Der A’Lhumakrieg – VI: Nicht alles ist kaufbar: Wer für seine Liebe töten würde…

Ein ganzes Jahr sollte nun vergehen, bevor die großen Unglücke begannen. Nach seiner beschämenden Abreise aus Barga war Crear lange Zeit weniger gut gestimmt.

„Wir kann er es wagen, mich – mich! – einfach so aus der Stadt zu werfen? – Er weiß doch, wer und was ich bin!“

„Nun, du hast gegen geltendes Recht verstoßen…“

Wütend schlug Crear gegen den Schild an meiner Wand – lange würde dieser nicht mehr leben. „Geroux hat das! – Er hat mich dazu getrieben!“

Seit unserer Abreise nannte er den Tereanv von Gernin nur noch bei dem alten Namen dessen Stadt: Geroux statt Gernin. Was das zu bedeuten hatte wusste ich mir nicht zu erklären.

„Was hast du vor?“

„Ach, ich weiß es…“ Plötzlich sackte er in sich zusammen, lehnte sich vorher noch mit dem Rücken an die Wand, bevor er an dieser herabrutschte.

Seine Hände hatte er seitlich an seinen Schädel gepresst; die schmerzverzerrt Fratze erschrak mich zutiefst.

„Crear?“ Hastig sprang ich auf, riss die Tür meines Zimmers auf und schrie um Hilfe.

Später rügte er mich für mein Verhalten; es sollte nicht die ganze Burg wissen, unter welchen Schmerzen er manchmal litt. Die Kräuterfrauen wussten mit ihm sowieso kaum etwas anzufangen, doch waren sie Meisterinnen des Tratsches, weshalb auch bald so alle unterrichtet schienen. Natürlich wurden seine Schmerzen davon auch nicht besser, schienen eher immer schlimmer zu werden. Das Burgvolk ging unterschiedlich damit um. Einige begannen ihn zu meiden, andere meinten es ausnützen zu können und fast alle tuschelten heimlich über ihn.

„Wenn ihr mir diese Bemerkung gestattet; der junge Tereanv scheint wahnsinnig zu werden.“ Der alte Faulass sprach dies wie beiläufig, als ich eigentlich mit ihm und zwei anderen Hofadligen die Vorbereitung zu Crears Geburtstagsfeierlichkeiten besprechen wollte.

„Was?“ Die Bemerkung hatte offensichtlich nicht viel mit Wildbret zu tun, weshalb ich zunächst nicht wusste, was er meinte.

„Wie kommt ihr da jetzt drauf?“

„Ich habe schon länger darüber nachgedacht. Ist euch nie dieser Blick aufgefallen, den er manchmal hat? Und gestern hat er die alte Gouma in den Schlamm gestoßen, als sie ihn bei einem seiner Anfälle im Weg stand…“

Da krachte auf einmal etwas. Überrascht wendete ich mich und sah Crear in den Raum mit geschwinden Schritten eilen, in der Hand einen Holzscheit schwingend – nein; ich erkannte: Es handelte sich um ein Stuhlbein; den Rest des Stuhles hatte er an dem Durchgang zum Raum zerschmettert.

„So also sprecht ihr über euren Herrn?“

Schneller als wir handeln konnten hatte er bereits Faulass erreicht und schlug dem Alten mit dem Stuhlbein über den Schädel. Während Faulass blutend in die Knie ging, konnten wir anderen Drei einschreiten. Wir hielten Crear und das Bein mit Mühe davon ab, tödliche Schläge zu verteilen, bis Crear irgendwann plötzlich bewusstlos zusammenbrach.

Später erinnerte er sich an nichts von dem Geschehenen mehr; zu unserem Glück, hatten wir doch immerhin unsere Hände gegen unseren Herrn erhoben. Niemand von uns wagte es ihm zu erzählen, waren wir doch zu tief erschüttert; Faulass verließ eines Tages schweigend die Burg und kehrte auf den Gutsbesitz seiner Familie zurück.

„Warum verlässt uns Faulass denn?“ Crear stand auf dem Balkon über der Eingangshalle und sah der Kutsche des Adligen verwundert nach, wie sie schwer bepackt den Hof verließ.

