassen und folgen ihm seitdem zu Fuß den Berg hinauf. Noch bringt uns dies fast nur Nachteile: wir kommen wesentlich langsamer voran, konnten kaum Gepäck mitnehmen, das Gelände lässt sich immer schwieriger begehen und der Wald ist noch überall, wird aber hoffentlich bald weichen. Ständig hängen uns seltsame Luftwurzeln, Äste und Blätter ins Gesicht. Wir gehen gezwungenermaßen im Gänsemarsch, da stets einer von uns vorangehen und einen Weg durch das dichte Unterholz schlagen muss. Unser Lager versuchen wir seit dem Unglück des ersten Wandertages von Wasserquellen fernzuhalten. In besagter Nacht hatten wir übersehen, dass zahlreiche Tiere an jener Stelle zum Trinken kamen. Nachdem der Mann, der Wache hatte, beim Anblick eines Carrara-Pärchens falsch gehandelt hatte, hörten wir von ihm nur noch Schreie und kamen zu spät. Doch so sollte ich einen ersten Blick auf diese mächtigen Raubtiere haben. Ich werde sie nie vergessen: Groß wie ein Mensch auf allen Vieren sind sie, dreckig gelb-schwarz gestreift, die Hinterbeine angewinkelt wie bei Hasen und ihre Sprungkraft mussten wir zu unserem Leidwesen erfahren; der Kopf ist rechteckig und massiv, die Ohren klein und dreieckig, die oberen spitzen Eckzähne überragen des Maul. Und diese wilden Augen. Wir konnten die Tiere zwar töten, doch ein weiterer Mann sollte dabei sterben. Wieder zeigte Duimé hier Tapferkeit; er wird sich bis zu seinem Ende sicherlich gut an diesen Kampf erinnern dank der Narbe. Alle anderen Tiere, auf die wir stießen, scheinen ähnlich viel Angst vor uns zu haben wie wir vor ihnen. Heute wurde ein Mann von einer aufgeschreckten Schlange gebissen; es dauerte nur wenige Stunden bis zu seinem Tod. Gestern wurde Commosha Dacealus von einer handgroßen Spinne angesprungen und gebissen, zum Glück schien sie nicht giftig zu sein. Trotzdem erregte sie Ekel.

Wir sehen nicht einmal, wohin wir gehen, denn die Bäume versperren den Blick zum Himmel. Links von uns liegt der Fluss, nun kaum mehr als ein Bach. Von uns sind nur noch 16 am Leben und ich kann kaum glauben, dass sich diese Zahl so halten wird. Hoffentlich führt uns der Fluss bald in Gegenden, in denen der Baumbewuchs aufhört. Wenigstens aber gibt es hier bereits keine Mücken mehr und Vögel erreichen uns durch das Blätterdach auch keine. Alle paar Schritte die wir vorwärts tun sehe ich aber Puidor zur Rechten. Wie ein böser Geist, der allen unseren Schritten folgt. Vielleicht ist er es ja, der all diese Toten fordert, der sich von ihnen ernährt.

Ein Gutes hat all dieses Unglück aber: Es gibt keinen Streit mehr unter uns. Wir alle handeln als eine Gruppe. Jeder passt auf die anderen auf. Selbst Oljó ist ruhig, sogar Duimé sagt kein Wort unsere Taten betreffend. Gammil, Miruil und manchmal auch Duimé geben uns Befehle, schicken uns voran, wo wir sonst schon längst vor Erschöpfung und Angst zusammengebrochen wären. Wie lange wohl noch?

27. 11. 3979, Irgendwo in den Bergen.

Seit einigen Tagen sind wir in den Bergen. Es ist merklich kälter geworden. Für Winter ist es zwar immer noch erstaunlich warm, doch wir merken den Unterschied. Überraschenderweise ist trotz der Strapazen Scaric wieder genesen. Auch sonst haben wir alle den Weg hierher gut überlebt. Den Fluss haben wir hinter uns gelassen, nachdem er zu einem kleinen Gebirgsbach geworden war. Die Ungenauigkeit der Karte hat uns aber zu Schlimmen verführt: Die Berge sind höher als gedacht, wenngleich lange nicht so hoch wie andere Gebirge. Wir befinden uns hier nun auf halber Höhe und noch ist es nicht zu kalt, eher angenehm warm. Die Luft ist klarer, der Wald liegt endlich hinter uns. Wenn man nach Westen sieht, hat man manchmal eine großartige Aussicht über das Land. Und erschreckenderweise sieht man überall nur Wald, unterbrochen von wenig Blau, vor allem im Nordwesten zum See hin. Ich hoffe, diesen gewaltigen Urwald nie wieder sehen zu müssen; vermissen werde ich ihn jedenfalls nicht.

Gestern sah ich erneut Puidor. Ich erkundete gerade die Umgebung unseres Lagers, da stieß ich auf eine Höhle. Feuerschein lockte mich an, doch befahl mir auch vorsichtig zu sein. Also schlich ich, zumindest so gut es ging, suchte mir Deckung hinter einem großen Stein und spähte in die Höhle. Schon längst hatte ich lauten Singsang vernommen. Und da stand er, Puidor, wie immer halbnackt, mir zwar den Rücken zugewandt, doch deutlich erkennbar. Die Arme hatte er weit erhoben, in der rechten Hand hielt er einen Dolch. Vor ihm stand ein kleiner Altar, geschlagen aus dem Felsen, darauf lag ein kleines Tier des Waldes. Im Boden vor dem Altar wiederum befand sich ein großes rundes Loch von dem Durchmesser einer Menschenlänge. Feuer züngelten daraus hervor. Um dieses Loch stand ein halbes Dutzend Gestalten, allesamt nackt. Drei waren eindeutig Eingeborene, doch die anderen Drei sahen nur entfernt menschlich aus. Ihre Haut war schuppig und blauschwarz, der Kopf war der einer Bestie. Sie alle wie sie dort standen sangen zusammen diesen Singsang und ich erkannte darin ähnliche Worte wie damals auf der Sturmwind.

Als Puidor dem Tier die Kehle durchschnitt, war alles vorbei. Ich fand mich irgendwo auf einem Vorsprung wieder ohne auch nur die leiseste Ahnung, wie ich dort hingekommen war. Der seltsame Traum den ich von Puidor hatte, verfolgte mich bis hierher. Es war schwer unser Lager wiederzufinden.

02. 12. 3979, Irgendwo.

Schreckliches ist geschehen: Wir wurden gefangen genommen. Sie haben aber mein Tagebuch nicht entdeckt. Ich werde hier festhalten, was uns geschieht. Ich habe aber wenig Hoffnung zu überleben. Eigentlich macht es kaum Sinn, hier hineinzuschreiben. Wer wird es denn schon jemals lesen? Sollten sie mich holen, werde ich es in einem Loch in der Zelle verstecken. Vielleicht findet es jemand. Vielleicht bringt es jemand in die Außenwelt. Oh, wie unsinnig diese Annahmen sind! Aber trotzdem kann ich mich so beschäftigen.

Gerade herrscht da draußen Ruhe. Es ist noch nicht lange her, da kamen sie um Oljó zu holen. Also dürfte nun genügend Zeit sein, bis sie wiederkommen. Ich bin in dieser Zelle jetzt allein mit Xeazotankro, der aber nicht mehr sprechen kann seit sie ihm den Kiefer brachen. Es ist fürchterlich. Sollten sie kommen, mich zu holen, werde ich vielleicht froh sein. Die Gewissheit eines nahen Todes dürfte besser zu ertragen sein als diese unbeschreibliche Möglichkeit des Drohenden.

Noch in derselben Nacht, in der ich meinte diesen Traum von der Versammlung des Puidor zu haben, griff man uns an. Sie kamen aus dem Nichts und gleichzeitig doch von überall her. Bevor wir uns versehen hatten, waren wir bereits umstellt. Gut, eigentlich merkten wir das alles erst, als wir geweckt wurden. Soviel zu unseren Wachen. Einige schlugen sie nieder, bevor wir alle zusammen gefesselt und verschleppt wurden. Ich war teilweise wach, doch erinnre ich mich kaum an den Weg. Es ging eine Weile in der Dunkelheit über steile Bergpfade. Unsere Entführer konnte ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht erkennen, doch sie waren, sie sind, menschenähnlich. Je ein bis zwei trugen, zerrten oder schleppten einen von uns. Bald wurde es vollends dunkel um uns, als wir Höhlen oder Tunnel betraten. Ich weiß nicht, wie lange es so durch die Dunkelheit ging. Auch weiß ich nicht, wohin es ging, denn nie wurde ein Feuer entfacht oder Licht gemacht. Wer weiß, wie es unsere Entführer schaffen, sich in dieser Finsternis zurechtzufinden.

Selbst jetzt hocken wir in teilweiser Finsternis, doch Feuer aus den Räumen jenseits unseres Gefängnisses beleuchtet es schwach. Hier war es, wo wir uns wiederfanden. Außerhalb sehen wir nur wenig. Ein gewaltiger, fast kreisrunder Raum, in dessen Mitte ein gewaltiger Abgrund droht, aus dem Feuerschein und Rauch aufsteigen, liegt dort draußen. Das Gefängnis selbst besteht aus einer größeren, sehr naturbelassenen Höhle, von der mehrere kleine, mit Gittern versperrte Nischen abgehen: unsere Zellen. Es zweigen noch weitere Höhlen und Gänge von der Haupthöhle ab, deren Zwecke uns unbekannt sind. Dies alles wirkt wie eine natürliche Festung.

Niemand bewacht uns. Wenn aber jemand kommt, uns zu holen oder Essen zu bringen, so sind es Eingeborene. Diese elenden Bastarde! Ist dies also ihr Geheimnis? Haben sie hier eine Kultstätte oder die Hauptstadt ihres Reiches? Nun, womöglich auch nur die Folterkammer des Reiches. Bedeutet dies, dass die Eingeborenen doch nicht so harmlos sind, wie immer alle denken? Ach, die Frage war dumm. Mein Gehirn scheint in seinen Leistungen immer weiter nachzulassen.

Nachdem wir mehr oder minder in unseren Zellen erwacht waren, wurden wir nicht einmal begrüßt. Lediglich unsere Waffen hatten sie uns genommen. Ich teile – oder teilte – mir eine Zelle mir Oljó und Xeazotankro. Nebenan höre ich Miruil und Duimé auf der einen, Commosha Dacealus und Gammil auf der anderen Seite, zusammen mit zwei weiteren Kriegern. In den anderen Zellen steckt der Rest von uns. Anfangs schrien und zeterten einige noch, mittlerweile sind die meisten aber verstummt.

Gestern kamen sie das erste Mal, um jemanden von uns zu holen. Einen armen jungen Krieger zerrten sie aus seiner Zelle, die anderen drängten sie dabei zurück. Wir wissen nicht, was aus dem Kämpfer wurde, doch er wurde schreiend in die Haupthöhle hinaus gebracht und entschwand dort unseren Blicken. Gut eine Stunde später hörte ich nur noch Grauenvolles. Ein Singsang ähnlich dem meines Traumes erhob sich dort in den Gängen der Dunkelheit. Immer wieder vernahm ich darin die Worte Šamrek und Ašckhir, welche ich auch damals auf der Sturmwind gehört hatte. Irgendwann stimmte das Schreien des Mannes wieder darin ein, in tiefer Todesfurcht und Abscheu. Und schließlich, zum Höhepunkt des Gesanges, ertönte ein markerschütterndes tiefes Brüllen wie aus dem Leib der Tiefen selber und plötzlich brachen die Schreie des Kriegers ab. Wenig später sollte auch der Singsang enden. Und nun, nun ertönt er wieder, und sie haben Oljó zu sich geholt.

05. 12. 3979, Irgendwo.

Ašckhir lautet der Name dieser Gewölbe. Nun wissen wir dies endlich und können den Schrecken benennen. Namensgeber war Oljó, der ihn zu uns trug. Gestern kam er unerwartet wieder. Der Singsang von vor wenigen Tagen war nicht von Schreien begleitet gewesen. Oljó sagt, er wäre verhört worden: Wer er sei, wer wir sind, was wir in diesen Bergen wollten. Er erzählte, er hätte unsere Geheimnisse bewahrt und es ihnen nicht verraten, hätte ihnen gesagt, wir seien nur einfache Abenteurer auf der Suche nach dem Glück. Einen Unterschied dürfte das jedoch nicht machen, denn sterben sollen wir wohl so oder so. Doch mit sich brachte Oljó immerhin einen Dolch, an den er irgendwie gekommen war.

Um diesen herum bildete sich in den folgenden Stunden ein schwachsinniger Plan, der zugleich aber unsere einzige Hoffnung ist. Denn Oljó hatte auf seinem Weg auch die Gänge gesehen; hatte gesehen, wo Waffen liegen und sogar einen Weg ans Tageslicht bemerkt. Duimé meldete sich schließlich freiwillig für diesen Plan. Er sprach, der einzige Sinn seines Lebens sei seine Familie, die nun auf ihn wartete, weshalb er sie nicht alleine lassen würde.

Doch für Gammil kam diese Zusage zu spät. Bevor sie Oljó zurückbrachten, holten sie unseren armen Anführer. Gammil wehrte sich tapfer gegen die vier Eingeborenen, schlug sogar einen von ihnen nieder, doch wurde letztlich überwältigt. Sie brachten ihn hinaus in die Feuerkammer, wie wir den Kessel außerhalb unseres Gefängnisses nun nennen und verschwanden dort mit ihm für immer. Etwa eine Stunde später setzte der Singsang ein. Gammil blieb auch da noch tapfer und stark, nicht einmal schrie er. Zum Höhepunkt des Ganzen jedoch, in Verbindung mit diesem unheiligen Brüllen aus der Tiefe, brach auch sein Widerstand und wir hörten ihn. Wir alle trauern nun um ihn. Wer wird der Nächste sein? Mein Verstand droht schon vor Angst völlig zu entfliehen. Oh, Ccillia, oh Couccinne, rettet mich!

13. 12. 3979, Irgendwo.

Wo bin ich? Wo? Wo! Fast könne ich auch fragen, wer bin ich. Doch noch ist es mir halb bewusst. Es ist dunkel. Nun, nicht ganz. Der Mond gibt mir genug Licht zum Schreiben. Ich hocke hier in irgendeinem dunklen Erdloch. Sonst gibt es hier aber auch nirgends Deckung, nirgends Schutz. Dieses ganze elende Land hier ist, so weit man sieht, in alle Richtungen offen. Nur hie und da ein Busch, ein Baum. Und doch bin ich hier allein, sehe ich niemanden. Selbst Tiere scheinen mich zu meiden. Dabei habe ich kaum noch etwas bei mir, außer diesem Buch und dem kläglichen Rest Tinte. Dies wird mein letzter Eintrag sein. Selbst wenn ich noch länger überleben sollte, werde ich über keine Tinte mehr verfügen. Vielleicht sollte ich einfach dieses verdammte Pergament essen, etwas anderes findet sich hier doch nicht! Aber nein, ich reiße mich zusammen. Hier in diesen Gegenden ist es wahrscheinlicher, dass jemand mal dieses Buch finden sollte. Ich stelle mir vor, wie es jemand in hunderten von Jahren als einzigen Zeugen neben meinen Knochen findet. Ich werde also fortfahren, über alles zu berichten, zur Warnung derer, die da kommen, vielleicht? Als Warnung vor dem Wald, den Eingeborenen, den Bergen, dem Grauen dort drinnen!

Ach, lasst mich jetzt den Wahn auskosten! Nun, werter Finder, werter Leser, sicher wundert ihr euch, seid ihr denn bis zu diesem Eintrag gelangt, wie es sich ergab, dass ich mich hier in den Steppen wiederfinde. Lasst es mich erklären, mein Freund, oh einziges Wesen hier, zu dem ich sprechen darf. Wir waren zuletzt an einer Stelle stehengeblieben, an der unser geschätzter Führer Gammil gerade geopfert worden war und Oljó mit seinem Ausbruchsplan ankam.

Wir mussten noch zwei weitere Tage warten, bevor wir damit beginnen konnten, doch dann war es plötzlich soweit. Sie kamen sich ein neues Opfer zu holen. Als dieses hatten sie sich den Jungen Dosten auserkoren. Ab da ging alles schief, was wir je geplant hatten. Jimmo, der sich in derselben Zelle wie Dosten befand, stellte sich vor ihn und meinte, dass sie erst an ihm vorbei müssten, bevor sie den Jungen bekämen. Die Wächter verstanden vermutlich kein Wort, jedenfalls schlugen sie Jimmo nur einfach nieder und packten Dosten, um ihn herauszuzerren. Da fing Duimé in seiner Zelle an zu rufen, man solle ihn nehmen, doch ihn beachteten sie erst gar nicht. Als dieses also nicht klappte, war er Oljós Dolch hinüber in Jimmos Zelle, der gerade wieder aufstehen wollte. Er nahm den Dolch und stach ihn einem der Eingeborenen in den Bauch, bevor sie handeln konnten. Endlich kam ihm auch Gasuim, der Dritte in jener Zelle, zu Hilfe. Er schnappte sich die fallengelassene Waffe des erstochenen Eingeborenen. Zu zweit sahen sich Jimmo und Gasuim drei Gegnern gegenüber. Diese kamen nicht einmal auf die Idee, Hilfe zu rufen, waren sich ihres Sieges scheinbar schon sicher. Einer blieb zurück um Dosten zu halten, derweil die anderen beiden mit Jimmo und Gasuim kämpften, die trotz der langen entbehrungsreichen Zeit den Kampf gewannen. Der letzte Wächter hatte, als er seine Geisel törichterweise von sich stieß, kein langes Leben mehr.

Die drei Krieger eilten sich sodenn, uns andere auch zu befreien. Noch hatte man nichts von unserer Tat bemerkt, doch lange könnte es nicht dauern, bis die Wächter mit dem Opfer vermisst werden würden. Oljó zeigte uns die kleine Waffenkammer, welche nahezu genau neben meiner Zelle gelegen hatte, und wir rüsteten uns mit Sensen und Äxten aus. Unser Leben lag weiter in Oljós Händen; nur er wusste den Weg hinaus, ihm hatten wir zu folgen. Dazu eilten wir durch dunkle Gänge, an seltsamen Höhlen vorbei, sahen sonderbare blauleuchtende Kristalle und Kammern gefüllt mir eiähnlichen Gebilden, deren Zweck mir immer noch nicht klar geworden ist, doch die mir kein gutes Gefühl vermittelten.

Seltsamerweise begegnete uns auf dem ganzen Weg kaum ein Eingeborener. Ich hätte mit wesentlich mehr Widerstand gerechnet. Bald fragten wir uns, ob Oljó auch tatsächlich wüsste, was er da tat, denn unserem Gefühl zufolge gingen wir immer nur im Kreis, da meinte er endlich, die Tunnel hinaus lägen um die nächste Ecke. Doch vorher kamen wir an einer Öffnung zur Haupthöhle vorbei, wo wir Schreckliches sahen. Jener Anblick verfolgt mich in meinen einsamen, düsteren Träumen.

Diese Träume erzählen von einer gewaltigen Höhle, himmelwärts strebend der wolkenverhangenen Nacht hin geöffnet, abwärts dagegen nur feurige Abgründe offenbarend. Auf unserer Höhe lag eine Art Umrandung einmal rings um diese Abgründe herum, eine sich daraus bildende Felsnase ragte weit über das Feuer hinaus. Dort drauf war es, dass ich Puidor erblickte. Er stand, hatte die Arme weit erhoben wie damals in meinem Traum von der anderen Höhle. Hinter ihm, am Rand des Abgrundes, waren dutzende, nein hunderte von Eingeborenen und diesen brutalen Schuppenwesen. Sie alle standen dort und starrten wie gebannt hinab in die Feuer, allesamt vereint diesen Singsang von sich gebend, doch tausendmal lauter als zuvor. Vor Puidor war ein Käfig eingelassen in die Felsnase, in der noch Knochen lagen. Dann aber erblickte ich den Schrecken meiner wüstesten Alpträume, aufsteigend aus dem Feuermeer. Gewaltige Augen in einem gewaltigen Schädel, die nur Brutalität und Macht versprühten, erblickten uns bei unser Flucht. Riesige Finger mit scharfen Krallen einer beschuppten Hand deuteten auf uns. Ein Brüllen, lauter als die Stimmen aller Versammelten zusammen, erhob sich wütend aus seinem Maul, das groß genug war einen Menschen stehend aufzunehmen.

Plötzlich drehten sich alle nach uns um. Der Bann, der wenige Herzschläge lang auf uns gelegen hatte, wurde so gelöst. Oljó schrie, wir müssten laufen und auf einmal war alles panisch unterwegs. Wir rannten nun blindlings durch dunkle Tunnel, immer Oljó hinterher. Irgendwo auf diesem Weg muss Gasuim gestolpert sein; wir vernahmen nur noch seine Schreckensschreie und die Laute wilder Bestien, wie sie über ihn herfielen. Er sollte aber nicht das letzte Opfer bleiben, bis wir endlich die Freiheit erreichen konnten.

Es geschah völlig unvermutet, doch plötzlich waren wir dann draußen, hatten wir die Höhlen hinter uns gelassen. Vor uns lagen Felsen und Sträucher und in der Ferne das offene Land. Immer noch liefen und rannten wir, immer weiter, denn sie waren hinter uns. Nicht einmal wagte ich es, mich umzudrehen, blickte nicht einmal zurück. Angst vor allem, was da hinter uns war trieb mich voran, Angst vor diesem unglaublichen Schrecken. Bald rief Miruil, dass wir uns trennen müssten, wollten wir eine Möglichkeit zum Überleben haben. So kam es, dass ich die anderen aus den Augen verlor. Angstgetrieben rannte ich nämlich stolpernd weiter über Stock und Stein. Möglichkeiten sich zu verstecken gab es ja nur wenige, denn wir waren in halber Höhe aus dem Hang des Berges gekommen. Wo man nun auch hinsah, man erblickte überall nur graues und schwarzes Gestein, Aschefelder und Gesteinsbrocken aller Größen. Nur die Dunkelheit beschützte uns.

Bald dann wollten meine Beine mich nicht mehr weiter tragen und schließlich ließ ich mich hinter einem Stein schwer fallen. Trotzdem musste ich noch einen gehetzten Blick zurückwerfen. Man kann sich kaum meine Erleichterung vorstellen, als ich keine Verfolger erblickte. Gleichsam aber sah ich auch keinen der anderen. Darüber zu grübeln blieb mir aber erstmal keine Zeit, erschöpft schlief ich an Ort und Stelle ein. Als ich erwachte, war es etwa Mittag. Immer noch gab es keine Sicht von Freund oder Feind, auch hatte ich den Berg aus meinem Blick verloren. Ich konnte nur noch versuchen, nach Osten zu gehen, in der wilden Hoffnung, auf einen Fluss und damit auf die anderen zu stoßen. Gestern erblickte ich einen und halte seitdem darauf zu. Nachdem die Berge hinter mir lagen, kam soweit man blicken konnte nur Steppe, selten durchbrochen von einzelnen Hainen.

Vor einigen Stunden glaubte ich im Süden eine Horde dieser schuppigen Bestien zu sehen, weshalb ich mich hier nun versteckt halte. Einer aus unserer Gruppe muss unbedingt überleben, zurückkehren nach Nardújarnán und sie warnen. Dafür sollte uns auch vergeben werden können. Diese Bestien scheinen die Eingeborenen zu beherrschen oder zumindest mit ihnen zusammenzuarbeiten. Ihre Angriffe gegen Nardújarnán scheinen nur der Anfang von etwas zu sein. Ich habe es hier noch nicht niedergeschrieben, doch eines Nachts kam Puidor in meinen Träumen zu mir und erzählte, dass es an anderen Orten auf der Welt weitere Festen wie die seine gäbe, und ihr Ziel diese ganze Welt sei. Sie muss gewarnt werden. Doch wer weiß, ob diese Nachricht sie je erreichen wird. Und nun…

(Der Rest ist kaum noch zu entziffern gewesen, da die Tinte immer schwächer wurde. – Anm. d. Hrsg.)

 

 

 

 

Zweites Buch

 

XLIV: Bericht des Arztes von Camdis an Aiduido Elazar

13. 01. 3980, Camdis.

Dies ist ein Bericht des ärztlichen Alui des Außenpostens Camdis.

Anfang des Jahres fand ein Schiff des Außenpostens Malazis an der nördlichen Grenze Pesennos zufällig bei einer Erkundung ein Floß, wie es im Meer trieb. Auf diesem Floß befanden sich acht Männer, von denen nur noch sieben am Leben waren. Keiner der Männer war ansprechbar, viele kurz vor dem Verdursten. Zwei hatten sich eine schwere Krankheit zugezogen, der Rest wies Mangelerscheinungen auf. Man brachte sie in den Außenposten Malazis, wo sie notdürftig versorgt wurden, und später zu uns nach Camdis. Nur sechs von ihnen kamen hier lebend an, der Siebte starb an seiner Krankheit. Wir versorgten sie, so gut es ging und fingen damit an, diesen Bericht vorzubereiten. Es ließ sich nicht feststellen, zu welcher Einheit die Männer gehören. Seltsam erschien uns auch, dass nicht alle von ihnen Toljiken sind. Wir mussten warten, bis einer von ihnen wieder ansprechbar war, um mehr zu erfahren. Zwar fanden wir bei einem von ihnen ein Tagebuch, doch lässt sich dieses kaum entziffern.

Der Erste, der wieder ansprechbar sein sollte, war einer von denen mit kräftiger Statur. Er stellte sich als Oljó y Becal vor, ein Toljike aus Rardisonán. In den ersten Momenten, in welchen er wieder bei Bewusstsein war, konnten wir noch nicht viel von ihm erfahren, erst später nannte er uns seinen Namen und mehr. Scheinbar gehörten diese Männer allesamt zu einer Einheit unter Befehl eines gewissen Caris Duimé y Belané, welcher aber nicht in der gefundenen Gruppe war. Laut Oljó sei er in den Bergen, vermutlich den Atúposbergen, umgekommen. Oljós Erzählungen gaben uns ein Bild, dem zufolge die Gruppe den Außenposten Médyhúda an der Nordgrenze von Jaduiza erkunden sollte, dort aber dann von Einheimischen belagert wurde. Caris Duimé gab dann Befehl, in die Berge zu flüchten. Doch immer wieder muss die Gruppe angegriffen worden sein; zuletzt wurde sie kurz hinter den Bergen auseinander gesprengt. Die meisten von denen, die noch lebten, konnten sich bald wieder sammeln und gingen in Richtung des Flusses Bomóran.

Caris Duimé gehörte zu dem Zeitpunkt bereits nicht mehr zu den Überlebenden. Stattdessen fanden sie jedoch unweit des Flusses noch einen anderen Mann, einen Ramiten namens Falerte Khantoë. Das ist der Kerl mit dem unverständlichen Buch. Oljó warnte uns, dass sich Khantoës Geist aufgrund des Drucks der Kämpfe und Fluchten in seinen Wahnvorstellungen verrannt hätte. Und tatsächlich stammelte dieser nach seinem Erwachen von grässlichen Monstern, die in Feuerbergen Menschen opfern würden und ganz Nardújarnán sowie die restliche Welt erobern wollen. Wir stellten ihn zunächst einzeln unter Beobachtung und gaben ihm Beruhigungsmittel; sein Buch ließen wir ihm.

Nachdem sie Khantoë gefunden hatten, machten sich die Überlebenden laut Oljó auf den Weg zum Fluss Bomorán, bauten dort das Floß, auf welchem man sie fand, und ließen sich den Fluss hinab zum See treiben. Scheinbar machten sie dabei kaum Halt um frische Nahrung oder Wasser zu beziehen. Das erklärt den schlechten Zustand, in dem sich viele von ihnen befinden. Auf dem See Bomorán mussten sie noch einmal rudern um voranzukommen und gelangten schließlich auf das offene Meer, wo Malazis sie fand. Soweit zu dem Bericht des Oljó y Becal. Ich nehme an, er wird es euch noch ausführlicher erklären.

Mittlerweile sind die meisten der Männer wieder weit genug genesen, dass wir sie zu euch schicken können. Die Flucht vor dem Feind ist ein schweres Vergehen, dass von euch oder Atáces untersucht werden sollte. Wenn der Caris Duimé wie von Oljó geschildert tatsächlich gehandelt hat, dürfte er seine gerechte Strafe aber bereits bekommen haben. Bevor ich meinen Bericht schließe muss ich aber noch über ein paar Geschehnisse berichten. Zunächst fand ich es äußerst seltsam, dass die Gruppe derart weit in den Norden geriet. Oljó erzählte zwar, dass sie verfolgt und bedrängt gewesen seien, doch liegen die Berge arg weit von Médyhúda entfernt. Andere aus der Gruppe bestätigten Oljós Geschichte zwar, doch lässt es mich Verdacht schöpfen. Aber ich bin nur Arzt und kein Richter, Stadt- oder Geistwächter. Meine zweite Bemerkung betrifft den Umstand, dass einige der Männer untereinander in Zwist zu liegen scheinen. Gestern Nacht erst hörte ich selber, wie sich Oljó mit dem Männern namens Jimmo und Commosha Dacealus stritt. Dies mag auf allgemein vorhandene Probleme zurückzuführen sein, doch bemerkte ich auch böse Blicke zwischen den Männern, als sie ihre Berichte abgaben. Es scheint Unklarheiten zu geben, nicht nur die Sache mit den Bergen, sondern auch die Tage vor Erreichen des Bomorán betreffend. Weiterhin geziemt es sich auch einfach nicht für Krieger in Streit zu liegen.

In einer Woche werden wir die Männer, die dazu in der Lage sind, zu euch schicken. Das dürfte euch genug Zeit geben, euch darauf einzustellen. Betreffende Männer sind: Oljó y Becal, Jimmo, Dosten Aschengrau, Miruil Enfásiz y Calerto sowie Commosha Dacealus. Von diesen ist Oljó in der besten Verfassung. Jimmo hatte einige Schnittwunden, die wir aber behandeln konnten. Aschengrau hat seltsame Ausschläge am Körper, doch scheint dies nichts Ernstes zu sein. Enfásiz hat einen gebrochenen Arm, wird jedoch davon genesen. Dacealus mussten wir die linke Hand abnehmen; eine Wunde hatte sich entzündet. Er wird es überleben doch scheint deshalb verbittert zu sein. Falerte Khantoë werden wir auch zu euch schicken, er scheint sich soweit genug beruhigt zu haben. Damit kommen sechs Überlebende einer Einheit zu euch, die einst 35 Mann zählte. Wir lassen hiermit euch entscheiden, was weiter mit ihnen geschehen soll.

(Siegel des Außenpostens Camdis)

 

 

XLV: Bericht der Obrigkeit von Aiduido Elazar an Ejúduira

25. 01. 3980, Aiduido Elazar.

Wir berichteten euch bereits, dass an der Nordgrenze von Pesenno einige Krieger auf einem Floß im Meer treibend gefunden worden waren. Vor einigen Tagen sind sie bei uns angekommen, bereits größtenteils genesen. Wir wollen euch hiermit mitteilen, was wir von ihnen erfahren haben, der Bericht wird euch mit ihnen zusammen zugeschickt werden. Eurem Urteil sei überlassen, ob ihr selber mit ihnen verfahrt oder sie nach Atáces sendet. Die Männer blieben bei der Aussage, die sie in Camdis abgelegt haben. Der als vermisst gemeldete Caris Duimé y Belané hätte sie demzufolge aus Médyhúda in die Berge fliehen lassen, wo sie weiter vor Eingeborenen zum Bomorán flüchteten.

