Der A’Lhumakrieg – X: Eine Überraschung kommt selten allein.

Die Rückkehr von Asmyllis traf uns alle vollkommen überraschend – alle, bis auf Crear, der wohl von seinen Agenten schon unterrichtet worden war. Ihr Gespräch an diesem einen Abend schien Ewigkeiten zu dauern, so dass ich Somm Orichin die Empfehlung gab, die Festlichkeiten wieder aufleben zu lassen, bevor es zu größeren Tratschereien kommen konnte.

Trotzdem entstanden diese natürlich, wobei ich hauptsächlich über Caeryss und die Mägde mitbekam, was man sich so erzählte. Angeblich kam es hinter verschlossenen Türen zum Streit zwischen Tante und Neffe. Asmyllis soll ihm geradeheraus gesagt haben wie sehr er sich schämen müsse, das Andenken seines Vaters beschmutzt zu haben, indem er nach der Macht griff und dafür auch über Leichen ging. Auch solle ihr die Entwicklung in der Burg nicht gefallen – die Leute, mit denen Crear sich hier umgab – die Veränderungen, die er an der Ausstattung vorgenommen hatte. Fast alle Gerüchte gaben dieses Bild der Tante, die ihren Neffen niedermachte, ungeachtete der Tatsache seines Ranges. Wenige schienen zu glauben, dass nach den langen Jahren der Trennung diese Beiden auch froh sein könnten einander zu sehen.

Wie Crear wohl bei diesem Treffen handelte, darüber waren die Meinungen tiefer gespalten. Dienstmädchen behaupteten ihn im Raum brüllen zu hören, andere sprachen von Lachen. Viele meinten, er hätte Asmyllis auf ihre Rede hin gedroht einzusperren oder hängen zu lassen, einige glaubten an den freundlichen Jungen. Wie auch immer – Tatsache ist, wir werden wohl nie erfahren, was hinter der verschlossenen Tür geschah.

Keiner der beiden sprach später noch einmal darüber, selbst mit ihren engsten Vertrauten nicht – oder ich war kein Vertrauter Crears mehr. Jedoch verhielten sie sich zueinander recht gewöhnlich – nicht wie die große Tante zum kleinen Neffen, aber wie Verwandte. Unter Beobachtung anderer sprachen sie über keine großen Belange, doch behandelten sich mit einer gewissen Ehrfurcht.

Zu ihren anderen alten Freunden war Frau Asmyllis herzlich wie früher. Den ersten Tag verbrachte sie lange in einem Gespräch mit der alten Gouma, die sich wohl am meisten gefreut hatte sie wiederzusehen; auch die Mägde umschwirrten sie häufig. Ich sprach nur wenig mit ihr, hatte ich doch wie früher schon zuviel Furcht etwas falsches zu sagen. Den fremden Adligen begegnete sie teils unverhohlen mit Misstrauen; über die Söldner verlor sie kein Wort, widmete ihnen höchstens abfällige Blicke.

Bereits sehr bald reisten diese aber auch wieder ab – zusammen mit Crear. Sie fuhren über das Meer gen Westen um in den Steinhügeln am Rande der Wüste anzulegen und dort die Feste Kuthaern – Wüstentor – zu belagern. Diese lag abseits des restlichen Tarles und war sehr überrascht angegriffen zu werden, so dass sie niemals lange hätte widerstehen sollen. Trotzdem kam Crear mit einigen Einheiten nach wenigen Tagen Belagerung bereits zurück zu uns, weitere Pläne verfolgend.

In der Zeit seiner Abwesenheit war Frau Asmyllis ihrer Mutter Teule mehr als einmal aus dem weg gegangen; den endgültigen Zusammenstoß durfte ich miterleben, geschah er doch ausgerechnet vor meinem Schreibtisch. Ich war gerade mit Asmyllis im Gespräch, da kam Teule herein, wohl etwas von mir wollend.