Mir war es unangenehm zu antworten. „Er meint, eine Zeit draußen auf seinem Anwesen würde ihm gut tun.“

Schweigend nickte Crear, bis er dann das Gespräch auf anderes lenkte. „Wir können sein Zimmer vermutlich auch gut gebrauchen – ich erwarte Gäste aus dem Reich – und du solltest dich fortan auch nicht wundern, wenn Besucher aus anderen Ländern dabei sind. Lurut sollte sich nicht mehr einzeln in Sacaluma verstecken, findest du nicht auch?“

Ehrlich gesagt wusste ich nichts darauf zu antworten: Ich leitete vielleicht eine Burg, aber nicht einen ganzen Landstrich.

„Gut, dann werde ich… Crear?“

Ohne Vorwarnung waren Tränen auf sein Gesicht getreten. „Ich vermisse sie…“

„Was? – Wen?“

„Sie alle… die nicht mehr sind… Euliste, die in Barga bei Louvis ist… meinen Vater, der nicht mehr unter uns ist… meine Mutter, die ich nie gekannt habe… Asmyllis, die schon solange verschwunden ist…“ Seine Stimme verschwand unter Schluchzen.

„Crear…“ Nicht recht wissen, was ich tun soll, legte ich ihm eine Hand auf die Schulter.

Plötzlich warf er sich in meine Arme. „Ich vermisse sie!“

Wen genau er nun meinte vermag ich aber nicht zu sagen, doch auf einmal war er wieder der verängstigte Junge von damals.

Einige Zeit darauf – es war schon wieder Sommer – kamen vermehrt seltsame Gestalten zu Besuch auf die Burg. Männer, die ich nie zuvor gesehen hatte, kamen und gingen, blieben einige Tagen und waren dann wieder verschwunden. Männer aus verrufenen Gegenden waren sie: Luftig gewandete Geschäftsleute aus der Tolum, schmierig düstere Geldsäcke aus Icran und andere, die ich nicht erkannte. Jeder stank förmlich danach, sich für Geld zu verkaufen und keiner hätte je mein Vertrauen erringen können.

„Diese Männer, die da immer zum Tereanv kommen – sie gefallen mir nicht.“ Caeryss sah Gouma an, die bedrückt nickte.

„Einer dieser Kerle hat sogar schon versucht mich in sein Bett zu bekommen – mich alte Vettel! Ha!“

„Du bist nicht alt.“Doch sie schien meinen Einspruch gar nicht zu hören.

„Manchmal frage ich mich wirklich, was aus meinem kleinen Jungen Crear geworden ist.

„Hmpf! -Ja, er verhält sich immer sonderbarer. Mal ist er ganz der Alte; mal ein fieses Monster, das seine Diener schlägt und manchmal auch ein windiger Geschäftsmann, wenn er sich mit diesen Gestalten trifft.“ Caeryss wollte schon fröhlich weiterschnattern, da erschien Hofmeister Pyn am Gartentor.

Er war außer Atem. „Herr Doubal! Endlich finde ich euch! – Bitte kommt doch mit – der Tereanv brach vor einer Stunde zusammen und ist seitdem nicht wieder erwacht – kommt bitte schnell!“

Ich wechselte mit Gouma und Caeryss noch besorgte Blicke, dann folgte ich ihm den langen Weg hinauf zu Crears Gemächern.

Wie sich noch zeigen sollte, blieb dies nicht das einzige Mal, dass Crear unter Schmerzen zusammenbrach. Meist jedoch konnte er die drohende Gefahr zukünftig rechtzeitig erkennen und sich zurückziehen, was natürlich für Geschäfte nicht sehr förderlich war. Die Kräuterfrauen konnten ihm nicht helfen; sie alle wussten sich gegen Crears Leiden nicht recht zu helfen. Sehr zu meinem Missfallen brachte Teule ihm eine Mischung, die gegen seine Schmerzen helfen sollte, sofern er immer ein paar Tropfen nähme. Zwar schienen sie ihm wirklich ein wenig zu helfen, doch vor allem eher schrecklich stark an Teule zu binden, was er dieses Mal nicht bemerkte. Nur ich schien noch auf ihn aufpassen zu wollen, wenngleich ich es nicht wagte, ihm meine Befürchtungen selbst zu sagen – lieber hielt ich mich bedeckt und beobachtete alles aus Verstecken heraus.