Der Krieger Falerte Khantoë betonte hierbei jedoch immer wieder, dass die Einheimischen in dem Berg eine Art Festung zu haben scheinen, von der aus sie Nardújarnán angreifen wollen. Wir hier in Labuira hören nur wenig von dem, was westlich der Berge geschieht, doch scheint die Rückeroberung von Médyhúda recht problemlos von statten gegangen zu sein. Wir wären geneigt, Atáces zu empfehlen die Truppen im Norden zu verstärken, kämen uns nicht manchmal Zweifel an der geistigen Klarheit dieser Männer, besonders im Falle Khantoes. So raten wir zur Vorsicht und dazu, den Fall weiter zu untersuchen. Lasst die Männer auf jeden Fall nicht mehr in den Frontdienst; im Hinterland aber mögen sie weiter nützlich sein.

(Siegel der Obrigkeit von Aiduido Elazar)

 

 

XLVI: 2. Tagebuch des Falerte Khantoë

04. 02. 3980, Irgendwo auf dem Meer.

Sie nahmen mir mein altes Tagebuch, dass ich so sorgsam beschützt hatte, wie sie uns alles nahmen. Darum beginne ich dieses Neue hier, das zumindest haben sie mir erlaubt. Ich weiß, dass sie mich für verrückt halten; die anderen ebenso. Möglicherweise sollte ich eine Weile lang Einzelheiten meiner Geschichte verschweigen, die den Glauben an meinen Wahnsinn nur weiter halten könnten. So kamen wir wenigen Überlebenden darin überein, über die Wesen in der Feuerfeste zu schweigen. Wir wollen sie aber trotzdem vor der Schrecklichkeit der Feste warnen. Sie muss zu Fall kommen, bevor sie Nardújarnán vernichten kann. Puidor und meine Erscheinungen werde ich ebenfalls verschweigen. Jedoch, sie verfügen über mein altes Tagebuch. Sollten sie es lesen, wie soll ich ihnen dann das erklären, was darin geschrieben steht? Ich schätze, ich müsste es als bloße Geschichten hinstellen, die ich mir in meiner Langeweile oder schlimmer, meinem Wahn, erfand.

Aber es gibt auch einige Dinge, die ich selber gern erführe. Keiner der anderen spricht zum Beispiel über das, was ihm jeweils auf seiner Flucht zugestoßen ist; selbst Miruil erzält mir nur, dass er ähnlich wie ich blindlings floh und die anderen nur durch Zufall wiederfand. Gerne aber würde ich wissen, was mit Duimé geschah, doch keiner der Männer meint, ihn nach der Flucht noch einmal gesehen zu haben. Es ist sonderbar; wir widersetzten uns ihm, wir fesselten ihn für Tage, wir unterwarfen ihn uns und trotzdem kämpfte er weiter so tapfer an unserer Seite. Nur um sein Leben zu retten oder doch für uns alle? Ich werde es nie erfahren, doch plane ich seiner Familie mein Mitleid zu bekunden, wie ich es auch Couccinnes Familie versprach. Noch wurde uns aber nicht erlaubt, wieder Briefe zu schreiben. Und das, wo ich doch so darauf brenne meiner Schwester all das Geschene zu erzählen und mich gleichzeitig fürchte, Ccillia zu schreiben.

Endlich sind wir wieder im schönen Nardújarnán und haben die garstigen Abscheulichkeiten des unendlichen Waldes und der endlosen Steppen hinter uns. Nun reisen wir zurück nach Ejúduira. Vermutlich wird man uns dort verhören. Jetzt, wo alle Zeugen unserer Meuterei aber tot sind, sehen wir einer höheren Wahrscheinlichkeit entgegen, freigesprochen zu werden. Nur kann ich es mit meinem Gewissen vereinbaren, dem armen Duimé alle Schuld zuzuschieben? Ich werde es wohl sehen müssen. Sollte ich dies alles jedoch überstehen, so werde ich meinen Dienst aufgeben und zu Ccillia zurückkehren, soviel ist sicher.

Wir begannen unsere neue Reise in Camdis, einem Außenposten von Pesenno, einem Land von Nardújarnán, das noch keine Städte oder Dörfer hat. Und das, wo sich grüne Ebenen vom Meer im Osten bis in die gewaltigen Berge im Westen strecken. Als nächstes kamen wir in die Hafenstadt Aiduido Elazar, welche im Land Labuira an der Ostküste von Nardújarnán liegt. Sie ist die nördlichste Stadt des ganzen Reiches und befindet sich auf Stufen und Hängen, die sich vom Meer aus hoch in die nahen Berge ziehen. Diese Berge sind wahrhaft mächtig, dagegen wirkten die im Norden wirklich nur wie Hügel. Uns war es erlaubt die Guigans in der wir uns befanden zu durchwandern, und von den Mauern hatte man einen überwältigenden Ausblick. Im Westen von Aiduido Elazar steigt das Land an zu Hochwiesen und schließlich zu schneebedeckten Gipfeln; im Osten liegt der unendliche Ozean und die Stadt unterhalb der Guigans; nach Nord und Süd hin sieht man weite grüne Wiesen, auf denen große Herden grasen.

Unser Weg führte uns weiter die Ostküste Nardújarnáns herab. Bald verschwanden die Berge im fernen Westen, stattdessen erhoben sich plötzlich andere direkt an der Küste. Uns wurde gesagt, dass dies das Land Iganosnán sei, welches sich bis an den Tajazi erstreckt und das fruchtbarste aller Länder von Nardújarnán sei. Doch wir sahen nur die flachen Berge und die zahlreichen Dörfer sowie Städte an der Küste. Dann umsegelten wir das östliche Kap.

Nun befinden wir uns zwischen den Hunderten von kleinen Inseln, die dem Delta des Tajazi vorgelagert sind, und wieder einmal werden wir diesen größten aller Flüsse hinauffahren. Ich kann aber nur stets an all den Schmutz und Tod denken, welche der Fluss mit sich trägt und an die schönen Strände an seiner Quelle, dem großen See. Der Kapitän unseres Schiffes sagte uns, dass die Fahrt auf dem Fluss hier im Süden nicht ganz so lange dauern würde, da sich das Delta bis hinauf nach Ejúduira erstrecke und der Fluss deshalb breit und tief genug sei, dass unser Schiff weiter hinaufsegeln könne und wir kein Flussschiff benötigen. Hoffentlich hat er Recht, ich kann auf Flussreisen eigentlich erstmal gut verzichten.

Das Schiff auf dem wir uns befinden ist nur mittelgroß und hat kaum Kundschaft, so dass uns allen zusammen drei Kabinen mit Doppelbetten zur Verfügung stehen. Das Schiff ist keines der Armee und so sind neben uns noch drei andere Reisende mit an Bord. Seltsamerweise mag aber keiner von diesen mit uns sprechen; sie behandeln uns zumeist, als seien wir Aussätzige. Es ist sehr bedauerlich. Doch endlich einmal reisen, ohne dafür gleichzeitig arbeiten zu müssen. Da wir auch nicht zu zahlen haben und wir trotzdem gut versorgt werden, ist dies schon fast Freizeit für uns. Dafür aber bekamen wir auch noch nie seit unserem Verlassen Rardisonans Sold ausgehändigt. Vielleicht werden wir ja auch nie etwas bekommen, sollte es in Ejúduira schlecht für uns laufen.

Trotz all der Gemütlichkeit, die uns an Bord zuteil wird, behandelt man uns wie Gefangene, Vögel im goldenen Käfig. In keiner der Städte, in denen wir anlegten, durften wir an Land gehen; das Schiff konnten wir seit unserer Abreise also nicht einmal verlassen. Oljó beschwert sich, nicht um Geld spielen zu können, doch wird dann meist scharf von Commosha Dacealus zum Schweigen gebracht, auf dessen Lippen seit seinem Erwachen und der Erkenntnis, eine Hand weniger zu haben, kein Lächeln mehr spielte. Jimmo wiederum hat mit Dosten zusammen unsere alten Übungen wieder aufgenommen, denen manchmal auch Miruil und ich beiwohnen, meist mehr aus Langeweile denn aus Interesse.

Oft denke ich zurück an die letzten Monde, an die Angst, an die Kämpfe, an Puidor, an Couccinnes Verlust. Auch an die anderen Gefallenen, so an den tapferen und ehrenhaften Duimé, dessen Andenken nun mit Ehrlosigkeit beschmutzt werden soll; an den stets munteren Scaric, der die Krankheit der Flüsse letztlich doch nicht überlebte; an den ebenfalls tapferen Gammil, dessen Mut uns ein Vorbild sein sollte. Was mich selber jedoch verwundert, ist, dass ich seit unserer letzten Flucht nichts mehr von Puidor sah oder hörte. Sollte der Schrecken der Berge mich gesundet haben? Habe ich ihn in der Feuerfeste endgültig zurücklassen können? Ich hoffe es. Und ich werde, sobald ich wieder Briefe schreiben darf, Garekh nochmals nochmals bitten, den richtigen Puidor zu suchen.

06. 02. 3980, Irgendwo auf dem Tajazi.

Manchmal frage ich mich, ob ich damals überhaupt richtig handelte, als ich Ayumäeh verließ. War es richtig, mich so mit meinem Vater zu überwerfen? Einstmals verstanden wir uns gut, doch da war ich noch ein kleines Kind. Was hat sich seitdem verändert? Ich erinnere mich noch an Zeiten, da wir gemeinsam an den Strand von Ayumäeh gingen um in den Wellen zu baden oder Fische zu fangen, oder als wir die Klippen der Insel Felser erklommen. Liegt es daran, dass sich seine Geschäfte später besserten, er mehr Gewinn machte und dafür dann meine Hilfe brauchte? Ich erinnere mich nur noch dunkel an die Vorwürfe, die ich ihm bei meinem Verschwinden heimlich machte. Vielleicht ist mein Vater eigentlich doch kein eigensinniges Monster, sondern war tatsächlich nur um meine Sicherheit besorgt? Seltsam, wie sich allein durch zeitlichen und räumlichen Abstand Einfälle und Erkenntnisse ergeben.

Und doch glaube ich, dass wir uns weiter angreifen würden, sollten wir uns wiedersehen. Momentan vermisse ich ihn und die schönen Zeiten, die wir hatten, doch vielleicht mache ich mir nur etwas vor, vielleicht hoffe ich einfach nur, dass alles wie in meinen Träumen wäre, vielleicht bilde ich mir nur die Zuneigung ein, die ich zu ihm in den schönen Zeiten hatte. Unsere Trennung war mehr als schlecht, womöglich ist seine einstige Liebe nun schon längst umgeschlagen zu Hass. Ich weiß so nicht, ob ein Wiedersehen gut wäre, es könnte leicht zu Vorwürfen und Streit kommen.

Womöglich sollte ich auch niemals heimkehren, das Schlechte vergessen und mich stets an das Gute erinnern. Und doch – irgendwie drängt es mich zur Heimkehr. Eine Versöhnung mit meinem Vater versuchen und ihm zeigen, dass er mir nicht mein Leben vorschreiben kann. Auch will ich längst schon Ccillia wiedersehen, ebenso meine Schwester mit ihrer Familie sowie den guten alten Garekh. Ich werde mir merken müssen, meine Schwester nach Vater auszufragen sobald ich wieder Briefe schreiben darf. Und dann, ja dann, wird mich nichts mehr halten, dieses schöne und doch alptraumhafte Land zu verlassen und heimzukehren.

 

 

XLVII: Bericht von der Verhandlung in Ejúduira

18. 02. 3980, Ejúduira.

Dies ist der Bericht über die Verhandlung der Krieger Oljó y Becal, Miruil Enfásiz y Calerto, Jimmo, Dosten Aschengrau, Falerte Khantoë sowie Commosha Dacealus, abgehalten am 18. Tag des zweiten Mondlaufes in den hohen Hallen zu Ejúduira. Die einzelnen Aussagen finden sich mit allen Einzelheiten im Anhang, dies ist die Zusammenfassung. Ziel der Verhandlung war es herauszufinden, was die Einheit des Caris Duimé y Belané dazu brachte ihre Befehle zu verwerfen. Die Einheit sollte das Geschick des Außenpostens Médyhúda erkunden und ihn bis zu einer Ankunft von Entsatzungstruppen aus Atáces halten. Die Einheit verließ den Außenposten aber nachdem die Verbindung zum Außenposten Huális abriss. Anfang des Jahres fand man einige Überlebende dieser Einheit im Meer vor Pesenno treibend. Nachrangiges Ziel war es festzustellen, was mit den Kriegern nun geschehen solle. Die Anschuldigung der Feigheit vor dem Feind war gegeben, nun galt es den Schuldigen zu finden.

Die sechs Krieger wurden einzeln verhört. Sie alle stimmen darin überein, dass es Caris Duimé war, der den Befehl gab, aus Médyhúda zu fliehen, da ihnen die Nahrung ausging und sie von Feinden umzingelt waren. Das Gesetz befiehlt in diesem Falle trotzdem ein Ausharren bis zum Ende. Gegen dieses Gesetz wurde offensichtlich verstoßen. Auf die Frage, warum sie keine Gegenwehr gegen den unsinnigen Befehl des Caris Duimé leisteten, führten die Verhörten an, erstens weiterhin Caris Duimé als Vorgesetztem verpflichtet gewesen zu sein sowie zweitens einer Übermacht der dem Duimé Hörigen gegenüber gestanden zu haben. Das Gesetz verlangt oberste Treue zum Gesetz und den Befehlen der Obrigkeit vor denen eines Niedermannes.

Leider sind die Berichte der zwei Krieger, welche kürzlich aus Cabó Canguina kamen und die ebenfalls zur Einheit von Caris Duimé hörten, kaum eine Hilfe. Ihre Aussagen sind in Einzelheiten in dem Bericht ihrer damaligen Verhörung zu finden. Sie erzählten, dass ein Mann namens Gammil Anführer einer Meuterei war, die versuchte den Caris Duimé zu stürzen, nachdem er den Befehl zur Flucht gab, was erst gelang, nachdem sie den See Carajúl erreicht hatten. Diese Berichte widersprechen offensichtlich teilweise denen der Angeklagten. Nachdem wir sie ihnen vorlegten meinten sie, für sich sowie für Gammil wegen der erfolgten Meuterei keine Strafen zuziehen zu wollen. Da es jedoch nicht als Meuterei gelten kann, wenn man irrsinnigen Befehlen, die der Anordnungen der Obrigkeiten widersprechen, entgegentritt, lassen diese Aussagen an der Glaubwürdigkeit der Männer zweifeln. Das folgende unterstreicht dies nur.

Die sechs Angeklagten versuchten immer wieder vom Hauptgegenstand der Befragung abzuweichen und schilderten in farbigen Ausschmückungen die Geschehnisse in einer Festung namens Ašckhir. Diese soll von Eingeborenen und anderen Wesen unterhalten werden und mit einem Angriff auf Nardújarnán gedroht haben. Es wäre jedoch irrsinnig anzunehmen, dass sich Eingeborene in größeren Verbänden zusammentun und zu einer Bedrohung werden könnten. Diese Berichte können in Anbetracht der schlechten geistigen Verfassung einiger Verhörter nicht als der Wahrheit entsprechend betrachtet werden.

Die Verhandlung kam nun darin überein, die Verantwortung für die verlorene Einheit dem verschiedenen Gammil sowie Caris Duimé zu geben; sie werden damit nachträglich unehrenhaft entlassen. Die insgesamt acht Überlebenden werden aus Gründen der Ungehorsamkeit sowie Unaufrichtigkeit zu einer Haftstrafe von zwei Monden verurteilt, die sie in der Guigans zu Atáces abzuleisten haben. Es ist festzuhalten, dass diese Entscheidung auf den Druck der anwesenden Vertreter der Obrigkeit von Atáces zurückgeht, welche darauf bestanden, dass dieses Vorgehen notwendig sei. Eigentlich müssten die Betroffenden zumindest unehrenhaft entlassen werden, eine gründlichere Untersuchung würde ihnen sicherlich zudem den Strang einbringen. Atáces scheint es aber für besser zu halten, sie für weitere Dienste in Anspruch zu nehmen. Ejúduira wird sich da heraushalten, unterstehen die Männer doch Atáces und nicht uns.

Weiteres: Der Kämpfer Falerte Khantoë bat um eine Entlassung, die ihm jedoch verweigert wurde. Weiterhin ist den Verurteilten für die Zeit ihrer Haft jegliche Verbindung zur Außenwelt untersagt. Auch bleibt festzustellen, dass Atáces sich zuviele Befugnisse herausnimmt. Wir konnten immerhin erreichen, dass einer unserer Männer nach Atáces eingeschleust wurde. Wir harren seiner Berichte, um diese Sache weiter zu verfolgen.

(Siegel des Obersten Gerichtes zu Ejúduira)

 

 

XLVIII: Öffentliche Anschläge des ‚Bote von Tadúnjódonn‘

17. 02. 3980, Atáces.

Niederschlagung aufsässiger Eingeborener in Jaduiza voller Erfolg.

Atáces. Wie die Obrigkeit von Atáces bekannt gab, war ein fremder Eingeborenenstamm in Jaduiza eingewandert. Dem Stamm schien Nardújarnán kaum bekannt gewesen zu sein. Sie unterwarfen sich nicht, sondern griffen sogar die Außenposten Médyhúda und Huális an. Einige Krieger flüchteten aufgrund falscher Befehle aus Médyhúda und ließen den Außenposten den Eingeborenen. Die Krieger wurden bereits aufgegriffen und verurteilt, Médyhúda wurde von den Streitkräften Atáces‘ zurückerobert, die Eingeborenen sind unterworfen. In Jaduiza herrscht wieder Frieden und zwei neue Außenposten im Norden sollen errichtet werden, die Grenze zu festigen, sollte es noch weitere wilde Stämme im Wald geben.

Banditen in Galjúin teilweise gefasst.

Elpenó. Es wurde gemeldet, dass es vergangene Woche zu einem Gefecht zwischen Landwächtern und den Banditen in den Bergen von Galjúin kam. Zwanzig der Banditen konnten in Gefangenschaft genommen werden, etwa doppelt soviele wurden getötet. Ihr Lager wurde jedoch immer noch nicht gefunden. Die Berge von Galjúin gelten weiterhin für Reisende als gefährlich, von Durchquerungen wird abgeraten. Wer die Berge dennoch durchreisen muss, soll sich an die von Landwächtern regelmäßig überwachten Straßen halten.

Schlächter von Ladóra tot aufgefunden.

Ladóra. Den Mann, der in den letzten Mondläufen als ‚Schlächter von Ladóra‘ bekannt wurde, fand man vor zwei Wochen tot auf. Die Umstände seines Todes sind unbekannt, scheinbar beging er Selbstmord. Eine bei der Leiche gefundene Notiz gesteht die Ausführung aller Morde. Der Name des Mannes wird geheim gehalten. Der Schlächter tötete innerhalb von sechs Mondläufen 23 Bürger der Stadt Ladóra, zumeist Frauen, aber auch einige Kinder. Stets köpfte er seine Opfer und nahm ihre Schädel mit.

 

 

XIL: 2. Tagebuch des Falerte Khantoë

18. 02. 3980, Fugans.

Wir befinden uns auf dem Weg nach Atáces und lagern diese Nacht am Rande eines Dorfes namens Fugans. Irgendwie kommen wir diesmal langsamer voran als damals, als es in die umgekehrte Richtung ging. Vermutlich liegt es daran, dass wir diesmal ausgelaugter sind. Sehr viel marschieren werden wir nicht mehr können.

Ein Kerl namens Castaris scheint die Befehlsgewalt über unsere Begleiter zu haben, eine kleine Gruppe von zehn Mann, die uns nach Atáces bringen soll. Irgendwie fühlt man sich da gleich als Schwerverbrecher. Castaris muss etwas wichtiges aus Atáces sein, zumindest jedenfalls gehört er nicht zur Armee. Immerhin aber muss er genauso wie wir alle unter freiem Himmel schlafen. Zum Glück sind wir bereits wieder mitten im Frühling, kühler als bei unserem letzten Mal auf diesem Weg ist es trotzdem. Die erste Zeit hatte es zu allem Überfluss auch noch geregnet.

Mich scheint man für geistig angegriffen zu halten, doch kann mir das nur recht sein; so habe ich mehr Ruhe. Ach, wir sechs die wir aus dieser grässlichen Feste entkamen sind nicht mehr allein. Damals bei unserem Durchstoß der Sperre, welche die Eingeborenen im Tajazi errichtet hatten, waren einige von uns nach dem Kampf vermisst worden. Wie sich nun herrausstellte, überlebten es zwei von ihnen, den Fluss hinab getrieben zu werden. Nachdem sie das Ufer erreichen konnten, schlugen sie sich nach Süden durch und kamen nach Médyhúda, welches zu diesem Zeitpunkt schon befreit worden war. Immerhin waren sie so geistesgegenwärtig, ebenso wie wir die Schuld an allem anderen zu geben, und so wurden sie zusammen mit uns verurteilt.

Und oh! Wir groß meine Freude doch war, als einen der Überlebenden Couccinne zu erkennen! Wir durften erst außerhalb von Ejúduira miteinander reden, doch wieviel wir uns nun zu erzählen haben! Doch Couccinne scheint in seinen düsteren Stimmungen zu sein, scheint kein gutes Ende für uns zu sehen. Ich versuche weiterhin, ihn aufzumuntern, ihm unsere Erlebnisse zu berichten, doch wie soll dies gehen, ohne ihn von all meinen dunklen Träumen und Befürchtungen zu erzählen?

 

 

L: Brief des Geistwächters Castaris an Geistwächter Mosíz in Elpenó

01. 03. 3980, Atáces.

Mosíz, wie geht es mit euren Ermittlungen voran? Habt ihr Neues herausbekommen die Sache betreffend? Wir brauchen langsam Ergebnisse. Nardújarnáns Sicherheit ist weiter bedroht.

Mosíz, seit zehn Tagen sind diese Krieger nun in Haft. Sie scheinen wieder völlig gesundet zu sein. Täglich führen wir sie in unsere eigenen Übungen ein. Leider werden wir keine Zeit haben, sie völlig darin auszubilden. Diese Gruppe ist seltsam aufgebaut. Einer der Männer scheint ein Dieb gewesen zu sein. Er findet sich in unseren Übungen dementsprechend besonders gut zurecht. Die anderen haben auch einige nützliche Fähigkeiten. Ich bin überzeugt, es war richtig diese Männer für unsere Aufgabe auszuwählen. Ende des Mondes werde ich sie einweihen und mit zu euch bringen. Bereitet also alles vor. Ich werde euch noch einen weiteren Brief senden, bevor wir uns auf den Weg machen. Klärt mich dann bitte auch auf. So richtig traue ich dem Botendienst nämlich nicht, auch wenn es unser eigener ist.

Ich habe mich entschlossen, nur sechs der Männer mitzunehmen. Die anderen beiden sind ungeeignet oder zu stark verletzt. Sie werden ihre Strafe ableisten. Was dann mit ihnen geschieht, überlasse ich der Obrigkeit. Mitnehmen werde ich die Folgenden: Oljó y Becal ist der genannte Dieb und dürfte besonders nützlich sein. Seine Schwächen sind jedoch Geld und sein Ehrgeiz. Miruil Enfásiz könnte ein guter Krieger und Anführer sein, doch ist zu aufbrausend. Couccinne Carizzo ist ruhig, doch schlau und ein guter Schütze. Jimmo, ein prächtiger Krieger, ist alt und würde wohl nicht ohne den Jungen Dosten Aschengrau gehen. Der wiederum ist zwar zu jung, doch auch ein guter Schütze. Bei Falerte Khantoë hatte ich einige Bedenken, da er geistig angegriffen zu sein scheint. Doch er ist ein fähiger Kämpfer und ebenfalls schlau. Ich seh ihn immer wieder in sein Tagebuch schreiben, vielleicht sollte er darin für uns die Berichte festhalten.

Erwarte meine nächste Meldung.

Castaris

 

 

LI: 2. Tagebuch des Falerte Khantoë

10. 03. 3980, Atáces.

Es ist langweilig. Tagaus, tagein müssen wir dasselbe tun, die selben sinnlosen Vorgänge über uns ergehen lassen. Und wozu? Unsere Übungen sind nicht mehr die stumpfen Kampfesübungen, die wir vor wenigen Monden noch über uns ergehen lassen mussten. Castaris verlangt gänzlich andere Dinge von uns. Wir werden darin ausgebildet uns lautloser zu verhalten und bevorzugt in der Dunkelheit vorzugehen. Jedem von uns ist klar, dass er etwas mit uns vorhat. Doch warum sollten wir da mitspielen? Man hat uns nur für zwei Monde hier eingesperrt und nichts wird mich dazu bringen, danach noch weiter in der Armee zu bleiben. Couccinne ist ebenso meiner Meinung und bereit mit mir das Land zu verlassen um nach Omérian zurückzukehren.

Miruil würde sicherlich auch folgen, wenn irgendwo ein Abenteuer locken sollte, auch wenn ich auf solche eigentlich erstmal verzichten könnte. Ich ließe ihn aber nur ungern zurück, ist er mir doch fast ebenso teuer wie Couccinne. Mich beunruhigt nur, dass er sich seit unserer Fahrt nach Ejúduira wieder vermehrt allein an Oljó hält, als sei er dessen neue Xeazotankro. Es ist nicht nur Eifersucht, die mich diese Verbindung hassen lässt; nach wie vor mag ich Oljó nicht, auch wenn er uns aus diesem finsteren Alptraum errettet hat.

Dafür ergab sich kürzlich eine Möglichkeit, mich mal wieder mit Jimmo allein zu unterhalten. Er teilt meine Bedenken Castaris und Oljó betreffend, traute er doch Oljó stets ebensowenig wie ich. Er sagte mir, Oljó hätte uns niemals den Ausweg aus Ašckhir verraten, hätte er nicht einen größeren Gewinn davon gehabt als wir. Außerdem sei es zu leicht gewesen, dort hinauszukommen. Ich fragte ihn, was er damit andeuten wollte, doch da rief uns Castaris zu unseren Übungen und wir mussten das Gespräch unterbrechen.

Es ist sonderbar, wie sehr mich dieser Castaris manchmal an Puidor erinnert. Doch nein, er ist es nicht und ich hatte auch nicht mehr solch deutliche Erscheinungen und Träume. Ich frage mich, warum wohl. Immer noch darf ich keine Briefe schreiben, weder an meine Schwester noch an Garekh. Dabei brennt mir soviel unter den Fingern.

19. 03. 3980, Atáces.

Sie haben Commosha Dacealus und diesen anderen Krieger, der mich sonderbarerweise nie beschäftigt hatte, fortgebracht. Ich weiß den Grund nicht und es kam sehr überraschend. Gestern noch war alles wie immer; heute morgen sagten sie ihnen, sie sollen ihr klägliches Hab und Gut packen um am Mittag abreisen zu können. Sofort als der Bote verschwunden war, entstand großes Geraune unter uns. Warum sollte man sie fortbringen und warum nur diese beiden? Wieso nicht auch uns?

Oljó warf in den Raum, dass sie vielleicht untragbar geworden seien, dass man sie würde beseitigen wollen. Natürlich war klar, dass er dies wieder einmal nur aus Gehässigkeit gesagt hatte, doch nur Jimmo war es, der dies auch aussprach. Viel wahrscheinlicher und offensichtlicher wäre, dass Castaris tatsächlich noch etwas mit uns vorhaben würde und die beiden gehen mussten, da sie dafür nicht geeignet wären: Dacealus fehlte nun immerhin eine Hand, wodurch er im Kampf kaum noch verwendbar sein würde, der andere Krieger war halb blind.

Vor einer Stunde etwa wurden sie abgeholt. Sie müssen nicht einmal laufen, werden gefahren. Was man wohl mit ihnen vorhat? Keiner von uns vermag das zu beantworten, vielleicht aber werden wir es irgendwann erfahren. Doch bevor er gehen musste, nahm mich Commosha Dacealus noch einmal zur Seite um mit mir zu sprechen. Zunächst erstaunte es mich sehr zu hören, dass er mich mag und mir meine Geschichte glaubt, dass nicht nur Ašckhir die Menschen bedrohen würde. Immerhin hatten wir vorher nie wirklich miteinander gesprochen. Er versprach mir zu helfen, so gut es ging, doch wäre es nun zweifelhaft, wie er dies vollbringen könnte.

Weiterhin aber erzählte er mir aber noch etwas viel wichtigeres: Bei unserer Flucht aus Ašckhir, als wir alle getrennt wurden, war er hinter Duimé und Oljó, doch ohne, dass diese etwas bemerkt hätten. Da sah er, wie Oljó sich mit Duimé stritt und ihn schließlich in einen Abgrund stieß. Worum der Streit gegangen war, konnte er nicht verstehen. Als Oljó dann aber Dacealus bemerkt hatte, rief er ihm zu, dass dies notwendig gewesen sei, dass Duimé uns sonst alle hätte hängen lassen. Das verdient dieser Mörder auch! Außerdem vermutet Dacealus, dass Oljó nicht die Wahrheit sprach. Ich werde es noch herausbekommen.

 

 

LII: Brief des Geistwächters Mosíz an Geistwächter Castaris in Atáces

21. 03. 3980, Irgendwo.

Castaris, kommt schnell! Schlimme Dinge sind geschehen. Ich musste aus Elpenó fliehen und halte mich nun versteckt. Kommt nach Elpenó, dann werden meine Männer euch zu mir bringen. Ich kann euch in diesem Brief nicht meinen Aufenthaltsort nennen, denn ich bin mir sicher, man könnte an den Inhalt gelangen, selbst durch unsere Verschlüsselung. Schreibt mir deshalb auch nicht, sondern beeilt euch bloß! Nicht nur mein Leben ist in Gefahr, denn ich glaube zu wissen, was hier in Galjúin geschieht und dabei sind die Banditen nur eine Kleinigkeit. Eine wesentlich größere Sache ist in Gange; wir hatten Recht.

Wünscht mir Glück, dass sie mich nicht bekommen.

Mosíz

 

 

LIII: 2. Tagebuch des Falerte Khantoë

27. 03. 3980, Atáces.

Nun scheint es uns ähnlich wie Commosha Dacealus zu ergehen. Castaris trat heute morgen vor uns und befahl uns bloß, unsere Sachen zu packen. An der Stelle stand ich auf und widersprach ihm. Ich will nicht mehr für die Armee arbeiten, sagte ich ihm, lieber säße ich die Strafe ab und ginge danach heim. Doch Castaris antwortete nur knapp und deutlich, niemand dürfe gehen. Sein Auftrag für uns sei kein Angebot, sondern ein Befehl. Wer diesen verweigert, bekäme als Strafe dafür unweigerlich den Strang. Scheinbar sind wir in etwas Auswegloses geraten. Immerhin milderte Castaris seine harsche Ansprache dadurch ab, dass er ergänzte, bei einer guten Erledigung sei dies der letzte Auftrag für uns gewesen, wir könnten danach gehen.