„Ach, Tochter – du hier? – na dann hoffe ich mal nicht zu stören! -“

„Ja, ich auch hier – immerhin darf ich handeln wie ich will.“

Teule beachtete sie nicht sondern wandte sich an mich. „Wird es lange dauern? Ich muss mit euch sprechen.“

Asmyllis antwortete für mich. „Keine Sorge – ich wollte gerade los.“

„Wieder für Jahre im Nirgendwo verschwinden?“ Konnte es wirklich sein, dass Teule sich Sorgen gemacht hatte? Oder war sie bloß beleidigt, nicht bestimmen zu können was ihre Tochter tat?

„Keine Angst, so schnell wirst du mich diesmal nicht los – ich werde nicht noch einmal zulassen, dass Lurut derartiges angetan wird.“

Nun endlich schloss auch Teule die Tür hinter sich – noch mehr tratschende Dienstleute konnte ich zu der Zeit sicher nicht gebrauchen. Sie antwortete mit gefährlich freundlich wirkender Miene. „Wovon sprichst du, mein Kind?“

„Lurut war einst ein ruhiger Ort unter Gurass, der nichts weiter wollte als in einem ruhigen Reich leben. Doch wie hat dein Großneffe es nicht verändert! Gefährliche Leute gehen hier ein und aus, in der Stadt werden sogenannte Verräter gehängt, auf den Stadtmauern thronen Schädel erschlagener Gegner und ein Feldzug nach dem anderen soll seine Macht vergrößern! – und ich hörte, du warst ihm die wichtigste Ratgeberin!“

„Du musst dich irren, mein Kind – niemals habe ich ihm etwas Böses geraten – und die meiste Zeit beachtete er mich eh nicht.“

„Vielleicht hat er erkannt, dass du noch schlimmer bist als er!“

Darauf sagte Teule nichts, führte bloß ihren verletzten Ausdruck vor.

Asmyllis wollte aber wohl noch nicht gewonnen haben. „Sein Vater war der Einzige in dieser Familie, der nicht herrsch- und streitsüchtig ist. Mit ihm verschwanden alle Tugenden aus Lurut. – Ich bin von euch enttäuscht, euch allen – nicht nur von Crear und der Familie, vor allem aber auch von dir.“

Als ihre Mutter immer noch nichts sagte, drängte sie sich an dieser vorbei zum Ausgang und verschwand.

„Dieses Kind…“ Teule seufzte und wandte sich mir zu. „Ich muss mit euch über diese Magd sprechen – Caeryss.“

Verwundert horchte ich auf. „Was ist mit ihr?“

Als Crear wieder nach Lurut zurückkehrte erfuhr er zunächst, dass Louvis aus dem Kerker verschwunden war. Die Hauptverdächtige war ausgerechnet Caeryss, die seit diesem Vorfall ebenso vermisst wurde. Crear war nicht gerade guter Laune, als er von diesem Vorfall erfuhr.

„Errist! – bring mir diese Magd, und wenn du die ganze Stadt – nein, das ganze Land! – auf den Kopf stellen musst! Und vor allem aber finde Louvis – und lass ihn nicht noch einmal entkommen!“

Ich sah mich genötigt einzuschreiten. „Herr – Crear! – hör mich bitte an!“

Crear schien kurz vor einem seiner Anfälle zu stehen, doch gewährte er mir diesen Wunsch.

„Ich kenne Caeryss – fast besser als mich selbst – auch wenn sie vielleicht Mitleid mit Louvis hatte, niemals hätte sie dich so verraten!“

Mit einem Aufschrei schlug Crear mitten gegen einen Pfeiler, bevor er plötzlich ruhig wurde. „Und was schlägst du vor?“

„Behandle sie nicht schlecht – bitte! – frage sie, warum sie verschwunden ist – vielleicht nahm Louvis sie gefangen – lass sie sich zuerst erklären – lass mich mit ihr sprechen, sobald sie wieder hier ist!“

Und tatsächlich willigte Crear ein. „Gut – du wirst deinen Willen bekommen – der Freundschaft zuliebe.“

Caeryss wurde nicht rechtzeitig gefunden, um ein wahrhaft schreckliches Ereignis mitzuerleben. Crear traf bereits wieder Vorbereitungen die Stadt zu verlassen, diesmal um Tarle selbst im Süden des Reiches, von Daminro aus, anzugreifen. Somm Orichin war schon vor Wochen heimgekehrt dies vorzubereiten, derweil nun wohl die letzten Söldner bei uns eintrafen. In dieser kurzen Zeit musste ich gleichzeitig mich um Zimmerbelegungen, Essen und so weiter, als auch um die Suche nach Caeryss kümmern.