So auch an einem Tag, als Teule ihren Großenkel im alten Kartenraum antraf – und ich ‚zufällig‘ draußen vor dem Fenster war. Ich hatte nicht gewusst, was Crear dort suchte, doch war er schon seit etwas mehr als einer Stunde dort drinnen am herumwühlen – und lange hätte ich nicht mehr ausharren können.

„Ah, Crear! Was machst du denn hier?“ Schrecklich süß klang ihre Stimme.

„Dasselbe könnte ich dich fragen – aber wozu schon? Ich suche Karten – von der Burg, der Stadt, dem Land, dem Reich… – ich muss wissen, was wo liegt – und auch, wem was gehört.“

Plötzlich erschien Teules Stimme nah am Fenster; nah bei mir. „Da könnte ich dir doch helfen – lass mal sehen.“ Etwas raschelte. „Du musst wissen, wer dem Reich Lurut etwas schuldig ist – wer ihm treu ist – und wer schon immer unser Feind war.“

„Ich habe es mir bereits mit Gernin und Barga verscherzt – nächste Woche kommt Tereanv Somm Orichin von Daminro zu Besuch – er könnte mein stärkster Verbündeter werden.“

„Mit dem Osten kamen die Herren von Lurut noch nie zurecht – aber Crear, mein Liebling – niemals darfst du dir den König zum Feind machen – es sei denn, du kannst siegen.“

„Um den König mache ich mir zur Zeit weniger Sorgen – um ihn werde ich mich im Frühjahr kümmern.“

„Dann hoffe ich, dass du weißt was du tust – soll ich dir noch einiges über die anderen Adligen und ihre Ländereien erzählen?“

„Natürlich – Danke Großmutter.“

Mir liefen Schauer über den Rücken die beiden so vertraut reden zu hören, doch konnte ich auch nicht aufhören sie zu belauschen, musste stetig weiter zuhören. So erfuhr ich allerlei über Adel und Ländereien, die auf Karten gezeigt wurden welche ich nicht sah und von denen ich teilweise noch nie gehört hatte. Irgendwann wurde ich dem doch noch überdrüssig und verschwand schwirrenden Kopfes von diesem Ort.

Im späten Herbst dann geschah etwas, das uns allein das Fürchten lehrte. Die Früchte auf den Feldern hatten gerade ihre Reife erlangt und waren alle eingesammelt worden. Wie es Sitte war, ging daher der zehnte Teil in die Speicher der Burg, unter meine Obhut. Wir alle hätten uns nur zu gerne in dem Obst gesuhlt doch war es uns verboten uns mehr als den täglichen Anteil zu nehmen, der von Pyn verteilt wurde. Einer seiner helfenden Knechte aber nun wurde eines Abends dabei ertappt, wie er einen ganzen Arm voll mit sich nehmen wollte. Leider war Pyn so unvorsichtig, Crear davon zu erzählen.

„Er hat was getan? – schafft ihn mir sofort herbei!“

Wie befohlen sandte Errist zwei seiner Krieger aus, die bald mit dem Knaben zurückkehrten. Ängstlich stand dieser dann vor Crear, der auf seinem Thron saß.

„Du hast Obst gestohlen – stimmt das?“ Crears Stimme war hart und verlangend, so dass selbst ich Angst bekam.

„Herr – meine Familie -“

„Was schert mich deine Familie? – Hast du oder hast du nicht?“

„Herr – ja, Herr, aber nur um…“

„Errist! – Dieser Knecht wird das nächste Jahr im Kerker bei Wasser und Brot verbringen! – So muss er wenigstens nichts stehlen – Und danach darf er sich sein Obst wieder kaufen, wie alle in der Stadt.“

Wir alle – außer vielleicht Errist – waren bestürzt über dieses Urteil. Auspeitschen wäre noch die schlimmste Strafe gewesen, die man früher dafür verwendet hätte.