Ob er sich daran halten wird? Auch frage ich mich, was uns nun überhaupt erwartet. Wir wissen nur, dass die Reise nach Elpenó geht, mehr verriet er uns nicht. Die anderen sind deshalb genauso ungemut wie ich. Aber wie dem auch sei, in zwei Stunden sollen wir los.Interessanterweise scheinen wir mit Kutschen zu reisen. Jemand hat es wohl eilig mit uns.

01. 04. 3980, Almez.

Erneut sind wir in Almez, heute Abend schon laufen wir mit einem Schiff nach Elpenó aus und sollten dort Ende der Woche ankommen. Es war ein seltsames Gefühl, unterwegs wieder in Guijúlon einzukehren, wo wir damals, als wir Nardújarnán und seine dunklen Seiten noch nicht kannten, schon genächtigt hatten. Damals, als Scaric und die anderen noch lebten und Duimé versuchte unser Freund zu werden. Wie lange scheint das doch her. Der Außenposten hatte sich nicht verändert, wir dagegen schon.

Diesmal dauerte die Reise von Atáces gen Almez nur drei Tage. In Kutschen reisen ist wahrlich eine sonderbare Annehmlichkeit. Wir sind trotzdem unzufrieden, denn immer noch wissen wir nicht, wozu wir diese Reise unternehmen und keiner von uns verspürt Lust, erneut aufgrund eines sinnlosen Auftrages sein Leben aufs Spiel zu setzen. Castaris sagte uns nach wiederholtem Drängen nur, dass wir nach Galjúin müssten, einen Freund von ihm zu helfen. Doch ist dieser nicht unser Freund, also warum ihm helfen?

Unser neuer Anführer ist nicht hart wie Duimé es war, auch wenn wir ebenso täglich unsere Übungen vollziehen müssen, doch hält er einen seltsamen Abstand zu uns und die Eindrücke des Geheimnisvollen und Gefährlichen umgeben ihn. Auch hörte ich in einzelnen Orten aus dem Straßengespräch heraus, dass es in Galjúin Räuber geben würde. Nichts Ungewöhnliches eigentlich, also warum diese Reise?

02. 04. 3980, Almez.

Castaris hatte mit der gewöhnlichen Reisedauer von nur einem Tag von Almez nach Elpenó gerechnet. Geschwindigkeit ist ihm wichtig, unsere Bequemlichkeit dabei nur Zufall. Hier auf dem Schiff, einem eigentlich schnellen, dafür aber kleinem Handelsschiff, gibt es kaum Platz für Reisende. Schlafplätze waren für uns wegen der kurzen Fahrt auch gar nicht vorgesehen, nun müssen wir für die nächste Nacht unser Lager dort aufschlagen, wo gerade Platz ist. Das bedeutet also: mitten auf dem Deck. Aber gut, das sind wir ja gewöhnt.

Es ist seltsam, auf dem Meer vor der Küste zu fahren, auf dem ich damals das erste Mal die Erscheinung des Puidor hatte. Vorausgesetzt, er war schon in den Sümpfen damals nicht bloß eine Erscheinung gewesen. Oft muss ich an meine verschiedenen Begegnungen und Träume denken, sehe manchmal Puidor irgendwo stehen oder erkenne ihn in anderen Menschen. Doch längst ist es nicht mehr so bedrohlich wie früher, längst erscheint er mir nicht mehr einfach so, unerwünscht.

Ich habe mit Couccinne über die Angelegenheit gesprochen. Er meint, mich würde Schuld quälen, weil ich damals Rardisonán verlassen hätte ohne die Möglichkeit gehabt zu haben, mich von Puidor zu verabschieden, und dass unsere Erlebnisse in Ašckhir dies überlagert oder ausgelöscht hätte. Mich befriedigt diese Antwort keineswegs. Was, wenn er schon in den Sümpfen nicht wahrhaft dagewesen war? Doch er musste es, wer hätte mich sonst pflegen können? Ich hoffe, Garekh oder meine Schwester finden oder fanden etwas heraus.

Ich klärte Couccinne auch über das auf, was Commosha Dacealus mir über Oljó gesagt hatte. Wir sind uns einig, dass wir das nicht gutheißen können und Oljó eines Tages dafür bezahlen muss.

03. 04. 3980, Elpenó.

Wir haben Elpenó erreicht, eine kleine Stadt auf einem der Finger von Galjúin, ganz im Osten gelegen, Trotz ihrer geringen Größe ist sie Sitz der Obrigkeit der Seewächter von Nardújarnán. Daher kommt es auch, dass die Stadt größtenteils aus Hafenanlagen und Lagerhäusern sowie einer großen Guigans zu bestehen scheint, derweil es nur verhältnismäßig wenig Wohnhäuser gibt. Auf drei Seiten ist die Stadt von Wasser umgeben, eine seltsame, doch natürliche Kette von Inseln, Landzungen, Felsen sowie zusätzlich erbauten Sturmmauern bieten ihr Schutz vor dem Meer und ermöglicht überhaupt erst die Nutzung als Hafen. Ohne sie wäre die Stadt den Gezeiten schutzlos ausgeliefert. Das Hinterland ist hügelig und im Nordwesten erkennt man bereits die Berge von Galjúin.

Castaris ließ uns Unterkunft in der Guigans beziehen, derweil er irgendwo in der Stadt verschwand. Was er dort wohl anstellt? Zumindest versprach er mir, dass ich bald wieder Briefe schreiben dürfe; ein Lichtblick in diesen verworrenen Wochen. Kaum ein Tag vergeht, an dem ich nicht an Ccillia und meine Schwester denke. Und doch, ich wüsste nicht, was ich Ccillia überhaupt schreiben solle. Ich werde gehen und mit Couccinne darüber sprechen.

 

 

LIV: Notizen des Geistwächters Castaris

03. 04. 3980, Elpenó.

Endlich haben wir Elpenó erreicht. Die Reise dauerte wesentlich länger als von mir geplant. Die Sechs stellen oft lästige Fragen, auf die ich ihnen kaum Antwort geben kann. Sie wissen nur, dass wir hier sind um jemanden für mich zu finden. Doch Mosíz aufzuspüren wird nur der Anfang sein. Es wird eine Weile dauern, eine Spur zu finden. Ich begann am Marktplatz, den Teppichhändler zu suchen, den Mosíz einmal erwähnte. Man sagte mir aber, dieser sei schon eine Weile nicht mehr dort aufgetaucht. Wir wissen immer noch nicht, was hier eigentlich geschieht. Mosíz muss mir die Antwort liefern. Ich hoffe, wir finden ihn.

04. 04. 3980, Elpenó.

Heute habe ich mich trotz aller Bedenken überwunden und mit der Obrigkeit gesprochen. Was für ein Haufen eingebildeter Schwachköpfe! Sie haben mir jegliche Hilfe verweigert und das trotz meiner schriftlichen Anweisungen von Atáces, auch wenn diese nicht mein wahres Sein offenbaren. Sie sagten, dass unter dem Namen Mosíz in Elpenó nur ein Unruhestifter bekannt gewesen ist, der die Leute mit Fragen belästigte und daher der Stadt verwiesen wurde.

Kann es wirklich sein, dass sie dermaßen verblendet sind? Zwar darf ich meine Stellung nicht preisgeben, sondern muss mich als einfacher Gesandter ausgeben, doch eine derartige Unverschämtheit kam mir noch nie unter. Ich werde eine Beschwerde an Atáces verfassen, auch wenn man dort kaum in die Obrigkeit hier eingreifen kann. Eigentlich unterstützt ihr Verhalten nur meine Vermutungen.

Dafür begegnete ich immerhin endlich einem der Männer von Mosíz, der als Bettler verkleidet hier in der Stadt lebt. Fragesteller sind also verboten, Bettler aber erlaubt? Welch Heuchelei. Er sagte mir, Mosíz sei eines Tages ohne Angabe eines Grundes verschwunden gewesen. Jedoch hatten sie vereinbart, über einen Dritten weiter Botschaften zu tauschen, für den Fall, dass Mosíz Hilfe bräuchte. Für Morgen vereinbarte ich ein Treffen.

 

 

LV: Brief an die Schwester.

04. 04. 3980, Elpenó.

Geliebte Schwester,

endlich hat man mir wieder erlaubt, dir zu schreiben, doch immer noch komme ich nicht an die Briefe, die man mir von dir in Atáces hinterlegte. Es ist auch äußerst unwahrscheinlich, dass dies sobald geschehen wird. Viel ist in den letzten Monden passiert. Ich habe wenig Zeit erhalten, also schicke ich dir mein altes Tagebuch mit, welches dir alles schildern wird. Bei dir wird es vermutlich auch besser aufgehoben sein als bei mir. Mein Tagebuch erfasst nur die Ereignisse des letzten Jahres, was danach geschah, schildere ich dir auf weiteren Blättern. Hast du dies alles gelesen, so wirst du sicher verstehen, warum ich dich nun hiermit noch einmal dringendst darum bitten muss, Nachforschungen über Puidor anzustellen, sofern du dies nicht bereits getan hast. Irgendetwas muss sich doch finden lassen.

Ich darf dir weder schreiben, wo ich bin, noch, was in den letzten Tagen seit meiner Verhandlung geschah. Auch habe ich den starken Verdacht, dass dieser Brief überprüft werden wird, also Grüße an den Leser! Ich werde dir aber über alles berichten, sobald ich wieder zurück bin. Wann dies sein wird, vermag ich dir nicht zu sagen, doch hoffe ich, nächstes Jahr wieder in Touron oder Ayumäeh sein zu können. Bis dahin wird es dir und deiner Familie hoffentlich gut ergehen. Grüße alle von mir, insbesondere jedoch Ccillia, solltest du sie sehen.

Dein Falerte

 

 

LVI: 2. Tagebuch des Falerte Khantoë

07. 04. 3980, Unfern von Elpenó.

Gestern kam Castaris zu uns. Er wirkte aufgeregter als sonst, seine Miene wies Unruhe auf. Er sagte uns nicht viel; nur, dass wir wieder einmal aufzubrechen hätten. Diesmal geht es in die Berge. Alle Annehmlichkeiten sind vergessen. Es fahren uns keine Kutschen mehr, wir gehen zu Fuß. Das bedeutet einige Tage über Stock und Stein, denn Castaris sagte uns etwas mehr. Er verriet uns, wir seien in einem Geheimauftrag unterwegs, dessen Gelingen uns die Freiheit erkaufen und für Nardújarnán die Sicherheit erringen würde. Wir suchen einen Mann namens Mosíz, der wichtige Einzelheiten den Auftrag betreffend weiß, sich jedoch in den Bergen hat verstecken müssen. Was es vermutlich wäre, dass dieser Mosíz weiß, wollte uns Castaris aber nicht sagen. Er bläute uns lediglich ein, aufmerksam zu sein und seltsame Vorkommnisse zu melden.

Offensichtlich ist dieser Auftrag selbst Nardújarnán gegenüber geheim, denn auf unserer Reise meiden wir alle Wege und Ortschaften, die von den Landwächtern bewacht werden und bisher begegnete uns auch niemand. Es ist sonderbar, doch irgendwie scheint gerade das Geheimnisvolle uns alle zusammenzuhalten, als wären wir sieben etwas Besonderes vor dem Rest der Welt oder über ihr erhaben.

Einiges kann solch ein Gefühl jedoch nicht ändern, so z.B. die Feindschaft zwischen Teilen von uns. Aufgrund seiner Begabung für die Übungen scheint Castaris Oljó etwas vor uns zu bevorzugen, was dessen Gefühl der Überlegenheit uns gegenüber nur noch stärkt. Streitereien zwischen Oljó und Jimmo bahnen sich auch oftmals ihren Lauf, besonders wenn Castaris nicht anwesend ist. Sonst nämlich bieten wir alle meist den Anblick reiner Unschuld, da keiner von uns von Castaris bestraft werden will. Was mir jedoch weiterhin Sorgen macht, ist, dass in diesen Streitereien Miruil eher Oljó beizustehen scheint, Couccinne dagegen Jimmo. Ich möchte nicht, dass dies alles uns entzweit.

13. 04. 3980, Irgendwo in den Bergen.

Castaris erzählte uns, ein Mann hätte ihm in Elpenó erklärt, wo man hier in den Bergen diesen Mosíz finden könne. Dieser Wegbeschreibung sind wir gefolgt. Nun befinden wir uns hoch oben in den Bergen in einer Höhle, die selbst tagsüber nur schwach erleuchtet wird. Dies soll die Fluchtmöglichkeit des Mosíz sein, doch leider ist er gerade nicht anwesend. Genau genommen sieht es hier sogar danach aus, als würde er nie zurückkehren. Scheinbar gab es einen Kampf: Vergossenes Blut und zerbrochene Stühle weisen deutlich darauf hin. Eine Leiche fand sich jedoch nicht und vermutlich ist hier auch niemand gestorben; zumindest floss dafür nicht genug Blut.

Also was ist hier wohl geschehen? Für mich stellt sich eigentlich die Folgerung recht klar heraus, dass Mosíz entführt worden sein muss, Feinde scheint er ja gehabt zu haben. Castaris räumt dies als Möglichkeit ein, doch wäre es laut ihm ebenso möglich, dass Mosíz nur flüchten musste. Für mich klang das bloß nach schwacher Klammerung an die einzige Hoffnung.

Schließlich fand ich gut versteckt hinter Steinen in einer Ecke der Höhle, einen gebundenen Stapel Pergamentes, die Notizen des Mosíz. Ich hatte noch Zeit, sie kurz durchzublättern, bevor die anderen bemerkten, dass ich etwas gefunden hatte und Castaris es haben wollte. Ich wusste da schon genug, weshalb es Zeit für mich war, Castaris gegenüberzutreten. Ich fragte nicht, ich erzählte ihm, weshalb wir hier seien, was ihn zunächst nur staunend zuhören ließ.

Castaris und Mosíz sind beide Geistwächter, was erklärt, warum sie sich so geheimnisvoll geben und im Deckmantel reisen. So scheint es sich ja für Geistwächter zu gehören. Mosíz ist dabei derjenige, der verdeckt in Elpenó arbeiten musste, derweil Castaris daheim sein durfte. Scheinbar hatte es in und um der Stadt einige Vorfälle gegeben, die es Atáces notwendig erscheinen ließ, seine Geheimkrieger zu entsenden.

Was das nun genau für Vorfälle gewesen waren und worauf Mosíz in der Stadt sowie in den Bergen gestoßen war, konnte ich nicht mehr schnell genug lesen. Als ich bei meiner Erzählung dann das Wort Geistwächter erwähnte, machten einige laut ihrem Unmut Luft. Sobald ich geendet hatte, wollte mich Castaris wütend ansprechen, vermutlich wegen meiner plötzlichen Dreistigkeit, doch wurde er schnell von den anderen unterbrochen. So erfuhr ich auch mehr von deren Vergangenheiten. Es war einst ein Geistwächter, der Miruils Familie der Steuerhinterziehung überführte, wofür sein Vater schwer zahlen musste. Oljó wurde von einem Geistwächter bei einem Einbruch erwischt, wofür er schließlich dazu verurteilt wurde, in die Armee zu gehen und hierher kommen zu müssen. Jimmo musste einst Geistwächter in seinem Heim unterbringen, die Machey auskundschaften wollten und sich seiner Frau gegenüber nicht vorteilhaft verhielten. Couccinne und ich hatten lediglich Geschichten von diesen Spitzeln gehört, die uns aber bereits ausreichten. Nur der Junge Dosten scheint ihnen nicht feindlich gegenüberzustehen.

So kam es, dass Castaris sich plötzlich von uns bedrängt sah und meinte, uns mit Drohungen von seiner Haut fernhalten zu müssen, was Miruil und Oljó aber nur noch mehr reizte. Letztlich musste ich, unterstützt von Jimmo, dazwischen gehen, damit nichts Schlimmeres geschehe. Wir überzeugten Castaris dann, uns endlich aufzuklären. Bald gab er auch auf und sah ein, dass wir eingeweiht werden müssten, um besser vorgehen zu können und behauptete, dies sowieso vorgehabt zu haben. Wie auch immer.

Er erzählte uns, dass Mosíz tatsächlich etwas in Elpenó nachgehen sollte. In den letzten Monden seien Banditen in den Bergen verstärkt tätig gewesen. Aus der Stadt war öfter manche Kiste voll von Waffen, Nahrung oder anderem verschwunden. Elpenó sagte, dies seien vermutlich die Räuber gewesen, doch etwas daran erschien merkwürdig. Mosíz sollte herausfinden, wer dafür wirklich verantwortlich war. Weiterhin hatten sich die Eingeborenen in den Bergen seltsam verhalten, ähnlich wie sie es in Jaduiza getan hatten. Das ließe auf eine Verbindung schließen. Uns kamen dazu natürlich die Angriffe auf uns in Jaduiza in den Sinn und genau das hatte er gemeint.

Nun sei Mosíz aber vor wenigen Wochen verschwunden; in seinem letzten Brief hatte er noch erwähnt, auf etwas gestoßen zu sein. Ursprünglich hätte man mit uns vorgehabt Mosíz zu unterstützen, nun müssten wir ihn finden. Wir alle fragten uns, ob dies wieder eine ähnlich sinnlose Aufgabe wie Médyhúda sei, doch spornen uns nun immerhin zwei Dinge an, trotz allem Unmut Castaris zu helfen: erstens würden uns bei einer Verweigerung nun wahrhaft schlimme Dinge erwarten, zweitens galt es einen Menschen zu retten, auch wenn dieser ein Geistwächter war.

So schlugen wir also hier unser Lager auf. Mittlerweile ist es Nacht und ich habe Wache. Doch vor kurzem ist etwas geschehen und nun könnte ich sowieso nicht mehr schlafen. Mir war hier drinnen langweilig, also ging ich spazieren. Bald bemerkte ich einen schwachen Lichtschein am Ende des schmalen Grats, auf dem ich ging. Vorsichtig schlich ich mich also heran. Es war Feuerschein, der aus einer Höhle schien. Da ich niemanden hörte, spähte ich hinein.

Oh, hätte ich das doch nicht getan! Sofort wurde mir mein Fehler bewusst. Ich erkannte, dass der Feuerschein von Kerzen herrührte, die in einem Halbkreis in der Mitte der Höhle aufgestellt waren und sie schwach beleuchteten. Um diesen Halbkreis herum standen vier dunkel verhüllte Gestalten, an der offenen Seite des Kreises eine weitere. Sie hatten ihre verhüllten Rücken mir zugewandt, doch ich erkannte ihn sofort. Innerhalb des Kreises lag ein weiterer, nackter Mann, der nicht bei Bewusstsein war. Die Gruppe war in einem eintönigen Singsang verhaftet, den ich nun erst bemerkte. Auf dem Höhepunkt dieses Gesanges stieß er dem Mann einen Dolch in die Brust. Dieser Mann war ich!

Als meine Sinne wieder zu sich fanden, saß ich hier am Rande der Höhle und tue es noch immer. Nicht noch einmal gehe ich dort hinaus, sollte ich es denn überhaupt getan haben. Ich warte hier auf das Ende von mir oder der Nacht, denn schlafen kann ich nicht mehr. Ist es also doch so, bin ich wahnsinnig? Ich werde mich hüten, den anderen davon zu erzählen. Nein, ich will nicht dem Wahn verfallen! Oh helft mir!

16. 04. 3980, Irgendwo in den Bergen.

Nach dem Fund von Mosíz‘ Notizen hatte Castaris einige Zeit darauf verwendet, sie zu lesen. Er erzählte uns bald alles, was darinnen stand, oder behauptete das zumindest zu tun, denn glaube ich doch eher, dass er weiterhin etwas zurückhält. Hier nun, was er bereit war uns zu erzählen:

Mosíz scheint Beweise dafür gefunden zu haben, dass die Obrigkeit von Elpenó die Räuber in diesen Bergen unterstütze. Zwar war die Erkenntnis nichts neues, Beweise dafür zu haben dagegen schon. Nun erwähnte er in seinen Schriften aber nicht, welcher Art oder wo diese Beweise wohl seien. Also müssen wir davon ausgehen, dass sie woanders oder nur im Kopf von Mosíz zu finden sind – oder mit ihm entführt wurden. Weiterhin stellte er auch Vermutungen an, was diese Räuber hier wohl wollen könnten, doch kam er dabei zu keinem befriedigenden Ergebnis. Galjúin erobern ergäbe keinen Sinn, sie könnten höchstens etwas stehen wollen. Doch was? Mosíz war dem auf der Spur, hatte sogar herausfinden können, wo sich das Lager der Banditen befindet, hatte dies wenigstens auch in seiner Notiz festgehalten – doch dann verschwand er, und nicht etwa, um dieses Lager auszukundschaften. Gab es noch mehr in den Unterlagen? Castaris verneinte dies, sah dabei aus wie immer – doch ich glaube ihm nicht. Vielleicht sollte ich nochmal versuchen, sie mir allein in Ruhe zu Gemüte zu führen.

Unser Ziel ist klar: dieses Lager finden. Und dann? Unsere Aufgaben lauten: Mosíz finden, Beweise gegen die Obrigkeit sammeln – und am Besten gleich noch die Banditen verhaften. Verhaften? Nun sind wir also die Gehilfen eines Geistwächters, eines Menschen, der selbst in der Unterwäsche seiner Mutter schnüffeln würde, sollte er dort etwas Verdächtiges vermuten. Ich vertraue ihm bloß so weit, wie ich Oljó werfen könnte. Am Besten sollte ich dann aber gleich beide in die Tiefe werfen. Mit etwas Glück wird sich dies aber von selbst erledigen, müssen wir hier in den Bergen doch stetig über steile Grate steigen.

Dafür aber ist die Aussicht hervorragend: An manchen Stellen kann man weit über das Land hinaus gucken, welches in Ost und Süd schnell vom Meer verschlungen wird. Manchmal bilde ich mir sogar ein, dort unten Elpenó zu sehen. Hier in den Bergen ist es weiterhin frischer als in den Ebenen von Tadúnjodonn, was uns aber nur gelegen kommen kann, denn bald erreicht der Sommer seinen Höhepunkt. Selten nur sehen wir hier oben Tiere, die meisten davon sind geschmeidig, flink und äußerst geschickt; nur gut, dass wir keinen Raubtieren begegneten. Über uns ist der weite klare Himmel, der nur selten Tränen vergießt, und in Nord und West sehen wir so manchen hohen Gipfel, den es noch zu umgehen gilt.

Eines muss noch über Castaris gesagt werden: Er mag ein fast noch schlimmerer Schinder sein, als es Duimé gewesen ist, doch seltsamerweise bekam er meinen Geburtstag heraus, der gestern gewesen war, und versprach mir zum Geschenk sogar, dass ich einen Brief schreiben dürfe, sobald wir wieder einen Ort erreichen. So nett dies auch erscheinen mag, weckt es in mir doch den Verdacht, dass gar nicht geplant ist, diesen Auftrag bald zu beenden.

18. 04. 3980, Irgendwo in den Bergen.

Mich quälte heut ein Traum. Es muss meine Rückkehr nach Hause gewesen sein; jedenfalls wurde gefeiert. Wir waren auf dem Landsitz meines Vaters, an den Klippen nördlich von Ayumäeh. Es waren Festtische errichtet worden. Viele Bekannte waren anwesend, darunter auch meine Onkel und Tanten, Basen und Vettern, die Geschäftsfreunde meines Vaters, Garekh samt Familie, sogar meine Schwester und meine Mutter, auch mein Vater. Wir alle speisten und unterhielten uns gut, als sei nie etwas vorgefallen. Schließlich überreichte mir mein Vater ein kleines Geschenk, eine Kiste, aus der Ccillia entstieg, allen Größenverhältnissen in dieser Traumwelt spottend. Wir kamen uns näher, sehr nahe.

Dann aber plötzlich änderte sich die Umgebung. Wo mir vorher nichts aufgefallen war, erschien nun ein düsterer Himmel, neblig und mit geisterhaften Erscheinungen verhangen. Im Osten stieg ein schwarzer Mond aus den grauen Fluten und auf einmal fing alles in meinem Kopf an zu schreien. Garekh schrie, meine Schwester schrie, Ccillia schrie, selbst meine Eltern fielen ein. Und dann erschien im Norden ein riesenhafter Puidor, groß genug, dass er sich an die Klippen lehnen konnte. Sein Mund schien bereit das Weltenall zu verschlingen und er nutzte ihn, bitterbös zu lachen. Danach schnappte er sich die Gäste, gleich Hände voll mit ihnen, und führte sie sich zu. Ich sah meinen Vater vor Angst schreien, als er zermalmt wurde; sah meine Mutter flehen, bevor sie verschlungen wurde; sah Ccillias Mund nach mir rufen, während er sie zerriss.

Kaum war diese fürchterliche Metzelei vorbei, da wandte dieser Puidor sich an mich. Er erzählte mir, dass ich Ašckhir fliehen konnte, doch lauere hier noch viel mehr. Unweigerlich würde ich auf immer mehr seiner Art treffen, bis ich mich letztlich ihnen anschließen müsste. Er verriet mir Namen weiterer Festungen wie die im Norden, deren Namen ich aber nicht mit hier herüber nehmen konnte. Und er warnte mich, dass jeder sterben würde, der sich ihnen nicht anschließe. Dann griff er nach mir, mich auch zu verschlingen. Die Düsternis schloss sich über mir und ich fiel in abgrundtiefe, schleimige Finsternis.

Da erwachte ich.

20. 04. 3980, Irgendwo in den Bergen.

Wir erreichten heute eine Höhle. Irgendwo über uns entspringt ein Bach, der sich an dem Eingang zu dieser Höhle vorbei als kleiner Wasserfall ergießt. Es könnte die Mijalar sein, welcher zum Fluss werdend bis Almez an der Westküste fließt. Der Bach ergießt sich in ein enges Tal, doch ein Ufer dort ist breit genug, selbst Karren durchzulassen. Den Spuren zufolge, die zu der Höhle führen, hat man genau das auch oft getan.

Wir sind uns einig, dass diese Höhle zum Lager der Banditen führen muss. Was wir jedoch nicht verstehen, ist, warum nirgends Wachen zu sehen sind. So unvorsichtig oder selbstsicher können sie eigentlich nicht sein. Wir verfolgten nicht alles, doch an einer Stelle bachabwärts gibt es einen Pfad den Hang hinauf, aus dem Tal heraus. Oben auf dem Grat erkannten wir weitere Spuren, die gen West und Ost führen, zu den größeren Wegen hin. Irgendwann müssen diese Trampelpfade aber an von Landwächtern überwachten Straßen entdeckt werden. Warum scheint es hier also so leer?

Castaris befahl, dass wir zunächst weiter die Umgebung erkunden, und sobald es dunkel wäre, uns vor der Höhle verdeckt auf die Lauer legen sollen. Sollte sich diese Nacht nichts ereignen, so werden wir morgen Nacht dort eindringen. Mal sehen, was uns erwartet. Und ein Glück, dass Castaris unserem Gepäck Kräuter zum schnellen Einschlafen beziehungsweise Wachbleiben beigefügt hatte.

 

 

LVII: Öffentliche Anschläge der ‚Bote von Tadúnjódonn‘

20. 04. 3980, Atáces.

Neue Verbrechen in Ladóra

Ladóra. Nachdem die Stadt gerade erst den als ‚Schlächter von Ladóra‘ bekannt gewordenen Mann verbannt hat, erlebt sie nun neue Schandtaten. Vor zwei Wochen begann es. Zunächst wurden einige Stadtwächter ertrunken in einem Kanal aufgefunden. Man vermutet, dass sie einem Verbrechen und keinem Unfall zum Opfer fielen. In der Woche danach verschwanden zwei Menschen aus der Stadt. Die Obrigkeit von Ladóra gab Stadt- und Landwächtern Befehl, sie zu finden.

Neue Fahrpläne der Seewächter

Elpenó. Es wurde mitgeteilt, dass Elpenó plant die Fahrten zwischen Nardújarnán, Rardisonán und Acalgirí zu verdoppeln. Der Grund sind erhöhte Nachfragen nach Fracht- und Lebendfahrten zwischen den Reichsteilen. In den Werften von Elpenó, Almez und Bemuido seien bereits zusätzliche hochseetaugliche Schiffe in Auftrag gegeben worden, hieß es. Aleca wurde über die Maßnahmen benachrichtigt, um falsche Schlussfolgerungen zu verhindern.

Beginn der Jagdzeit

Ejúduira. Wie Ejúduira bekannt geben lässt, beginnt nun wieder die Jagdzeit. Diesjähriges Ziel sind die Echsen von Iganosnán. Wer bis Ende des Herbstes nach Ejúduira zum Jagdhaus kommt und den Kopf einer erlegten Echse vorweisen kann, erhält zehn Ijúl. Mehrfache Belohnungen sind nicht möglich, auch bei mehreren Köpfen. Ziel ist es, die Sümpfe des Tajazi für Reisende zwischen Ejúduira, Bemuido und Arodasa sicherer werden zu lassen.

 

 

LVIII: 2. Tagebuch des Falerte Khantoë

20. 04. 3980, Irgendwo in den Bergen.

Gestern betraten wir die Höhle hinter den Wasserfällen. Wie von uns vermutet, führte sie tief in die Dunkelheit. Ich fühlte mich wie in meinen Träumen. Den Wasserschleier durchstoßend, hinabsteigend in die Finsternis, ohne Halt, ohne Sicht, mehr hoffend und vertrauend denn wissend. Doch dann zerstörte Castaris diese Vorstellung, da er einen schwach leuchtenden Stein herausholte und den Weg beleuchtete. Oljó und Castaris gingen voran. Fast lautlos erkundeten sie den Weg; wir anderen folgten. Es dauerte nicht lange, dann kamen wir in einem Tal heraus. Über uns der blaue Himmel, rechts und links Felswände und überall der Geruch frischer Luft und wilder Blumen. Das war keiner meiner Träume, doch könnte er es gerne werden.

Nach der nächsten Biegung schlug dieser Traum aber um. Wir versteckten uns hinter Steinen, Sträuchern, Fässern und Kisten und besahen das, was sich uns bot: das Lager der Banditen. Es war beeindruckend, was sie sich da erbaut hatten. Es gab Hütten vieler Größen, scheinbar auch Versammlungs- und Lagerhäuser. Sie standen frei im Tal, dass sich bedeutend vergrößert hatte, an die Felsmauern erbaut oder sogar hoch in den Hängen. Es waren meist einfache Hütten, aus Brettern und Reisig erbaut, doch in vielen Ländern wären dies gewöhnliche Wohnhäuser. Wir zählten genug von ihnen, um an die zweihundert Räuber zu beherbergen. Und da kam die Frage auf: Wo waren diese alle? Warum war niemand im Lager, nicht einmal, es zu bewachen? Diese Frage sollte sich uns später beantworten.