Zwangsweise vernachlässigte ich andere Freunde und Bekannte und bemerkte so nicht, wie es der alten Gouma immer schlechter ging. Das letzte Mal hatte ich sie einige Tage zuvor gesehen und gesprochen. Nun musste ich plötzlich an sie denken, während ich in der Küche an Caeryss‘ Statt die Mägde überwachte – und kurz darauf kam ein aufgeregter Diener hereingestürzt.

„Herr Eilzen! – kommt schnell zu Frau Gouma!“

Besorgt durch seinen Tonfall eilte ich mich so gut es ging, ihm zu folgen. Vor Goumas Kammer hatten sich bereits Schaulustige versammelt, derweil darinnen drei Kräuterfrauen neben ihrem Bett knieten.

„Verschwindet – an die Arbeit!“ Ich verscheuchte die Gaffenden und drängte mich in die Kammer, die Tür hinter mir schließend.

Klein und kraftlos lag dort Gouma in den Laken – wie auf die Welt gekommen, so sollte sie diese auch verlassen. Eine Frage bildend sah ich eine der Kräuterfrauen an, doch diese schüttelte den Kopf – und ich verstand.

„Lasst uns bitte allein.“

Meinen Wunsch folgend verließen die Frauen das Zimmer und ich blieb mit ihr allein. Ich weiß nicht, wie lange ich so blieb, wie lange ich dort ausharrte. Sie erwachte nicht mehr – zu merken, dass sie nicht mehr atmete, versetzte mir einen Stoß. Noch länger blieb ich dort, kniend und weinend, da klopfte es an der Tür.

Es war Asmyllis, die hiervon gehört hatte und gekommen war zu sehen, wie es uns ging. Als auch sie sah, dass Gouma uns verlassen hatte, kniete sie neben mir. Wir vermochten uns gegenseitig wieder Mut zu geben, dass es Gouma bei den Göttern gut gehen würde, und verließen bald die Kammer. Immer noch standen viele dort herum, nun sogar auch der Hofmeister Pyn, die bei unserem Anblick alle in unsere Trauer einzustimmen vermochten. Die halbe Burg wurde auf diese Weise gelähmt, als alle um ihre teuerste Freundin trauerten.

Als Crear dies endlich bemerkte, kam er zu uns herab gestiegen. „Was ist hier los? – Warum arbeitet ihr nicht?“

Schweigend deutete ich auf Goumas Tür.

Jemand anders sprach. „Unser aller Mutter Gouma ist von uns zu den Göttern gegangen.“

Kurz schlich sich ein unbekannter Ausdruck in Crears Züge, bevor sie hart wie Stein wurden. „Trotzdem muss es weitergehen. – Also – zurück an die Arbeit!“

Auch Errist, der mittlerweile stets an Crears Seite war, mischte sich nun ein. „Ihr habt euren Herrn gehört – los!“

Für das einfache Volk gab es keine Feiern; ihre Körper wurden auch nicht verbrannt. Crear hätte dafür sorgen können, dass Gouma trotzdem diese Ehren zuteil werden würden, doch er verlor kein Wort darüber. Darum stahlen sich einige von uns, darunter auch die Frau Asmyllis, mit Gouma unter uns aus der Burg hinab an den See. Zwar waren einige der Soldaten auf unserer Seite, doch hatte sicherlich jemand Crear davon unterrichtet, dass entgegen herrschenden Gesetzen in der Nacht eine Frau am See verbrannt worden war -. doch verlor er kein Wort darüber, ließ uns nicht verhaften.