Pyn war aber der Einzige, der es wagte darauf hinzuweisen, während die Krieger den nun weinenden Knaben fortschafften. „Herr – meint ihr nicht, dass das zu hart ist?“

„Pyn – wer von uns beiden ist hier der Tereanv? Willst du mich anzweifeln? Auf meinem Thron sitzen?“

Crear hatte ruhig gesprochen, doch Pyn erbleichte. „N-nein – Herr! – Ihr seid der Tereanv!“

„Dann ist gut.“

Pyn verbeugte sich und machte sich eilends daran, den Saal zu verlassen.

Den Winter über waren einige Fremde bei uns ‚zur Überwinterung‘; vielerlei rauflustig wirkende Gestalten, denen die Anständigeren unter uns nur zu gerne aus dem Weg gingen. Ein oder zwei von ihnen waren schon früher dagewesen, so zum Beispiel dieser Tolume namens Chastred mit seiner Gruppe Krieger. Ich war bei weitem nicht der Einzige, der Böses fürchtete .

„Was meinst du, wofür braucht er all diese Krieger?“ Caeryss hatte bereits mehrfach unter ihren Übergriffen leiden müssen; an diesem Tag saß sie mit Gouma und mir zusammen zum Frühstück in der Küche – die anderen Mägde waren gerade aus, den hohen Herren und Damen ihre Anteile zu bringen,

„Das letzte Mal als ich soviele fremde Krieger in der Burg gesehen habe, hatte Tereanv Gurass ein Turnier veranstaltet.“ Gouma schien immer häufiger in Erinnerungen zu schwelgen – oft fragte ich mich, was das wohl zu bedeuten hatte.

„Ich glaube kaum, dass er mit diesen…“ Vorsichtig sah ich mich um, mich zu vergewissern, dass nicht der falsche lauschen würde, und sprach danach trotzdem nur leise. „Ich glaube kaum, dass er mit diesen – Banditen ein Turnier veranstalten will.“

Caeryss sah mich erschrocken an. „Glaubst du wirklich, dass es Banditen sind? Einer von Errists Männern meinte, er glaubt, es seien Söldner.“

Ich konnte nur mit den Augen rollen. „Natürlich sind es Söldner – und Banditen – je nachdem, was ihnen gerade mehr einbringt. Wo ist der Unterschied? – Die Frage ist aber immer noch, was sie hier wollen; und ich befürchte schlimmes.“

„Was könnte jemand mit Söldnern schon wollen?“ Entwickelte sich Gouma plötzlich zur Kriegskennerin?

„Jemanden angreifen?“ Manchmal erschien Caeryss so schrecklich unschuldig, dass es fast schon erfrischend war.

„Aber wen wohl?“ Gemütlich rührte Gouma in ihrem Brei herum.

„Da befürchte ich so einiges. In letzter Zeit hatte Crear oft Besuch von Adligen, die größeren Landbesitz haben – und mit einigen davon verstand er sich nicht – die könnten gute Ziele für ihn sein – oder die Umgebung von Lurut; seinen eigenen Machtbereich vergrößern – und dann ist da noch Barga und alles was darinnen ist.“

„Den König angreifen?“ Es schoss förmlich aus Caeryss hervor, dass sie sich danach erstmal erschrocken umblickte.

Gouma aber interessierte anderes. „Was gibt es dort denn?“

Ihren Blicken nach zu urteilen sprach ich folgendes mit düsterer Miene. „Den König – seinen Gegner Louvis – die Macht des Reiches – seine Ehre – und schon so mancher Mann war bereit für seine Liebe zu töten.“

„Ach, seine Liebe!“ Gouma kichern zu hören erschrak mich fast schon mehr als die Umstände in der Burg.

Den gesamten folgenden Winter waren wir eingepfercht mit fremden Männern, die sich an Lautstärke und Rüpelhaftigkeit allesamt gegenseitig zu überbieten schienen. Und bald käme der Frühling – doch vorher entsandte Crear Boten an den König, dass er sich würde entschuldigen wollen – und wurde so für den nächsten Geburtstag wieder eingeladen.


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