Doch zunächst schlichen wir weiter vorwärts, stets auf der Hut, aber wie es schien umsonst. Es war wirklich niemand da. Trotzdem umklammerte ich oft unbewusst den Anhänger, den mir die alte Eingeborene gab, wie zum Schutz. Wer weiß immerhin, wann jemand von den Bewohnern zurückkehren würde. Irgendwann gaben wir es aber auf vorsichtig zu sein und erkundeten das Gebiet. Die Hütten bargen nicht übermäßig viel für uns Interessantes: Betten, Tische, Stühle, Truhen für Hab und Gut. Es gab eine Hütte, die scheinbar eine Küche war. Wände und Dach würden gut ein Feuer abschirmen, so macht man niemanden auf sich aufmerksam. Und vor allem aber gab es Gruben, die wohl ein Gefängnis ersetzen sollten. In einer davon fanden wir ihn,

Mosíz war sichtlich mitgenommen, doch gleichzeitig ging es ihm besser als erwartet. Er war schmutzig, ungekämmt, unrasiert und wies einige leichte, mittlerweile bereits schon verheilte Wunden auf. Äußerlich könnte er ein Bruder von Castaris sein, sind sie doch beide wahre Toljiken: mittelgroß, braungebrannt und dunkelhaarig. Mosíz ist aber der Ältere. Erst auf den zweiten Blick fällt auf, dass Mosíz innerlich anders sein muss. Zunächst freute er sich sehr, Castaris zu sehen, und begrüßte auch uns herzlich. Dann fragte er mit seltsamer Gelassenheit, wie wir ihn gefunden hätten. Castaris dagegen drängte ihn nur zu gehen, bevor die Banditen wiederkämen, doch Mosíz konnte ihn beruhigen: dies würde erst in Tagen geschehen. Er empfahl uns, neue Vorräte aus den Lagern zu nehmen, dann verließen wir trotz allem vorsichtshalber das Tal und kehrten zu unserem eigenen Lager zurück.

Als es langsam heller wurde, erzählte uns Mosíz alles, was er wusste, während er sich vor unseren Augen in der Mijalar wusch. Ich bewundere seine Ruhe und auch seine Offenheit uns gegenüber. Zunächst versicherte er erneut, dass die Räuber nicht so bald zurückkehren würden. Er hatte sie belauscht: Ein Teil sollte Frachtladungen im Norden abfangen, die von Sodos jás Fuiran nach Bacáta fuhren. Die Wichtigeren jedoch, eine Gruppe, die sich scheinbar aus Hauptleuten zusammensetzte, waren auf ihrem Weg die Mijalar hinab nach Abajez. Das sagte er, während er in den Bach spie, es ihnen hinterherzusenden.

Dann kam Mosíz endlich zu den Neuigkeiten, hinter denen wir her waren: Einige dieser Hauptleute hatte er auch bereits in Elpenó beobachten können, wie sie dort die Obrigkeit besuchten. Für Mosíz war klar, das bedeutete eine Zusammenarbeit der Banditen mit der Obrigkeit von Elpenó, doch greifbare Beweise, wie wir sie uns erhofft hatten, besaß er nicht. Diese, so sagte er, müsse man bei den Hauptleuten suchen. Schnell forderte er von uns, dass wir ihnen nach Abajez folgen müssten. Castaris ging dies zu schnell, er schien nicht befriedigt. Wir anderen stimmten Mosíz aber zu, eine seltsame Begeisterung für dieses Verwirrspiel hatte uns erfasst. Diese Angelegenheit war wesentlich aufregender, als durch tödliche Wälder zu stapfen. Immerhin scheinen Castaris und Mosíz nun einer großangelegten Verschwörung auf der Spur zu sei. Doch was Elpenó und die Banditen vorhaben, und was die Übergriffe der Eingeborenen hiermit zu tun haben, ist weiter unklar. Offensichtlich jedoch scheint auch Abajez darin verwickelt, zumindest dürften wir uns dort mehr Klarheit erhoffen. Morgen also geht es weiter, die Mijalar hinab bis zur ersten Bootsstelle, um dann bis Abajez zu fahren.

Den Rest des Tages mussten wir uns aber erstmal von den Nachwirkungen der Kräuter erholen. Abends saßen wir wieder zusammen. Es wurde zu einer seltsamen Kennenlernrunde, denn Mosíz wollte mehr über uns erfahren, während Castaris lieber längst unterwegs gewesen wäre. Wir erzählten ihm das, was wir ihm erzählen wollten und er berichtete uns von seiner Kindheit auf einem Bauernhof in Rardisonán, doch blieben wir die Meuterei betreffend bei der Geschichte, die wir auch der Verhandlung erzählt hatten, was meine Gewissensbisse Duimé gegenüber nur verstärkte. Mosíz mag zwar nett sein, doch könnte dies nur Fassade sein, jedenfalls ist er immerhin ein Geistwächter, da muss man vorsichtig sein. Darum beunruhigt es mich auch, wie schnell die anderen zu ihm Vertrauen gefasst haben. Plötzlich ist Oljó sozusagen mein Verbündeter, denn er scheint dasselbe zu denken wie ich. Auch wundert es mich, wie oft ich in letzter Zeit diesen Anhänger der alten Frau ergreife, um mich zu beruhigen. Doch tatsächlich scheint er alles Böses von mir abzuschirmen. Ich bräuchte mehr von ihnen, um endlich von meinen Träumen befreit zu werden.

25. 04. 3980, Irgendwo in den Bergen.

Wir befinden uns etwa auf halbem Wege die Berge hinab. Der Weg scheint mir ewig, haben doch allein die Berge von Galjúin schon eine Fläche, die in etwa der meiner Heimat Ramit entspricht. Ach, wie sehr ich es nun doch vermisse. Ob ich es jemals wiedersehe? Immerhin aber sind die Wahrscheinlichkeiten nun größer, ist dies doch kein Auftrag, für den einen der sichere Tod erwartet. Oft denke ich zurück an die Gefallenen und frage mich, warum sie eigentlich sterben mussten. Hatte es irgendeinen Sinn? Atáces schickte uns bereits richtige Truppen nach, hätten diese nicht allein genügt? Offensichtlich ist unser Leben ihnen nichts wert, sonst hätten sie uns nicht derart in den Schrecken gesandt. Zählt der Einzelne für sie also überhaupt nichts? Warum dann noch für sie arbeiten, warum nicht einfach fliehen, sie ihrem Untergang entgegen gehen lassen? Doch ist mir immer noch klar, dass ich auf einer Flucht niemals glücklich werden würde. Wobei – was ist für mich Glück? Ich weiß es nicht. Außerdem ist nicht nur dieses Land bedroht, dessen bin ich mir immer noch sicher, mögen mich andere auch für verrückt halten. Es gilt Ramit und Omérian zu beschützen, für die Sicherheit von Ccillia und meiner Schwester zu sorgen. Ebenso frage ich mich immer wieder, was wohl die Gründe der anderen sind, weiter zu folgen und zu dienen. Bei den meisten dürfte es das wieder drohende Gefängnis und das Versprechen der Freiheit sein, was ist zum Beispiel mit Oljó? Was treibt ihn an? Sicherlich nicht Menschenfreundlichkeit.

30. 04. 3980, Irgendwo auf der Mijalar.

Die erste Bootsanlegestelle war wenig beeindruckend, hauptsächlich ein Außenposten für Holzfäller. Zwei Flussschiffe lagen dort aber am Pier. Castaris und Mosíz befragten deren Kapitäne sowie einige andere Leute in diesem Weiler, ob sie jemanden gesehen hätten, die als kleine Gruppe hier bereits ein Schiff genommen haben. Drei Angesprochene konnten uns Auskunft geben, dass die Gesuchten bereits vor einer Woche mit einem Karren an der Anlegestelle angekommen waren und ein Schiff nach Abajez genommen hatten. Das zu wissen genügte uns. Eine Woche beträgt ihr Vorsprung also. Bei den ganzen notwendigen Reisen erscheint es mir zweifelhaft, dass wir Erfolg haben werden. Aber doch – gut ein Jahr verging, seitdem ich Ayumäeh verließ und wieviel ich doch seitdem gesehen habe.

Wie auch immer, wir nahmen eins der vorhandenen Schiffe, nachdem Mosíz den Kapitän irgendwie davon überzeugen konnte, sofort abzulegen, nur mit uns als Reisenden. So befinden wir uns nun also auf der Mijalar. Oh Wunder wie schnell so eine Reise flussab doch gehen kann! Der Kapitän meinte zu uns, morgen müssten wir bereits Abajez erreichen. Ich hoffe sehr darauf, dort endlich mal wieder ein richtiges Bett beziehen zu können, auch wenn ich mich immer mehr an harte Böden gewöhnen konnte. Die Berge um uns sind mittlerweile nur noch welliges Bergland, das viele Wiesen und Wälder und blökende Vieherden aufzuweisen vermag.

Gestern Abend musste ich erneut Puidor erblicken. Seltsam friedlich erschien er mir diesmal als Hirte einer Kleinviehherde draußen auf den Wiesen. Trotzdem war mir sein Anblick nicht erwünscht. Das erste Mal wehrte ich mich dagegen, hielt meinen Anhänger in einer Hand fest umgriffen, als helfe er mir dabei, die andere Hand klammerte sich an die Reling. Ich wünschte ihn fort, dachte nur daran, dass er nicht wirklich da sei, dass er gehen solle – und es klappte. Auf einmal war statt Puidor wieder der richtige Hirte draußen auf der Weide. Oh, wie ich mich darüber freuen konnte.

Ich eilte sofort zu Couccinne, um ihm mein Erlebnis mitzuteilen, doch war dieser gerade in ein Spiel mit Mosíz vertieft. Ich mag es nicht, wie sehr sich diese beiden in letzter Zeit verstehen, und Miruil gibt mir Recht, dass dies nicht gut sein kann.

 

 

LIX: Brief an die Schwester

04. 05. 3980

Geliebte Schwester,

es fällt mir schwer, doch ich muss dir schreiben, ohne dir viel verraten zu dürfen. Ach, was heißt hier müssen; ich bin froh es tun zu dürfen! Doch ist es schwer so zu schreiben und ich frage mich auch ein wenig, wozu die Anstrengung Dinge zu verbergen, interessieren wird es doch sicherlich eh niemanden, nicht? Aber gut, nun darf ich dir wenigstens wieder einmal schreiben, da will ich dies auch tun.

Einiges ist geschehen, von dem ich nicht berichten darf. Worüber kann ich da überhaupt schreiben? Ich weiß nicht, was bei euch geschah in den letzten Monden, ich bekam auch immer noch nicht deine Briefe, so kann ich nur ein wenig über mich schreiben. Du weißt, dass mich diese Erscheinungen von Puidor weiter verfolgen. Aber davon will ich dir nicht erzählen, ich glaube jedoch, sie langsam im Griff zu haben.

Vor allem muss ich dir wohl sagen, dass ich euch vermisse. Dich, Ccillia, selbst Mutter und Vater. Ich hoffe sehr, es geht allen gut, ich hatte seltsame Erscheinungen und Träume dies betreffend. Wie gerne wäre ich doch lieber bei euch statt hier.

Dein Falerte

 

 

LX: 2. Tagebuch des Falerte Khantoë

05. 05. 3980, Abajez.

Um Mitternacht krähte ein Hahn. Langsam erhob ich mich von dem Bett, welches ich mir mit Miruil und Couccinne teilte. Rasch zog ich mich an, um danach die Stufen hinabzugehen. Im Hof angelangt nahm ich mir ein Schwert aus dem Stall. Auf meinem Weg durch die Stadt hinüber zu dem kleinen Park kam ich an dem Hahn vorbei, bei dem ich mich mit dem Schwert bedankte. Seine blutigen Überreste nahm ich mit.

Schließlich erreichte ich den Park, an dessen Pforten mich bereits zwei der Fahach erwarteten. Ihre schuppigen, dunkelblauen Gesichter grinsten mich an, sofern sie dies überhaupt können. Dann drehten sie sich um und gingen in den Park, ich folgte ihnen. Wir erreichten bald den Platz, an dem das Opfer wartete. Fünf Spieße bildeten einen Halbkreis, auf die fünf Köpfe gesteckt waren. Zwei erkannte ich als die von Castaris und Mosíz, ein weiterer schien Duimé zu sein, die anderen mir unbekannte Frauen. Drei dunkelhäutige Eingeborene eines mir nicht geläufigen Stammes warteten bereits, die Oberkörper entblößt, kniend hinter den Spießen. Die Fahach stellten sich zwischen sie, wie es verlangt war.

Innerhalb des Halbkreises lag das Opfer, eine junge Frau, entkleidet wie es sich gehört. Ich nahm meine Stellung an der offenen Seite des Halbkreises ein. Nachdem ich sie mit dem Blut des Hahns geweiht hatte, begannen wir zu singen. Wir lobten die Fahach, priesen Ašckhir und beschworen das Glück für Šamrek sowie den anderen Festen: für Ijenreich, für Dalchon, für Werzan und all den anderen. Wir endeten damit, die Zerstörung von Nardújarnán und der Welt freudig zu erwarten.

Dann wollte ich die Opferung durchführen, doch plötzlich begann der Anhänger, den ich um den Hals trug, glühend heiß zu brennen. Ich wollte ihn von mir reißen, doch die Berührung ließ mich ohnmächtig werden. Als ich wieder erwacht war, störten Stadtwächter unser Beisammensein und ich musste fliehen. Doch die Brut wird weiter stärker.

06. 05. 3980, Abajez.

Immer wieder, wenn ich den gestrigen Eintrag lese, packt mich das Entsetzen und ich möchte nur noch schreien. Was war da geschehen? Warum erinnere ich mich nicht, jemals diesen Eintrag verfasst zu haben? Und doch – es ist meine Schrift, wenngleich viel ruhiger und sauberer als sonst. Was sind das für Namen, was wird dort beschrieben? Sind diese Fahach womöglich diese seltsamen echsenhaften Wesen, die ich in Ašckhir und meinen Erscheinungen sah? Es muss wohl so sein. Doch wer oder was ist Šamrek? Diesen Namen habe ich auch damals auf der Sturmwind gehört, die folgenden Namen dagegen nicht.

Es ist schreckenerregend. Ich bin noch nie geschlafwandelt und mir war auch nicht bekannt, dass man im Schlaf schreiben kann, doch so muss es gewesen sein. Um sicherzugehen erbat ich mir von Mosíz die Erlaubnis, in den Park zu gehen. Er willigte ein, sind wir hier doch so gut wie nutzlos, bis Castaris wiederkommt, doch sah mich seltsam an. Warum, das erkannte ich schnell, denn scheinbar gibt es hier überhaupt keinen Park. Erst da fiel mir auf, dass es neben unserer Unterkunft auch keinen Stall gibt. Das beruhigte mich immerhin, denn so war sichergestellt, dass ich wirklich im Schlaf Unsinn geschrieben haben muss. Nun erkenne ich auch, dass Hähne nicht nur Mitternacht krähen sollten. Und doch – etwas stimmt an der ganzen Sache nicht.

Gegen Mittag kam dann Castaris zurück. Heute Nacht war er heimlich in das Haus eingestiegen, in welchem die Gesandten der Banditen untergebracht waren, hier am Marktplatz der Stadt. Wir konnten ihm dabei nicht helfen, wäre das doch zu auffällig gewesen. Castaris brachte uns Notizen, die er eilig verfasst hatte, und las uns aus ihnen vor. Kurz nach seinem Einbruch in das Gebäude hatte er eine Tür erreicht, hinter der er Stimmen hörte. Er konnte sich gerade noch in einem Abstellschrank verstecken, da kamen die Banditen in das Zimmer. Sie begannen dort zu trinken und bald laut zu grölen und zu feiern, als sie betrunken wurden. Wichtiger ist aber, dass sie Teile ihrer Pläne besprachen. Etwas, dass mir an der Schilderung Schauer verursacht ist und war, dass die Bezeichnungen Šamrek und Fahach auch fielen. Ich blieb jedoch still und hörte Castaris weiter zu, es gab noch Interessantes zu hören.

Die Banditen scheinen in Galjúin einen Stützpunkt aufzubauen, doch ihre Heimat ist scheinbar woanders zu suchen. Castaris fand es sonderbar, dass die Männer anfingen sich darüber zu beraten, wo in den Bergen von Galjúin möglichst warme Höhlen zu finden seien, mir ließ dies aber meine Nackenhaare aufstellen. Sie sprachen an keiner Stelle aus, wo genau ihr Hauptlager sei, doch müsse dies wohl irgendwo in Fuiran sein. Zumindest sprachen sie davon, in drei Tagen in diese Richtung abzureisen. Möglich wäre aber auch, so Mosíz, dass sie dort ihre restlichen Einheiten treffen wollen, die ja zu einem Überfall aufgebrochen waren. Letztlich freuten sich die Hauptleute noch darüber, dass ihr Treffen mit der Obrigkeit von Atáces so gut verlaufen war. Abajez ist also auch Teil der Verschwörung! Doch Handgreifliches erwähnten die Trinkenden nicht und Castaris musste stundenlang in seinem Verschlag hocken, bis sie endlich mit dem Zechen fertig waren. Danach sah er sich noch weiter um, während sie ihren Rausch ausschliefen, doch fand er nichts Schriftliches oder anderes, das ein guter Beweis sei. Vermutlich aber können diese Männer auch gar nicht schreiben, auch bei uns können ja neben den Geistwächtern dies nur Couccinne und ich.

Mosíz und Castaris kamen schnell darin überein, dass wir den Männern in besagtes Hauptlager folgen müssten oder zumindest solange, bis wir wüssten wo es sich befindet und wir es selber besuchen gehen können, wollten wir erfolgreich sein. Ich höre meine Füße jetzt schon um Gnade flehen. Wir haben noch drei Tage hier, in denen wir versuchen sollten, vielleicht doch noch bessere Hinweise zu finden, danach würden wir ihnen einfach nach Fuiran folgen. Auch wenn das vermutlich nicht so einfach werden würde, denn über Wochen jemanden unauffällig zu verfolgen stelle ich mir schwer vor. Doch die Geistwächter dürften sich da besser auskennen.

Mein Wissen um diese Wesen und Festen verschweige ich weiterhin. Ein paar Mal hatte ich vorsichtig versucht sie nach ihnen bekannten ungewöhnlichen Vorkommnissen zu befragen, doch Castaris sah mich bei der Erwähnung von echsenhaften Wesen zweifelnd an, Mosíz fast schon bedauernd. Sie würden mich letztlich wohl für verrückt erklären, spräche ich es laut aus. Ich habe doch genausowenig Beweise wie sie, und würde mir auch nicht glauben.

Auf meine Frage, warum sie nicht einfach Atáces Bescheid geben könnten, hatten sie zwei Antworten: Erstens kann Atáces sich nicht einfach in die Belange der anderen Obrigkeiten einmischen, ohne etwas in der Hand zu haben und zweitens würde Abajez Botschaften von Leuten unseres Aussehens an die Obrigkeit von Atáces sicherlich überprüfen, was leicht unser Tod sein könnte. Nein, es gilt Beweise und das Hauptlager zu finden, um dann die Armee von Atáces holen zu können. Mir erscheint die Welt schrecklich verworren und umständlich. Vielleicht wären wir ja besser dran, gäbe es dieses riesige und innen faulende Reich doch nicht.

Oh, ich bin so müde, doch habe ich Angst zu schlafen, weshalb ich sinnlos vor mich hinschreibe. Manchmal habe ich Angst davor einzuschlafen, denn manchmal ist es, als würde ich dabei sterben. Und manchmal habe ich Angst, dass andere sterben, sollte mein Schlaf kommen. Wie singen es die Kinder hier doch?

1 – Der Tod kommt auf leisen Sohlen

2 – Bald schon kommt er dich zu holen

3 – Er findet dich im Traume dann

4 – Rette dich vor dem Braunen Mann!

Oh wie passend es doch ist: Der braune Mann, der Eingeborene, zusammen mit seinem schwarzblauen Freund. Als würden es die Kinder erahnen.

13. 05. 3980, Irgendwo in Fuiran.

Es regnet nun schon seit Tagen. Langsam halte ich es nicht mehr aus. Es ist, als wollte uns der Himmel ertränken. Verübeln könnte ich ihm diese Tat kaum, wäre ich doch der Erste, der sich freuen würde. Wobei – gut, einige wenige wären zu erretten, so Ccillia und meine Schwester. Um andere wäre es nicht einmal ansatzweise schade, so Oljó oder auch Castaris. Letzterer meint uns immer härter durch den strömenden Regen treiben zu müssen, ersterer lässt mich einfach nur wütend werden, packt er doch immer wieder seine gehässigen Bemerkungen aus. Aber ein Gutes hat der Regen, die Hitze ist wesentlich besser zu ertragen.

Die Banditen nahmen sich Tošaren um schneller voranzukommen, was uns dazu zwang, ebenfalls welche zu nehmen um ihnen folgen zu können. Außer den Geistwächtern ist aber kaum jemand von uns das Reiten gewöhnt, weshalb wir anderen ständig über blaue Flecken und Schmerzen klagen dürfen. Oljó scheint das lustig zu finden, ist er doch derjenige, der reiten kann. Aber wie auch immer, so schlimm ist es eigentlich nicht. Die Tiere riechen nach Freiheit, die Luft über ihrem Rücken ist im Ritt stets kühlend. Doch jetzt im Regen riechen sie mehr nach nassen Felldecken und sie zu lenken wird schwerer. Die Tiere scheinen südlichere, kühlere Steppen zu bevorzugen, doch halten sie es mit ihrem dünnen Fell hier im Norden immerhin noch aus. Ich weiß nicht, woher die Tošaren ursprünglich stammen, habe mich nie damit befasst, doch scheinen sie die hauptsächlich verwendeten Reittiere in diesen Landen zu sein. Auf ihre Art sind es durchaus hübsche Tiere. Die langen kräftigen Beine sind gut für schnelle Reisen geeignet, ihre Hufen geben ihnen auf vielen Böden Halt. Der Körper ist kräftig genug uns zu tragen. Sie scheinen hauptsächlich über den langen Hals zu schwitzen. Der kleine rundliche Kopf kann bei manchen Tieren fast niedliche Züge tragen, die kleinen dreieckigen Ohren zucken stets hin und her, als lauschten sie im Regen. Nur der kurze Schwanz ist mit längeren Haaren bedeckt.

Unsere Verfolgten schlugen schon kurz nach Abajez seltsame Zickzackkurse ein, um immer wieder die Hauptstraße von Abajez gen Sódos jós Fuiran und damit die dortigen Posten der Landwächter umgehen zu können. Das macht es für uns zwar schwerer, ihnen gut folgen zu können, doch dafür entgehen auch wir den Landwächtern. Keiner von uns besitzt gültige Pässe für Fuiran, eine grobe Schlamperei der Geistwächter, wie ich sagen muss. Ansonsten wäre es für uns ein Leichtes gewesen, einfach abzukürzen indem wir gleich nach Sódos reisen würden – doch gut, wer kann schon sagen, ob sie überhaupt dorthin wollen.

Wir lagern gerade am Ladú Fuiran, dem größten See innerhalb von Nardújarnáns Grenzen. Unsere Opfer sind nah genug, dass wir ihr Feuer sehen können und deshalb kein eigenes entzünden, und das schon seit Tagen. Jeder von uns ist ebenso lange schon bis auf die Knochen durchnässt, doch noch geht uns dank der anhalten Wärme gut. Trotz des Zickzackkurses sind die Banditen unvorsichtig, sehen wir doch ihr Feuer und es muss ein Wunder sein, dass sie damit keine Landwächter angezogen haben. Sollten sie ihren Kurs nicht drastisch ändern, werden wir wohl bald Sódos erreichen.

Es macht mir Angst, dass meine Träume selbst im Regen immer stärker zu werden scheinen, je weiter wir gen Norden kommen. Woran mag es liegen? An der beginnenden Nähe zu Ašckhir, das trotzdem noch Wochen entfernt ist, oder etwas anderem? Doch wenigstens verfolgt mich derzeit Puidor nicht mehr. Dafür erblicke ich in meinen Träumen jedoch öfter diese Fahach; auch andere Wesen erscheinen mir. Und immer wieder kommen Berge, Höhlen, Feuer, Festungsanlagen, marschierende Armeen, Opferungen, Schlachten und vieles mehr vor. Es ist fürchterlich, wie erschreckend Träume sein können.

Dafür erfuhr ich endlich, warum Dosten der Armee beigetreten war. Irgendwie war mir noch nie in den Sinn gekommen, ihn danach zu fragen. Allerdings rede ich ja auch nie wirklich mit ihm. Es ist offensichtlich, dass der blonde Junge aus Akalt stammt, doch wie gerät ein solcher in die Armee von Ojútolnán? Die Antwort ergab sich, als eines Abends Mosíz dreist genug war, danach zu fragen, während wir beim Essen saßen. Scheinbar waren des Jungen Eltern Händler gewesen, die einst mit ihm nach Rardisonán kamen, doch dort bei einem Überfall getötet wurden. Der Junge stand allein da, wusste nicht wohin und ging so als einzige Möglichkeit, eine Mahlzeit zu bekommen, in die Guigans von Rardisonan. Also hat er ein ähnliches Schicksal wie ich erlebt, ohne dass mir das bewusst gewesen ist. Ihm scheint kein guter Stern gegeben zu sein, wenn er nach diesem ursprünglichen Unglück gleich in weitere mit uns geraten sollte. Immerhin gut für ihn, dass Jimmo stets auf ihn aufpasst. Das wird er hier auch immer nötig haben.

17. 05. 3980, Irgendwo in Fuiran.

Sódos jós Fuiran scheint kein Freund der Banditen zu sein. Sie hielten sich nur kurz dort am Stadtrand bei einem Bauerngehöft auf. Das aber merkten wir uns, denn dieses Gehöft muss sehr wohl dazu gehören. Die ganzen Vorfälle bestärken mich nur noch darin, dieses Land verlassen zu wollen. Seltsame Wesen und feindliche Eingeborene, die das Land verwüsten wollen, gepaart mit Banditen, die es innerlich zersetzen indem sie mit Obrigkeiten zusammenarbeiten, die kaum besser sind als sie. Je mehr ich darüber nachdenke, desto schlechter wird mir. Ich will endlich raus aus diesem Land; an jeder Ecke scheint der Tod zu lauern. Wenigstens regnet es nicht mehr.

Einen Tag nach Sódos dann, die Männer verfolgen immer noch ihren Ausweichkurs, diesmal aber gern Nord, gen Ladóra, grob dem Verlauf des Flusses Canlar folgend, schienen sie auf mehr Freunde zu stoßen. Seit Sódos hatten sie einen Wagen mit seltsamen Kisten dabei, den sie nun ablieferten. Es war das erste Mal, dass mir auffiel, dass wir bisher alle Dörfer von Eingeborenen großzügig umgangen hatten, denn diesmal näherten sie sich einem. Wir wissen nicht alles, was dort vorging, wir sahen nur wenig. So zum Beispiel im Halbkreis aufgestellte Fackeln, wie sie in meinen Erscheinungen vorkamen, sowie neue Kisten, deren Inhalt wir nicht kennen, die auch nicht nach der Hand von Eingeborenen aussehen.

Wir beobachteten das Ganze eine Weile aus großer Entfernung, ohne viel zu erfahren. Die Männer schienen Handel zu treiben. Sie gingen in Häuser, besahen sich Waren auf dem kleinen Marktplatz des Dorfes und blickten auch immer wieder in eben diese Kisten. Sie kauften oder verkauften jedoch nichts, jedenfalls nicht offensichtlich, sie ließen bei ihrer Abreise nur die Kisten dort zurück. Es bleibt noch die Möglichkeit, dass sie Unterhaltungen führten, doch werden wir dies wohl nie erfahren.

Nach wenigen Stunden machten sie sich wieder auf den Weg, wir ihnen hinterher. Die Straße von Sódos nach Bacáta, auf der der Überfall stattfinden sollte oder noch soll, liegt längst hinter uns. Ihr Ziel wird also wohl nicht die Heimkehr oder Vereinigung mit der Gruppe sein. Die Richtung in die sie sich bewegen deutet weiter auf Ladóra oder irgendwas in der Nähe hin. Der Canlar dürfte bald das erste Mal in unsere Sicht kommen. Ansonsten ist dies ein weites offenes Hügelland mit wenigen Wäldchen, ähnlich wie der gröbste Rest von Nardújarnán.

Mehrmals wären wir aber fast entdeckt worden und jedes Mal war es Oljós Schuld. Das erste Mal hatten sich einige von uns im Schutze eines Haines näher an das Nachtlager der Männer geschlichen, ob man etwas von ihren Gesprächen verstehen könnte. Oljó war dabei aber gestolpert, hatte sich verletzt und unterdrückt aufgeschrien. Castaris konnte es glücklicherweise noch durch vorgetäuschte Tierlaute überdecken, trotzdem mussten wir uns zurückziehen. Das zweite Mal entfachte Oljó ein Feuer, obwohl der Rauch in Sicht der Banditen gelegen hätte. Wir konnten gerade noch Schlimmeres verhindern.

Ich frage mich, was mit ihm los ist. In den letzten Tagen verhält er sich immer sonderbarer. Er, der früher stets dumme Sprüche und ähnlichen Unsinn auf Lager hatte, ist nun fast völlig verstummt. Seltsam oft sieht er nach Süden oder Norden. Glaubt er, dass wir verfolgt werden?

 

 

LXI: Bericht des Außenposten Médyhúda an Atáces

17. 05. 3980

Die Angriffe der Eingeborenen auf uns lassen langsam nach. Nur dank der steten Verstärkungen und des Schutzes der Wasserwege zwischen Médyhúda und Húalis durch Kriegsschiffe konnte das Fortbestehen dieses Außenpostens gewährt werden. In all der Zeit haben die Angreifer ihre Vorgehensweise nicht geändert. Immer wieder haben sie uns belagert, ihre Speere geworfen, Feuer entzündet außerhalb des Lagers – und immer wieder sind sie schließlich abgezogen ohne etwas erreicht zu haben. Einige wenige Male versuchten wir Ausfälle, sie zu vertreiben. Nur unter Verlusten konnten wir sie zurückdrängen, doch jedes Mal erschienen bald neue feindliche Einheiten. Zuletzt haben wir eine Weile lang versucht, ihre Belagerung nicht zu beachten, nur für die Sicherheit der Versorgungsschiffe zu sorgen. Erst als erneut eine Armee von euch eintraf, konnten wir sie endgültig vernichten.

Seit einem Mondlauf haben wir nichts mehr von ihnen gesehen. Unsere fähigsten Späher durchsuchen den Wald nach Spuren, um vielleicht auch ihre Heimatdörfer zu finden, damit wir sie zerstören können, doch berichten sie nur immer wieder, nichts gefunden zu haben. Es ist fast, als hätte es hier in diesem Waldabschnitt niemals Eingeborene gegeben. Manch ein Kämpfer munkelt etwas von Geistern, doch erlauben wir solche Gerüchte nicht. Unheimlich ist aber tatsächlich, dass wir manchmal nachts draußen im Wald Trommeln hören können. Schicken wir dann einen Späher los, findet er nie etwas, egal ob tagsüber oder gleich in der Nacht.

Unabhängig von diesen Begebenheiten meinen wir jedoch hiermit berichten zu können, dass Médyhúda endgültig zurückerobert und befriedet ist. Wir erwarten eure Entscheidung, ob nun alle zusätzlichen Einheiten sofort abziehen sollen oder ob sie hier noch verbleiben. Wir sehen aber keinen Grund anzunehmen, dass diese Dörfer noch zu finden sind, weshalb wir die Truppen nicht mehr benötigen sollten.