Bis heute bin ich schwer enttäuscht, dass er selber nicht zu unserer Trauerfeier erschien und auch sonst kein Wort über dies Geschehen verlor. Doch konnte ich auch nichts daran ändern, jedes Wort über die Feier hätte uns bedroht und Crear war wahrhaftig schwer mit Vorbereitungen beladen. Allerdings gab es noch mehr, dass Crear von der Beschäftigung mit Gouma abhielt, und dies war die Herrin Emmistat. Nach ihrer Ankunft hatte ich ihr ein Gemach nah bei Crear geben sollen und dem gehorchend wies ich ihr das zwei Türen weiter links davon zu. Fortan sollte sie frei auf der Burg leben doch schien sich mehr gefangen zu fühlen: Kaum wagte sie sich vor die Tür und wenn immer eine Magd mit ihr herumgehen wollte, sah sie nie glücklich aus in ihrer Haut.

Erst Frau Asmyllis gelang es so recht, sie vor die Tür zu locken. Fortan war sie meist mit dieser zusammen im Garten zu sehen. Sprachen die beiden Frauen miteinander, sah Emmistat zuweilen tatsächlich glücklich aus; war Asmyllis dann gegangen und Crear schlich herbei ihren Platz einzunehmen, verschlossen sich ihre Züge und allen Anwerbungsversuchen Crears zum Trotz blieb sie abweisend. Einmal nur gelang es mir sie zu fragen, warum sie Crear nicht bei sich haben wollte.

„Mein Vater, meine Brüder, mein Verlobter – sie alle starben durch seine Hand und sein Wort. Er hätte die Macht gehabt sie leben zu lassen. Auch wenn ich meinen Verlobten nicht mochte und mich mit dem Bruder oft stritt, so liebte ich diesen und meinen Vater doch. Bis heute unternahm Crear nichts, aufgrund dessen ich ihm diese taten verzeihen könnte.“

Ich seufzte. „Also werdet ihr ihn niemals lieben oder als Ehegatten nehmen können.“

Da sah sie mich überrascht an. „Warum liegt es euch am Herzen, dass ich ihn liebe?“

Bis zu dem Augenblick hatte ich gar nicht gewusst, dass dem so war, weshalb ich auch überlegen musste. „Crear war nicht immer so. Er – ist mein Freund und war es schon immer; es gibt auch andere Seiten an ihm als die, die ihr nun kennenlerntet. Ja, auf eine gewisse Art – liebe ich ihn immer noch – wie einen Bruder.“

Ich weiß nicht ob ich Emmistat umstimmen konnte, doch schien sie Crear näherzulassen. Dass dies einem anderen Zwecke diente, erfuhr ich erst später.

Crear war gerade wenige Tage nach Süden aufgebrochen, um in Tarle die Feste Gulrunn zu erobern, da tauchte Caeryss wieder auf. Ein mir Vertrauter erstöberte sie in einem Dorf unfern Luruts. Ich brach sofort selber auf mit ihr zu sprechen, bevor etwas Schreckliches geschah. Frau Asmyllis bestand darauf mich zu begleiten, worin ich nichts schlimmes sah.

In dem Dorf angelangt trafen wir Caeryss vor einer Gaststätte. „Du erklärst uns lieber schnell, was dich zu deinem Verschwinden bewog. Alle denken du hättest Louvis befreit, und darauf steht der Tod.“

Caeryss beachtete das nicht. „Kommt schnell mit, Euliste hat gerade ihr Kind bekommen!“

„Euliste? – Aber -“ War sie nicht stets in der Burg gewesen? Und wann war sie schwanger geworden?

Wir folgten ihr und fanden Euliste dort im Kindbett – verstorben.

„Sie schaffte es leider nicht.“ Caeryss blickte trauernd.

Asmyllis aber ließ sich am Bett nieder und nahm eine Hand der Toten. „Oh Base, was ist nur mit euch geschehen?“

Ich war bloß erstaunt, Caeryss gar entsetzt. „Base? – Aber – das ist das Kind von König Crear!“

Und wie zur Antwort fing es an zu schreien.


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