(Siegel des Außenpostens Médyhúda)

 

 

LXII: Notizen des Geistwächters Castaris

18. 05. 3980

Langsam frage ich mich, ob die Banditen nicht nur mit uns spielen. Vielleicht hatten sie uns schon längst bemerkt und führen uns nun auf eine falsche Fährte, während sich die Wahrheiten woanders verbergen. Mosíz ist nicht meiner Ansicht, er meint, er hätte dies in seiner Gefangenschaft sonst bereits erfahren. Doch wie kann er da sicher sein, schließlich erfuhren wir auch erst in Abajez, dass sie ein anderes Hauptlager haben. Ich hoffe, dass, sollten wir versagen, die anderen Geistwächter, vor allem in Cabó Canguina, mehr Erfolg haben. Die Banditen müssen aber hauptsächlich in Galjúin und Fuiran tätig sein; sollten sie noch weiter im Osten sein, dürfte Nardújarnán vor einem wirklich großen Problem stehen. Doch bis zu meiner Abreise konnte ich mich auf Atáces verlassen, da bin ich mir sicher.

Den Männern, die sie mir mitgaben, merkt man immer häufiger an, dass sie bloße Schwertfänger sind. Jeder von ihnen hat zuviele Nachteile um ein wahrer Kämpfer sein zu können, weshalb sie für die eigentliche Armee untauglich waren. Hätte Duimé nicht kurz vor einer Verhandlung aufgrund seiner aufbrausenden Haltung gegenüber Vorgesetzten gestanden, er hätte wohl niemals so einen Auftrag angenommen. Wenigstens zwei der Männer, mit denen ich reise, müssen wahnsinnig sein. Dieser Oljó, der mir anfangs nur hinterhältig und gewalttätig erschien, scheint Wahnvorstellungen zu haben. Hoffentlich macht ihn das nicht völlig untauglich, sonst muss ich ihn nach Atáces zurückschicken oder ihm einen Unfall bereiten. Weiterhin stimmt etwas mit diesem Khantoë nicht, der zwar nicht mehr auf die seltsamen Geschichten besteht, die er während seiner Behandlung erfand, doch auch er wirkt oft, als hätte er Geister gesehen. Ich stehe kurz davor ihm sein Buch wegzunehmen, damit er das Grübeln lässt, doch könnte dies seine Nützlichkeit einschränken.

Mosíz dagegen scheint sie zu mögen, doch Mosíz war schon immer selber seltsam.

 

 

LXIII: 2. Tagebuch des Falerte Khantoë

19. 05. 3980, Irgendwo vor Ladóra.

Wir müssen kurz vor Ladóra sein. Es gab keine aufregenden Vorfälle seitens der Banditen mehr, doch Oljó verhält sich weiter seltsam. Einmal verlangte er von uns, dass wir umkehren müssten, doch konnte keine gute Begründung liefern, warum wir das hätten tun sollen. Dazu befragt wirkte er verwirrt, als sei ihm nicht bewusst gewesen, dies gesagt zu haben. Wir ließen ihn bald in Ruhe, er uns dafür immerhin ebenso. Das sehe ich schonmal als Verbesserung.

Dosten, der bessere Augen als wir hat, meinte im Osten Feuerschein und Rauch zu sehen. Im Osten sind aber nur in der Ferne die Berge zwischen den Ebenen von Ladóra und dem Flussland des Tajazi bei Cabó Canguina. Laut Mosíz ist diese Gegend nicht bewohnt, jedenfalls nicht von Toljiken. Wir versuchten das also nicht weiter zu beachten, was nicht ganz so schwer war, da wir anderen dort sowieso kaum etwas erkennen konnten. Manchmal beneide ich Dosten um seine Augen.

Gestern kamen wir an dem zweitgrößten der zahlreichen kleinen Seen des Canlar vorbei. Das bedeutet, dass der größte See und damit Ladóra in greifbarer Nähe liegen müssen. Westlich des Canlar sehen wir ausgedehnte trockene Ebenen, die bis zum Ladú Rachín gehen sollen, östlich liegen die fruchtbaren Ebenen durch die wir reiten, die sich bis hin zu den Bergen erstrecken. Nördlich von Ladóra, so erzählte Mosíz, würde dagegen der Wald dichter werden und schließlich in den großen Wald übergehen, der einst zu meinem Schrecken wurde.

Castaris habe ich in den letzten Wochen nur noch hassen gelernt. Er treibt uns an wie Tiere und sein einziges Ziel scheint es zu sein, endlich diesen Fall zu lösen. Mosíz dagegen ist eher der freundliche Vater, der mit uns spricht und Castaris öfter beschwichtigen muss. Ich werde aber weiter das seltsame Gefühl nicht los, dass die beiden mit uns bloß ein Spiel treiben. Immerhin müssen Geistwächter in viele Rollen schlüpfen können. Wielange mag es also noch dauern, bis sie uns ihr wahres Gesicht zeigen?

Um auch noch über etwas gutes berichten zu können: Mein Hintern hat sich allmählich an das Reiten gewöhnen können. Endlich keine Schmerzen mehr! Auch habe ich mich stark genug an mein Tošaren gewöhnt, dass ich überlege, es vielleicht zu behalten. Es sollte doch sicherlich irgendwie möglich sein, Castaris zu überzeugen, es mir zu überlassen. Er wird es einfach tun müssen. Sicherlich fällt mir etwas ein, sobald wir soweit sind. Ich wollte es Ccillia nennen, doch wäre das seltsam, sollte ich beide Ccillias je zusammen sehen. Stattdessen nannte ich es schließlich Castillia, auch, um Castaris zu ärgern, doch schien dieser das nicht zu bemerken.

26. 05. 3980, Ladóra.

Es scheint fast vorbei zu sein. Castaris und Mosíz meinen, dass es hier in Ladóra genug Beweise geben wird, die Banditen der Obrigkeit zu überführen. Morgen Abend soll das Haus, welches sie am Stadtrand bewohnen, gestürmt werden. Heute sprach Castaris mit der Obrigkeit hier, welche einwilligte. Zuvor gingen wir natürlich sicher, dass sie nicht auch darin verwickelt ist. Die beiden scheinen jedenfalls sicher genug, dass dem nicht so ist. Nun haben diese beiden also Unterstützung von der Obrigkeit. Ich weiß nicht, was die Geistwächter getan haben, doch man willigte ihnen bereits ganze Truppenteile zu, um morgen das Anwesen am Stadtrand zu durchsuchen. Wird es dann endlich zuende sein? Und was wird man herausfinden? Ich bin mehr als gespannt. Glücklicherweise werden wir uns dabei im Hintergrund halten können.

Ladóra ist eine kleine Stadt, gelegen hier in Fuiran, ähnlich wie Cabó Canguina und Aiduido Elazar ein Tor in den Borden. Ladóra liegt am Südende eines größeren Sees, der Teil des Flusses Canlar ist. Da der Fluss bis hierher und noch weiter gut befahrbar ist, mauserte sich Ladóra schnell zur Handelsstadt. Von den letzten Außenposten im Norden kommt vor allem Holz, das in den Süden gebracht wird. Derzeit liegt aber eine seltsame Stimmung über der Stadt, da in den letzten Mondläufen zunächst viele Menschen von einem Mann namens ‚Schlächter von Ladóra‘ geköpft worden waren und später andere verschwanden. Also wohl doch keine so behagliche ruhige Grenzstadt. Eigentlich scheint Ladóra auch eher Abenteurerstadt zu sein, ist dies doch die letzte Stadt vor der weiten Wildnis.

Die Obrigkeit gab uns Unterkunft in der örtlichen Guigans, welche im Osten der Stadt am See liegt. Kaum hatten wir sie betreten, da blieb kurz mein Herz stehen und mir wurde heißkalt trotz der Sommerhitze, derweil die Welt um mich schummrig wurde. Couccinne musste mich stützten. Als er nach dem Grund fragte, schob ich es auf die Hitze. Der wahre Grund ist aber, dass unser Zimmer im ersten Stock liegt, über eine Treppe erreichbar ist und nach unten hinausgehend man sogleich neben den Stallungen steht. Wie ich bald herausfand, hat die Stadt auch einen kleinen Park, gelegen auf einer kleinen, von Kanälen gebildeten Insel. Ich wagte es aber nicht mich zu erkundigen, ob man dort je des Nachts seltsame Vorgänge beobachtet hat. Lieber legte ich mich einmal selbst auf die Lauer und entdeckte zu meinem Glück nichts.

Trotzdem beunruhigt es mich sehr, ein Zufall kann das nicht sein. Ich war noch nie zuvor in Ladóra gewesen, also wie kann das sein? Hatte ich vielleicht einmal unterwegs aufgeschnappt, wie jemand von Ladóra sprach und dies beschrieb? Ich weiß es nicht, doch scheint es mir die einzige Möglichkeit. Immerhin weiß ich, dass ich in diesem Zimmer kaum ruhig schlafen kann. Ich hoffe sehr, wir sind bald fertig in Ladóra, denn trotz des schönen Sees kann ich es so nicht aushalten.

Auch in den anderen scheint die Rückkehr in den Norden verschiedenes ausgelöst zu haben. Couccinne meint düstere Strömungen in der Luft zu spüren, Jimmo scheint die Nähe des Waldes nicht zu behagen. Miruil ist wohl der einzige von uns, der mit allem recht zufrieden ist; dies scheint seine Gelüste nach Abenteuern bereits genug zu befriedigen. Oljó ist es aber, der sich wahrlich am ungewöhnlichsten verhält. Immer noch ist er verdächtig ruhig und zurückhaltend. Oft verschwindet er Abends, um erst spät in der Nacht wiederzukommen. Ich vermute, dass er in alte Gewohnheiten verfallen ist. Allerdings ist es wahrhaft nicht die richtige Zeit, um Häuser zu plündern oder zum Glücksspiel zu gehen. Ich verzichte aber darauf, es Castaris oder Mosíz zu melden.

Eigentlich sollten wir nun schlafen um für Morgen ausgeruht zu sein, doch gerade bemerkte ich, dass Oljó fehlt. Ich werde ihm nachgehen.

27. 05. 3980, Ladóra.

Oljó y Becal ist tot und ich habe ihn umgebracht! Sollten die Geistwächter dies je erfahren, so werde ich auch tot sein! Wie sollte ich ihnen das schon erklären? Und doch – ich handelte rechtmäßig, er hat sein Schicksal verdient. Ob auch die anderen mir dies glauben würden? Mich quält mein Gewissen, obwohl es so hatte kommen müssen. Das erste Mal musste ich einen Menschen töten – selbst auf dem Tajazi sah ich mich nicht dazu gezwungen. Jetzt kannte ich mein Opfer zu allem Überfluss auch noch, hatte viele Monde mit ihm verbracht. So sehr ich ihn auch hasste, er war doch ein Mensch – und nun nicht mehr. Hätte man ihn vielleicht von seiner Verblendung abbringen, ihn auf den rechten Pfad zurückführen können? Ich weiß es nicht, es ist auch zu spät. Ah, ich verliere noch den Verstand! Ich muss es niederschreiben, wenn auch nur um mir zu beweisen, dass es so sein musste.

Noch weiß keiner der anderen davon, seine Leiche – mir schaudert es bei diesem Gedanken – liegt noch immer dort, wo es geschah. Sicherlich würde man die Richtigkeit meines Handelns einsehen, doch habe ich nichts, dies zu beweisen. Werde ich ihn vermissen? Nein. Zweifel ich an der Notwendigkeit? Nein. Und doch wäre es mir lieber gewesen, hätte es ein anderer getan. Sicherlich wird man ihn bald vermissen. Immerhin ist bald der Überfall auf das Anwesen. – Was nun, was tun? Ich sollte zu Couccinne gehen, er wird mir glauben und helfen. Vielleicht auch Miruil, vielleicht auch Jimmo? Sie werden mir glauben!

Ach, hätte er sich doch bloß nie auf diesen unheiligen Bund eingelassen, so wäre ich auch nicht zu meiner Tat gezwungen gewesen. Doch er erzählte es mir, er gab es mir gegenüber selbst zu. Es ist bedenkenswert, zu welchen Schandtaten manche doch bereit sind, selbst ihre eigenen Rasse, ihr eigenes Volk verraten sie und opfern es ihrer Verblendung. Ich werde hier festhalten, was er tat, um mich immer daran erinnern zu können, solchen Verlockungen zu widerstehen.

Es war zu Beginn der Nacht da ich merkte, dass Oljó nicht in seinem Bett war. Da ich selber noch angezogen und nun neugierig war, machte ich mich auf die Suche nach ihm. Ich ging hinab in den Hof, wo ich bemerkte, dass die Türen zu den Ställen offen waren. Drinnen war es dunkel. Ich sah vorsichtig hinein, bemerkte nichts und ging hinein. Die Tiere waren ruhig und ich machte mich bereits wieder auf den Weg hinaus, da sah ich draußen im schwachen Schein der Fackeln im Hofe eine Bewegung. Schnell huschte ich zum Tor um zu sehen, was das war: Oljó ging gerade aus unserem Bereich zu einem der Seitentore. Ich hatte ihn! Nun galt es noch zu folgen. Doch was war das? Als er an einer Wandfackel vorbeikam, beschien das Feuer sein Gesicht. Nie hatte ich dieses so ausdruckslos erlebt, als würde er schlafwandeln. Etwas aber leuchtete kurz in seinen Augen, dass mir Schauer verursachte.

Oljó war in voller Tracht, ein Schwert hing an seiner Hüfte. Ruhigen Schrittes ging er vorwärts, öffnete die Seitentür und verließ die Guigans. Ich folgte ihm, nachdem ich mich kurz versichert hatte, dass die Nachtwache uns keine Aufmerksamkeit schenkte. Oljó bewegte sich ohne Sorge durch die Straßen, blickte sich nicht um, bemerkte mich nicht. Trotzdem eilte ich von Schatten zu Schatten, um sicherzugehen. Bald kam er zu dem Park. Er wurde bereits erwartet. Zwei Gestalten, dunkel verhüllt, begrüßten ihn schweigend und deuteten ihm zu folgen. Sie durchquerten zusammen den Park und waren dann auf einmal verschwunden.

Es dauerte eine Weile, bis ich verstand, was geschehen war. Was mich auf die richtige Spur brachte waren die Geräusche, die ich aus einem der Büsche kommen hörte. Offenbar gab es dort einen Zugang zu etwas Unterirdischem. Ich war in Versuchung, dort hinabzusteigen, doch die Lautstärke der Geräusche hielt mich ab. Man hörte es von oben kaum, trotzdem wäre ich wohl sofort in eine Gesellschaft geraten. Stattdessen entschloss ich mich zu warten, bis Oljó wiederkäme, und solang den Park zu genießen.

Es sollte gut ein bis zwei Stunden dauern, bevor sich in dem Gebüsch etwas tat und Oljó allein herausgekrochen kam. Er sah unverändert aus, doch ein Strahlen lag in seinem Gesicht. Ohne zu warten machte er Anstalten, zur Guigans zurückzukehren. Ich folgte ihm nur ein paar Schritte, da sprach ich in gewöhnlicher Tonlage seinen Namen; er hörte mich sofort. Ich wollte ihn zur Rede stellen, doch er kam nur lächelnd auf mich zu und begrüßte mich; das war ich nicht von ihm gewohnt. Ich fragte gerade heraus, was er getan hätte, und er gab mir die erschreckende Antwort.

Er begrüßte mich als Kind des Puidor, wobei er meinte, dass dies nicht dessen wahrer Name sei, und nannte mich einen Bruder. Recht frei erzählte er mir von seinem Treffen dort unten, mit den Häuptern der Banditen sowie Gesandten aus Ašckhir. Mir schauderte bei diesen Erzählungen, doch für ihn schien alles normal zu sein, als sei ich einer der ihren. Es war offensichtlich, dass Oljó für diese Bestien arbeitete. Er hatte uns also verraten – und nicht nur uns, die gesamte Menschheit. Als führten wir nur einen Plausch über das Wetter, so erzählte er mir, wie gut die Planungen vorankämen und dass wir über die Welt herrschen würden, hätten wir sie erst einmal zerstört. In mir wuchs der Wunsch zu fliehen, zu schreien, doch ich unterdrückte es, um mehr von ihm zu erfahren. Ich fragte ihn, was genau er gemacht hätte und er antwortete, dass er nur zur Besprechung gegangen sei und sich gewundert hatte, warum ich nicht auch gekommen war, doch könnte ich immer noch gehen; Puidor würde mich erwarten.

Während ich begann zu zweifeln, ob er überhaupt noch Verstand besäße, fing auch er an sich zu wundern. Er meinte, es sei doch offensichtlich gewesen, dass ich auch Teil des Ganzen sei, doch verstanden hätte er dies das erste Mal in Ašckhir, als er sich dort der Versammlung hingab statt von ihr vernichtet zu werden. Ob ich mich nicht auch auf die nächste Vereinigung, auf den Zeitpunkt der Toröffnungen aller Festen der Welt freuen würd? Langsam überkam mich nur noch Ekel. Was hatte man ihm nur versprechen können, dass er solche Dinge tat? Endlich schien er meinen Blick richtig zu deuten und zog langsam sein Schwert, während er fragte, warum ich mich nicht freuen würde. Ich antwortete ihm frei heraus, wie wahnsinnig er und die anderen doch seien, dass man sie aufhalten müsse. Oljó sagte noch etwas seltsames, dass mein Anhänger Schuld sei, dass ich nun sterben müsse wie Duimé, der auch zuviel gewusst hätte. Seinem Angriff konnte ich aber ausweichen, entgegnen und nun ist er tot.

Ich weiß nicht, was mit seinem Körper geschah, denn ich floh nach meinem ersten Schlag hierher. Jetzt da ich mich beruhigt habe, werde ich zu Couccinne gehen, würden alle anderen mich doch für verrückt erklären, es fiel mir selber schon beim Schreiben ein. Kann ich mir auch sicher sein, ihn getötet zu haben? War das nicht vielleicht wieder nur eine Erscheinung? All die Dinge, die mir keiner glaubt, kamen darin vor. Puidor war stets mein eigener Alptraum gewesen, wie könnte er ihn gesehen haben? Und doch, er könnte von meinen Erzählungen gehört haben und meinte, mich quälen zu können. Wie kann ich sicher sein? Was ist Schein, was ist Wahrheit? Couccinne…!

In ein paar Stunden beginnt der Überfall.

 

 

LXIV: Bericht des Geistwächters Mosíz an Atáces

18. 06. 3980, Ladóra.

Einige Wochen sind seit dem Überfall auf das Haus der Bergbanditen in Ladóra vergangen. Nun ist es Zeit, einen vorläufigen Bericht für euch zu verfassen über das, was Stand der Kenntnis ist, auch wenn der Fall noch nicht ganz abgeschlossen ist. Zunächst werde ich euch die Geschehnisse der 28. Nacht des 5. Mondlaufes schildern, begleitet und gefolgt von unseren dort gewonnen Erkenntnissen, weiteren Absichten und abschließen mit dem, was noch zu geschehen hat. Der Krieger Falerte Khantoë hilft mir beim Verfassen des Berichtes, da ich aufgrund meiner Handverletzung immer noch nicht ganz in der Lage bin, selber zu schreiben.

Etwa eine Stunde nach Einbruch der Dunkelheit machten Geistwächter Castaris und ich sowie unsere Begleittruppe sich auf den Weg. Der Krieger Oljó y Becal war spurlos verschwunden und wir hatten keine Zeit ihn zu suchen, doch darauf komme ich noch zurück. Die Obrigkeit von Ladóra war dank unserer Befugnisse so freundlich, uns acht weitere Krieger an die Seite zu stellen, somit zählten wir also 15. Unseren Männern wurde zuvor von Castaris erzählt, sie sollten dabei aufgrund ihrer Unerfahrenheit zurückbleiben, doch tatsächlich sollten sie vorausgehen. Das erfuhren sie aber erst vor Ort. Wir trafen auf die zusätzlichen Krieger in der Guigans und gingen mit ihnen zu dem Anwesen, wo die Banditen untergekommen waren. Weitere Einheiten umstellten es großräumig, um niemanden entkommen zu lassen und uns in der Not beistehen zu können. Wie sich herausstellte, war das aber nicht notwendig.

Das Anwesen ist ein mittelgroßes Gelände. Es besteht aus zwei größeren Häusern sowie Stallungen und einem Lagerhaus. Die Nordseite liegt am See, die ganze Anlage im Osten der Stadt, unweit des Parks. Das Lagerhaus steht am See und besitzt einen Pier zum Anlegen kleiner Frachtflussschiffe. Im Süden besitzt das Anwesen einen kleinen Hof, die ganze Anlage ist von einer Mauer umschlossen. In den letzten Tagen hatten wir das Anwesen gut beobachtet, uns das Verhalten der Wachen eingeprägt sowie versucht über das Innere der Gebäude herauszufinden, was möglich war; jedoch gelang letzteres nicht. Nur ein Mann, der keiner von unseren Banditen war, bewachte jeden Abend bis in die Nacht den Hof und wurde dann abgelöst.

Als wir unfern des Hofes waren, gaben Castaris und ich den anderen unseren Plan preis. Es entstand erwartungsgemäß Unruhe, doch konnten wir diese eindämmen, da sie nun auch keine andere Wahl mehr hatten. Der Plan sah vor, dass Castaris und ich als erstes reinschlichen, um den Wächter auszuschalten und zu sehen, ob die Luft rein sei. Dann würden wir das Außentor den anderen öffnen, damit sie nachfolgen könnten. Daraufhin wollten wir herausfinden, wo die Banditen sich genau aufhielten und sie im Schlaf oder beim Feiern überraschen.

Natürlich lief es nicht nach Plan. Es klappte noch gut, den Wächter niederzuschlagen und zu fesseln, ab da geriet aber alles durcheinander. Weder hatte der Wächter wie in den Nächten zuvor einen Schlüssel bei sich, noch ließ sich das Tor anders öffnen. Wir entschieden uns, einen Schlüssel zu suchen, denn die Kämpfer auch einsteigen zu lassen wäre möglich gewesen, doch wären wir dann von der Verstärkung draußen abgeschnitten gewesen. Wir fanden den Schlüssel schließlich in einer kleinen Hütte nah des Stalles, die wohl für die Nachtwache zum Ausruhen gebaut worden war.

Nachdem wir endlich die anderen einlassen konnten, schlichen wir nacheinander in die Häuser, um festzustellen, wo sich die Banditen sowie andere Anwohner gerade aufhielten. Wir hofften, sie würden gerade alle schlafen, dann hätten wir sie leicht überraschen können, doch dem war so nicht. Wir vermuteten, sie würden gerade feiern und sich betrinken, doch schließlich mussten wir feststellen, dass sich in beiden Häusern niemand aufhielt. Das verwirrte uns, hatten wir doch das Anwesen ständig beobachten lassen und niemand hatte es betreten oder verlassen. Nun blieb die Möglichkeit eines geheimen Versteckes. Während wir dies suchten, fanden wir genug schriftliche Unterlagen, die die Schuldigkeit der Beteiligten genügend beweisen und ihre Pläne aufdecken. Sie wurden euch bereits zur Untersuchung überstellt. Offenbar planten die Banditen, ihre räuberische Herrschaft auszubauen, indem sie in Galjúin einen richtigen Stützpunkt errichten wollten, unterstützt von einigen verfaulten Obrigkeiten und Dörfern, vor allem aber Elpenó, Abajez, Bacáta und Pórga. Ich hoffe, ihr habt mittlerweile dorthin bereits Einheiten entsandt.

Schließlich gelang es dem Krieger Couccinne Carizzo, einen geheimen Gang zu finden, der von den Kellern unter dem Anwesen hindurch Richtung Stadt, genaugenommen zum Park, führte. Mittlerweile wurde er verschüttet, damit man ihn nicht noch einmal für derart unheilige Mittel nutzen kann. Vorsichtig machten wir uns in dieser Nacht auf den Weg diesen Gang entlang. Er war breit genug für drei Männer nebeneinander und hin und wieder von Fackeln erleuchtet. Dies ermöglichte uns den Blick auf sonderbare Zeichnungen und Schriften an den Wänden, die aussahen wie mit Blut geschrieben. Auch lagen in diesem ganzen Gang, der manchmal Biegungen machte, seltsame Gerüche nach Erde und etwas Süßlichem.

Der Gang endete letztlich an einer Kammer, die nun auch verschüttet wurde, mitsamt den anderen Räumen. Diese Kammer zunächst war klein und schmucklos und öffnete sich in einen größeren Raum, die Öffnung nur durch Vorhänge verhangen. Castaris und ich warfen einen Blick hindurch um wahrhaft Ekliges zu sehen. Der Raum war halb so groß wie das ganze Anwesen und von weiteren Fackeln an den Wänden erleuchtet. Seine Form war die eines Achtecks, von jeder Seite ging eine weitere Kammer ab. Wie wir später herausfanden, hatte nur eine davon einen weiteren Ausgang zur Oberfläche, in den Park. Der Raum war ein Trichter; der Boden fiel zur Mitte hin langsam ab, dort war eine Vertiefung, breit genug für zwei Menschen. Auch die Wände dieses Raumes waren mit Zeichen beschmiert.

Um die Vertiefung herum standen fünf eiserne Stangen in einem Halbkreis, auf jede hatte man einen menschlichen Schädel gesteckt; sie stellten sich als die Opfer des ‚Schlächter von Ladóra‘ heraus. Jedoch gab es um die Wände herum 16 weitere, größere Spieße, dort hatte man die Vermissten aufgespießt. Diese Banditen steckten also hinter den Verbrechen in Ladóra. Männer und Frauen, darunter auch unsere Verfolgten, standen auf einer Seite des Raumes, dort, wohin sich die Öffnung des ekligen Halbkreises neigte. Sie schienen in Gebete vertieft; ein Mann stand dabei wir ein Hohepriester vor der Masse, welche etwa vierzig zählte. Zwei bewaffnete Männer zerrten aus der anderen Kammer gerade eine Frau.

Castaris und ich hatten genug gesehen, wir gaben Zeichen, diese stinkende Eitergrube zu stürmen. Die meisten Anwesenden waren unbewaffnet, es gab nur etwa acht Wachen. Bei unserem Anblick versuchten die meisten zu fliehen, der Priester schleuderte uns Flüche entgegen und die Wachen griffen an. Castaris gab Befehl den anderen Ausgang zu verstellen, damit niemand flüchten könnte. Sobald dies geschehen war, sprangen viele Anwesende in die Vertiefung, spießten sich selber auf den Pfählen auf oder suchten andere Mittel, sich das Leben zu nehmen. Wir konnten kaum etwas davon verhindern, so dass wir letztlich nur wenige von ihnen gefangen nehmen konnten.

Obwohl es nur acht Wächter gewesen waren, hatten wir fünf Tote zu beklagen, darunter Castaris sowie den Jungen Dosten Aschengrau. Im Gegenzug konnten wir nur vier Gefangene machen. Alle redeten sie später irr, drei von ihnen konnten sich das Leben nehmen. Immer wieder erwähnten sie die Begriffe Šamrek und Fahach, doch können wir damit nichts anfangen. Der letzte überlebende Gefangene ist überhaupt nicht vernünftig ansprechbar. Immerhin aber haben wir alle nötigen Beweise und Hinweise. Es ist genau verzeichnet, wo sich das Hauptlager befindet, nämlich in den Bergen bei Pórga. Weiterhin verzeichnet sind die in die Sache verwickelten Mitglieder der Obrigkeiten und anderer Teile des Landes sowie einige Dörfer der Eingeborenen, die mit ihnen gemeinsame Sache zu machen scheinen. Die Armee darf nun wohl einige Zeit lang Verräter niederschlagen.

In den Tagen nach dem Überfall sichteten wir die Beweise und ließen diesen unheiligen Ort in Ladóra verschütten. Dabei bemerkten wir, dass der andere Ausgang in den Park führte, wo nah dessen Austiegs versteckt die Leiche des Kämpfers Oljó y Becal lag. Wir können nur vermuten, warum er dort lag, doch hoffen wir den Grund darin suchen zu können, dass er alleine vorgehen wollte. Auf jeden Fall hat er seine Schuldigkeit getan.

Auch muss ich noch die anderen beteiligten überlebenden Krieger belobigen, als da wären: Miruil Enfásiz y Calerto, Jimmo, Couccinne Carizzo sowie Falerte Khantoë. Ich überlasse euch die Entscheidung, was nun mit ihnen zu tun ist, doch empfehle ich eine Beförderung. In etwa einem Mondlauf werden wir fertig sein, dann kehren wir zu euch zurück und werden noch einmal vorsprechen.

Ich habe den Krieger Khantoë nun fortgeschickt. Entschuldigt die Schrift, ich muss jetzt allein mit Links schreiben, doch muss ich euch noch etwas zu den Kriegern ergänzen, dass diese nicht erfahren dürfen: Keiner außer Enfásiz scheint mir noch für den Kriegsdienst geeignet, entlasst sie lieber. Jimmo ist kaum ansprechbar, seitdem Aschengrau tot ist, den er als Sohn ansah. Khantoë fing wieder von seinen alten Geschichten über Monster in den Bergen an. Ich glaube, er übertreibt die Tatsachen etwas. Diese Banditen waren eine große Bedrohung, sind nun aber Geschichte. Leider scheint ihm Carizzo auch noch zu glauben. Es wäre möglich, dass sie bewusstseinsverändernde Pflanzen nehmen oder man sie ihnen unbemerkt beigemengt hat. Das würde ihr Verhalten zumindest erklären. Auf jeden Fall sollte man sie unter Verschluss halten oder entlassen.

Hochachtungsvoll,

Geistwächter Mosíz.

 

 

LXV: 2. Tagebuch des Falerte Khantoë

07. 07. 3980, Atáces

Ich muss nach Hause, dringend! Wie schaffe ich es nur? Mir muss etwas einfallen!

Es ist schon über einen Mondlauf her, dass diese schrecklichen Dinge geschahen. Dass ich Oljó tötete sowie diese schrecklichen Kammern! Wie oft träume ich von ihnen, oh diese Qual! Bis heute wissen die anderen nicht, dass ich Oljó umbrachte, dass ich diese eklen Eier in einer der Kammern fand und zerschmetterte unter dem Geröll der Decke. Und Mosíz tut weiter so, als gäbe es nichts Böses auf der Welt, als wäre alles nun bestens! Oh dieser verblendete arme Mann. Es quält mich, stillhalten zu müssen, denn sie würden mich doch nur wegsperren. Wie traurig. Doch vielleicht wird sie ihr gerechtes Schicksal ereilen.

Wir sind zurück in Atáces. Jimmo tut mir Leid, scheint er doch sehr zu leiden, doch kann ich nichts tun. Auch mir ging Dostens Tod nahe, doch Jimmo ist seit Wochen kaum ansprechbar. Castaris dagegen war für uns nur ein gewöhnliches Opfer, das gebracht werden musste, nichts besonderes. Couccinne scheint mir als einziger zu glauben, doch weiß ich nicht, ob das gut für ihn ist. Ich bin es, der weiß was diese Wesen, diese Banditen, diese Eingeborenen wahrhaftig planen. Es scheint aber, als könnte ich das niemandem hier verraten. Die meisten würden mir nicht glauben und die, die es täten, wären dann genauso arm dran wie ich. Doch wie soll ich dieses Geheimnis mit mir herumtragen können? Wird es mich nicht wahrhaftig wahnsinnig machen, nie die sichere Wahrheit zu wissen?

Zunächst stehen aber andere Dinge an; Dinge, die mich vielleicht gut ablenken werden von all diesem Unheil. Jedenfalls hoffe ich das. In drei Tagen sollen wir vor die Obrigkeit treten. Das ist zwar kein Gericht und keine Verhandlung, doch trotzdem will man uns anhören. Selbst wenn es nur etwas mit den von Mosíz geforderten Beförderungen zu tun hat, verspricht es für mich keine freudige Veranstaltung zu werden. Ich habe Angst, etwas falsches zu sagen, sowohl, dass ich etwas verraten könnte, als auch, dass sie mich für verrückt halten – oder es nie erfahren und deshalb in ihr Unglück rennen.

Ah, ich bekam gerade Post. Briefe von Garekh und meiner Schwester… !

 

 

LXVI: Brief an die Schwester

12. 07. 3980, Atáces

Geliebte Schwester,

endlich erhielt ich die Briefe von dir und Garekh, darf auch wieder frei Antworten schreiben, doch welch Unglück ist doch bei euch alles geschehen! Zunächst aber sei euch mein Dank versichert für all eure Bemühungen, Puidor zu finden. Ihr habt nichts über ihn herausgefunden und mittlerweile wundert mich das kaum. Immer wahrscheinlicher will mir scheinen, dass er nur eine Erscheinung von mir war, die mir seit Ladóra nicht mehr unterkam. Wollen wir hoffen, dass es dabei auch bleibt.

Ich bin froh zu hören, dass es Mutter und dir samt deiner Familie gut geht. Ich freue mich darauf, meine Nichte einmal kennenzulernen. Natürlich brach es mir aber fast das Herz, dass Ccillia einem Mann versprochen ist. Deine Worte spendeten mir ein wenig Trost, den Rest steuerte Couccinne bei. Trotzdem hoffe ich für sie, dass er sie glücklich macht und vielleicht wage ich es eines Tages dann auch, sie zu besuchen. Sie war die größte Liebe meines Leben. Weiterhin hat es mich bestürzt zu hören, dass Vater krank ist. Wenn es ihm tatsächlich so schlecht wie bei dir geschildert geht, werde ich alles daran setzen, bald heimkehren zu können. Habe Verständnis, dass ich aus diesem Grunde zuerst Ayumäeh ansteuern werde, danach komme ich aber zu euch.

Um diesen Brief nicht unnötig lang werden zu lassen mache ich erneut das, was sich schon einst bewährte und sende dir mein Tagebuch zu, dass dir alles Vorgefallene schildern wird. Ich weiß um deine Ängste die du hattest, als du von meinen Erlebnissen und Befürchtungen lasest, doch lass dir versichert sein, dass einiges oft in Hast oder den ersten Eindrücken eines Momentes niedergeschrieben wurde. Vielleicht stellt es sich später nach einigem Nachdenken als weniger schlimm heraus, und allgemein geht es mir eigentlich gut, doch neigt man dazu eher von schlechten Dingen zu berichten.

Vorgestern hatten wir eine Anhörung vor der Obrigkeit der Armee von Atáces, welche auch die Armee von Nardújarnán und damit einer der Stützpfeiler des Reiches von Ojútolnán ist. Ich mache es kurz: Sie zeigten sich äußerst zufrieden mit unseren Leistungen in Galjúin und Ladóra. Jedem von uns wurde endlich sein Lohn ausgehändigt, zusammen mit einer ergänzenden Belohnung. Wir alle bekamen seltsame Verdienstorden, die für mich aber schlicht Tand zu sein scheinen, selbst die zugehörigen Dolche sind nur bessere Brieföffner. Weiterhin boten sie jedem Beförderungen an. Stell dir vor, mich wollten sie zum Jinn machen!

Doch ich lehnte ab, wäre damit auch ein ruhiger und gutbezahlter Posten in einer Guigans verbunden gewesen, die ich mir hätte aussuchen können. Ich habe von all dem Kriegsspielen aber genug, ich möchte nur noch heim und deine Nachrichten verstärken diesen Wunsch nur. Also sagte ich ihnen, dass ich gehen und meinen Tošaren Castillia mitnehmen würde. Sie boten mir im Gegenzug an, ersteres zu genehmigen, würde ich auf zweiteres verzichten, zumal auf Beförderungsschiffen keine Tiere erlaubt seien. Schweren Herzens überzeugte der Hinweis mich, wenngleich ich mich auch erstens darüber wunder, wie leicht das doch ging und zweitens mir die Bemerkung auf der Zunge lag, dass es doch auch Ratten und Wanzen an Bord aller Schiffe gab.

Meine geliebte Schwester, endlich komme ich heim! Ich werde Vater besuchen und danach auch euch. Es überraschte mich, doch Couccinne und Miruil lehnten ihre Beförderungen ebenso ab und werden mit mir kommen, was mich sehr freut. Jimmo dagegen bleibt hier und wird die Ausbildung junger Kämpfer übernehmen. Er sagt, er sähe kein anderes Ziel mehr in seinem Leben. Irgendwie werde ich ihn vermissen. Ihn und Castillia, um die er sich kümmern wird, doch sonst kaum etwas in diesem Land.

In zwei Tagen reisen wir ab nach Almez. Nach Plan müsste ich in fünf bis sechs Wochen in Ayumäeh sein. Wie sehr ich es doch vermisse!

Dein Falerte.

 

 

Drittes Buch

 

 

LXVII: 3. Tagebuch des Falerte Khantoë

19. 07. 3980, An Bord der ‚Sturmwind‘.

Eigentlich weiß ich kaum, warum ich schon wieder ein neues Tagebuch beginne. Irgendwie ist es mir zur Gewohnheit geworden, alles zu schildern, sowohl um mich zu erinnern als auch um es zu verarbeiten. Viel ist jedoch nicht geschehen. Unsere Reise nach Almez verzögerte sich um einen Tag, da Posselherden auf ihren Reisen teilweise die Straßen versperrten. Ich weiß nicht, wie lange mein Vater noch am Leben sein wird, weshalb mich jede Verzögerung unbehaglich werden lässt, auch wenn die Herden beeindruckend anzusehen waren. Zum dritten Mal kamen wir durch Guijúlon, dass mir mittlerweile fast zu vertraut scheint. Ein letztes Mal konnte ich die Ebenen und Hügel, die weite Landschaft und die zahlreichen wilden Tiere bewundern, dann kamen wir nach Almez.

Dort erwartete uns drei eine große Überraschung, denn unser Schiff in die Heimat ist kein anderes als die Sturmwind. Selbst der Oberste Seewächter Amerto erkannte uns, hatten wir damals doch für einige Aufregung gesorgt. Er gab uns zusammen eine größere Kabine, reisen wir doch jetzt nicht mehr als Krieger, sondern als freie Männer. Unsere Abfindungen reichen, um mehrmals heimkehren zu können, doch habe zumindest ich das nur einmal vor.

Es ist kaum zu beschreiben, wie dankbar ich doch bin, dass Miruil und Couccinne mit mir kommen. Ich habe sie wahrlich als Freunde gewonnen, trotz aller Missstände und Meinungsverschiedenheiten. Mittlerweile würde es mir mein Herz brechen, sie zurücklasssen zu müssen, zumal ich stets um ihre Sicherheit besorgt sein würde. So aber reisen wir zusammen endlich wieder in die sichere Heimat. Und auch wenn sich dort dann unsere Wege trennen sollten, wird es nicht für lange sein, dessen bin ich mir sicher.

 

 

LXVIII: Logbuch des Obersten Seewächters Amerto an Bord der ‚Sturmwind‘

20. 07. 3980, An Bord der ‚Sturmwind‘.

Es gibt mir zu bedenken, wieder diese Unruhestifter an Bord zu haben, besonders, da Almez uns doch heikle Fracht mitgab, die in Abajez noch vergrößert werden soll. Ich weiß nicht, was in diesen Kisten ist, doch lässt es mich unruhig werden, sie an Bord zu haben, besonders zusammen mit diesen Nichtsnutzen. Ich habe gehört, sie schlugen ihre Beförderungen aus um einfach in die Heimat zurückzukehren. Man bedenke dies einmal, vor allem, da ich ihnen keine Taten zutraue, für die man sie belohnen müsste. Ich dagegen war in Rinuin in Gefechte gegen Remereggen verwickelt, doch bekam ich dafür eine Belohnung?

Das Wetter ist gut und die Sterne lassen auf eine schnelle und ruhige Reise hoffen. Wir werden Abajez und Halkus anlaufen, danach den Sund von Omér durchqueren und Rardisonan ansteuern. Ich frage mich in letzter Zeit immer wieder, warum die Werften neue Schiffe bauen. Ist ein Krieg gegen Aleca oder Omérian in Aussicht? Nachdem, was ich vor Remereggen und Habarien sah, kann ich aber nur sagen, dass dies keine gute Idee wäre.

Außer den Unruhestiftern und der Ladung für Rardisonan haben wir noch fünf weitere Reisende an Bord. Allesamt sogenannte freie Männer, die auf ihrer Reise in die Heimat sind. Nur einer von ihnen ist ein wirklicher Krieger, der nach Rardisonan soll. Warum soll ich hier eigentlich ‚Freie Männer‘ befördern? Für so etwas hätte ich ein Handelsschiff gekauft! Doch gut, es ist besser als drei Dutzend Raufbolde.

 

 

LXIX: 3. Tagebuch des Falerte Khantoë

12. 08. 3980, An Bord der ‚Sturmwind‘.

Die Überfahrt verlief größtenteils ereignislos. Es war ein beunruhigendes Gefühl, die selbe Strecke wie vor über einem Jahr nun wieder zurückzufahren. Noch seltsamer war es aber, zum dritten Mal nach Abajez zu kommen. Die Stadt hatte sich in der kurzen Zeit verändert. Verschiedene Einheiten hatten Teile der Stadt abgesperrt und es gingen Gerüchte um, dass Geistwächter die Stadt durchstreiften und so mancher Bürger schon verschwunden sei. Andere hätten versucht zu fliehen und wurden dabei getötet. Immerhin war die Stadt selber aber noch ganz. Das konnte man von Elpenó nicht behaupten. Wir fuhren nur an ihr vorbei, doch schon aus der Ferne sah man die Feuer und wir mussten einen Bogen schlagen als klar wurde, dass sich Kriegsschiffe im Hafen bekämpften. Und die Tage, die wir damit verbrachten, an den Bergen von Galjúin vorbeizusegeln bildete ich mir mehr als einmal ein, in der Ferne Feuer gesehen zu haben, doch konnte dem nicht so sein. Wenigstens erschien mir nicht einmal mehr Puidor, seit wir Nardújarnán verlassen hatten, tat es schon seit Ladóra nicht mehr.

Auf der Fahrt von Abajez nach Halkus dann hatte ich mehr als genug Zeit mit Couccinne und Miruil zu verbringen. Damit uns nicht zu langweilig werde, fingen wir bald unsere in Nardújarnán gelernten Spiele wieder an, ebenso nahmen wir wieder unsere alten Übungen auf, denen wir solang nicht nachgegangen waren. Bald gesellten sich zwei unserer Mitreisenden zu uns, zunächst um nur zuzusehen, später um mitzumachen. Auch sie scheinen Krieger gewesen zu sein. Einer von ihnen brüstete sich sogar damit, Jinn gewesen zu sein, doch beeindruckt mich so etwas nicht.

Jetzt, da das alles hinter uns liegt, fühle ich mich gespalten. Ein Teil freut sich auf mein neues altes Leben, ein anderer Teil denkt reumütig an die alten Erinnerungen. Schlimmer sind die Träume, die mich immer noch manchmal überkommen und die von Feuer und Blut erzählen. In den Stunden meiner düsteren Gedanken kommt mir all das Unrecht in den Sinn und ich erinnere mich einmal mehr daran, die Familie des Caris Duimé besuchen zu müssen. Manchmal erscheint er selbst mir in meinen Träumen, mal gut, mal böse, seltener auch die anderen, an deren Seite wir fochten: Gammil, Scaric, Dosten und all die anderen.

Nach einer schier endlosen Reise erreichten wir Halkus. Wir hielten nicht lange genug, um großartige Ausflüge machen zu können, doch einen Tag mussten wir verbleiben um neue Ladung zu nehmen. Die Zeit nutzten wir, um die Stadt erneut zu besichtigen. Gleich im Hafen dann sollte mein Schreck groß sein. Starr stand ich da, im Schatten eines Torbogens und beobachtete, wie sie die Stände der Fischhändler entlang schlenderte: Ccillia, meine Ccillia! Ich hatte es nicht gewusst, woher denn auch, was trieb so ein edles Wesen nach Halkus? Schön wie eh und je, der leuchtende Stern meines Herzens. Dieses schlug schnell und drohte meiner Brust zu entfliehen bei ihrem liebreizenden Anblick, doch war es mir nicht vergönnt, ihre warme Haut an die meine zu nehmen.

Fast schon war ich auf dem Weg zu ihr, da kam ein Mann, legte seinen Arm um sie und – küsste sie. Und sie schien dies zu erfreuen. Wie zwei frisch Verliebte wanderten sie weiter über den Fischmarkt. Ich aber stand da, gram und gebeugt, des zerbrochenen Herzens Lebenssaft entrinnen sehend. Oh welch Gräuel, schlimmer als alle Schrecken von Nardújarnán! Das einzige Wesen, dem je mein Herz gehörte, im Arm eines anderen! Nie werde ich wieder glücklich sein, nie werde ich eine andere lieben können. Zum ersten Mal sollte ich mich an diesem Abend hemmungslos betrinken und wünschte nur noch meinen Tod herbei. Wären nicht Couccinne und Miruil mit an Bord, ich würde mir den Untergang des Schiffes wünschen, auf dass mein Schmerz ertrinken würde. So aber sitze ich hier, habe die anderen ausgeschlossen und fülle leere Seiten mit Tinte und Tränen.

 

 

LXX: Logbuch des Obersten Seewächters Amerto an Bord der ‚Sturmwind‘

14. 08. 3980, An Bord der ‚Sturmwind‘.

Gestern durchfuhren wir den Sund von Omér. Wieder einmal ohne Probleme, doch dann! Verflucht seien alle Winde dieser Welt! Wohin mögen sie uns wohl jetzt treiben?

Gestern Abend gerieten wir in einen Sturm und selten habe ich so einen grausamen erlebt. Wir kämpften die ganze Nacht hindurch mit Segeln und Ruder um unser Leben und verloren doch. Zwanzig meiner Männer sind tot – über Bord gegangen, auf Deck gestürzt oder von Tauen erwürgt. Viele andere haben sich Gliedmaßen gebrochen oder anderes getan. Verdammt seist du Himmel! Nun verhöhnst du uns mit deinem schrecklich dürren Sonnenschein!

Die Segel sind allesamt zerfetzt, ein Mast gebrochen und das Ruder macht, was es will. Hilflos treiben wir hier über das Meer. An sich ist dies noch nicht so schlimm, wird uns die Strömung schon irgendwann an ein Ufer treiben. Doch welches wird es sein? Kaum ein Land ist gut zu sprechen auf Toljiken. Von allen Möglichkeiten scheint Ramit das kleinste Übel zu sein. Zwar könnten die falschen Ramiten uns finden, die sich über ein verwundetes toljikisches Schiff bloß freuen würden um es mitsamt Mannschaft verschwinden zu lassen, auf dass es nie wiederkehre, doch immerhin haben wir einen echten Ramiten an Bord; allein das muss doch etwas wert sein. Sollten wir dagegen an eine der Küsten gespült werden, wo angeblich Menschenfresser hausen, so wären wir endgültig verloren.

Der Ausguck ruft! Ein Schiff!

 

 

LXXI: 3. Tagebuch des Falerte Khantoë

17. 12. 3980, Irgendwo.

Eine Ewigkeit scheint vergangen, doch endlich gab man dich mir zurück. Fast vier Monde, so sagte man mir, waren es gewesen, es fühlte sich aber unendlich länger an. Warum nur gelingt es mir nie, endlich einmal dem Unglück fernzubleiben? Warum bin ich immer genau dort, wo sich jegliches Unheil staut? Wird sich nie für mich ein Hort des Glücks, ein ruhiger Ort ergeben? Vielleicht möchte ich doch einfach nur leben und nicht wie ein Spielball hin und her geworfen werden.

Ach du mein Kleines, lass mich dir klagen um die Zeit verstreichen zu lassen. Seit dem Tag, da ich Ccillia in Halkus sah, schien alles verflucht. Kurz nach unserer Fahrt durch den Sund entstand ein schrecklicher Sturm. Nie sah ich solch schwarze Wolken, solch mächtige Blitze. Amerto befahl uns unter Deck zu bleiben, da wir niemals von Nutzen hätten sein können. In unseren kleinen Kabinen hörten wir die Schreie, das Bersten von Holz, das Rauschen des aufgeregten Meeres sowie das Grollen und Wüten des Sturmes, und überall lag der Geruch von Regen und Blitzen in der Luft. Morgens schien alles vorbei, das Meer ruhig und unschuldig, das Schiff aber bloß ein treibendes Grab.

Es schien keine Hoffnung zu geben je lebend Land zu erreichen, da tauchte auf einmal ein Schiff auf. Die Segel waren schwarz wie der Tod, die Fahnen wiesen gekreuzte Säbel auf. Von allen möglichen tödlichen Gefahren des Meeres waren wir ausgerechnet in die Hände der Schwarzseepiraten gefallen. Wir waren hilflos, kaum noch einer der Seemänner arbeitsbereit und wir fünf Krieger keine Gegner für fünfzig feindliche Seeräuber. Während wir uns ergaben, gefesselt und auf ihr Schiff gebracht wurden, plünderten sie die Sturmwind, die von ihrem Namensgeber verwüstet worden war. Amerto weigerte sich jedoch aufzugeben, wütete und kämpfte, und musste so mit seinem Schiff in die Tiefen der See entschwinden. Ein passender Tod für einen Seewächter.

Wir anderen dagegen, nur etwa zwanzig Mann, denn die schwerer Verwundeten waren auch getötet worden, fuhren in eine ungewisse Zukunft. Dich mein süßes Buch nahmen sie mir damals, ebenso unser Geld und unsere andere Habe, einiges davon habe ich nun immerhin wieder. Ich kannte die Inseln und Stützpunkte der Piraten nur aus Erzählungen, obwohl ihre Inseln so greifbar nahe an den ramitischen liegen, doch sollte ich sie kennenlernen. Bis heute weiß ich nicht, zu welcher Insel genau man uns brachte und werde es wohl auch nie erfahren. Die Reise dauerte aber mehrere Tage, also könnte es jede gewesen sein, jedoch keine der kleinsten. Die gesamte Fahrt über sperrte man uns in ein dunkles Loch voller Ratten und gab uns nur schleimigen Brei zu essen und abgestandenes Wasser zu trinken. Auf ewig werde ich die Piraten dafür hassen. Ich erfuhr, wie unangenehm Mitgefangene unter solchen Umständen sein können und sah die Abgründe menschlichen Seins. Als man uns endlich von Bord holte, zählten wir nur noch siebzehn.

Die Augen schmerzten uns nach der langen Dunkelheit und viele konnten schon kaum mehr richtig gehen. Das Schiff hatte an einem kleinen Hafen angelegt, einem größeren Lager. Wie wir später erfuhren, bringen sie dort die meisten der Gefangenen unter, die zur Minenarbeit eingeteilt werden. Wir sahen aber kaum etwas von diesem heruntergekommen Loch von Posten, sondern wurden schnell in ein neues Gefängnis gesperrt. Im Untergrund sollten wir nun für die Piraten bis an unser Lebensende Erz abbauen. Für einige kam dieses Ende sehr schnell. Ich weiß selber nicht, wie ich es solange aushielt.

Die Piraten haben auf den Inseln schon fast so etwas wie ein kleines Reich und nisten dort seit Jahrhunderten. Der Posten, in dem wir uns befanden, war nur einer von vielen. Mit Minenarbeit hatten wir aber noch eines der härtesten Lose gezogen. Stundenlang mussten wir jeden Tag im Matsch herumkriechen um das Erz abzubauen, welches die Piraten nutzen, ihr kleines Reich mit Waffen auszustatten oder mit dem sie mit anderen Ländern über Schmuggler wie Garekh handeln und was Menschen wie mein Vater dann verkaufen. Garekh, mein Freund! Hätte ich ihn nur erreichen können, den Freund eines Freundes des großen Piraten Schwarzkralle hätte man sicherlich sofort freigelassen. So stießen meine Worte aber nur auf taube Ohren. Aus den Gesprächen der Wachen erfuhr ich auch, dass die Piraten der Schwarzsee sich seit Monden mit denen aus Icran, aus der Stadt Nocstce, bekämpften und der Handel derzeit lahmgelegt war.

Für Monde war ich also getrennt von den anderen unten in der stickigen eklen Dunkelheit, während oben langsam der Winter hereinbrach. Lange sollte es dauern, bis einer der Piraten endlich einmal meine Sachen durchstöberte und dort die Briefe von Garekh fand. Glücklicherweise war es zugleich ein Mann, der sofort eine Gewinn- und Aufstiegsmöglichkeit für sich roch, wenn er Schwarzkralle von mir berichten würde. Letztlich war dieser es selbst, der mich da rausholte und sich überschwänglich entschuldigte. Es wäre mir ein Vergnügen gewesen, ihn sofort umzubringen, so weit hatten die Minen mich gebracht, doch forderte ich nur die Freiheit für mich und meine Freunde, meine Sachen sowie eine Möglichkeit heimkehren zu können. Diese Möglichkeit bot sich beträchtlich schnell in überraschender Form, denn Garekh hatte die verminderte Schifffahrt des Winters genutzt um zu Schwarzkralle zu fahren. Die Freude sich wiederzusehen war groß, tief aber das Bedauern aufgrund allem, was geschehen war.

Endlich sind wir auf dem Weg nach Ayumäeh, die Grausamkeit der Piraten liegt hinter uns, doch nagt an mir das Gefühl, zu spät zu kommen. Denn bei seiner Abfahrt vor Wochen hatte Garekh meinen Vater an dessen Todesbett besucht. All das Unglück nimmt also nur weiter seinen Lauf; eilt mir voran und ich kann nie gewinnen.

 

 

LXXII: Brief an Garekh

24. 12. 3980, Ayumäeh.

Lieber Freund,

Dank sei dir für deine großzügige Gastfreundschaft, die du uns hast zuteil werden lassen. Leider werden wir nun nicht mehr bei dir bleiben können, deshalb dieser Brief, ein Abschiedsbrief. Danke für den Trost und die Ablenkung der letzten Tage. Es war ein schrecklicher Alptraum, heimzukommen nur um zu merken, dass es zu spät und der Vater bereits tot und Asche ist, verstreut in der weiten See. Wärest nicht du mit deiner Familie gewesen, ich hätte wohl nicht gewusst, was zu tun und wohin.

Nach all dem, was mir in Nardújarnán widerfahren war, freute ich mich nur noch darauf, endlich mal meinen Vater wiederzusehen zur Versöhnung und Aussprache – und dann das. Ich habe es dir nicht gesagt, doch sein Tod geht mir wesentlich näher als je gedacht. Einst hätte ich seinen Tod tatsächlich gewünscht, nun wünsche ich mir sein Leben. Ich wäre sogar bereit gewesen, mich hier in Ayumäeh niederzulassen und im Geschäft zu helfen, doch ist selbst dies nicht mehr möglich. Ich hatte niemals geahnt, dass er so hoch verschuldet war. Die Zeit, die ich jetzt in der Stadt war, verbrachte ich damit mir anzusehen, was die neuen Besitzer aus Laden und Haus gemacht haben. Es ist eine Schande, sage ich dir! Was eine ganze Familie in langen Jahrzehnten erbaut hat, zerstören diese Emporkömmlinge in so wenigen Tagen. Wenn du wieder einmal in die Stadt einkehrst, sieh es dir an!

Es tut mir Leid, dass ich nicht bleibe, dir selber mehr davon zu erzählen. Meine Worte werden sowieso nichts ändern. Schon vor meiner Rückkehr hatte ich beschlossen, schnell meine Schwester zu besuchen, und dem werde ich nun nachkommen. Du hast meine Freunde Miruil und Couccinne ja kennengelernt; sie begleiten mich. Du wirst dir also sicher sein können, dass es mir gut gehen wird. Seit meiner damaligen Abreise aus Ayumäeh sind nur Unglücke geschehen und ich weiß nicht mehr, wo mein Platz im Leben überhaupt ist. Die Antworten erhoffe ich mir in Touron zu finden. Sei mir nicht böse, weil ich dein Angebot für dich zu arbeiten ausschlagen musste; du weißt, ich hätte niemals anders gehandelt, auch will ich diese Piraten niemals wiedersehen, sonst werde ich alles daran setzten sie leiden zu lassen. Sei froh mein Freund, dass du eine derart wunderbare Familie hast. Ich werde euch sicherlich noch einmal besuchen kommen. Das neue Jahr aber werde ich in Touron erwarten. Ich weiß, die Fahrt im Winter ist gefährlich, doch wird es bald schon Frühling.

Ich wünsche dir das Beste; wir sehen uns wieder.

Dein Freund Falerte.

 

 

LXXIII: Brief an die Schwester

07. 01. 3981, Touron.

Geliebte Schwester,

mir scheint, ich schreibe nur noch Abschiedsbriefe. Ja, wenn du diesen Brief in deinen Händen hältst, werde ich euch und Touron bereits verlassen haben. Gräme dich nicht. Es ist nicht deine Schuld, dass Mutter so engstirnig ist, doch halte ich es einfach nicht mehr aus. Ich selber mache mir schon genug Vorwürfe, Vater nicht vor seinem Tod noch einmal gesehen zu haben und einst so bitterbös von ihm gegangen zu sein. Mutter schafft es daher jedes Mal erneut, den Dolch nur noch tiefer in die Wunde zu rammen.

Nardújarnán brachte mir kein Glück, die Heimat scheint es auch nicht zu tun. Zuerst sah ich Ccillia in Halkus – ja, richtig, ich sah sie, doch sie mich nicht und ich rannte fort, da sie nicht allein war. Es tut mir Leid, dir nichts davon erzählt zu haben; ich konnte es einfach nicht, Mutter ließ mir nicht die Kraft. Dann wurde unser Schiff zerstört und wir mussten mondelang für die Piraten arbeiten. Kann man sich Schlimmeres vorstellen einen Menschen zu brechen als die giftige Luft in den Tiefen der Inseln? Garekh konnte uns freikaufen – ja, freikaufen, doch das erfuhr ich erst spät – doch kamen wir zu spät um Vater zu sehen, aber das weißt du.

Schließlich versuchte ich mich zu euch zu retten, an den einzigen Ort, wo ich mir Liebe und Erholung erhoffte. Unsere Mutter aber vermochte jegliche Hoffnung darauf zu ersticken. Warum versteht sie nicht, dass es mich genauso schmerzt wie sie? Warum kann sie nicht einsehen, dass ich all meine Taten bereue? Ich bin ihr Sohn und doch behandelt sie mich bloß wie ein Monster. Ich will dies alles nicht!

Solange ich dich nicht wiederhatte, waren Miruil und Couccinne meine einzigen Stützen. Nun da sie gegangen sind, fühle ich mich hilflos. Natürlich bist da du, doch du kannst und darfst mir nicht gegen unsere Mutter helfen und ihr widersprechen. Glaube mir, wenn ich sage, dass ich dich und deine Familie liebe, doch ich kann nicht bleiben. Glaube mir auch, dass ich selbst Mutter liebe, wenngleich sie dies auch nicht zu sehen vermag.

Ich bin froh Nardújarnán verlassen und all diese Schrecken, all meine Erscheinungen hinter mir gelassen zu haben. Dies möchte ich mir von unserer Mutter nicht zerstören lassen, also gehe ich. Wohin ich geh? Ich weiß es nicht. Ich würde den anderen folgen, doch wohin gingen sie denn? Miruil wollte Abenteuer suchen, davon aber habe ich genug. Couccinne kehrte zu seinem alten Orden zurück, um nachdenken und Ruhe finden zu können. Es klingt für mich, als sollte ich das auch tun. Ruhe und Frieden sind alles, was ich derzeit will. Wenn ich mehr über mich und meinen Sinn herausgefunden habe, melde ich mich bei dir.

Sorge dich nicht,

dein Falerte.

 

 

LXXIV: Brief an die Schwester

03. 03. 3990, Ciprylla.

Geliebte Schwester,

Wieviele Jahre ist es nun wohl her, seitdem ich dir das letzte Mal schrieb? Ich hoffe sehr, du hasst mich für mein Schweigen nicht, doch gab es gute Gründe. Lies dir durch, was ich zu sagen habe und ich will dir über die letzten Jahre berichten. Viele Dinge habe ich gesehen und noch viel mehr getan; immer auf der Jagd nach dem Glück und einer Antwort, welches mein Sinn im Leben ist. Anfangs ging ich zu Couccinne und war eine Zeitlang mit in dessen Orden. Während es ihm aber zu gefallen schien, verspürte ich nur den Drang nach mehr, hatte den Gedanken, dass etwas fehlt. Ich sprach oft mit ihm darüber, da es ihm einst wie mir dort gegangen war, doch meinte er nun sein Glück an diesem Ort gefunden zu haben. Es fiel mir schwer, doch musste ich ihn verlassen, etwas zog mich hinfort.

Ich brauchte Zeit für mich allein, fern der alten Bekannten, fern von Vorwürfen unserer Mutter, deshalb schrieb ich dir eine Weile auch nicht mehr. Später kamen meine Briefe ungeöffnet zurück und ich dachte, du seist sauer auf mich, doch lag es nur an eurem Umzug, wie ich jetzt endlich erfuhr. Damals aber war ich enttäuscht und teils verzweifelt, bist du mir doch stets eines der wichtigsten Wesen der Welt gewesen. Aus den verschiedenen Enttäuschungen und der Unruhe heraus entschloss ich mich, auf Wanderschaft zu gehen, die Welt zu sehen. Vor allem aber versuchte ich Miruil zu finden.

Auf meinem Weg vernahm ich die unterschiedlichsten Gerüchte über ihn. In Tarle sagten sie, er hätte eine Prinzessin geheiratet und wäre König geworden, doch das gehörte in die Welt der Märchen. Andere Leute erzählten mir in Dhranor, er wäre bei der Suche nach Schätzen ums Leben gekommen, doch fand ich dafür nie einen Beweis. Letztlich hörte ich in Aleca, er sei nach Ciprylla gegangen, der großen Stadt der Abenteurer. Und da war ich dann, so nah an meinem Beginn und doch so weit gereist. Fast fühlte ich mich wie in Rardisonan, als ich das erste Mal alleine in einer fremden Stadt war. Ich wusste nicht wohin und auch nicht, was ich tun könne. Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis ich dann Miruil fand.

Vielleicht hätte es mir lieber nie gelingen sollen, vielleicht hätte ich lieber auf ewig von der Vergangenheit träumen sollen. Miruil hatte sich sehr verändert und mir gefiel dies nicht. Ich werde dich nicht mit allen Einzelheiten langweilen, doch es war schwer für mich. Miruil erkannte mich zwar, zeigte aber keine Freude mich zu sehen. Die Verwandlung, die er in Nardújarnán begonnen hatte, schien nun abgeschlossen. Er war Spieler bei den Spielen von Ciprylla und nichts anderes war ihm mehr wichtig, es ging nur noch um Ruhm, den Jubel der Massen und den Reichtum. Bei fast allen wichtigen Spielen der Stadt war er stets der Gewinner, das hatte ihn größenwahnsinnig werden lassen.

Es war im Streit, da forderte ich ihn heraus beim Großen Spiel gegen mich anzutreten. Du weißt, bei diesem wird entschieden, wer Fürst der Stadt werden soll und es war das einzige Spiel, an dem Miruil noch nicht teilgenommen hatte. Ich kitzelte seine Angst, verhöhnte ihn, und bald standen wir vor dem Eingang zu den Höhlen des Großen Spiels, zusammen mit einem Dutzend anderer. Wir alle waren da Feinde, denn nur einer soll es lebend bis zum Ende schaffen. Es war grauenvoll. Zwar ließ mich der Nervenkitzel lebendig fühlen, doch es war schrecklich den Tod von Miruil fordern zu müssen. Die letzte Höhle wäre auch sein Ende gewesen, hätten wir uns nicht endlich wieder zusammengerissen und gemeinsam das Spiel besiegt.

So etwas war nicht oft in der Geschichte der Stadt vorgekomm und eigentlich auch verboten, doch hatte man letztlich keine Wahl, als die Zuschauer uns beiden zujubelten, als ich erklärte, dass Miruil gewonnen hätte. So wurde Miruil Enfásiz Fürst von Ciprylla. Und ich? Ich wurde zu dem, was Miruil gewesen ist. Jetzt jubeln sie mir bei den Spielen zu und die Angebote werden immer ungeheuerlicher, mit denen man mich zu kaufen versucht.

Doch ich will das alles nicht. Es behagt mir nicht, Liebling der Stadt zu sein, nur weil ich ihre dämlichen Spiele spiele, gewinne und für ihre Unterhaltung zuständig bin. Miruil habe ich kaum noch je gesehen und man muss wohl sagen, unsere Freundschaft ist gestorben. Auch von Couccinne habe ich kaum noch etwas gehört, auch wenn wir manchmal Briefe tauschen. Mittlerweile scheint er Hohepriester des Ordens zu sein, eine Rolle, in der ich ihn mir kaum vorstellen kann.

Jedenfalls habe ich erneut beschlossen, fortzugehen. Ich werde ziellos in der Welt herumwandern, mich treiben lassen und sehen, was das Schicksal für mich geplant hält. Vielleicht schreibe ich wieder Tagebücher, die ich dir zusenden werde. Auf jeden Fall aber schicke ich euch den Großteil meines Vermögens mit, ihr dürftet dafür bessere Verwendung finden. Wünscht mir Glück.

Ich liebe dich,

Falerte

 

 

Epilog

 

 

LXXV: Letzter Brief des Falerte Khantoë

09. 05. 3998, Solutetor.

Couccinne, lieber Freund, wie geht es dir?

Seit meinem letzten Brief sind gut zwei Jahre vergangen, seit deinem letzten über eines. Hast du neues herausgefunden? Ich weiß, deine Arbeit hält dich sehr beansprucht, doch bin ich dir auch unendlich dankbar für deine Hilfe. Du warst immer der einzige, der mir glaubte und mich nie im Stich ließ. Und nun lass mich dir von meinen letzten Erkenntnissen berichten, und du wirst sehen, dass dein Glaube an mich nie umsonst gewesen ist.

Während meiner ersten Wanderschaft damals habe ich stets Ausschau gehalten und mich umgehört nach etwas, das mir sagen würde, ich wäre in Nardújarnán doch nicht verrückt gewesen. Nur eines ist mir untergekommen, dass mir zu dem Zeitpunkt aber noch unbedeutend erschien, jetzt aber Sinn ergibt. Es hat mit Ijenreich zu tun, doch dazu komme ich noch. In Ciprylla dagegen war die Welt für mich tot, alle Erinnerungen vergessen und nur noch das Leben zählte. Wäre nicht das ewige Gefühl gewesen, dass mehr sein muss, ich wäre nie wieder auf Wanderschaft gegangen, sondern würde auf immer im Reichtum schwelgen und könnte dir nie berichten.

An viele Orte trieb es mich, doch ausschlaggebend für mein restliches Leben sollte ausgerechnet Taevolon sein, das du vielleicht auch unter anderen Namen kennst. Dort lebt der Kalte König, Herr von Akalt, und wacht über seine Untertanen. Damals war und derzeit ist es Tecÿnoal Krautfaust, ein Bär von einem Mann, doch auch weise und gütig. Ich hatte nur vorgehabt für einige Tage in dem Ort zu bleiben, um dann in den Wald und die Schmelzöfen vorzustoßen, doch Krautfaust schien von mir gehört zu haben und rief mich an seinen Hof.

In der Nacht zuvor war es aber, da hatte ich einen schrecklichen Alptraum. Meine Unterkunft hatte ich in einem Gasthaus am Rande der Stadt bezogen. Es war bereits dunkel und ich wollte nur noch schlafen, da klopfte es an der Tür zu meinem Zimmer. Es beunruhigte mich sofort, erwartete ich doch niemanden. Während ich fragte, wer da sei, erhob ich mich gleichzeitig und griff nach meinem Schwert, das neben meinem Bett lag. Mir antwortete niemand, doch klopfte es erneut, weshalb ich, nun für den Notfall kampfbereit, den Besuch zu mir hereinrief.

Schnell sollte ich mir wünschen, es nicht getan zu haben. Knarrend öffnete sich die Tür langsam und sofort lag der Geruch von Hasenblumen in der Luft, die bei euch, doch nicht in Akalt wachsen. Der Flur des Gasthauses war seltsam pechschwarz und aus ihr heraus sowie in mein Zimmer hinein trat eines der Wesen aus Nardújarnán, ein Fahach. Es war unbekleidet und sofort erkannte ich dieses an seiner Narbe quer über der Brust sowie dem seltsamen Bart, der seinem Gesicht entwuchs, doch nicht zu diesem sonst haarlosem Wesen zu passen schien.

Ich fragte ihn, was er begehrte; eine Antwort folgte nicht. Mein Herz raste, war ich doch seit Monden, seit Jahren von ihm verschont worden. Er aber blieb nur in dem Raum stehen, während sich die Tür ohne Hilfe leise hinter ihm schloss. Der Geruch wandelte sich schlagartig um in den verbrannter Asche, als er die Arme weit ausladend hob. Feuer floss von seiner Stirn über Schultern zu den Händen sowie ebenfalls hinunter zu den Füßen. Unsere Umgebung wandelte sich gleichfalls. Wo eben noch das Bett zwischen uns stand, erhob sich plötzlich die ausladende Kette der Schmelzöfen, der Berge, die ich von Karten kannte. Wir schienen über dieser Erscheinung zu schweben. Ein blauschwarzgeschuppter Finger, der in eine gebogene Kralle auslief, deutete auf einen der größten Feuerberge. Ich wusste auf einmal, dass ich dorthin gehen sollte. Dann war alles vorbei, verschwunden, und ich erwachte erst wieder morgens in meinem Bett, ausgezogen und bewaffnet.

Später an diesem Tag sollte ich bei dem Kalten König vorsprechen. Er empfing mich herzlich und freundschaftlich in einem kleinen Nebenzimmer, wo ich ihm von meinen Reisen erzählen sollte. Wir tranken und freundeten uns schnell an, kann man einen solchen Mann doch auch nur lieben. Er wiederum erzählte mir von seinem Land, dessen Geschichte sowie seiner eigenen Vergangenheit. Damit schlug das Gespräch dann plötzlich um, und der König sprach von erschreckenden Dingen. Couccinne, mein Freund, alles was ich je erfuhr ist für ihn auch Wahrheit! Tatsächlich ist die Welt bedroht und die Gefahr geht von diesen Feuern aus, die wir sahen. Krautfaust erzählte mir, wie er und einige seiner Freunde diese Dinge, diese Wesen und ihre Verbündeten seit langer Zeit beobachten und versuchen würden, die Welt auf ihre Bedrohung vorzubereiten! Ganz ist ihm jedoch das alles noch nicht klar, vieles noch ungeklärt. Wer sind sie genau, woher kommen sie und warum wollen sie die Welt erobern? Krautfaust erzählte mir bloß von seiner Vermutung, dass Tól und Omé etwas damit zu tun hätten. Zumindest scheint klar, dass sich die Welt in den nächsten Jahren großen Bedrohungen ausgesetzt sehen wird, die wir versuchen müssen zu verhindern.

Auch ich berichtete ihm von unseren Erlebnissen, die ihm ein wenig neuen Aufschluss, doch auch Rätsel gaben. So konnte er mit meinen Erscheinungen nur wenig anfangen, ein Puidor war ihm unbekannt, auch ihre Art der Opferungen. Letztlich kannte er auch die Fahach oder Ašckhir nicht, doch schien ihn das zu beunruhigen. Genau genommen waren es sogar meine alten Erscheinungen und Erzählungen, die ihn dazu bewogen mich zu rufen und einzuweihen. Der Kalte König überzeugte mich, meine Reise in die Schmelzöfen aufzugeben und stattdessen zu einem seiner Freunde zu reisen, dem Anführer des sogenannten Netzwerkes, welcher damals in Ruken lebte. Einige Wochen verbrachte ich mit diesem Mann, Temperian Braulkir, der mir mehr erzählte. Vielleicht bist du ja unterrichtet, dass das Reich Ijen, wie oben schon erwähnt, in den letzten Jahren etliche kleine Länder um sich herum unterwarf, so auch Ruken. Braulkir zeigte mir, dass Ijenreich auch ein Teil des Bösen sei. Ich erkannte diesen Namen nun auch endlich aus meinem alten Wachtraum, den ich in Abajez hatte und erzählte ihm davon, nannte ihm auch die anderen dort erwähnten Namen. Auch er konnte mir nicht sagen, weshalb geschieht was geschieht und was meine Erscheinungen zu sagen haben, kannte auch nur Hinweise, die auf Tól und Omé deuten, noch überliefert von Tamirús, dem letzten Herrscher von Lurruken. Diese alten Hinweise ließen mich schaudern, kann ich mir die gewaltige Zeitspanne doch kaum ausmalen, in der die Menschheit nun schon aus dem Dunkel bedroht sein muss.

Als wir beide nicht mehr weiter wussten, kam eine Botschaft aus Solutetor, einer Burg in Aleca, welche die Festung Dalchon stets für Braulkir im Auge behielt. Da Dalchon sich anfing zu rühren, reiste ich sofort nach Solutetor ab und hier bin ich nun. Erst die Gespräche mit dem Herrn der Burg gaben mir die Erinnerung zurück, dass dein Orden, deine Arbeit sich stets am meisten mit Omé befassten. Ich sende dir hiermit ausführlichere Berichte über alles, was wir wissen, die dich aufklären sollen, und bitte dich, uns deine eigenen Erkenntnisse mitzuteilen. Ich weiß, dass dich ebenso die Geschehnisse in Nardújarnán, Ašckhir und Ladóra nie zur Ruhe kommen ließen. Erzähle dem Herrn von Solutetor alles, was du weißt, er wird es weiterleiten an die anderen. Ich kann hier nicht mehr bleiben.

Gestern kam eine seltsame kleine Reisegruppe hier an und mich befiel die starke Vermutung, dass sie uns weiterhelfen könnten. Vor allem diese Elinna Sternstrahl scheint weiteres über die Schmelzöfen zu wissen. Heute Abend findet ein Essen statt, bei dem ich sie weiter ausfragen werde. Gleichzeitig sandten uns Kundschafter die Botschaft, dass Dalchon sich Richtung Teûnbund aufmache. Ich sehe schwarze Zeiten auf uns zukommen, mein Freund. Bald brechen wir auf, um nach Dalchon zu reisen. Wünsche mir und allen freien Lebewesen mit mir Glück!

Leider muss ich nun Schluss machen, die Pflicht ruft.

Dein Freund Falerte.

 


 

 

Hinweise des Herausgebers.

Nach diesem letzten Brief begann Falerte Khantoë seinen wirklichen Kampf gegen die Hochfesten, den seine Begleiter nun versuchen weiterzuführen. Viele Länder sind erobert, viele Krieger sind gefallen. Wir hörten von der Zerstörung von Lergis und wie die Hochfesten Ijenreich, Dalchon und Werzan in die Heimländer einfielen. Stets kämpften eroberte Völker für sie, weshalb viele von Khantoës Beschreibungen anderer Wesen und Opferungen noch nicht bestätigt werden konnten. Wir in Rardisonán und Omérian sind noch nicht bedroht, doch hört man auch schon von Kämpfen aus Nardújarnán und dem Osten. Wie es um Pervon oder die nördlichen Länder bestellt ist, vermag niemand zu sagen.

Khantoë gab sein Leben im Kampf, die unseren zu erhalten. Glaubte ihm anfangs niemand, so glauben nun alle und wir versuchen zu retten, was zu retten ist. Couccinne Carizzo half bei der Zusammenstellung dieses Bandes und ergänzte, wo Khantoës Erinnerung nicht richtig zu sein schien. Lasst uns hoffen, dass dieses eilig zusammengestellte Werk nicht unser letztes verbleibt. Lasst uns hoffen, dass zumindest die Legenden stimmen und Tól und Omé wiederkehren werden, um uns vor dem Ende zu bewahren.

Solero y Cyprilla, Toljidarin

Karison, Ojútolnán, 09.10.3999

Anhang

 

Zur Aussprachehilfe in [ ]: Vokale kurz. Zwei Vokale hintereinander = langer Vokal. Sonst lesen wie es ein Sprecher des Deutschen lesen würde (das gilt v.a. für e, ä, ch, sch, dsch, tsch). s = weiches S, z = scharfes S, ź = gelispeltes scharfes S.

Für die Aussprache an folgenden irdischen Sprachen orientieren:

Namen aus Ojútolnán: Spanisch, Malaysisch – Akzente ‚ geben betonte und gelängte Silbe an

Namen aus Ramit: Arabisch

Namen aus Omérian: Italienisch, Malaysisch – Akzente ‚ geben betonte und gelängte Silbe an

 

Anmerkungen zur Zeitrechnung

Zeitrechnung:

1 Minute = 50 sec.

1 Stunde = 50 min.

1 Tag = 26 Stunden

1 Monat = 29 Tage + 2 (meist als Feiertage, insgesamt 4 Wochen)

1 Jahr = 372 Tage (12 Monate + 24 Feiertage)

1 Jahr entspricht etwa 0,7 (gerundet) Jahren unserer Zeitrechnung.

Beispiele:

5 Jahre -> 3,8 Jahre

10 Jahre -> 7,6 Jahre

15 Jahre -> 11,5 Jahre

20 Jahre -> 15,3 Jahre

25 Jahre -> 19,2 Jahre

30 Jahre -> 23 Jahre

40 Jahre -> 30,7 Jahre

50 Jahre -> 38,3 Jahre

60 Jahre -> 46 Jahre

80 Jahre -> 61,3 Jahre

100 Jahre -> 76,7 Jahre

Der Jahreszyklus in den meisten Ländern sieht folgendermaßen aus:

Mondzyklen 1 – 3 = Frühjahr

Mondzyklen 4 – 6 = Sommer

Mondzyklen 7 – 9 = Herbst

Mondzyklen 10 – 12 = Winter

Er orientiert sich an dem Mondzyklus des weißen Mondes und stellt nur einen Mittelwert dar, da die Zyklen Schwankungen unterworfen sind.

 

Länder und Provinzen:

Akalt:

/a-kalt/

Königreich am Geistmeer, westlich von Zardarrin, östlich der Schmelzöfen. Historisch gesehen ging es aus dem Zusammenschluss mehrerer Kaltstämme hervor, deren Vorfahren, vor allem der Kaltstamm der Indier, früher nah dieses Gebietes gewohnt hatten. Ab 833 fiel es unter die Kontrolle von Groß-Zardankin, dem späteren Zardarrin. Bis 1000 führte Arril Mavillen mit den vereinten Stämmen aber einen erfolgreichen Widerstandskrieg, der in der Schlacht des Moores ‚Arills Schlachtfeld‘ kulminierte. Zur Hauptstadt erwählte er sie Taevolon, das bereits Jahrhunderte zuvor unter dem Namen Astowolen gegründet worden war.

Aleca:

/ɑ-le-kɑ/

A. ist ein Land im Nordosten der Heimländer. Seine Provinzen mit Hauptstädten sowie der Sprachmehrheit sind, von Südwest gen Nordost:

Soluten – Solutetor – solutisch, kalt

Gunun – Joholan – kalt

Tihonmadah – Tuman – tolumisch, juepisch

Peben – Dah Ma’ara – kalt, juepisch, pakamisch

Ayfell – Ayfell – tolumisch

Gadian – Toshyan – tolumisch, juepisch, pakamisch

Raygadun – Raygadun – gemischt.

Marad mit seiner Hauptstadt Daris Marad löste sich vor einigen Jahren von A. Im Westen wird A. vom Goldfluss, im Süden von den Grünspitzen begrenzt, im Norden und Osten vom Meer. Der Soluten durchfließt das Land von Südwest gen Nordost und mündet bei Raygadun.

A. entstand langsam, aus dem Staaten- und Völkergemisch, das sich in diesem fruchtbaren, bergigen Land angesiedelt hatte. Ab 2000vdF gründeten Tolumi Kolonien in dieser Gegend, von denen heute aber keine mehr existiert. Flussaufwärts dagegen lebten einheimische Kaltstämme, mit denen man sich mal verstand, sie andern mal bekämpfte. Die Geschichte von A. ist ein wenig kompliziert und verstrickt aufgrund der vielen Staaten, Einwohner und Völker. Auch Pakama gründete schon vor 0dF hier Außen- und Handelsposten. Die Tolumi und Kalt dominierten jedoch. Ab 200dF eroberte Pakama die Küste. Oft wanderten Kaltvölker nach Süden ab, aufgrund von Überbevölkerung. 800dF zerbrach Pakama und Aleca wurde wieder zum Staatenchaos. Südwestlich von Gadun, flussaufwärts, wurde die Stadt Rajadun gegründet, die die Staaten einte und unter dem Banner von Aleca frei kämpfte. Bis 2000 herrschte die Republik Aleca zwischen den Flüssen über ein Gemisch von Völkern: Tolumi, Kaltvölker, Pakami und im Südwesten auch Colite. Natürlich wechselten diese teils auch ihre Wohnorte. 2000 ging mit dem Feuer ein Großteil von Aleca unter und versank im Meer und im Chaos. Der Süden blieb aber bestehen und sorgte bis 2244 wieder für Ordnung. 2984 bis 3244 war Aleca Teil des neuen Ojútolnán, viele Stadtgründungen fanden statt. Auch später gab es noch viele Konflikte zwischen beiden Ländern.

Heutzutage ist A. das wohl technologisch fortschrittlichste Land und gut im Überseerennen dabei. Herrscher der demokratischen Republik ist Ycr Dearu. Die Sprache ist eine Kreolsprache aus den Sprachen seiner Völker und wird Lecin genannt.

Emadeten, Freies Königreich:

/e-ma-de-tǝn/

Ein Land von Rardisonán an der Laruinto, zwischen den Sümpfen von Belané und den Flüssen Gumond, Gascirn und Monwasser, Hauptstadt Belané, weitere große Städte sind Peridé und Norilé.

Nach dem Jahr 2000 war Emadeten stark genug, sich von Iotor zu lösen und erklärte sich zum Königreich. Später landete Raréon an der östlich gelegenen Banurburta. Unter Gerí Anaruen war Emadeten Verbündeter von Raréon gegen den Rest von Iotor um Aurost. Sein Sohn Camón dagegen hielt nicht zu Rardisonán, da mittlerweile der Herrscher von Tobjochen Tolnán von Rardisonán war und zwischen diesem Land und E. starke Spannungen herrschten.

Nach weiteren 150 Jahren Nachbarschaft bestanden aber zahlreiche entstandene Familienbindungen zwischen beiden Ländern und E. akzeptierte Rardisonáns Schutz vor Piraten der Schwarzsee. Die Verbindungen beider Länder wurden immer stärker und bis 2600 war E. quasi Vasallenstaat von Rardisonán. Es nennt sich aber weiterhin Freies Königreich, gehört aber zum Land Rardisonán und dem Reich von Ojútolnán. Der König wählt den Tolnán mit bzw. stellt sich auch selbst zur Wahl und sendet Stellvertreter für den Hof des Tolnán und dem Fürstenrat aus, hält die allgemeinen Gesetze ein, erlässt auch eigene und sorgt größtenteils selber für die Verwaltung des Landes. Die Landwächter von Rardisonán kontrollieren jedoch trotzdem die Straßen.

E. ist ein Fluss- und Auenland, mit weitläufigen Sümpfen an der Küste, die den Bau größerer Häfen verhindert haben. Im Süden jedoch ist das Land sehr ansprechend.

Galjúin [Gall-chuu-inn] – Provinz von Nardújarnán

Icran:

-kʀan/ (Icraner, Cranisch/Honnisch)

Kleines Land am Shadongorf, zwischen Rardisonán und der Sobilöde. I. ist ein hügeliges, von vielen Flüssen durchzogenes Land, deren größten die Flüsse Tessib, Sobille und Tolovon sind. I. besteht aus der Halbinsel Scirtien, Tessibel mit dem Sumpfdelta des Tessib, das kleine Bergland der Honnrücken sowie Tomirratten, dessen Land langsam in das Wüstenland der Tolumwüste übergeht. Die Hauptstadt ist Scirdok am Kap Scir der Halbinsel. Die meist instabilen Regierungen des Landes mögen für Außenstehende skurril anmuten: I. wird von einem Rat aus sechs Personen regiert, den reichsten Männern des Landes, die ihr Kapital nicht verlieren dürfen, sonst sind sie wieder raus. Bedingungen sind, dass man ein adliger, reicher, männlicher Mensch sein muss, Teile davon sind jedoch problemlos erkaufbar. So entsteht natürlich jede Menge Korruption und Intrigen sowie inneren und äußeren Konflikten. Sklaverei ist die höchste anwendbare Strafe des Landes.

Gegründet wurde I. gegen 2917 von dem Piraten Docrenn Begonn, der vor den Schwarzseepiraten flüchtete und sich ein kleines Reich im als verflucht geltenden Anthar, den nördlichen Überresten von Manthen, aufbaute. I. hieß ursprünglich Iscran und kämpfte oft mit den sceshischen Piraten, welche in den heutigen Honnrücken lebten. Docrenn mischte seine Sprache mit der ihren, woraus sich das heutige Honnis entwickelte.

Weitere größere Städte nach Scirdok sind Morchan am Tessibel-Delta, Askchar am Tomir und Notesc (Nocstce) am Shadongorf, letzteres die heutige Heimat der sceshischen Piraten. Wegen Nocstce hat man öfter Probleme mit Rardisonán, da dieses die Piraten nicht sehr schätzt. Als I. gegen 3357 Rardisonán in einer Schwächephase auch noch angegriffen hatte, schlug dieses bald zurück. 3578 trennten sich einige der Gebiete, die einst zu Rardisonán gehört hatten, von I., gefördert von Rardisonán. Seit 3614 gibt es einen Friedensvertrag, dessen Bedingung die Unabhängigkeit dieser Gebiete ist: sie haben sich mittlerweile vereint und sind als Toch-Bas bekannt.

I. ist ein Land von Mischlingen, viele haben toljikische, tolumische oder manthische Vorfahren. Auf der Flussinsel Huluver leben die Huluveri, reine Nachfahren von Manthen, aber nicht völlig menschlich. In Tomirratten leben einige H’elchen, deren genaue Vorfahren unbekannt sind. Trotz aller Korruption der Machtinhaber wird übrigens Kriminalität unter der normalen Bevölkerung meist hart geahndet und so mancher musste schon die Sklaverei.

Jaduiza

Lurruken:

/lur-ru-ken/ Lurruken hieß das Reich, welches einst begrenzt wurde von dem Vergessen Gebirge und den Pervonsteinen im Westen, den Hölzernen Bergen und dem Azirun im Süden, dem Cormoda im Norden und dem Geist und dem Ostmeer im Osten.

Seine Anfänge nahm es bereits gegen 159vdF und bestand bis zu dem großen Chaos das auf der Welt herrschte im Jahr 2000dF.

Des Reiches größter Herrscher hieß Tamirús, welcher seine Heimat Tamilor zur Hauptstadt machte. (Heute liegt Tamilor tief in Tamirús Grab, dem gefürchten Moor in das sich nur wagemutige Abenteurer wagen.)

Lurrukens Nachbarländer waren im Jahr 1900 (zum Höhepunkt der Ausdehnung des Reiches): Fernland, Pervor (dem heutigen Pervon), Udar, Haret (dem heutigen Aluma und Panme) sowie Ijen im Westen, Luvaun und Zardarrin im Norden, Osgird (liegt verblüffenderweise heutzutage tausende von Flügen weiter westlich als damals noch) und Louch im Süden. Außerdem lag es mitten im Herzen des Reiches Stirmen, welches Lurruken nicht anzugreifen wagte.

Der größte See Lurrukens war der heutige Minîrnsee, der längste Fluss der Geist, das größte Waldgebiet (nach Stirmen natürlich) der Salzwald.

Die 23 Provinzen Lurrukens zu seiner Blütezeit waren von West nach Ost (mit Hauptstadt): Demīrus (das heutige Demirn, Hauptstadt Rudir, heute Roudir), Esīrem (Schorbrom), Mummulate (Tummuale, heute tief im Tummualesee liegend, zweitgrößte Stadt Līman), Kania (Kanh), Kenrūken (Rūken), Tamilorum (Tamilor, zweitgößte Stadt Sēnea [Seenea]), Pardastirm (Saldān), Salzwald/Sunumcalt, Danemcalt (Pakalt), Pardacalt (Rheiban), Pangeis (Panen, größte Stadt Geistig), Danemstirm (Arasanh), Sunumstirm (Ketaine), Danemloue, Cosasirun (Serra), Pardālon (Arsullan), Ranumtergin (Maggin, das heutige Maggir), Pardageis (Selaine), Ranummond, Dalgeis, Coslame (Yolame, heute Yasleam genannt), Cosforne, Coshein (Tambaheim).

Von dem einstigen Imperium existieren heute nur noch der kleine Stadtstaat Ruken und Demīrus in Form von Demirn, alles andere ist nur noch wenig besiedelt. Aber auch Līman, Seenea, Saldān, Maggir, Roudir, Arsullan und Yasleam sind noch da.

Machey:

/ma-xi:/ Benannt nach Mytillin Machey. Land im Britanlak-Tal zwischen Erzherz und Lusuvameer, Magisil und Goldfluss, zwischen Rardisonán, Aleca und Panme. Königreich, Sitz des Lorts ist Illort. Machey wird von Adligen kontrolliert, die dem Lort Hörigkeit schuldig sind. Der Lort kontrolliert die Armee. Die Sprache von Machey ist das Imaria, die Bevölkerung nennt sich Imari. Seit seiner Gründung ist Machey fast dauernd im Krieg mit Rardisonán. Dieses hat schon fast Tradition. Die Grenzen sind auch stark mit Festungen gesichert.

M. lebt hauptsächlich von der Agrar- und Minenwirtschaft, sowie vom Handel. Dies brachte ihm in Rardisonán den Ruf als rückständig ein. M. ist weitläufig besiedelt, die meisten Städte sind aber höchstens mittelgroß. Das Land ist in 10 Regionen gegliedert, welche sich wiederum in die Lehen der Adligen unterteilen. Der derzeitige Lort ist Martynne Varlent.

Nardújarnán:

/nar-du:-ʤ ar-na:n/

Bekanntermaßen unterteilt sich das Reich Ojútolnán in vier Regionen, auf drei verschiedenen Kontinenten: Rardisonán, Rinuin, Nardújarnán und Acalgirí. Ist Rardisonán zwar der älteste Teil, ist Nardújarnán doch der größte und nach Acalgirí der wildeste und unerforschteste. Offizielle Amtssprache ist Toljipajin, doch wird in den meisten Gegenden tatsächlich noch hauptsächlich Toljúipa gesprochen, Hauptstadt ist Ejúduira. N. erstreckt sich von den Flusslanden Sisientas am Inselmeer im Westen bis zum Meeresgebirge Labuiras am Ozean im Osten (gut 2000 Flüge), sowie vom südlichsten Punkt (dem Kap Holenta am Inselmeer) bis zur nördlichen Grenze Jaduizas über gut 700 Flüge (wobei Pesenno weiter östlich zwar sich noch weiter nach Norden erstreckt, doch wird eher der Durchschnitt gezählt).

Politische Unterteilung: genau wie in allen anderen Teilen Ojútolnáns nach Provinzen mit deren Hauptstädten, wobei es in N. keine Stadtstaaten gibt, sehr wohl aber städtelose Provinzen. Jede Provinz hat eine Obrigkeit, wobei sich auch die Teile der Regierung in Obrigkeiten (z.B.: Ejúduira (Regierung), Atáces (Militär), Elpenó (Seefahrt)) unterteilen. Von West nach Ost sind diese Provinzen (mit event. Beschreibung und Hauptstadt):

Sisienta (Flussland), Sieranta (Flussland), Patapas, Galjúin (Bergland am Meer mit vielen Buchten & Halbinseln; H: Elpenó; auch wichtig: Abajez), Fuiran (am Ladú Fuiran; Seenland; H: Pórga), Tadúnjódonn (am stärksten besiedelt; ebenes Land; H: Atáces; auch wichtig: Almez), Jaduiza (Grenzland am Oberlauf des Flusses; H: Cabó Canguina), Ebanó (westliches Gebiet des Deltas; H: Bemuido), Tabiaten (größte Provinz, ländliches Gebiet; H: Ejúduira), Iganosnán (das sumpfige Echsenland; H: Arodaza), Labuiras (das schmale, lange Land zwischen Meer & Gebirge; H: Aiduido Elazar), Pesenno

Die meisten Städte auf einen Fleck findet man rund um den Gald y Panguino.

Ojútolnán:

/ɔ-xu:-tɔl-na:n/

Eines der größten bekannten Reiche der Welt, neben Pervon, Voblooch und Catissa. Der Tolnán ist quasi ein Gottkönig und herrscht von Toljúin aus über die vier Teile seines Reiches, die vier Ecken der Welt: Rardisonán, Nardújarnán, Rinuin und Acalgirí. Diese Teile selbst werden jeweils von gewählten Fürstenräten aus den Reihen der Herrscher der Länder der Reiche kontrolliert. Jedoch muss auch ein jeder Fürst einen Gesandten an den Hof des Tolnán schicken, der diesen informiert, berät und wiederum Befehle erhalten kann. Die Fürstenräte werden aus den Reihen der obersten Fürsten gewählt, wobei die Könige von Königreichen meist Stellvertreter zur Wahl entsenden.

Königreiche: Der Titel des Königs ist vererbbar, der Rest des Reiches wird gewöhnlich unter Adligen aufgeteilt, die dem König Tribut und Gehorsam schuldig sind.

Fürstentümer: Der Fürst wurde irgendwann vom Tolnán oder dem Fürstenrat eingesetzt oder vom Volk gewählt.

Omérian:

/o-me:-ri-an/

Land auf der Halbinsel Tanderomérian, gegründet von Amant Emaior zu Ehren von Omé, getrennt durch den Tanderethen (bzw. Tanderecca) vom Nachbarland Tandereis, zu dem schon seit Jahrhunderten sehr gute Beziehungen bestehen. Die heutige Hauptstadt Halkus bestand schon zu Zeiten Iotors unter dem Namen Halkis. Weitere große Städte sind Touron, Frezinne und Recellia. Zwar ist das Land nicht groß und infolge des Jahres 2000 fielen die einstigen Länder Otoriachs dieser Gegend dem Chaos anheim, doch ist Omérian heute recht stark besiedelt und wichtige Seemacht.

Derzeitige Herrscherin ist Parga Emaior. Für weiterführende Informationen mag das Buch der Länder herangeführt werden. Die Bezeichnung des Herrschertitels ist Milciar.

Ramit:

/ra-mɪt/

Ein tolumisches Inselreich im Norden der Heimländer, in der Schwarzsee, Grenze der Laruinto, nördlich von Rardisonán und westlich von Omérian gelegen. Die Hauptstadt ist Ahian auf der großen Hauptinsel Aulim. Zweitgrößte Stadt und gleichzeitig älteste ist Ayumäeh. Die sieben großen Inseln sind von Ost nach West: Aulim (die Hauptinsel), Felser und Gras (zwei hohe Klippeninseln, die kaum bewohnbar sind), Supin (die zweitgrößte Insel der Kette), Mygi, Raspin und zahlreiche kleinere, wobei sich darunter aber auch noch mehrere kleine unabhängige Siedlungen befinden. Die Insel Beles, auf welcher der bekannte Feuerberg Táun-Nir liegt, ist umstritten, sowohl Rardisonán als auch Ramit beanspruchen sie,obwohl dort kein Leben existieren kann.

Ramit hat meist gute Beziehungen zu Omérian und Tandereis, wegen ihrer teilweisen Duldung der Schwarzseepiraten aber oft gespannte zu Ojútolnán, welches die Piraten loswerden will. Deshalb gab es schon öfter Kriege zwischen allen vier Reichen. R. stammt von dem tolumischen Ratam ab, welches Teil von Iotor war und als eines der wenigen Tolumreiche die Fluten des Jahres 2000 überstand. Es lebt vor allem von Fischfang und Handel. Seine Bevölkerung ist immer noch tolumisch, der Dialekt wird von anderen Tolumvölkern aber nur kaum verstanden.

Teûnbund, der:

Auch geschrieben Teounbund. Entwickelt von den größeren Handelsgesellschaften und Kaufleuten Teûnfurts (Teoundagne), um größere Profite mit anderen Händlern am Teûn zu arrangieren und vor allem auch um sich gegenseitig zu schützen. Die Versammlung von Teûnfurt übernahm dies und gewann als ersten Partner einige Händler Amîens. Im Laufe der Zeit erweiterte sich der Bund auf zahlreiche Städte und Dörfer am Teûn und dessen Einzugsgebiet. Auch den Städten der Fostilhochebene versuchte man sich zu nähern, bisher jedoch ohne Erfolg, abgesehen von Fhisan. Teûnfurt ist wichtigste Stadt des Bundes, andere sind die schon erwähnten sowie Saldān.

Städte und andere Orte

Abajez [A-ba-chess] – Hafenstadt in Galjúin in Nardújarnán

Almez [All-mess] – Hafenstadt in Nardújarnán

Ašckhir [Aschk-chir]

Atáces [A-taa-kes] tolji. für ‚Angriffsebene‘, ‚Feldangriff‘, ‚Schlachtenebene‘ o.ä. – militärisches Zentrum von Nardújarnán

Ayumäeh:

/a-ju-me-ɛ:/

Zweitgrößte Stadt von Ramit, gelegen auf der Hauptinsel Aulim. Sie ist die älteste der Städte von Ramit, existierte schon vor dem Jahr 2000 und hat die Fluten wie durch ein Wunder nur teilweise beschädigt überstanden und wuchs später bis an das neue Meer heran. Im Norden der Stadt fängt das Hochland mit seinen Klippen an, welches diesen Teil der Insel prägt, nach Süden hin liegt das Tiefland. A. liegt an einer kleinen Bucht, der Hafen wurde durch Dämme und Wellenbrechern vor dem Meer gesichert. Eine Stadtmauer hat sie schon lange nicht mehr, da aus dem Inland eigentlich keine Feinde mehr kommen können. Die Stadt ist vor allem bekannt für seine Werften, den Handel, Fischfang, seine Kunst sowie Kultur.

Belané [Be-la-nee] tolji. ‚Sumpfdorf‘ – Hafenstadt in Emadé

Cabó Canguina

Camdis

Ciprylla:

/kɪp-rɪl-la/

Hauptstadt der Provinz Guihúda in Rardisonán, gelegen am Cip Rylla, teilweise an der Klippe, teilweise auf einer Klippeninsel. Gegründet unter dem Namen Rylla, ca. um 347vdF, nördlich von Soráre als Hafenstadt von Deltan. Der Söldner Kahron Mharale besetzte Rylla 211dF und nannte sie Ar-Rillach. Deltan lag im Krieg gegen die Tolumländer und Mharale eroberte mehr und mehr Gebiete. 232 zerstörte er Soráre, 236 wurde er ermordet. Sein Nachfolger führte den Wettbewerb in den Höhlen unter Rylla ein, mit dem fortan immer der Herrscher der Stadt ermittelt wurde. Das Große spiel wurde 239 von Navell Golando zur festen Institution erhoben, ebenso wurden Söldnertruppen teil der Stadtphilosophie. Sein Nachfolger Endema Lújano eroberte bis 329 die hälfte des ehemaligen Deltán. Später reichte das Reich bis zur Merrylla und wurde unbenannt in Guehúdan, während die Stadt Arrylla hieß. Als der Krieg zwischen Rardisonán und Machey immer härter wurde, geriet Guehúdan langsam unter den Einfluss von Rardisonán und ist heute Provinz.

Zum Großen Spiel kann jeder zugelassen werden. Der Gewinner wird wahlweise Herr von Guihúda oder reich. Nebenbei gibt es zahlreiche andere Spiele in der Stadt der Abenteurer. In C. kann man jederzeit abenteuerlustige Gestalten und Söldner finden, die Stadt gilt auf dem ganzen Kontinent als Anlaufpunkt für ehrliche Geschäfte. C. ist die mit Abstand größte Hafenstadt von Rardisonán. Vor Längerem versucht C. wieder unabhängig zu werden und schaffte dies auch, sah sich danach aber ständigen Überfällen gegenüber. Es gliederte sich wieder ins Reich ein unter strengeren Bedingungen des Tolnán.

Ejúduira:

/ε-xu:-dwi-ra/

Größte Stadt und Hauptstadt von Nardújarnán und der Provinz Tabiaten. E. liegt am nördlichen Beginn des Deltas des Tajazi. Die stadt wurde größtenteils auf durch Kanälen gebildeten Inseln errichtet, zahlreiche Brücken verbinden diese. In E. liegen die Zentralen der beiden Obrigkeiten, die große Guigans, ein großer Hafen für Fluss- und Seeschiffe, der große Zentralmarkt, das Jagdhaus sowie vieles mehr.

Halkus:

/hal-kus/ oder /xal-kus/

Stadt an der Mündung des Tanderethen an der Bucht von Halkus in Omérian, Hauptstadt des Landes.

Die Stadt Hakus war einst Hauptstadt des Tolumenlandes Otoriach, aus dem später Iotor hervorging. 2000 ging die Stadt unter, ihre Ruinen müssten am Ostende der Bucht von Halkus liegen. Flüchtlinge gründeten westlich an der neuen Küste schließlich Halkus, eine neue Stadt. Auf der Halbinsel Tanderomérian lebten nach 2000 versprengte Völker von Tolumen und Juepen, H. war von beiden beeinflusst. Nachdem Amant Emaior die Burg Omérian (das heutige Frezinne [Frecinne]) gegründet hatte, begann das Luvaunische im Land Einfluss zu nehmen. Letztlich setzte sich aber H. als Hauptstadt eines geeinten Reiches Omérian durch.

H. liegt auf flachen, sanft geschwungenen Hügeln, die weißen Mauern der Häuser erkennt man schon vom Meer. Der Palast des Milciar thront über allen anderen Häusern, daneben eines der größten Heiligtümer der Omé. Neben Frezinne ist H. das größte Zentrum des Omékultes und ein wichtiger Hafen vor oder nach der Durchfahrt durch den Sund von Omér und außerdem Omérians Tor in den weiten Osten.

Ladóra

Médyhúda – tolji. für ‚Mitten im Wald‘ bzw. ‚Mitte des Waldes‘

Nocstce

Peridé [Pe-ri-dee] – Stadt in Emadé

Rardisonan:

/ɹaɹ-di-so-nan/ (tolji.: Rar’s Hauptstadt).

Hauptstadt von Iotor, einem Fürstentum von Rardisonán, gelegen auf einem Dutzend Inseln in der Banurburta, der Mündung der Miabanur in die Laruinto. Ein Viertel der Stadt, die sogenannte Verbrannte Stadt (zurückzuführen auf einen einstigen Brand und die seitdem dort sichtbaren Spuren) liegt auf dem Festland, an der Miabanur-Mündung, der Rest auf den Inseln. Der bewohnte Hauptteil der Stadt liegt auf der großen Hauptinsel und den 3 weiteren größten Inseln. Südlich des Hauptteiles liegt ein großes Inselgefängnis, das größte Gefängnis von ganz Rardisonán, abgesehen von dem bei Magin. Südöstlich liegt der Marinehafen der Stadt, der größte und wichtigste von Rardisonán. Weiterhin liegt im Süden ein Landeplatz für Veduigirm.

Die Burg der Stadt liegt auf der Hauptinsel. Sie geht auf das Lager zurück, welches Raréon an dieser Stelle nach seiner Ankunft an der Laruinto errichtete. So war die Stadt auch lange Jahre Hauptstadt von ganz Rardisonán, bis zu den Bürgerkriegen und der Gründung von Toljúin.

Rees:

/ri:s/ Auf Toljipajin: Rées /ɹe:s/. Im Tarlischen: Rheese /ɹi:s/.

Die älteste existierende Stadt Macheys liegt an dem kleinen Fluss Reesil, einem Nebenfluss des Britanlak, welcher im Erzherz entspringt. Rees war einst die mächtige Hauptstadt von Omijern und das wichtigste Handelszentrum in weitem Umkreis. Nach dem Putsch von Gusta Marénis gegen Amís Cállate, welcher daraufhin seine Exilregierung von Omijern in Fasia etablieren musste, ging es mit R. abwärts. Andere Teile von Ex-Omijern errangen ihre Unabhängigkeit oder wurden erobert. R. eroberte im Laufe der Zeit selber andere Gebiete und herrschte schließlich über das Land TuReesten, die kläglichen Überreste von Omijern und DeTukon.

Mytillin Machey übernahm schließlich das Nachbarland TuKarra und eroberte TuReesten. Dies besiegelte das Ende der Handelsstadt Rees, da die lukrativen Handelsrouten nach Norden, nach Fasia, gesperrt wurden, da M. Machey schließlich im Krieg mit Raréon lag. R. degenerierte immer weiter.

Bald errichtete das Land Machey die Los Tensarru, die wichtigste Handelsstraße des Landes, und leitete sie über die neue Hauptstadt von Machey: Illort. R. war somit von dieser Route auch abgeschnitten. Übrig blieb nur der Handel auf dem Fluss. Der Reesil ist jedoch nur schwer beschiffbar.

Heute dient R. vor allem als Garnison und Fast-Grenzposten, auch gibt es im nahen Erzherz Goldvorkommen, die in Reesten gefördert werden, dessen Hauptstadt R. ja immerhin ist.

Ruken:

Nur wenige Städte haben den Fall Lurrukens überstanden, R. war darunter. Sie ist auch gleichzeitig die größte von diesen, gegründet gegen 560dF. Heutzutage ist R. ein Stadtstaat, welcher die Stadt selbst sowie einen Umkreis von etwa 50 Flügen beherrscht. 3996 erobert von Ijen, Heimat von Temperian Braulkir, derzeitiger Herrscher (genannt Nonum) ist Henack Geshzahl.

Sódos jós Fuiran

Solutetor:

/so-lu-tə/ Festung in Südwest-Aleca und Verwaltungszentrale von Soluten. Einst herrschte man hier, von der Burg Solut aus über das ganze Land Soluten, als die anderen Gebiete Alecas noch tolumischen Staaten gehörten. Heute ist Soluten kleiner als einst, die Burg wurde aber zur weitläufigen Festung. S. liegt an der Quelle des Solutenflusses, hineingehauen in die Berge der Grünspitzen. Ein weitläufiges Höhlensystem, teilweise auf natürlichen Höhlen basierend durchzieht einige Berge, die Festung herrscht über sie. Außerhalb der großen Eingangshöhle sieht man nur eine schmale, starke Mauer und zwei Türme an den Abhängen zweier Berge, zwei weitere Türme liegen etwas höher. Ebenso liegt dort die alte Burg, welche aber nur über die Höhlen erreichbar ist. Unterhalb der Feste wird Erz gefördert und verarbeitet, den Rauch leitet man zur Spitze des Hauptberges über Röhrensysteme hin ab.

Touron:

/tu:-ron/

Größere Stadt im Westen von Omérian, gelegen an der bucht von Touron, einem Haff (bzw. einer Lagune) an der Küste der Laruinto. Nächster großer Hafen ist nach Süden hin Rardisonan (in Rardisonán), nach Norden hin Recellia (in Omérian), nach Westen hin Ayumäehr (in Ramit). T. ist bekannt für Fischfang, seine Werften und Handelsposten. Außerdem wird gerne gesagt, dass der Adel von Omérian T. häufig als Zweitresidenz nutzt aufgrund der Lagunen sowie dem angenehmen Hinterland. Ein Teil der Stadt ist von Kanälen durchzogen, die allesamt mit kleinen Booten befahrbar sind. Die Stadt ist vergleichsweise jung, wurde sie doch erst lange nach dem Jahr 2000 und der Gründung Omérians errichtet, weshalb man hier auch gut die für Omérian typische Architektur beobachten kann.

Sprachliches und Begriffe:

Guigans, die:

[tolji.] Blutsteine.

Toljipische Kaserne oder Burg einer Stadt, in der Ausbildung Unterkunft von Berufssoldaten, den Wächtern, verfügbar ist. Auch einige Außenposten werden Guigans genannt.

Landwächter – 2278 eingeführt, sollen sie für den Schutz von Reisenden fern der Städte sorgen und haben ihre Stellungen meist in Außenposten oder bei kleinen Dörfern.

Hierarchie (Ojútolnán):

niedere Ränge (‚Niederleute‘): Alui

Caris

Offiziere (‚Hauptleute‘): Jinn

Mauris

Oberoffiziere (‚Oberleute‘): Anjinn

Mantuis

Adel & Hohe Beamte versch. Bezeichnungen

Kaiser Tolnán

Stadt-, Land- und Seewächter haben spezielle Befugnisse über Militär, das sich in ihrem Gebiet befindet, die Ränge sind aber dieselben, haben lediglich teilweise zusätzliche Bezeichnungen. (So wäre ein ‚Oberster Seewächter‘ jeder Rang der sich über denen der anderen Seewächter an Bord befindet, und wenn es nur ein Jinn ist.)

Stadtwächter

Seewächter – Bezeichnung für die Seesoldaten von Ojútolnán, zurückgehend auf die Seewächter, die tatsächlich nur die Seewege überwachten. Heutzutage ‚überwachen‘ sie das Schiff auf dem sie sich befinden und haben insofern dort das Kommando.

Toljúepa [Tol-chuu-ä-pa] – Alte Form des Toljipajin, wird noch vereinzelt in Rardisonán und vor allem Nardújarnán verwendet. Die alte Form dieser Sprache heißt Júepa, die neue Form Toljipajin.

Toljipajin, das:

/tɔl-dʒɪ-pa-dʒɪn] [tolji.] Sprache des Tóls (bzw. Königliche Sprache). (Toljipisch/Tolji) Abgekürzt: tolji.

Offizielle Amtsprache im ganzen gewaltigen Imperium von Ojútolnán und sicherlich eine der meistgesprochenen Sprachen der bekannten Welt (neben Lecin, den Luvaunsprachen und Pervonisch). Vorläufer war Toljuepa bzw. Juepisch, welches heutzutage aber kaum noch verstanden wird. Entstanden ist es aus den Sprachen, welche ursprünglich in der Gegend des Guilardeltas gesprochen wurden, Legenden zufolge damit also der direkte Nachfahr der Sprache von Char y Son, sowie mit einem Hauch Luvaun vermischt und, je nach Region, manchmal auch mit Tolumi, Imaria oder örtlich vorkommenden anderen Sprachen.

Topographie

Atúposberge

Canlar – Fluss von Ladóra

Heimländer, die:

Übersetzung des Wortes und der Bezeichnung, die in den verschiedenen Sprachen den Kontinent bezeichnen, auf dem Pervon und die Länder rund um Lurruken liegen. Andere Bezeichnungen sind: Kolessan, Coledarth, Coledaun, Coledagne, Kaltländer, Kaltlande, Gar-Salh, L’em-Richa, …

Jannis – Fluss bei Cabó Canguina

Laruinto, die:

/la-rwin-to/ auch genannt Laruento.

Die L. ist ein Zwischenmeer zwischen dem Festland von Rardisonán und den ramitischen Inseln. Sie ist stark befahrenes Gebiet, findet man hier doch die Küsten von Ojútolnán (Rardisonán), Ramit, Omérian, Salaius, Toch-Bas, Icran sowie manchmal der schwimmenden Stadt Becradu. Große Buchten sind vor allem der shadon-Gorf, aber auch die Lohburta und die Banurburta. Vor dem Jahr 2000 war die Laruinto völliges Festland, hier lagen vor allem Juepenreiche, die nun verloren sind. Zalreiche Ruinen liegen am Grund der Laruinto, die meist wenig tief ist.

Mijalar [Mi-dscha-lar] – größter Fluss von Galjúin

die Mijalar (oder Mijalaría im Toljúepa). Der Name ‚Kalte Wasser‘ geht darauf zurück, erzählte man mir, dass der Fluss größtenteils ein reißender Gebirgsfluss ist.

Schmelzöfen, die:

Größtes Gebirge der östlichen Heimländer. Die S. reichen von den Grauspitzen im Nordosten, einem Ausläufer der S., bis nach Süden an den Wald von Stirmen. Einst war es eine gewaltige Barriere zwischen dem Hochland von Westlurruken und dem Tiefland von Ostlurruken. 2000 überflutete das Meer das Tiefland und hielt erst an den S. Die große Schmelzbucht hat ihren Namen von den S. Ihren eigenen Namen haben sie von den zahllosen Feuerbergen, einige davon sind noch aktiv. Nebenflüsse der Cormoda kommen aus den S. Im Norden soll angeblich die Hochfestung Werzan liegen. Die S. sind völlig von Wald umgeben, auch ihre niederen Hänge hinauf. Im Westen der Salzwald, im Süden Stirmen, im Norden der Fisanwald, im Nordosten der Geronanwald. Akalt ist das einzige Land, das Ansprüche auf einen Teil der S. erhebt. Die S. sind aber ein beliebtes Jagdgebiet, selbst Macaten findet man hier – und auch nirgends sonst. Zu Zeiten Lurrukens wurde auch etwas Bergbau betrieben, doch scheinen die S. kaum etwas wertvolles zu bergen.

Schwarzsee, die:

Auch bekannt als Zwischenmeer, Weite See oder Das Blau.

Die S. ist ein großes Meer, das auf drei Seiten von Küsten umgeben und zur vierte, der westlichen Seite hin, offen ist. Im Osten bietet nur der Sund von Omér eine dünne Durchfahrt von West nach Ost. Im Jahr 2000 breitete sich die S. gewaltig aus, wobei unbekannt ist, wie die Nord- und Westküsten damals aussahen, doch müsste das Meer damals etwa halb so groß gewesen sein. Im Osten existierte aber auch da schon eine schmale Schlucht, aus der der Sund von Omér wurde. Die S. ist bekannt für ein warmes Klima an ihren Küsten, den zuverlässigen Strömungen und der Vielfalt seiner Tierwelt. Im Osten liegen zwischen Nord- und Südküsten große Inselarchipel, bekannt als die ramitischen Inseln sowie den Inseln der Schwarzseepiraten. Im Süden liegt die Hohe-Berge-Insel, die 2000 entstand, als das Gebirge umspült wurde. Auch im Westen liegen zwischen Nord und Süd Inselketten, vor allem vor Rinuin. Einst war die S. fast gänzlich ein Gebiet der Tolumen, die man heutzutage nur noch an einzelnen Küsten sowie im Nordwesten findet. Heutzutage wird die S. vor allem von Ojútolnán, Ramit, Omérian, Piraten und Händlern befahren.

Sund von Omér, der:

Vor dem Jahr 2000 war an der Stelle des heutigen Sundes noch eine sehr steile und hohe Schlucht, eine Kluft zwischen den Heimländern und den Nordkontinent, der per Brücke überquerbar war. Dafür war es damals für Schiffe sehr gefährlich, die Kluft zu durchqueren. Nicht umsonst nannte man die Meerenge damals auch oft Todesenge. 2000 jedoch stieg der Meeresspiegel der Welt und der Sund wurde zu dem, was er heute ist. Seinen Namen bekam er jedoch erst Jahrhunderte später mit dem Aufstieg von Omérian. Die Brücke, welch einst beide Kontinente verband, ging mit den Fluten unter. Heutzutage könnte ein geübter Schwimmer den Sund zwar immer noch durchqueren, wenn ihn die Strömung nicht mitreißen sollte, doch den Versuch einer Brücke wird niemand mehr wagen können. Mehrere Stromschnellen, Strudelund versteckte Felsen machen die Durchreise auch heute noch gefährlich. Der Sund verbindet die Schwarzsee mit dem östlichen Ozean. Benannt ist sie nach den Kap Omér, welche an einem Eingang zu der großen Bucht liegt, an der wiederum Recellia liegt. Dies alles gehört zu Omérian. Am Ostende des Sundes, auf dem Nordkontinent, liegt der Stadtstaat Irlost.

Tajazi, der:

/ta-ʤa-zi/

Größter Fluss von Nardújarnán. Entspringt im Carajúl und durchfließt zunächst den Dschungel gen Süden, dann eine Weile durch Hügel- und Weideland. Nach Ejúduira beginnt sein gewaltiges Delta, das größte bekannte der Welt. Der T. mündet im Südosten schließlich im Meer.

Fauna und Personen

Menschen, die:

Eine der vorherrschenden Rassen der Welt. Fast überall verbreitet und als Rasse sehr expandierend und anpassungsfähig. Ihre Population geht in die Millionen, ihre Zahl ist mit natürlichen Mitteln kaum zählbar. Sie sind im Normalfall etwa zwischen 1,40 und 1,90 Füße groß, ihre Hautfarbe reicht von hell bis fast schwarz, auch bei Augen- und Haarfarben besteht ein breites Spektrum.

Sie beherrschen fast alles, haben sich als Rasse aber vor allem auf die Expansion und was dafür notwendig ist spezialisiert. Es existieren viele Unterarten. Die M. sind schon fast von Natur aus zerstritten und in zahlreiche Nationen gespalten.

Possel, das:

/pɔs-səl/ Kaltischer Name, der auch im Imarischen übernommen wurde. Toljipischer Name: Pojél /pɔ-xe:l/

Säugetier aus Nardújarnán. Monströses Tier mit ca. 3,5m Schulterhöhe. Besitzt längere Vorder- als Hinterbeine und einen Buckel auf dem Rücken, der durch die ungleichen Beine noch verstärkt erscheint. Der Höcker wird von einem Kranz Haaren umgeben, sonst ist das Possel nur mit kurzen, meist sandbraunen Haaren bedeckt. Der rundliche Kopf ist durch eine massive Knochenplatte geschützt, die sich nach oben hin in leicht geschwungene kurze Hörner verjüngt, nach unten hin aber in zwei dicke, ca. 1,5 Füße lange Stoßzähne ausläuft. Statt einer Nase ziert das Possel ein kurzer Rüssel und am Ende des abfallenden Rückens sitzt ein kurzer, unbehaarter Stummelschwanz mit pinselartigem Haarbüschel am Ende. Vom Hals bis zum Bauchansatz hängt bei ausgewachsenen Tieren ein Hautlappen, der einst den früheren Wüstentieren als Kühlung diente. Noch heute ist er bei Männchen größer als bei Weibchen und meist leicht bunt gefärbt, besonders zur Paarungszeit.

Raréon:

/ra-re:-ɔn/

Genaue Herkunft, Geburtsdatum und Todesdatum unbekannt. Um alle drei Punkte ranken sich zahllose Legenden. Vermutlich kam er aus einer kaltsprachigen Gegend, Stirmen wäre nicht unwahrscheinlich. 2010 tauchte er bei Tól und Omé in Lían auf und war anfangs enger Freund der Tochter Lían. 2012 begann er seine Expedition über Land. Dabei machte er die Bekanntschaft von Tamirús und Mytillin Machey. 2015 erreichte er die Mündung des Flusses Miabanur, wo er Rardisonan gründete und damit den Grundstein von Rardisonán legte. Nach einem Krieg mit Iotor zerstritt er sich mit Machey, woraus der spätere ewige Krieg zwischen diesen Ländern begann. 2036 lernte er Sedíra kennen und lieben. Nachdem er sie drei Jahre später im Krieg gegen Machey aus Versehen erschoß, zog er sich trauernd für immer zurück und wurde nie wieder gesehen. Hieraus entstanden weitere Legenden, z.B. dass er heimlich oder anderswo starb, von Tól und Omé bei ihrem Verschwinden mitgenommen wurde oder ein Geschenk des Tamirús ihn in eine andere Welt führte. Heutzutage wird er als eine Art Schutzgottheit in Ojútolnán verehrt und man erwartet seine Rückkehr in schlechten Zeiten, ähnlich wie es vojn Tól und Omé sowie Lían gesagt wird.

Tól und Omé:

/to:l und o-me:/

1980 erschienen sie vor Arasanh und gewannen ihren ersten Anhänger, Gaunus, als sie das drohende Ende der Welt und die Menschen retten zu wollen verkündeten. 1982 bekamen sie ihre Tochter Lían, spätere erste Herrscherin des Reiches Tólome, und gründeten die gleichnamige Stadt ein Jahr später. 1988 bekamen sie auch ihren Sohn Raí.

Bis 2000 hatten sie eine gewaltige Anhängerschar um sich gesammelt und als dann tatsächlich Feuer vom Himmel fiel und viele Landstriche versanken, glaubten ihnen die Menschen. 2010 ließen sie von ihren Anhängern Raréon und Amant Emaior die Welt neu erkunden und gewannen so gleichzeitig Einfluss auch in anderen Teilen der Welt. 2071 folgten die großen Schlachten gegen Silön; zu Dritt verschwanden sie aber schließlich.

Zahlreiche Gerüchte entstanden um ihr Verschwinden, insbesondere, da sie nur ihrem Heerführer ein letztes Mal erschienen, sonst sah sie niemand. Die meisten ihrer Anhänger, die man heutzutage vor allem in Tólome, Ojútolnán, Omérian und teilweise auch Aleca findet, glauben, dass sie sie in Zeiten großer Not erneut auftauchen werden und erwarten dies für das Jahr 4000. Noch gibt es aber keine Anzeichen ihrer Wiederkehr.

In Ojútolnán wird v.a. Tól als Gott verehrt, in Omérian ist es Omé, was zurückzuführen ist auf die Gründer dieser Länder, ihrer Anhänger. In Tólome werden beide sowie Lían verehrt. Auch in anderen Ländern findet man Anhänger, wie in Zardarrin seit der jahrelangen Besetzung durch Ojútolnán.

Tošaren, das:

/to-sa-ra/ [pak.] Im Imarischen: Tosaren /tɔ-sa-rən/, im Tarlischen: Tosran /tɔs-rɛn/

Etwa menschengroßes Säugetier, welches aus den pervonischen Steppen stammt, aber auch überall sonst gezüchtet wird, wobei die pakamische Domestizierung die bekannteste ist. Das Tier besitzt lange, kräftige Beine mit Hufen sowie einen kräftigen Körper mit langem Hals und kleinem Kopf. Dieser ist leicht oval geformt mit kurzen dreieckigen, sehr beweglichen Ohren. Ähnlich dem Possel ist das T. nur mit kurzen Haaren bedeckt. Der kurze Schwanz bildet hierbei eine Ausnahme, da er mit langen Haaren bedeckt ist und einen Schweif bildet.

Das T. ist mittlerweile in vielen Gegenden das bevorzugte Reittier, wenn man auf die Schnelligkeit eines Sacalem verzichten kann und die relative Bequemlichkeit und Kraft eines Tosara bevorzugt.

 

 

Personen:

Falerte Khantoë [Fa-lär-tä Chann-to-ä]

Nuref Khantoë [Nu-reff]

Mhadal Khantoë [Maa-dall]

Puidor [Pii-dor] Toljipajin für ‚Fischer‘.

Caris Duimé y Belané [Ka-ris Dwi-mee i Be-la-nee] – Ausbilder in der Guigans Rardisonan; überheblich – oder unsicher?

Oljó y Becal [Oll-choo i Be-kal] – kräftig, jähzornig, Narben, verurteilter Dieb und Spieler. Fale traut ihm Anfangs nicht.

Miruil Enfásiz y Calerto [Mii-ril Änn-faa-ziss i Ka-lär-to] – klein, braunhaarig, aus reicher Familie, etwas arrogant, will Abenteuer erleben. Begeisterungsfährig, temperamentvoll. Anfangs leicht naiv?

Amerto y Cajál [A-mär-to i Ka-chaal] – oberster Seewächter der ‚Sturmwind‘. Anfangs: Falerte hält ihn für grausam.

Couccinne Carizzo aus Amacco [Kuu-tschin-nä Ka-riss-so A-matsch-tscho] – ruhig, phlegmatisch, leicht apokalyptisch, düster, aufmerksam, pessimistisch.

Jimmo [Dschim-mo] – verrät Herkunft nicht, groß, ergraut, Hüne. Angfangs: Fale traut ihm nicht.

Zalím [Sa-liim] – klein, rothaarig, kam aus Not in die Guigans

Garekh [Ga-rech]– Freund von Falerte, Schmuggler, handelt mit Schwarzseepiraten und Nocstce.

Scaric-tar-Garshan [Zka-rik tar Gar-schan] – lebensfroh, mittleres Alter, starker Akzent, groß, schlaksig, Hakennase, dunkel

Ccillia [Tschill-ja] – alte Liebe von Falerte

Nuosan Deleau [Nũ-õ-zõ Dä-löö] – tólomischer Schriftsteller des 37. Jahrhunderts.

Šamrek [Scham-rek]

Axabula [Akz-za-bu-la]

Commosha Dacealus [Kom-mo-scha Da-kä-lus]

Dosten Aschengrau [Dos-ten] –

Schwarzkralle

Accilla Scazi

Sturmwind – militärisches Frachtschiff aus Rardisonán; Dreimaster

Paruibi

 

 

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